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  • · Fachbeitrag · ATAD-Umsetzungsgesetz

    Geplante Reform der Wegzugsbesteuerung und vorsorgliche Abwehrstrategien

    von StB Dr. Peter Happe, FB IStR/C.P.A., Köln, und RA Dr. Michael Stingl, München

    | Der Umzug aus Deutschland wird ohne genaue Planungen und steuerliche Überlegungen schnell zum Alptraum werden. Deutschland hat dem Wegzug von natürlichen Personen kleine und große steuerliche Hürden in den Weg gestellt, die nicht ohne steuerliche Beratung und nicht zu knapp übersprungen werden sollten. Eine der wichtigsten ist die Besteuerung des Wertzuwachses von privat gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen nach § 6 AStG bei dem Wegzug. |

    1. Überblick über § 6 AStG

    § 6 AStG ergänzt den § 17 EStG und stellt eine Besteuerung sicher, bevor Deutschland das Besteuerungsrecht verliert. § 6 AStG greift de lege lata immer dann, wenn ein Wegzügler (unabhängig von der Staatsangehörigkeit), der insgesamt zehn Jahre während seines Lebens in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war, in das Ausland umzieht und Kapitalbeteiligungen i. H. v. 1 % oder mehr an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften im Privatvermögen hält. Die Wegzugsteuer wird erhoben, ohne dass die Kapitalgesellschaft Sitz oder Geschäftsleitung verlegen muss. Die Wegzugsbesteuerung dient dazu, die Besteuerung von stillen Reserven in Anteilen an Kapitalgesellschaften quasi in der letzten Sekunde des Wegzugs i. S. d. § 17 EStG sicherzustellen, bevor Deutschland nach Art. 13 Abs. 5 OECD-MA das Besteuerungsrecht an den künftigen Ansässigkeitsstaat verliert. In dem Fall werden die stillen Reserven in den Anteilen an den Kapitalgesellschaften besteuert, als wären die Anteile zum gemeinen Wert verkauft worden (fiktive Veräußerung), wenn die Beteiligung am Tag des Wegzugs oder in den letzten fünf Jahren vor dem Wegzug 1 % oder mehr des Kapitals der Kapitalgesellschaften ausmacht (§ 6 Abs. 1 AStG).

     

    Beachten Sie | Grundsätzlich ist auch zu prüfen, ob die Veräußerungsfiktion des § 6 AStG eine Veräußerung i. S. d. Nachsteuertatbestände des § 13a Abs. 5 ErbStG auslöst [verneinend Troll/Gebel/Jülicher, § 13a, Rz. 178]). Die Besitzzeit des Rechtsvorgängers (Schenkers oder Erblassers) wird dem Wegzügler zugerechnet (§ 6 Abs. 2 AStG).

     

    Entsprechend dem Zweck dieser Norm werden so Umgehungen der Besteuerung von solchen Kapitalanteilen in Deutschland durch Umzug in ein anderes Land verhindert. Darüber hinaus werden auch andere Übertragungen von Anteilen in das Ausland durch Schenkungen, Erbschaften, Umwandlungen, Einlage in eine ausländische Betriebsstätte oder Ähnliches besteuert (die Verlegung oder Umwandlung einer inländischen Kapitalgesellschaft scheitert an den Entstrickungsregeln für Kapitalgesellschaften wie z. B. in § 17 Abs. 5 EStG und § 12 KStG; vgl. Schmidt, PIStB 13, 41 und 76).

     

    Vor allem knüpft das Gesetz nicht nur an die Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes und damit an die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht an. Auch die Begründung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Ausland, aufgrund dessen der Steuerpflichtige im Ausland ansässig wird, kann eine Besteuerung der offenen und stillen Reserven in Kapitalgesellschaftsanteilen nach § 6 AStG auslösen, ohne dass die unbeschränkte Steuerpflicht endet. Bei einer Ansässigkeit im Ausland bleibt es grundsätzlich bei einer unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland, wenn ein Wohnsitz oder ein ständiger Aufenthalt in Deutschland bestehen bleibt.

     

    Die Begründung eines Wohnsitzes im Ausland bei Weiterbestehen der unbeschränkten Steuerpflicht löst die Wegzugsbesteuerung aber nur aus, wenn aufgrund dessen in dem anderen Staat die abkommensrechtliche Ansässigkeit (Art. 4 OECD-MA) begründet wird. Üblicherweise ist diese dann gegeben, wenn eine Person den Mittelpunkt der Lebensinteressen i. S. d. Art. 4 Abs. 2 Buchst. b) OECD-MA im ausländischen Staat hat.

     

    Überblick / über § 6 AStG

    Abs. 1

    Entstrickungstatbestände und Rechtsfolge:

    • Grundtatbestand: Unbeschränkte Steuerpflicht von insgesamt zehn Jahren zu Lebzeiten* in Deutschland und steuerlicher Umzug durch Aufgabe von Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthalt und/oder Ansässigkeit ins Ausland mit Anteilen i. S. d. § 17 EStG
    • Ersatztatbestände wie Schenkungen oder Erbschaften, Umstrukturierungen, Änderungen von DBA

    Abs. 2

    Ermittlung des Zeitraums bei Schenkungen und Erbschaften: Daten des Rechtsvorgängers

    Abs. 3

    Vorübergehende Abwesenheit*: Antrag auf Nichtanwendung bei Rückkehrabsicht für fünf plus fünf Jahre

    Abs. 4

    Allgemeine Stundungsregelungen*: Verteilung auf fünf Jahre

    Abs. 5

    Besondere Stundungsregelungen bei EU-/EWR-Tatbeständen*: Zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung

    Abs. 6

    Vermeidung einer Überbesteuerung bei Widerruf der Stundung nach Abs. 5 und zwischenzeitliche Wertminderungen*

    Abs. 7

    Mitwirkungspflichten bei Stundungen nach Abs. 5: Meldung bis 31.1. des Folgejahres über die am 31.12. des Vorjahres vorhandenen Anteile*

    Abs. 8

    Regelungen für den Austritt von UK und Nordirland aus der EU

     

    *Verschärfungen durch ATAD-2-Umsetzungsgesetz-Entwurf vom 10.12.19/24.3.20 geplant

     

    Auch wenn die Wegzugsbesteuerung mit der Einkommensteuer „nur“ zu einer Besteuerung des ermittelten Veräußerungsgewinns (Differenz zwischen gemeinem Wert der Anteile und den Anschaffungskosten) von 60 % nach dem Teileinkünfteverfahren in § 3 Nr. 40 Buchst. c) EStG führt (insgesamt somit rund 30 % des fiktiven Veräußerungsgewinns), ist die Besteuerung ohne Liquiditätszufluss aus dem Verkauf der Beteiligung ein echtes Wegzugshemmnis. Die Wegzugsbesteuerung kann darüber hinaus durchaus zu einer Doppel- oder Mehrfachbesteuerung mit deutscher und ausländischer Einkommensteuer sowie Erbschaft- und Schenkungsteuer führen, wie das folgende Beispiel zeigt:

     

    • Beispiel

    Der Unternehmer U, der sein Leben lang in Köln gelebt hat (unbeschränkte Steuerpflicht und Ansässigkeit in Deutschland), verstirbt. Er hinterlässt seinem Sohn S, der nach seinem Studium in St. Gallen in der Schweiz geblieben und in Zug ansässig ist, die Anteile an der inländischen G-GmbH, der A-AG in Zürich und an der L-LLC (Kapitalgesellschaft) in Jersey, USA. An allen Gesellschaften hat U 25 % oder mehr des Kapitals gehalten. Die G-GmbH und die A-AG haben zum Todeszeitpunkt einen positiven Unternehmenswert, die L-LLC einen negativen Wert.

     

    Durch den Tod gehen die Anteile auf einen Schweizer Steuerpflichtigen über und es fällt deutsche Einkommensteuer auf alle Kapitalgesellschaftsanteile an, als wären sie verkauft worden. Der negative Unternehmenswert der L-LLC darf nach einem aktuellen Urteil des BFH dabei nicht von den positiven Unternehmenswerten der G-GmbH und der A-AG abgezogen oder mit anderen Einkünften verrechnet werden (vgl. BFH 26.4.17, I R 27/15, DStR 17, 1913; u. U. zu den Möglichkeiten einer Verlustnutzung in Kapitalgesellschaftsanteilen bei Wegzug, Kraft/Gräfe, IWB 16, 384). Außerdem fällt deutsche Erbschaftsteuer an. Neben dieser doppelten Besteuerung in Deutschland ist zu prüfen, ob nicht auch US-Steuer anfällt, was z. B. dann der Fall wäre, wenn der Vater kraft Geburt US-Amerikaner ist.

    Hätte der Vater U die Anteile der G-GmbH vor 1999 erworben, so hätte man zusätzlich prüfen können, welcher Teil der Wertsteigerungen steuerfrei ist.

     

    MERKE | Wertsteigerungen, die bereits vor 1999 eingetreten waren, waren aufgrund der Änderung der steuerfreien Beteiligungsquoten von < 25 % auf zuletzt < 1 % (bis 2001) steuerfrei bis zur Änderung der Beteiligungsquoten in den §§ 17 EStG, 6 AStG. Der Teil der Wertsteigerungen, der in dem Zeitraum nach 1998 entstanden ist, ist steuerpflichtig (vgl. BVerfG 7.7.10, 2 BvR 748/05, BStBl II 11,16). Durch die Ausdehnung der Wegzugsbesteuerung auf ausländische Kapitalgesellschaften im Jahre 2006 könnte man zumindest die Frage stellen, ob es verfassungsgemäß ist, dass auch Wertsteigerungen bis 2006 in ausländischen Kapitalgesellschaftsanteilen der Wegzugsbesteuerung unterliegen.

     

    Wenn eine glaubhafte Rückzugsabsicht nach Deutschland innerhalb von fünf Jahren (verlängerbar um noch einmal fünf Jahre) bei Wegzug besteht und diese dem Finanzamt unverzüglich angezeigt wird, wird ausnahmsweise auf Antrag zunächst auf eine Besteuerung verzichtet (§ 6 Abs. 3 AStG; FG Münster 31.10.19, 1 K 3448/17 E, EFG 20, 19, nrkr.; BFH: I 55/19). Außerdem kann bei Wegzug innerhalb der EU bzw. des EWR eine Wertminderung, die bei Veräußerung der Anteile eintritt und im Zuzugsstaat nicht berücksichtigt wird und zugleich nicht auf eine ausschüttungsbedingte Wertminderung zurückzuführen ist, berücksichtigt werden (§ 6 Abs. 6 AStG). Die fällige Steuer kann auf Antrag gegen Sicherheitsleistung in fünf verzinslichen Raten getilgt werden, wenn die sofortige Erhebung eine erhebliche Härte darstellt (Härtefallregelung in § 6 Abs. 4 AStG). Die Stundung ist zu widerrufen, wenn die Anteile veräußert werden oder die Gesellschaft liquidiert wird. Verfällt der Wert der Anteile nach dem Wegzug in ein Nicht-EU-/EWR-Land, ist das für die deutsche Besteuerung grundsätzlich unbeachtlich.

     

    Bei einem Wegzug innerhalb der EU und des EWR-Gebietes wird Staatsbürgern eines EU- oder EWR-Landes dagegen eine unverzinsliche Stundungohne Sicherheitsleistung gewährt (§ 6 Abs. 5 AStG).

     

    Beachten Sie | Erfreulich ist immerhin, dass der EuGH nach Vorlage durch das FG Baden-Württemberg die Regelung des § 6 Abs. 5 AStG insoweit für europarechtswidrig hält, als die Norm dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU widerspricht (FG Baden-Württemberg 14.6.17, 2 K 2413/15; EuGH 26.2.19, C-581/17, Rs. Martin Wächtler gegen FA Konstanz; vgl. Wilke, PIStB 19, 291). Damit wird zwar auch keine Einkommensteuerfreiheit des Wegzugs in die Schweiz erreicht, aber die Steuer würde dauerhaft wie bei einem Wegzug in ein EU-/EWR-Land ohne Sicherheiten und Zinsen gestundet. Dadurch dürften Wegzügler in die Schweiz auch in den Genuss der Regelung des § 6 Abs. 6 AStG kommen, nach der die festgesetzte, aber nicht erhobene Steuer bei einem Wegzug in die Schweiz zu mindern ist, sollte sich herausstellen, dass der ursprünglich in Deutschland für die Wegzugsbesteuerung angesetzte Wert bei späterer Veräußerung oder Liquidation der Gesellschaft zu hoch ist. Allerdings können sich Wegzügler in die Schweiz daran nicht lange erfreuen, weil eine Abschaffung generell beim Wegzug auch innerhalb der EU/des EWR vorgesehen ist (s. nachfolgend).

    2. Änderungen durch das ATAD-Umsetzungsgesetz im Entwurf

    Mit dem Referentenentwurf (Stand per 24.3.20) eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG) müssen die Mitgliedstaaten verpflichtende Maßnahmen gesetzlich umsetzen, die die internationale Steuervermeidung verhindern sollen. Als die drei wichtigsten Maßnahmen bei der umfassenden Neuregelung der Wegzugsbesteuerung durch das ATADUmsG, welches noch im Jahr 2020 in Kraft treten soll, sind hervorzuheben:

     

    • a) Der Betrachtungszeitraum wird auf sieben Jahre der letzten zwölf Jahre beschränkt und umfasst nicht mehr die letzten zehn eines lebenslangen Zeitraums des Wegzüglers. Das stellt sicherlich eine Vereinfachung insbesondere bei Personen dar, die international mobil sind und zwischen Deutschland und dem Ausland hin und her wechseln. Personen, die sich mit Wegzugsabsicht tragen, müssen sich allerdings schon drei Jahre eher zum steuerfreien Wegzug entscheiden.

     

    • b) Die unverzinsliche, unbegrenzte Stundung der Steuer bei Wegzug in das EU-/EWR-Ausland und in die Schweiz wird abgeschafft (bisher galt das noch als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nach EuGH 11.3.04, C-9/02). Dafür wird eine Verteilung der Steuer auf den Wegzug über sieben Jahre eingeführt, die bei Gefährdung des Steueraufkommens jederzeit widerrufen werden kann. Dem Wortlaut des § 21 AStG-E nach sollen laufende Stundungen aus Altfällen mit Inkrafttreten des ATADUmsG nicht widerrufen werden (vgl. Heurung/Ferdinand/Kremer, IStR 20, 94). Gleichzeitig wird aber die Möglichkeit, Wertminderungen bei Verkauf geltend machen zu können, auch in Altfällen für die Zukunft abgeschafft. Möglicherweise muss man daher eine Realisierung der Wertverluste durch Verkauf der Anteile vor dem geplanten Inkrafttreten des ATADUmsG in Betracht ziehen, wenn das Gesetz nicht im Jahr 2020 in Kraft treten sollte (nach der BR-Drs. 503/20 (B) vom 9.10.20 wird es eine Umsetzung der AStG-Reform (ATAD) im Rahmen des JStG 2020 wohl nicht geben).

     

    • c) Die Rückkehrabsicht muss schon im Zeitpunkt des Wegzugs gegenüber dem Finanzamt glaubhaft gemacht werden.

     

    Überblick / über § 6 AStG nach dem Entwurf des ATADUmsG

    Abs. 1

    Grundtatbestände und Rechtsfolge:

    • 1. Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltes
    • 2. Unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person
    • 3. Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands
    • → Stehen der Veräußerung nach § 17 Abs. 1 S. 1 EStG zum gemeinen Wert gleich

    Abs. 2

    Personen i. S. d. Abs. 1: natürliche Personen, die mindestens sieben der letzten zwölf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren. Zurechnung des Zeitraums der unbeschränkten Steuerpflicht der Rechtsvorgänger bei unentgeltlichem Erwerb

    Abs. 3

    Vorübergehende Abwesenheit: Antrag auf Nichtanwendung bei Rückkehrabsicht innerhalb von sieben Jahren; verlängerbar um weitere fünf Jahre. Voraussetzung ist, dass es sich quasi um Anteile gleicher Art und Güte handelt, die bei der Rückkehr steuerverstrickt werden

    Abs. 4

    Allgemeine Stundungsregelung: unverzinsliche Verteilung auf sieben Jahre, Restbetrag sofort fällig, wenn ein Verzugsereignis wie Insolvenz, Verkauf, Nichtzahlung etc. eintritt

    Abs. 5

    Mitwirkungspflichten bei Stundungen nach Abs. 4

     

    Da die Wegzugsbesteuerung EU-weit eingeführt wird, kommt es beim Zuzug aus diesen Ländern künftig stets zu einer Wegzugsbesteuerung, weshalb der Zuzugswert, der nach § 17 Abs. 2 S. 3 EStG nur ermittelt werden darf, wenn eine vergleichbare Besteuerung wie in § 6 AStG im Ausland stattgefunden hat, erheblich an Bedeutung gewinnen wird.

    3. Gestaltungsoptionen zur Vermeidung einer Wegzugsbesteuerung

    Keiner Wegzugsbesteuerung in Deutschland unterliegt die Beteiligung an gewerblichen Einzelunternehmen oder (originär gewerblichen) Personengesellschaften in Deutschland und im Ausland, vorausgesetzt, die Betriebsstätten i. S. d. § 12 AO bzw. Art. 5, 7 OECD-MA in Deutschland bleiben erhalten und weder einzelne Wirtschaftsgüter (§ 4 Abs. 1 S. 4 EStG, u. U. begünstigt nach § 4g EStG; § 6 Abs. 5 S. 1 EStG; § 12 Abs. 1 KStG) noch der gesamte Betrieb werden in das Ausland verlegt (§ 16 Abs. 3a EStG; Wegzug u. U. begünstigt nach § 36 Abs. 5 EStG). Somit ist ein Umzug von Mitunternehmern, also Gesellschaftern von gewerblichen oder freiberuflichen Personenhandelsgesellschaften bzw. gewerblichen oder freiberuflichen Einzelunternehmern unschädlich, wenn sie keine Wirtschaftsgüter mit über die Grenze nehmen (steuerliche Entstrickung; steuerlich schädlich ist nach § 1 Abs. 3 S. 9 - 12 AStG auch die Mitnahme von Funktionen, Geschäftschancen und immateriellen Wirtschaftsgütern, wie Know-how und ein Kundenstamm, und deren Nutzung im Ausland).

     

    Aus den vorhergehenden Ausführungen ergeben sich einige Gestaltungsoptionen zur Vermeidung einer Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG (vgl. Kleine/Rippert, IStR 19, 439), auch nach den Änderungen durch das ATADUmsG:

     

    • a) Wohnsitzmanagement (vgl. Häck in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, AStG, Stand Mai 2020, § 6, Rz. 171): Bei einem geplanten Wegzug sollte nicht unüberlegt der Wohnsitz in Deutschland aufgegeben oder in das Ausland verlegt werden, ohne dass eine der nachfolgend beschriebenen Maßnahmen ergriffen wird. Ebenso sollte keine Ansässigkeit in der Schweiz unter Beibehaltung der deutschen unbeschränkten Steuerpflicht begründet werden, weil dies schon die Wegzugsbesteuerung auslöst. D. h., bei einem zweiten Wohnsitz in der Schweiz sollten der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland und dort auch die engeren persönlichen Beziehungen i. S. d. Art. 4 Abs. 2 OECD-MA bestehen bleiben.

     

    • b) Umwandlung einer inländischen Kapitalgesellschaft in eine originär gewerblich tätige GmbH & Co. KG: Die Wegzugsbesteuerung kann vermieden werden, indem die Beteiligung nicht mehr an einer Kapitalgesellschaft, sondern an einer Mitunternehmerschaft besteht. Sofern die Kapitalgesellschaft vor dem Wegzug in eine Personengesellschaft umgewandelt wird, besteht keine Beteiligung i. S. d. § 17 EStG. Jedoch bleibt zu beachten, dass ein solcher Formwechsel andere steuerliche Konsequenzen mit sich bringt. Durch Umwandlung werden die offenen versteuerten Reserven auf Ebene des Gesellschafters der Besteuerung wie Gewinnausschüttungen zugeführt, nicht aber die stillen Reserven auf Ebene der Kapitalgesellschaft. Im Übrigen können die Buchwerte steuerneutral übergehen, d. h., anders als beim Wegzug unterliegen die Anteile nicht einer fiktiven Liquidation aller stillen Reserven, einschließlich eines Geschäfts- oder Firmenwertes. Die stillen Gesellschaften auf Ebene der Kapitalgesellschaft bleiben im Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft der Besteuerung in Deutschland erhalten, weshalb bei Wegzug eine Besteuerung nicht in Betracht kommt. Allerdings ist zu beachten, dass nach einer Umwandlung die Anteile nach § 18 Abs. 3 UmwStG für fünf Jahre sperrfristbehaftet in Bezug auf die Gewerbesteuer sind.

     

    • c) Verdeckte Einlage der Anteile in eine originär gewerbliche GmbH & Co. KG i. S. d. § 15 Abs. 1 S. 1 EStG: Dabei ist es entscheidend, dass die Anteile der Betriebsstätte auch funktional zugerechnet werden, was nur dann der Fall ist, wenn die Anteile der Erfüllung der gewerblichen Betriebsstättenfunktion dienen und somit Betriebsvermögen werden (vgl. Wassermeyer in: Wassermeyer, DBA, Stand: Dez. 2018, OECD-MA Art. 13, Rz. 77a; Hinweis auch auf § 1 Abs. 5 AStG und § 6 Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung ‒ BsGAV und Haun/Klumpp, Zuordnung von Beteiligungen zum Betriebsvermögen einer Personengesellschaft, IStR 18, 661).
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    • Beachten Sie | Anteile in einer vermögensverwaltenden GmbH & Co. KG sind ebenso wenig vor einer Wegzugsbesteuerung geschützt wie Anteile in einer originär gewerblichen GmbH & Co. KG, die aber der originär gewerblichen Betriebsstättenfunktion nicht dienen; sie gelten als Privatvermögen.
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    • MERKE | Die in der Vergangenheit üblichen Gestaltungen der Einbringung von Kapitalgesellschaftsanteilen in gewerblich geprägte oder sog. aufwärtsinfizierte deutsche Personengesellschaften i. S. d. § 15 Abs. 3 EStG sind nach einer Rechtsprechungs- und Gesetzesänderung keine empfehlenswerten Gestaltungen mehr (vgl. BFH 28.4.10, I R 81/09, BStBl II 14, 754; Pohl/Raupach, DBA, § 50i EStG und gewerblich geprägte Personengesellschaften, in: Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Festgabe, 351). Der BFH hatte entschieden, dass nur originäre gewerbliche Personengesellschaften und nicht gewerblich geprägte bzw. infizierte Personengesellschaften eine Betriebsstätte in Deutschland nach dem Abkommensrecht begründen. Die in § 15 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 EStG geregelte gewerbliche Prägung einer dem Grunde nach nur vermögensverwaltend tätigen Personengesellschaft schlägt nicht auf das Abkommensrecht durch, sodass die Personengesellschaft keine Gewinne eines Unternehmens i. S. d. Art. 7 Abs. 1 S. 1 OECD-MA erzielt (zur überholten Gestaltungspraxis s. auch Kraft/Ungemach, PIStB 20, 83 und BMF 26.9.14, IV B 5 - S 1300/09/10003, BStBl I, 1258, Tz. 2.3.3.).

       
    • Hinzukommen muss dann aber noch, dass die Anteile der Betriebsstätte nach einem Veranlassungszusammenhang zuzuordnen sind (vgl. BMF 26.9.14, BStBl I 14, 1258, Tz. 2.3.3 für DBA- und Nicht-DBA-Fälle). Das dürfte zumindest bei geschäftsleitenden Holding-Betriebsstätten der Fall sein, wenn sie mindestens zwei Beteiligungen halten (BFH 17.9.03, I R 95/01, I R 98/01, BFH/NV, BFH/NV 2004, 808; FG Münster 15.12.14, 13 K 624/11 F, EFG 2015, 704; Ditz/Tcherveniachki, DB, 2015, 2897; Kessler/Arnold, in: Kessler/Kröner/Köhler, 3. Aufl., 2018, § 8, Rz. 224; Haun/Klumpp, IStR 18, 661).

     

    • Beachten Sie | In einem Nicht-DBA-Fall, im sog. „Chile-Urteil“, hat der BFH eine Veranlassungsprüfung verlangt, die Betriebsstättenzurechnung bei einer gewerblich geprägten KG im Nicht-DBA-Fall aber zumindest grundsätzlich bejaht (BFH 29.11.17, I R 58/15, IStR 18, 348; s. auch Wacker, DStR 19, 836).
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    • d) Seitwärtsinfizierung einer vermögensverwaltenden GmbH & Co. KG in eine originär gewerbliche GmbH & Co. KG: Eine vermögensverwaltende GmbH & Co. KG, die in- und ausländische Beteiligungen an Kapitalgesellschaften hält, ohne gewerblich tätig zu sein, schirmt ‒ wie gewerblich geprägte Kapitalgesellschaften ‒ nicht von der Wegzugsbesteuerung ab. Ggf. kann man dieser GmbH & Co. KG aber aktive geschäftsleitende Funktionen zuordnen, sodass es sich um eine geschäftsleitende Holding handelt, was bei mindestens zwei Beteiligungen gelingt (s. o.).
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    • Ob eine Infizierung durch eine gewerbliche Tätigkeit ausreichend ist und ob die Anteile funktional mit der Tätigkeit der gewerblichen Betriebsstätte zusammenhängen, ist eine Tatfrage und sollte im Zweifel von einer verbindlichen Auskunft begleitet werden.

     

    • e) Verkauf der Anteile mit Rückkaufsrecht unter Nießbrauchsvorbehalt: Der Kaufpreis sinkt je nach Alter des Verkäufers durch den vorbehaltenen Nießbrauch erheblich unter den Verkehrswert der Anteile. Bei Rückkehr wird der Verkauf auflösend bedingt wieder rückgängig gemacht oder die Anteile werden zurückgekauft (vgl. Strahl in: Kösdi 07, 15657, Tz. 20; BFH 7.8.04, VIII R 28/02, BStBl II 05, 48; H 17 Abs. 4 EStR 2019 „Rückübertragung“).

     

    • f) Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt und auflösender Bedingung: Die Kapitalgesellschaftsanteile könnten noch vor dem geplanten Wegzug unentgeltlich auf eine natürliche Person oder eine inländische Stiftung ggf. unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen werden. Diese Schenkung kann unter Umständen auch mit einem Rücktrittsrecht von der Schenkung bei Rückkehr nach Deutschland kombiniert werden. Im Zeitpunkt des Wegzugs wäre der Gesellschafter weder rechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer der Kapitalgesellschaftsanteile. Damit wäre das Hauptziel, die Vermeidung einer Wegzugsbesteuerung, erreicht. Mittels einer auflösenden Bedingung könnte der Wegzügler auch sicherstellen, dass er den Geschäftsanteil wieder zurückerhält, falls er zu irgendeinem Zeitpunkt seinen (Haupt-)Wohnsitz wieder zurück nach Deutschland verlagern sollte. Bei dieser Gestaltung sind die engen Voraussetzungen des §§ 13a, 13b ErbStG ebenso wie die ertragsteuerlichen Konsequenzen genauestens zu prüfen (vgl. Stümper, GStB 15, 171; H 17 Abs. 4 EStH 2019 „Vorbehaltsnießbrauch“).
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    • g) Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter an einer inländischen Kapitalgesellschaft ‒ GmbH & atypisch Still (vgl. Bron, IStR 16, 26): Durch eine Beteiligung an einer atypisch stillen Gesellschaft wird eine Mitunternehmerschaft geschaffen, an der die GmbH als Inhaber des Handelsgeschäfts sowie der Gesellschafter mit Wegzugsabsicht beteiligt sind. Die Anteile an der inländischen Kapitalgesellschaft, die dem atypisch stillen Gesellschafter an der GmbH zuzurechnen sind, zählen dann zum notwendigen Sonderbetriebsvermögen II der atypischen stillen Gesellschaft (vgl. OFD Frankfurt 3.12.15, S 2134 A-14-St213, Rz. 29), weshalb die Anteile im Falle eines Wegzugs in Deutschland steuerverhaftet bleiben.

     

    • h) Einräumung von Call-Optionen: Gelegentlich wird empfohlen, dass sich Wegzügler statt der Anteile an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften Call-Optionen einräumen lassen. Die Call-Optionen gelten bis zur Ausübung nicht als Anteile i. S. d. § 6 Abs. 1 S. 1 AStG i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG. Eine Call-Option auf mehr als 1 % von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft könnte allerdings als sog. „Anwartschaft“ i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 3 EStG durchaus einer Wegzugsbesteuerung unterliegen, auch wenn vor Ausübung der Call-Option noch kein wirtschaftliches Eigentum übergeht. Dagegen spricht zwar der Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 1 EStG, der nur auf Anteile i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG abstellt und nicht auf die in § 17 Abs. 1 S. 3 EStG geregelten Anwartschaften. Das FG Schleswig-Holstein hat jedoch eine Anwartschaft i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 3 EStG auf stille Reserven in den Anteilen als ausreichend für eine Besteuerung nach § 6 AStG angesehen (FG Schleswig-Holstein 12.9.19, 4 K 113/17, EFG 20, 37, nrkr.; BFH: I R 52/19).
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    • Im entschiedenen Fall hatte der Wegzügler seine Anteile im Wege eines Wertpapierdarlehens verliehen, womit der wirtschaftliche Eigentumsübergang ohne Aufdeckung stiller Reserven vor dem Umzug wirksam vollzogen worden sei. Der Rückgewähranspruch aus dem Darlehensvertrag sei aber nach Auffassung des FG als Anwartschaft i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 3 EStG anzusehen, die zum Wegzugszeitpunkt zu besteuern sei (zum Meinungsstand, welche Anteile § 6 AStG umfasst, vgl. Müller-Gosoge in: Haase, AStG/DBA, § 6 AStG, Rz. 51; vgl. auch BFH 19.12.07, VIII R 14/06, BStBl II 08, 659; zu Anwartschaften i. S. d. § 17 EStG; H 17 Abs. 4 EStH „Optionsrecht“; s. auch BFH 11.7.06, VIII R 32/04, BStBl II 07, 296 zur Doppeloption, durch die das wirtschaftliche Eigentum auf den Optionsberechtigten bereits vor Ausübung übergehen kann).
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    PRAXISTIPPS |

    Bei allen Gestaltungsoptionen muss in Kauf genommen werden, dass die Anteile in Deutschland nicht nur ertragsteuerlich, sondern auch erbschaftsteuerlichverhaftet bleiben. Daher sollte man sich überlegen, ob man nicht frühzeitig die unternehmerischen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in einer Auslandsstiftung bei Gründung oder Zuzug „parkt“.

     

    Die vorgenannten Gestaltungsoptionen eignen sich auch im umgekehrten Fall, bei dem ein Zuzug nach Deutschland geplant ist, aber eine Steuerverstrickung in Deutschland vermieden werden soll.

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2020 | Seite 312 | ID 46854059

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