09.08.2022 · IWW-Abrufnummer 230647
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 20.01.2022 – 5 Sa 204/21
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz - vom 20. Mai 2021, Az. 5 Ca 536/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der 1957 geborene Kläger ist seit Februar 1990 bei der Beklagten als Vertriebsingenieur im Außendienst angestellt. Die Beklagte zahlte ihm ein monatliches Grundentgelt von € 6.158,60 brutto sowie Provisionen für den erfolgreichen Abschluss von Aufträgen. Im März 2020 schlossen die Parteien einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell. Hierin vereinbarten sie eine Arbeitsphase vom 1. April 2020 bis zum 31. August 2021 und eine sich unmittelbar anschließende Freistellungsphase bis zum 31. Januar 2023. Das Altersteilzeitentgelt bemisst sich nach der reduzierten Arbeitszeit. In § 5 Nr. 2 des Altersteilzeitvertrags regelten die Parteien, dass die Beklagte dem Kläger an Stelle der bisherigen variablen Vergütung den Durchschnitt der letzten drei Jahre als festen Betrag zahlt. Danach zahlt sie monatlich € 2.554,83 brutto.
Der Kläger war vom 8. bis 31. März 2020 arbeitsunfähig erkrankt. In den letzten drei Kalendermonaten vor der Erkrankung erarbeitete er Provisionen von durchschnittlich € 3.143,95 brutto (Dezember 2019 € 4.156,29, Januar 2020 € 1.703,70, Februar 2020 € 3.571,86 = € 9.431,85 ./. 3). Stellt man auf eine Zeitspanne von zwölf abgerechneten Monaten vor der Erkrankung ab, ergibt sich ein geringerer Durchschnitt von € 2.930,10. Der Kläger realisierte in der ersten Märzwoche 2020 eine ungewöhnlich hohe Provision von € 4.249,09 brutto. Da dieser Betrag höher ist als der Durchschnittsbetrag zahlte ihm die Beklagte für den Monat März neben dem Grundentgelt von € 6.158,60 eine Provision iHv. € 4.249,09 brutto.
Der Kläger vertritt die Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, ihm für die Zeit seiner Erkrankung vom 8. bis zum 31. März 2020 zusätzlich € 2.515,16 brutto zu zahlen. Der Provisionsdurchschnitt habe sich auf € 3.143,95 brutto belaufen, so dass für 24 Krankheitstage ein Tagessatz von € 104,80 brutto (€ 3.143,95 ./. 30 Kalendertage) zu zahlen sei.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 20. Mai 2021 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte aufgrund einer Schätzung entsprechend § 287 Abs. 2 ZPO verurteilt, dem Kläger für den Monat März 2020 weitere € 1.000,00 brutto Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, weil der Kläger schwankende Provisionseinkünfte erzielt habe, sei zunächst der Durchschnittsverdienst zu ermitteln. Es sei aber auch zu berücksichtigen, dass es nicht unüblich sei, dass ein Vertriebsmitarbeiter, der - wie der Kläger - bereits am Monatsanfang hohe Provisionen realisiert habe, im weiteren Monatsverlauf - auch bei tatsächlicher Arbeitsleistung - keine weiteren Provisionen mehr verdienen könne. Zudem bestehe die Besonderheit, dass der Kläger ab 1. April 2020 in die Arbeitsphase der Altersteilzeit gewechselt sei und seitdem anstelle von Provisionen nur noch einen festen Betrag erhalte. Der Kläger habe sich - wie der außergewöhnlich hohe Provisionsanspruch belege - in der ersten Märzwoche 2020 noch einmal besonders darum bemüht, bereits begonnene Vertragsverhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Das rechtfertige den Schluss darauf, dass es ihm in den letzten drei Märzwochen nicht mehr gelungen wäre, ein Auftragsvolumen zu generieren, das dem Durchschnitt der vorangegangenen Monate entsprochen hätte. Vor diesem Hintergrund habe die Kammer den Entgeltfortzahlungsanspruch auf € 1.000,00 geschätzt. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 20. Mai 2021 Bezug genommen.
Gegen das am 14. Juni 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 20. Juli 2021 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Er macht geltend, die vom Arbeitsgericht vorgenommene Schätzung der Höhe der fortzuzahlenden Provisionen während seiner Erkrankung sei weder sachgerecht noch nachvollziehbar. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei der Durchschnittsverdienst in einem längeren Referenzzeitraum zu berechnen. Von dieser Berechnungsmethode sei das Arbeitsgericht zu Unrecht abgewichen. Es hätte die Provisionen der letzten zwölf Monate vor dem Beginn der Krankheit durch die Anzahl der Arbeitstage dividieren müssen. Die so ermittelte durchschnittliche Provision pro Arbeitstag sei dem Grundgehalt während der Krankschreibung hinzuzurechnen. Es sei nicht zulässig, für 17 Krankheitstage im März 2020 eine entgangene Provision von lediglich € 1.000,00 zu schätzen. Das Arbeitsgericht hätte die am 1. April 2020 beginnende Altersteilzeit nicht in seine Erwägungen einbeziehen dürfen. Es hätte auch nicht davon ausgehen dürfen, dass er im März 2020 keine weiteren Provisionen hätte erzielen können, zumal monatliche Provisionen von über € 6.000,00 nicht unrealistisch seien.
Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,
Die Beklagte beantragt,
Sie hält die Berufung bereits für unzulässig; jedenfalls aber für unbegründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Gründe
I.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig. Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt es nicht an der erforderlichen Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts. Die Berufungsbegründung greift die tragenden Argumente des Arbeitsgerichts als rechtsfehlerhaft an.
II.
In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus §§ 3 Abs. 1, 4 EntgFG keinen Anspruch auf weitere € 1.515,16 brutto Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Beklagte hat ihm für den Kalendermonat März 2020 neben dem Grundentgelt von € 6.158,60 brutto Provisionen iHv. € 4.249,09 brutto gezahlt. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger weitere € 1.000,00 brutto zugesprochen. Der Provisionsbetrag von insgesamt € 5.249,09 für den Monat März 2020 liegt weit oberhalb des Durchschnitts, so dass ihm die Beklagte keine weitere Entgeltfortzahlung schuldet. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Angriffe der Berufung greifen nicht durch.
1. Der Kläger war vom 8. bis zum 31. März 2020 ohne sein Verschulden arbeitsunfähig krank. Er hat deshalb gem. §§ 3 Abs. 1, 4 EntgFG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Darüber herrscht kein Streit.
Wie das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat, gilt hinsichtlich der Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 4 EntgFG das Entgeltausfallprinzip. Nach § 4 Abs. 1 EntgFG ist das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Zum Arbeitsentgelt iSd § 4 Abs. 1a Satz 2 EntgFG gehören auch Provisionen. Setzt sich - wie hier - die Vergütung aus einem monatlichen Grundgehalt und Abschlussprovisionen zusammen, kann der Arbeitnehmer im Krankheitsfall auch die Zahlung von Provisionen verlangen, die er in dieser Zeit ohne Arbeitsunfähigkeit wahrscheinlich verdient hätte.
Zur Berechnung der hypothetischen Vergütung ist die Methode zu wählen, die dem Entgeltausfallprinzip am besten gerecht wird. Dabei sind die Besonderheiten des jeweiligen Vergütungsbestandteils zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist bei schwankenden Bezügen eine Schätzung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 2 ZPO vorzunehmen. Die Festlegung eines Referenzzeitraumes muss "unter Würdigung aller Umstände" geschehen. Bei starken Schwankungen kann auf die letzten zwölf abgerechneten Monate vor Beginn einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abgestellt werden (vgl. BAG 16. Oktober 2019 - 5 AZR 352/18 - Rn. 32 mwN; 5. Juni 1985 - 5 AZR 459/83 - zu I 1 c der Gründe; Schaub/Linck 19. Aufl. § 98 Rn. 82; ErfK/Reinhard 22. Aufl. EFZG § 4 Rn. 14, 16). Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt.
2. Im Streitfall erzielte der Kläger in den letzten drei abgerechneten Monaten vor seiner Erkrankung neben dem Grundgehalt von € 6.158,60 brutto durchschnittliche Provisionen von € 3.143,95 brutto. Stellt man auf eine Zeitspanne von zwölf Monaten ab, liegt der Durchschnitt bei (lediglich) € 2.930,10 brutto.
Die Beklagte hat dem Kläger im Monat März 2020 das Grundentgelt unstreitig bezahlt. Da auch Provisionen zum fortzuzahlenden Entgelt gehören und der Kläger in der ersten Märzwoche 2020 bereits eine ungewöhnlich hohe Provision von € 4.249,09 brutto erzielt hat, ist die Schätzung des Arbeitsgerichts, er hätte im weiteren Verlauf des Monats März 2020 - ohne Arbeitsunfähigkeit - nur noch Provisionseinkünfte von € 1.000,00 brutto erzielen können, nicht zu beanstanden. Die Berufungsklammer schließt sich den überzeugenden Erwägungen des Arbeitsgerichts an.
Entgegen der Ansicht der Berufung war das Arbeitsgericht nicht gezwungen, allein den Durchschnittsverdienst des Klägers vor der Erkrankung zu ermitteln und diesen durch die Anzahl der Krankheitstage zu dividieren. Eine gerichtliche Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO hat vielmehr unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach freier Überzeugung und billigem Ermessen zu erfolgen. Das Arbeitsgericht hat zu Recht weitere Anknüpfungstatsachen berücksichtigt, die für die Schätzung von Relevanz waren. Es durfte in seine Erwägungen einbeziehen, dass in den Fällen, in denen bereits Anfang des Monats Provisionen in hohem Umfang erzielt worden sind, üblicherweise im weiteren Monatsverlauf - auch im Falle der tatsächlichen Arbeitsleistung - keine weiteren nennenswerten Realisierungen mehr möglich sind. Die Behauptung der Berufung, dass Provisionen von über € 6.000,00 brutto im Monat nicht unrealistisch seien, ändert nichts an diesem Befund. Der Provisionsdurchschnitt betrug im Dreimonatszeitraum € 3.143,95, in zwölf Monaten € 2.930,00 brutto. Das Arbeitsgericht hat im Wege der Schätzung zu Recht angenommen, dass der Kläger bei unterstellter Weiterarbeit im März 2020 noch weitere Provisionen in Höhe von € 1.000,00 hätte erzielen können. Der Gesamtbetrag von € 5.249,09 liegt, wie bereits ausgeführt, weit oberhalb des Durchschnitts. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass sich Provisionen oft ungleichmäßig im Monat realisieren lassen. Es ist einleuchtend und plausibel, dass das Marktpotential eines Vertriebsgebiets nicht unendlich ist, so dass sich nicht beliebig viele Chancen innerhalb eines bestimmten Zeitraums ergeben. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht bei der Schätzung den Umstand berücksichtigt hat, dass der Kläger ab dem 1. April 2020 in Altersteilzeit ging und ihm seither keine Provisionen, sondern vereinbarungsgemäß ein fester Betrag gezahlt wird. Das Arbeitsgericht durfte nach der Lebenserfahrung davon ausgehen, dass sich der Kläger - wie der außergewöhnlich hohe Provisionsanspruch belegt - in der ersten Märzwoche 2020 noch einmal besonders darum bemüht hat, bereits begonnene Vertragsverhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
III.
Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.