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  • 14.11.2024 · IWW-Abrufnummer 244835

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Urteil vom 29.05.2024 – 10 U 258/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OLG Frankfurt 10. Zivilsenat

    29.05.2024


    Tenor

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, Az.: 2-19 O 124/21, wird zurückgewiesen.

    Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

    Das angefochtene und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

    Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der nach den Urteilen vollstreckbaren Beträge abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen einer Nachforderung der Sozialversicherungsbeträge ihrer beiden Gesellschafter-Geschäftsführer seitens der Deutsche Rentenversicherung in Anspruch.

    Der Beklagte zu 2. war als Steuerberater für die Klägerin tätig und war auch mit deren Lohnbuchhaltung betraut. Hierbei wurden die beiden Geschäftsführer der Klägerin als selbständig behandelt und deshalb für sie keine Sozialversicherungsbeträge abgeführt.

    Eine für den Prüfungszeitraum vom 1.1.2011 bis 31.12.2014 durchgeführte sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung blieb unbeanstandet, ohne dass die Deutsche Rentenversicherung (künftig: DRV) die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin als sozialversicherungspflichtig erachtet hätte.

    Im Februar 2019 veräußerte der Beklagte zu 2. seine Steuerberaterpraxis mit Wirkung zum 1.4.2019 an die Beklagte zu 1.

    Anlässlich einer Prüfung für den Zeitraum 1.1.2015 bis 31.8.2018 ordnete die DRV die Geschäftsführer der Klägerin als sozialversicherungspflichtig ein und forderte von ihr (Klägerin) Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 68.247,14 € nach.

    Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagten es pflichtwidrig unterlassen hätten, sie sozialversicherungsrechtlich zu beraten. Wäre sie vom Beklagten zu 2. darauf hingewiesen worden, dass die Sozialversicherungspflicht ihrer geschäftsführenden Gesellschafter bei entsprechender Umgestaltung des Gesellschaftsvertrages entfallen könnte, hätte sie diesen abändern lassen oder zumindest zur Rechtssicherheit ein Statusfeststellungsverfahren durchführen können. Als Rechtsnachfolgerin der Steuerberatungspraxis des Beklagten zu 2. hafte auch die Beklagte zu 1. für die Rückforderungsbeiträge.

    Das Landgericht hat die auf Zahlung von 60.000,00 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen, weil es an einer Pflichtverletzung des Beklagten zu 2. fehle und die Klägerin zudem einen etwaigen Schaden nicht konkret dargelegt und unter Beweis gestellt habe. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (dort S. 4-7, Bl. 131-134 d.A.) Bezug genommen.

    Gegen das am 29.11.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin 24.12.2021 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel am 26.1.2022 wie folgt begründet:

    Die Beklagte zu 1. sei passivlegitimiert. Wenn sie sich - wie hier - einfach das Recht herausnehme, die Mandatsverhältnisse ohne Rücksprache mit den Mandanten auf sich umzuleiten, so hafte sie auch aus Gründen des Rechtsscheins.

    Dass die Vor-Betriebsprüfung die Frage der Sozialversicherungspflicht der Gesellschafter nicht aufgegriffen habe, entlaste den Beklagten zu 2. nicht. Denn ab etwa 2012 habe sich langsam ein Wandel der Rechtsprechung abgezeichnet, nach der bislang zum Ausschluss der Sozialversicherungspflicht der Geschäftsführer einer GmbH ausgereicht habe, dass diese - zumeist bei familiärem Hintergrund - als „Kopf und Seele“ einer Gesellschaft fungierten, auch wenn sie nicht über die erforderliche Kapitalmehrheit verfügten. Endgültig habe das Bundessozialgericht mit Urteil vom 29.7.2015, Az.: B 12 KR 23/13 R, klargestellt, dass diese „Kopf und Seele“-Rechtsprechung im Beitragsrecht für die Statusfeststellung von Angestellten einer Familiengesellschaft nicht mehr heranzuziehen sei. Um der Aufgabe der Lohnbuchhaltung sachgemäß und fehlerfrei gerecht zu werden, hätte der Beklagte zu 2. auch diese Rechtsprechung in Bezug auf die Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern überwachen bzw. sich in dieser Hinsicht qualifizierten Rechtsrat einholen müssen. Nach § 5 Abs. 1 RDG wäre dem Beklagten zu 2. die sozialversicherungsrechtliche Beratung in Bezug auf die spezifischen sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkte einer Lohn- und Gehaltsabrechnung auch erlaubt gewesen.

    Spätestens ab 2015 hätte der Beklagte zu 2. somit bei der Erstellung der Lohnbuchführung Sozialversicherungsbeiträge für die Gesellschafter-Geschäftsführer abführen müssen. Die Pflichtverletzung sei darin begründet, dass er dem nicht nachgekommen sei. Ansonsten hätten ihre (Klägerin) Geschäftsführer sogleich nach Vorlage der ersten Lohnabrechnung mit Abzug von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung als vernünftig denkende und handelnde Kaufleute anderweitigen Rechtsrat eines Rechtsanwalts eingeholt oder aber ein Statusfeststellungsverfahren eingeleitet.

    Eine Gesamtvermögensbetrachtung sei überhaupt nicht erforderlich, da diese zu keinem anderen Ergebnis führen könne. Der geltend gemachte Betrag von 60.000,00 € sei nicht um einen Steuervorteil infolge des Abzugs als Betriebsausgabe zu reduzieren, da sie (Klägerin) die Schadensersatzleistung der Beklagten zu versteuern habe. Auch könne sie nicht nachträglich die Geschäftsführer in Bezug auf die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zur Reduzierung des Schadens in die Pflicht nehmen. Die Vor- und Nachteile zwischen der Gesellschafts- und der Gesellschafterebene müssten nach der Rechtsprechung nicht miteinander saldiert werden. Abgesehen davon hätten ihre Geschäftsführer, die beide über eine private Kranken- und Pflegeversicherung verfügten, allenfalls einen sehr überschaubaren Vorteil, indem sie Ansprüche gegenüber der DRV würden, was überhaupt nur nach einer Versicherungszeit von 5 Jahren der Fall wäre. Dieser geringfügige Vorteil werde in negativer Hinsicht durch den Umstand, dass die Übernahme der Arbeitnehmeranteile durch die Klägerin grundsätzlich einen weiteren lohn- und sozialversicherungspflichtigen Gehaltszufluss auf der Gesellschafterebene darstelle, mehr als kompensiert.

    Hätte der Beklagte zu 2. die Lohnabrechnungen ab 2015 zutreffend unter Beachtung der Sozialversicherungspflicht der Geschäftsführer erstellt, so hätten diese sich nach der Lebenserfahrung grundsätzlich rational verhalten, den Rechtsrat eines Anwalts eingeholt, diesen befolgt und eine anderweitige Gestaltung gewählt.

    Die Klägerin beantragt,

    die Beklagten unter Abänderung des am 24.11.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main, Aktenzeichen 2-19 O 124/21, zu verurteilen, an sie 60.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.10.2020 zu zahlen.

    Die Beklagten beantragen,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie die Verhandlungsniederschrift vom 28.5.2024 Bezug genommen.

    II.

    Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

    In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

    Mit Recht hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten abgelehnt.

    1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten zu 2. wegen Verletzung seiner Pflichten bei der Lohnbuchhaltung aus §§ 280 Abs. 1, 675 BGB.

    Im Rahmen seines Auftrags hat der Steuerberater seinen Mandanten, von dessen Belehrungsbedürftigkeit er grundsätzlich auszugehen hat, umfassend zu beraten und ungefragt über alle bedeutsamen steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Insbesondere muss der Steuerberater seinen Auftraggeber möglichst vor Schaden bewahren; deshalb muss er den nach den Umständen sichersten Weg zu dem erstrebten steuerlichen Ziel aufzeigen und sachgerechte Vorschläge zu dessen Verwirklichung unterbreiten. Übernimmt der Steuerberater - wie hier - (auch) die Lohnbuchhaltung, ist er zur Beratung in sozialversicherungsrechtliche Fragen weder berechtigt noch verpflichtet (BGH, Urteil vom 12.2.2004 - IX ZR 246/02, juris Rn. 13).

    Bei der Lohnbuchhaltung handelt es sich primär um einen rechnerischen Vorgang, der keine vertieften Kenntnisse des Sozialrechts oder die Beantwortung von Rechtsfragen beinhaltet. Vom Lohnbuchhalter kann daher nicht erwartet werden, dass er inzident komplexe Fragen aus dem Sozialversicherungsrecht selbst beantwortet. Allerdings ist der sozialversicherungsrechtliche Status eines Mitarbeiters notwendige Vorfrage, damit der Lohnbuchhalter seine Aufgabe erfüllen kann. Hat der Auftraggeber diesbezüglich verbindlichen Vorgaben gemacht oder ist die Frage anderweitig hinreichend geklärt oder zweifelsfrei, so kann der Lohnbuchhalter die Vorgabe übernehmen und muss die Statusfrage nicht überprüfen. Die sozialversicherungsrechtliche Statusfrage ist als hinreichend geklärt anzusehen, wenn sie anwaltlich geprüft ist, einschlägige Bescheide der Sozialversicherungsträger vorliegen oder die bisherige Einordnung im Rahmen einer Betriebsprüfung der Rentenversicherung nach § 28p SGB IV unbeanstandet geblieben ist. Die Beratung durch eine Kammer, einen Berufsverband oder einen Versicherungsmakler ist hingegen nicht ausreichend. Sofern die Statusfrage weder vorgegeben, hinreichend geklärt oder zweifelsfrei ist, hat der Lohnbuchhalter auf eine Klärung der Statusfrage durch den Auftraggeber hinzuwirken und ihm rechtssichere Möglichkeiten hierzu aufzuzeigen. Nimmt der Lohnbuchhalter die sozialversicherungsrechtliche Einordnung selbst vor, haftet er bei schuldhafter Fehleinschätzung aus § 280 Abs. 1 BGB (BGH, Urteil vom 8.2.2024 - IX ZR 137/22, juris Rn. 13ff.).

    Daran gemessen ist dem Beklagten zu 2. eine Pflichtverletzung nicht anzulasten. Mit Bescheid vom 22.12.2015 war für den Zeitraum 1.1.2011 bis 31.12.2014 eine Betriebsprüfung der DRV - auch im Hinblick auf die vom Beklagten zu 2. als selbständig behandelten Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin - ohne Beanstandung abgeschlossen worden. Zwar dienen Betriebsprüfungen nicht dem Zweck, den Arbeitgeber zu schützen oder ihn zu entlasten. Jedoch kann weder von einem Arbeitgeber noch von einem Lohnbuchhalter erwartet werden, noch kritischer zu sein als der Prüfdienst. Dies gilt vorliegend umso mehr, als im Zeitpunkt der Betriebsprüfung im Oktober 2015 der Wandel in der Rechtsprechung durch Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.7.2015, Az.: B 12 KR 23/13 R, bereits abschließend vollzogen war und gleichwohl zu keiner anderen Bewertung durch die DRV geführt hat. Damit durfte der Beklagte zu 2. die sozialversicherungsrechtliche Statusfrage als fachkundig und rechtssicher geklärt ansehen.

    Der Einwand der Berufung, der Beklagte zu 2. hätte den Wandel in der Rechtsprechung zur Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern überwachen bzw. sich in dieser Hinsicht qualifizierten Rechtsrat einholen müssen, verfängt nicht. Denn vom Lohnbuchhalter kann nicht erwartet werden, dass er die zur Prüfung einer Sozialversicherungspflicht unverzichtbare einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kennt und verfolgt (BGH, Urteil vom 8.2.2024 - IX ZR 137/22, juris Rn. 17).

    Da es sonach bereits an einer den Anspruch begründenden Pflichtverletzung des Beklagten zu 2. fehlt, erübrigen sich Ausführungen zur Schadenshöhe.

    2. In Ermangelung einer Pflichtverletzung des Beklagten zu 2. scheidet auch ein Anspruch gegen die Beklagte zu 1. aus, ohne dass es einer Entscheidung bedarf, ob überhaupt die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten zu 1. nach § 25 Abs. 1 HGB gegeben sind.

    Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

    Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision ist nicht gemäß § 543 ZPO zuzulassen, weil die Rechtsache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.