01.07.2010 · IWW-Abrufnummer 167170
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 26.11.2009 – 1 Sa 277 c/09
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit pp. hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 26.11.2009 durch den Direktor des Arbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und die ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin und den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer für Recht erkannt: Tenor: 1. Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn zum Az. 4 Ca 231 c/09 vom 03.06.2009 abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Klä- ger 7.201,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinsatz der EZB seit dem 20.02.2009 zu zahlen. 2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (beider Rechtszüge). 3. Die Revision wird zugelassen. Tatbestand: Der Kläger ist bei dem Beklagten als technischer Angestellter in Vollzeit tätig. Gemäß § 2 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages (Anlage K 1 zu Klage, Bl. 12 f. d. A.) richtet sich das Dienstverhältnis nach den Bestimmungen des BAT mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen bzw. nach den an ihre Stelle tretenden Tarifverträgen. Hierzu gehört auch der Tarifvertrag für Versorgungsbetriebe (TV-V). Der Kläger wird als Mitarbeiter im Wasserwerksbetrieb auf dem Wasserwerk H. eingesetzt. Neben ihm sind dort noch ein Werksmeister und ein Geselle tätig. Die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers beträgt 38,5 Stunden, die er von montags bis donnerstags von 07:00 bis 16:00 Uhr und freitags von 07:00 bis 12:00 Uhr ableistet. Daneben hat der Kläger zusammen mit den beiden anderen Mitarbeitern des Wasserwerks im dreiwöchigen Wechsel Rufbereitschaft zu leisten. Dann absolviert er seine Normalarbeitszeit werktäglich von 07:00 bis 12:00 Uhr und 13:00 bis 16:20 Uhr, donnerstags bis 16:30 Uhr und freitags von 07:00 bis 12:30 Uhr. Die Rufbereitschaft gilt für die übrigen nicht abgedeckten Zeiten von Montag 16:00 Uhr bis Montag 07:00 Uhr. In Ergänzung des TV-V haben der Wasserverband K. und der bei ihm bestehende Personalrat die Dienstvereinbarung vom 15.05.2007 (Ablichtung Bl. 89 f. d. A.) abgeschlossen. Unter 3.1 Arbeitszeit ist dort u. a. folgendes geregelt: "Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen bei Vollbeschäftigung 38,5 Stunden wöchentlich. Diese Zeit ist auf 5 Arbeitstage (von Montag bis Freitag) aufgeteilt. Bei betrieblicher Notwendigkeit kann diese auch auf 6 Arbeitstage, also einschließlich Samstag, aufgeteilt werden. Grundsätzlich gelten die Regelungen des § 8 TV-V. Zur Erreichung eines variablen Einsatzes der Mitarbeiter als flexible Reaktionsmöglichkeit aufgrund von äußeren Anforderungen an den Wasserverband wird für die Bereiche Wasserwerk und Rohrnetz ein wöchentlicher Arbeitszeitkorridor eingerichtet, der bis zu 45 Stunden beträgt.... Jeder Mitarbeiter wird somit über ein persönliches Arbeitszeitkonto verfügen, das jeweils einen Soll- und einen Ist-Saldo enthält. Der Ausgleich des Kontos soll innerhalb eines Jahres erfolgen. Darüber hinaus können Sondervereinbarungen getroffen werden. Abweichungen der Ist- zur Sollarbeitszeit sind in der Regel durch besondere Anforderungen an den Dienst-/Arbeitsablauf begründet und erfolgen in Abstimmung mit dem Personaleinsatz durch den Vorgesetzten. Die Wertung und Erfassung von Überstunden entspricht § 9 Abs. 8 TV-V und erfolgt über die Bereiche Wasserwerk und Rohrnetz nur nach Ausschöpfung des wöchentlichen Arbeitszeitkorridors...., wenn die Überstunden ausdrücklich durch die Geschäftsleitung angeordnet worden sind. 3.3. Arbeitszeitverlagerung (AZV). Eine Arbeitszeitverlagerung kann zur Realisierung planbarer Arbeiten, die außerhalb der eigentlichen Regelarbeitszeit anfallen (zum Teil auch wiederkehrend) angewendet werden. Der Sinn ist, die Arbeiten, die innerhalb der Geschäftszeiten nicht durchgeführt werden können (z. B. Rohrnetzspülungen, durchzuführende Arbeiten an Mitgliedsanlagen ....) im Verhältnis zu einem vernünftigen betrieblichen Aufwand zu realisieren. Überstunden werden hierbei .... vermieden bzw. wirksam reduziert. Die Arbeitszeitverlagerung bedarf einer Vorplanung, kurzfristige Störungs- und Bereitschaftseinsätze fallen nicht darunter. Die Bekanntgabe der Anwendung von AZV soll ca. 7 Tage vor Ausführung erfolgen ..." Die während der angeordneten Rufbereitschaft durchzuführenden Arbeiten hat der Beklagte in einem sogenannten Pflichtenheft (Anlage B 1, Bl. 81 d. A.) festgeschrieben. Darin sind enthalten Maßnahmen, die aufgrund von Störungsmeldungen von dem Kläger bzw. seinen Kollegen zu treffen sind wie auch regelmäßig wiederkehrende, planbare Routinetätigkeiten wie sogenannte Kontrollgänge, die Werktags ein bis zwei Mal und am Wochenende drei bis vier Mal pro Tag während des Rufbereitschaftsdienstes zu machen sind. Während die Anzahl der Kontrollgänge mithin festgeschrieben ist, ist die zeitliche Lage in das Ermessen des Rufbereitschaftsdienstleistenden gestellt. Unter Ziff. 2 des Pflichtenheftes sind außer den Kontrollgängen noch weitere Arbeiten aufgeführt, die in den Zeiten des Rufbereitschaftsdienstes routinemäßig durchzuführen sind. Die Parteien streiten darum, wie diese planbaren Tätigkeiten zu vergüten sind. Der Beklagte zahlt zwar für die Zeit der Rufbereitschaft die in § 10 Abs. 3 geregelte tägliche Pauschale. Die Arbeitsleistungen innerhalb der Rufbereitschaft rechnet er aber unterschiedlich danach ab, ob es sich um Störungen oder geplante Tätigkeiten handelt. Die sogenannten geplanten Tätigkeiten wie insbesondere Kontrollgänge vergütet der Beklagte als Normalarbeitszeit, die "spitz abgerechnet" werden, also nach dem tatsächlichen Zeitaufwand. Der Aufwand aufgrund von Störungen wird hingegen gemäß § 10 Abs. 3 S. 4 TV-V vergütet, d. h. jede angefangene Stunde wird auf eine volle Stunde gerundet und mit dem Entgelt für Überstunden sowie etwaiger Zeitzuschläge bezahlt. Der Kläger ist der Ansicht, dass diese Unterscheidung tarifwidrig ist und der Beklagte alle anfallenden Arbeiten in der Rufbereitschaft gemäß § 10 Abs. 3 S. 4 TV-V abzurechnen habe. Für die Monate November 2007 bis Juli 2008 ergäben sich insofern 7.201,16 € brutto als Differenzbetrag zugunsten des Klägers zwischen den als Normalarbeitszeit abgerechneten Zeiten in der Rufbereitschaft zur Bereitschaftsvergütung gemäß § 10 Abs. 3 S. 4 TV-V. Wenn der Beklagte für den Kläger Rufbereitschaft angeordnet habe, müsse er diese Zeiten auch so vergüten und könne sie nicht als Normalarbeitszeit abrechnen, zumal der Kläger in der Woche seine normale Arbeitszeit bereits abgeleistet habe. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.201,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Ansicht, die Klage sei unbegründet, weil die nicht gemäß § 10 Abs. 3 TV-V abgerechneten Einsätze des Klägers solche seien, die zwar in der Rufbereitschaftsphase verrichtet worden seien aber verlagerte Arbeitszeit im Sinne des § 3 der Dienstvereinbarung darstellten. Kontrollgänge und ähnliche regelmäßig anfallende und planbare Arbeiten seien eben keine unvorhergesehenen durch Störungen entstandenen Einsätze und hätten von daher mit dem Grundgedanken der Rufbereitschaft nichts zu tun. Das Arbeitsgericht Elmshorn hat die Klage abgewiesen. Es hat sich rechtlich der Auffassung des Beklagten angeschlossen, dass die planbaren und regelmäßig wiederkehrenden Arbeiten wie Kontrollgänge als regelmäßige Arbeitszeit zu werten sind. Kontrollgänge etc. stünden dem Grunde nach fest, der Kläger sei von vornherein zur Ableistung verpflichtet. Die die Rufbereitschaft kennzeichnenden Tätigkeiten seien hingegen unvorhergesehen und also auf Abruf aufzunehmen. Gegen das ihm am 03.07.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.08.2009 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und verweist insbesondere darauf, dass der Beklagte für die planbaren Arbeiten eben nicht Arbeitszeit angeordnet habe, sondern diese Arbeiten während der angeordneten Rufbereitschaftsphase erbracht worden seien. Zwar sei nach der Dienstvereinbarung eine Arbeitszeitverlagerung möglich. Die Arbeitszeitverlagerung bedürfe aber danach einer Vorplanung. Die Bekanntgabe der Anwendung von Arbeitszeitverlagerung solle ca. 7 Tage vor Ausführung erfolgen, was in keinem Falle bei dem Kläger erfolgt sei. Im Übrigen habe es sich um eine Arbeitszeitverlagerung schon deshalb nicht gehandelt, weil es sich um zusätzliche Arbeitszeit gehandelt habe, die der Kläger aufwenden müsse. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn - 4 Ca 231 c/09 - vom 03.06.2009 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 7.201,16 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er ist der Ansicht, dass es sich bei der Durchführung der Kontrollgänge und anderer planbarer regelmäßig wiederkehrender Arbeiten um vorgegebene Unterbrechungen der Rufbereitschaft handele, deren Planbarkeit begriffsnotwendig der Einstufung als Rufbereitschaft entgegenstehe. Da ein Arbeitszeitkorridor von 45 Stunden pro Woche aufgrund der Dienstvereinbarung vereinbart sei, könnten auch die planbaren Tätigkeiten nach Erfüllung der 38,5-Stunden-Woche des Klägers als Normalarbeitszeit abgerechnet werden. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Entscheidungsgründe: Die Berufung ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft und form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 Lit. b, 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG, 519, 520 ZPO. Sie ist auch begründet. Mit der Klage ist das Gericht der Auffassung, dass die von dem Kläger während der Rufbereitschaft verrichteten Arbeiten gemäß § 10 Abs. 3 S. 4 TV-V zu vergüten sind. Die Berufung weist zu Recht darauf hin, dass es dem Beklagten als Arbeitgeber obliegt, im Rahmen der anzuwendenden Vorschriften die Arbeitszeit des Klägers zu gestalten. Wenn sie dies aber getan hat, ist sie auch an ihre eigene Einteilung gebunden. Der Kläger hat, unterschieden nach Wochen mit oder ohne Rufbereitschaftsdienst feste Regelarbeitszeiten, innerhalb derer er die tarifvertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden erbringt. Daneben wird der Kläger von dem Beklagten alle drei Wochen zum Rufbereitschaftsdienst eingeteilt. Mangels anderer Verlautbarungen des Beklagten hat der Kläger während der Rufbereitschaftsphase ununterbrochen Rufbereitschaft und nicht eingestreute "Inseln" von verlagerter Normalarbeitszeit. Dies wäre zwar rechtlich möglich aufgrund der gemäß § 11 TV-V abgeschlossenen Dienstvereinbarung. Denn diese lässt gem. § 3 die Verlagerung von Arbeitszeit zu. Die Verlagerung von Arbeitszeit ist aber anzukündigen. Dies kann individuell geschehen, bezogen auf einen bestimmten Einsatz oder auch generell für bestimmte außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit anfallende Arbeiten. Insoweit konnte der Beklagte auch im Rahmen des Arbeitszeitkontos des Klägers für die hier in Frage stehenden sogenannten planbaren Arbeiten wie Kontrollgänge, Normalarbeitszeit als verlagerte Arbeitszeit anordnen. Eine solche Anordnung ist aber nicht getroffen worden. Welche Arbeiten der Kläger während der Rufbereitschaft verrichten soll, ergibt sich aus dem sogenannten Pflichtenheft. Diese umfassen nicht planbare Arbeiten, wie insbesondere die Bearbeitung von Störungen wie auch wiederkehrende planbare Arbeiten. Aus dem Pflichtenheft ergibt sich nicht, dass die planbaren Arbeiten aus dem Rufbereitschaftsdienst herausgenommen werden und als Normalarbeitszeit anzusehen und abzurechnen sind. Es hätte dem Beklagten oblegen, dies generell durch Dienstvereinbarung oder einzelarbeitsvertraglich bzw. durch Weisung im Einzelfall zu regeln. Da dies nicht geschehen ist, konnte der Kläger nur davon ausgehen, dass alle ihm übertragenen Arbeiten während des angeordneten Rufbereitschaftsdienstes auch als Rufbereitschaft vergütet werden. In diesem Zusammenhang zitiert die Klage zu Recht die Entscheidung des BAG vom 04.08.1988 - 6 AZR 48/86 -, wonach angeordnete Rufbereitschaft solche bleibt und nicht von selbst zu Bereitschaftsdienst oder zu voller Arbeitsleistung wird. Die Höhe der klägerischen Forderung ist unstreitig. Sie ist auch innerhalb der Ausschlussfrist des § 20 TV-V durch Schreiben vom 20.08.2007 geltend gemacht worden. Da für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung nach dieser Vorschrift ausreicht, sind damit auch die danach fällig gewordenen Forderungen erfasst. Gemäß § 97 ZPO hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zugelassen worden. Die Frage, ob regelmäßig wiederkehrende und planbare Arbeiten innerhalb der Rufbereitschaft automatisch als Normalarbeitszeit anzusehen sind, weil sie untypisch für Rufbereitschaft sind, wird nicht nur im Arbeitsverhältnis des Klägers zukünftig weiter relevant sein sondern auch bei den Mitarbeitern des Klägers. Eine neuere Entscheidung des BAG zu diesem Themenkreis ist - soweit ersichtlich - nicht ergangen.