08.01.2010
Finanzgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 20.12.2006 – 2 KO 189/06
Eine Erledigungsgebühr nach VV 1002 entsteht nur, wenn eine besondere, über die bereits mit der Verfahrensgebühr abgegoltene  Einlegung und Begründung der Klage hinausgehende, auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtete  Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten vorliegt.  
VV 1002 besitzt keinen neuen Regelungsinhalt, der von dem der Vergütungsvorschrift des § 24 BRAGO abweichen würde, so dass  die bisherige Rechtsprechung zum § 24 BRAGO weiterhin zu berücksichtigen ist.
Tatbestand
I.
Die Erinnerungsführer erhoben am 3. Mai 2006 gegen die Familienkasse Klage unter dem Aktenzeichen 2 K 68/06 und beantragten,  das beantragte Kindergeld von 1.848,00 EUR für 2006 zu bewilligen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Beklagte unzutreffenderweise  davon ausginge, bei einer Gehaltsumwandlung handele es sich um Bezüge. Insofern verwiesen die Kläger auf die DA 63.4.2.3 Abs.  3 Nr. 1 und DA 63.4.2.12 Abs. 1 Satz 5 DA-FamEStG. Mit Schreiben vom 26. Juli 2006 übersandte die Beklagte die Kindergeldakte  und teilte mit, dass das Kindergeld antragsgemäß festgesetzt worden sei, und erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Die Erinnerungsführer  erklärten den Rechtsstreit daraufhin gleichfalls in der Hauptsache für erledigt. Mit Beschluss vom 10. August 2006 wurden  die Kosten des Verfahrens 2 K 68/06 der Beklagten (der Erinnerungsgegnerin) auferlegt.  
Mit Beschluss vom 16. Oktober 2006 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die zu erstattenden Kosten auf 270,05 EUR festgesetzt.  Sie lehnte dabei den Ansatz einer Erledigungsgebühr ab.  
Hiergegen haben die Erinnerungsführer rechtzeitig Erinnerung eingelegt, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat. Die Erinnerungsführer  machen geltend, dass allein der Erfolg entscheide, ob die Erledigungsgebühr entstehe oder nicht. Nach dem Gesetzeswortlaut  sei eine Mitwirkung, welche über die reine Klagebegründung hinausgehe, nicht erforderlich. Der alte § 24 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung  (BRAGO) sei nicht mehr einschlägig, da das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Kenntnis dieser Rechtsprechung verabschiedet  worden sei. Ein ausführlicher Hinweis in den Vorschriften, dass eine besondere Mitwirkung erforderlich sei, die über das Betreiben  des Verfahrens hinausgehe, sei nicht aufgenommen worden. Der Gesetzgeber habe deshalb die Auffassung des Finanzgerichts nicht  übernommen. Selbst wenn man allerdings der Rechtsprechung folge und eine besondere Mitwirkung fordere, seien die von der Rechtsprechung  genannten Beispiele zur Begründung der Notwendigkeit einer erhöhten Mitwirkung nicht geeignet und teilweise sogar willkürlich.  Es sei daher auf den Zweck der Vorschrift abzustellen. Die Erledigungsgebühr sei eine Erfolgsgebühr. Wenn die Klagebegründung  so erfolgreich sei, dass seitens des Beklagten dem Interesse des Klägers voll abgeholfen werde, so werde dadurch dem Zweck,  der Entlastung der Gerichte, in vollem Umfang  
Genüge getan. An eine Zielrichtung der anwaltlichen Tätigkeit, welche die Erledigung der Sache ohne streitige Entscheidung  anstrebe, dürften im Übrigen nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden, um den Gesetzeszweck zu erreichen. Ein gegenseitiges  Nachgeben sei gerade nicht erforderlich. Der Hinweis auf die einschlägige Gesetzeslage und die DA-FamEStG müsse im Streitfall  ausreichen, um die Festsetzung einer besonderen Erledigungsgebühr zu begründen.  
Die Erinnerungsführer beantragen sinngemäß,
den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16. Oktober 2006 im Verfahren 2 K 68/06 dahingehend abzuändern, dass zu ihren Gunsten  die mit Kostenfestsetzungsantrag vom 27. September 2006 geltend gemachte Erledigungsgebühr festgesetzt wird.  
Die Erinnerungsgegnerin beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass nach Nr. 1002 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG eine Erledigungsgebühr nur dann entstehe, wenn der Bevollmächtigte  durch eine Tätigkeit in dem Umfang mitgewirkt habe, die über das hinausgehe, was von ihm allgemein im Rahmen seiner Bevollmächtigung  zu erwarten sei, und die bis dahin entstandenen Gebühren noch nicht als abgegolten angesehen werden können. Durch das zielgerichtete  Bemühen des Bevollmächtigten solle die gütliche Streitbeilegung honoriert werden. Durch die Formulierung „durch die anwaltliche  Mitwirkung” bringe die Vorschrift noch deutlicher als § 24 BRAGO zum Ausdruck, dass es für das Entstehen der Erledigungsgebühr  einer gerade für die Erledigung ursächlichen anwaltlichen Mitwirkung bedürfe. Mit der Erledigungsgebühr solle nicht der eingetretene  Erfolg, sondern die zum Erfolg führende Tätigkeit des Rechtsanwalts abgegolten werden. Es genüge nicht, dass die Familienkasse  unter dem Eindruck der Klagebegründung bzw. eines diese ergänzenden Schriftsatzes oder aufgrund eines Hinweises auf die Rechtslage/Rechtsprechung  den Bescheid aufhebe bzw. ändere und damit den Kläger klaglos stelle. Eine „besondere” Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten,  die über die normale Prozessführung hinausgehe, sei nicht erkennbar. Die normale Prozessführung sei mit der Verfahrensgebühr  abgegolten.  
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte  2 KO 189/06 und der beigezogenen Gerichtsakte  
2 K 68/06 und einen Band Kindergeldakte zur KG-Nummer ... Bezug genommen.
Gründe
II.
Die Erinnerung ist nicht begründet.
Den Erinnerungsführern steht eine Erledigungsgebühr nicht zu. Nach Nr. 1002 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (VV 1002) entsteht  eine Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf  angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz  oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht  erfüllt.  
Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine Mitwirkung des Anwalts an der die Erledigung verursachenden Maßnahme nötig. Bei Erledigung  der Rechtssache ohne Zutun des Anwalts kann nach VV 1002 eine zusätzliche Erfolgsgebühr nicht entstehen. Dieses Zutun darf  aber nicht nur in der Führung des Geschäfts im Rechtsstreit durch Erhebung und Begründung der Klage oder anderer Anträge bestehen.  Denn man darf einen Erfolg aufgrund dieser Tätigkeit im Verwaltungsverfahren gebührenrechtlich nicht anders als im Zivilverfahren  bewerten. Vielmehr wird die Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen überall durch eine Verfahrens-, Geschäfts- oder Termingebühr  abgegolten (Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl., VV 1002 Rz. 12; Gräber/Stapperfend, FGO, 6. Aufl., § 139 Rz. 78 und 79 m.w.N.).  Die Erledigungsgebühr dient der zusätzlichen Vergütung für den Rechtsanwalt, der durch seine Mitwirkung, das sind in erster  Linie Verhandlungen mit der Verwaltungsbehörde, erreicht, dass ein angefochtener belastender Verwaltungsakt aufgehoben oder  zu Gunsten seines Mandanten geändert wird, oder aber ein zunächst abgelehnter begünstigender Verwaltungsakt schließlich doch  noch erlassen wird (Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Auflage, VV Teil 1 Rz. 16). Entgegen der Auffassung der Erinnerungsführer besitzt  die Nr. 1002 VV-RVG keinen neuen Regelungsinhalt, der von dem der Vorgängervorschrift des § 24 BRAGO abweichen würde. Es ergeben  sich keine Anhaltspunkte, dass hier neues Recht geschaffen wurde. So heißt es auch in den Gesetzesmaterialien im Entwurf zum  Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (Bundestagsdrucksache15/1971, Seite 204): „Die Erledigungsgebühr der Nr. 1002 VV-RVG-E entstammt  § 24 BRAGO. In der Anmerkung soll nunmehr ausdrücklich der Fall erwähnt werden, in dem sich eine Verwaltungsangelegenheit  durch den Erlass eines früher abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt. Dies entspricht der in Rechtsprechung und Literatur bereits  zu § 24 BRAGO vertretenen Auffassung (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, a.a.O., Rn. 4 zu § 24 BRAGO)” (zitiert in Bayerisches  Landessozialgericht, Beschluss vom 2. August 2006, L 4 KR 316/05 NZB, RVGreport 2006, 263). Das bedeutet, dass die bisherige  Rechtsprechung weiterhin gilt.  
Nach den oben angegebenen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, kommt eine Erledigungsgebühr hier nicht in Betracht,  weil es an einer Mitwirkung des Anwalts bei der Erledigung der Rechtssache im Sinne der Vorschrift fehlt. Der Prozessbevollmächtigte  der Erinnerungsführer hat lediglich eine Klagebegründung eingereicht und die Erinnerungsgegnerin daraufhin dem Klagebegehren  entsprochen. Eine besondere, über die bereits mit der Verfahrensgebühr abgegoltene Einlegung und Begründung der Klage hinausgehende,  auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführer  ist nicht ersichtlich.  
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 149 Rz. 18). 
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO. 
Der Beschluss ist nach § 128 Abs. 4 FGO unanfechtbar.