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  • · Fachbeitrag · Reparaturkosten

    Abzug für Wertverbesserung bei Lackierkosten?

    | Im Kampf um ihre Ausgabenreduzierung ist einigen Versicherern keine Idee zu absurd. So haben uns Leser aus Baden-Württemberg berichtet, dass ein Stuttgarter Versicherer jetzt regelmäßig Abzüge für die Wertverbesserung bei der Lackierung vornimmt. Eine Leserin legte uns nun ein entsprechendes Dokument vor und fragt nach der Rechtmäßigkeit. |

     

    Frage: Ein Versicherer schreibt: „Die Lackierung des Fahrzeugs unterliegt dem allgemeinen Verschleiß. Somit erfolgt durch die unfallbedingte Neulackierung eine Wertverbesserung, wodurch sich der Abzug ergibt.“ Das betroffene Fahrzeug ist knapp zwei Jahre alt. Ist dieser Abzug berechtigt?

     

    Antwort: Uns ist bewusst, dass eine verbreitete Lehrmeinung in Sachverständigenkreisen sagt, der Begriff „neu für alt“ finde ausschließlich in der Kaskoversicherung Anwendung. Im Haftpflichtschadenrecht habe er nichts zu suchen. Dort gehe es nur um eine eventuelle Wertsteigerung. Viele Sachverständige mussten das so für Zertifizierungsprüfungen lernen.

     

    Allerdings unterscheidet die Rechtsprechung in dieser Trennschärfe nicht. Beispielhaft seien genannt das AG Köthen (Urteil vom 11.07.2005, Az. 8 C 252/05, Abruf-Nr. 094082) und das LG München II (Urteil vom 13.01.2005, Az. 14 O 1430/03, Abruf-Nr. 053585); beide trennen zwischen den Begriffen nicht.

     

    Am Ende ist das ein Streit um des Kaisers Bart. Die zusammenfassende Überschrift heißt „Vorteilsausgleich“. Und so behandeln wir diesen Vorgang unter beiden Aspekten.

    Nur finanziell spürbare Vorteile werden ausgeglichen

    Bei „neu für alt“ geht es um einen Vorteil, der dadurch entsteht, dass der Geschädigte durch die Unfallschadenreparatur eine baldige und ihm eigene Kosten verursachende Maßnahme erspart.

     

    PRAXISTIPP | Die favorisierte Faustregel heißt: „Ein Neu-für-alt-Abzug ist berechtigt, wenn der Geschädigte durch die Unfallschadenreparatur eine spürbare und zeitnahe eigene Investition in das Fahrzeug erspart.“

     

    Mit dieser Formel erreicht man in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung, dass theoretische Vorteile, die sich im Portemonnaie des Geschädigten nicht auswirken, aussortiert werden. Das muss so sein, weil der Neu-für-alt-Abzug nicht am Objekt, sondern in der Geldbörse des Geschädigten vorgenommen wird. Der darf quasi nur solches Geld entnommen werden, das durch die Schadenbehebung dort hineingespült wurde.

     

    Folgende Schulbuchfälle (Sachverhalt wird als richtig unterstellt, Beweisprobleme werden damit ausgeblendet) zur Illustration:

     

    • Die Reifen der Vorderachse hatten noch 1,7 mm Profil und wurden beim Unfall aufgeschlitzt. Im Zuge der Unfallschadenreparatur werden neue Reifen montiert. Der Geschädigte hätte in Kürze ohnehin neue Reifen kaufen müssen. Das muss er nun nicht mehr. Das ist eine spürbare und zeitnahe eigene Ersparnis, also ist der Abzug berechtigt.

     

    • Der durch den Unfall irreparabel beschädigte und daher erneuerte Kofferraumdeckel hätte ohne den Unfall nie erneuert werden müssen. Also ist das weder eine spürbare noch eine zeitnahe, mithin überhaupt keine Ersparnis. Ein Abzug ist nicht berechtigt.

     

    • Der Lack im Schadenbereich ist zwar 10 Jahre alt, aber intakt. Weil es für den Geschädigten keinen Anlass zu einer Nach- oder Neulackierung gab, hat er durch die schadenbedingte Lackierung keinen messbaren und zeitnahen Vorteil. Ein Abzug ist nicht berechtigt.

     

    Umso weniger ist ein Abzug neu für alt hinsichtlich des Lackes eines 2 Jahre alten Fahrzeugs berechtigt, wenn der Lack nicht nachweislich vorbeschädigt war (z. B. Steinschlag bis aufs Blech oder massive Schrammen).

    Plakatives Beispiel zur „Wertverbesserung“

    Der Ersatz eines leicht angeschrammten Stoßfängers durch einen neuen begründet keine Wertverbesserung, entschied das AG Darmstadt: „Grundsätzlich ist zwar eine durch die Wiederherstellung bedingte Werterhöhung, die sich für den Geschädigten wirtschaftlich günstig auswirkt, im Rahmen des Zumutbaren anzurechnen. … Es ist jedoch entscheidend, ob der Vorteil für den Geschädigten individuell nützlich ist. Hier war jedoch zu berücksichtigen, dass eine neue Stoßstange an sich keine höhere Lebensdauer als die vorhandene Stoßstange aufweist, sie erhöht auch nicht die Lebensdauer des Fahrzeugs insgesamt oder erspart Aufwendungen, die zur Instandhaltung notwendig sind. Eine Stoßstange ist auch kein Verschleißteil, das sich bei jeder Fahrt abnutzt. … Aufwendungen für zukünftige Instandhaltungen erspart die Klägerin dadurch nicht, es ist auch nicht zu erkennen, dass sich die Wertverbesserung anderweitig im Vermögen der Klägerin niederschlägt und das Fahrzeug durch die neue Stoßstange im Wert steigt.“ (AG Darmstadt, Urteil vom 10.06.2015, Az. 308 C 52/14, Abruf-Nr. 144776).

     

    FAZIT | Ein Neu-für-alt-Abzug ist auch bei einem jungen Fahrzeug nicht ausgeschlossen, wenn dem Geschädigten im Zuge der Schadenbeseitigung ein verwertbarer Vorteil entsteht. Doch pauschal nach dem Motto „jede Reparatur macht das Fahrzeug besser ...“ geht das sicher nicht. Und wenn jemand das Fahrzeug zum Verkauf anbietet und 100 Euro mehr verlangt, weil ja immerhin der Kotflügel unfallbedingt neu lackiert sei, geht der Schuss sicher nach hinten los: Nanu, ein Unfallfahrzeug? Das muss ja ohnehin offenbart werden, und dass deshalb jemand einen höheren Preis bezahlt, ist wenig wahrscheinlich. Im Gegenteil.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Neu gefasster Textbaustein 131: Kein Neu für Alt-Abzug, keine Wertverbesserung (H) auf ue.iww.de → Abruf-Nr. 42642279
    Quelle: Ausgabe 12 / 2018 | Seite 6 | ID 45568137