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  • 15.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186592

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 16.07.2015 – 13 K 13063/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG Berlin-Brandenburg

    16.07.2015 - 13 K 13063/13

    In dem Rechtsstreit
    XXX
    gegen
    XXX

    wegen Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag 2000

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 13. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. Juli 2015 durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,
    den Richter am Finanzgericht ... und
    den Richter am Finanzgericht ...
    sowie die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herr ...

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Bescheide über Einkommensteuer, Umsatzsteuer sowie den Gewerbesteuermessbetrag für 2000 vom 23. Dezember 2011, alle in Gestalt von Einspruchsentscheidungen vom 19. Februar 2013, werden aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer tatsächlichen Verständigung sowie die Hinzuschätzung gewerblicher Einkünfte bzw. Umsätze.

    Der Kläger erzielte als Einzelunternehmer gemäß § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz -EStG- ermittelte gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb eines Imbissstandes in der C...-Straße in 14467 D.... Im Rahmen einer für die Jahre 1998 bis 2000 durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Beklagte eine nicht ordnungsgemäße Buchführung des Klägers fest. Ein Kassenbuch und Tagessummenbons habe es nicht gegeben. Bei einer Gegenüberstellung der Kasseneinnahmen und -ausgaben hätten sich Fehlbeträge ergeben. Handschriftliche Aufzeichnungen über Tageseinnahmen des Jahres 1998 lauteten bereits auf €. Wareneinkäufe seien nur unvollständig erfasst und Lieferscheine vernichtet worden. Buchhaltungsunterlagen für das erste Halbjahr 2000 hätten nicht vorgelegt werden können.

    Auf Grundlage einer Umsatzkalkulation nahm der Beklagte Hinzuschätzungen zu den erklärten Umsätzen (1998: 210.220 DM, 1999: 278.971 DM, 2000: 256.454 DM) in Höhe von brutto 45.000 DM (1998) sowie 54.000 DM (1999 und 2000) vor. Den gewerblichen Gewinn bemaß der Beklagte aufgrund der Prüfung mit 83.743 DM (1998), 94.608,48 DM (1999) und 99.367 DM (2000). Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 26. August 2003 Bezug genommen (BP-Akten Bl. 8 ff.).

    Während des folgenden Rechtsbehelfsverfahrens gab der Kläger in einer Erklärung vom 8. September 2004 an, neben einem betrieblichen Bargeldbestand zum 31. Dezember 2000 in Höhe von ca. 21.000 DM lediglich ein außerbetriebliches Bankkonto bei der I... Bank mit einem Bestand in Höhe von 4.109,15 DM zum 31. Dezember 2000 zu haben. Das Erklärungsformular fragte alle außerbetrieblichen Bank-, Postgiro-, Festgeld-, und ähnliche Guthaben für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2000 ab. Seinen zudem abgefragten außerbetrieblichen Bargeldbestand im streitigen Zeitraum gab der Kläger mit "unbekannt" an. Wegen dessen Einzelheiten wird auf Bl. 12 der Steuerfahndungsakte verwiesen.

    Am 20. September 2004 kam es wegen der erschwerten Sachverhaltsermittlung zu einer tatsächlichen Verständigung über die Erhöhung der Betriebseinnahmen sowie der Bruttoumsätze für die Jahre 1998 bis 2000 um 23.000 DM (1998) bzw. 28.000 DM (1999 und 2000); insgesamt betrug die Erhöhung also 79.000 DM. Der Beklagte setzte die Ergebnisse der tatsächlichen Verständigung in Änderungsbescheiden zur Einkommensteuer, zum Gewerbesteuermessbetrag und zur Umsatzsteuer für das Jahr 2000 vom 5. Januar 2004 um.

    Im Zuge der Betriebsprüfung für die Jahre 2001 bis 2003 sowie der anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren legte der Kläger Unterlagen über weitere Privatkonten vor, um die vom Beklagten für diese Jahre auf Grundlage einer Geldverkehrsrechnung durchgeführten Hinzuschätzungen zu widerlegen. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat hierfür in den Verfahren 13 V 13047/07 und 13 V 13048/07 mit Beschlüssen vom 16. August 2007 Aussetzung der Vollziehung gewährt, und zwar unter anderem deshalb, weil der Anfangsbestand des außerbetrieblichen Vermögens zum 1. Januar 2001 zu niedrig angesetzt worden sei. Die entsprechenden Hauptsacheverfahren 13 K 13034/07 und 13 K 13036/07 haben sich im August 2011 erledigt. Dabei kam es für das Jahr 2001 zu einer Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen in Höhe von 134.085,11 DM. Die Minderung gegenüber der ursprünglichen Hinzuschätzung in Höhe von 264.223,24 DM resultierte insbesondere daraus, dass aufgrund der vorgelegten Kontounterlagen der Anfangsbestand des außerbetrieblichen Vermögens zum 1. Januar 2001 erhöht wurde.

    Nach Abschluss der Klageverfahren für die Jahre 2001 bis 2003 begann der Beklagte am 8. September 2011 eine Steuerfahndungsprüfung für das Jahr 2000. Dabei ergab sich im Rahmen einer privaten Geldverkehrsrechnung ein Fehlbetrag in Höhe von 200.241,69 DM. Der Fehlbetrag resultierte vor allem aus der Einbeziehung von zwei im Jahr 2000 eröffneten Sparkonten bei der E... Bank mit einem Guthaben in Höhe von jeweils 60.333,21 DM und einem Bargeldbestand in Höhe von 90.000 DM, der am 15. Februar 2001 auf zwei weitere Sparkonten bei der E... Bank eingezahlt wurde.

    Die Kenntniserlangung des Beklagten über die Geldbestände der Kläger erfolgte während der Betriebsprüfung für die Jahr 2001 bis 2003 am 8. März 2006 hinsichtlich zunächst eines Kontos, aus dem eine Einzahlung in Höhe von 60.000 DM am 18. Juli 2000 hervorging. Die Einzahlung weiterer 60.000 DM auf ein anderes E...-Bank-Konto am selben Tag wurde dem Beklagten Anfang Juni 2008 durch Übersendung der von den Klägern im Verfahren 13 K 13034/07 übersandte Ablichtungen, die einem Schreiben der damaligen Steuerberaterin der Kläger vom 29. Mai 2008 beigefügt war (Bl. 111 ff. der Akte zum Verfahren 13 K 13034/07). In diesem Schreiben hat die Steuerberaterin zudem ausgeführt, dass die Kläger weitere 40.000 DM und 50.000 DM am 15. Februar 2001 auf Sparbücher eingezahlt hätten und dass alle diese Geldbeträge vor dem 31.12.2000 von den Eltern des Klägers gemachte Geschenke seien. Infolge eines Erörterungstermins im Verfahren 13 K 13034/07 haben die Kläger dem Beklagten am 11. Juli 2011 zu den Einzahlungen im Februar 2001 Ablichtungen der Sparbücher vorgelegt.

    Die o.g. Geldbeträge wurden im Rahmen der Verfahren für die Jahre 2001 bis 2003 letztlich als Vermögenszuwächse vor dem 1. Januar 2001 behandelt. Die Steuerfahndung kam zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Verständigung vom 20. September 2004 wegen vorsätzlich falsch gemacher Angaben der Kläger über seinen verfügbaren Mittel im außerbetrieblichen Bereich unwirksam sei. Für das Jahr 2000 sei daher der Gewinn um 210.241 DM und die Bruttoumsätze zu 7 % um 160.193,35 DM sowie die Bruttoumsätze zu 19 % um 40.048,34 DM zu erhöhen (Aufteilungsmaßstab 80%/20%). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Steuerfahndungsprüfung wird auf den Bericht vom 13. Dezember 2011 Bezug genommen (Bl. 58 ff. GA).

    Mit Schreiben vom 12. September 2011 teilte der Beklagte der damaligen Steuerberaterin des Klägers mit, dass der Kläger falsche Angaben über seine Betriebseinnahmen sowie wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe. Diese Täuschung habe zu einem falschen Ergebnis bei der tatsächlichen Verständigung geführt, weshalb sie unwirksam sei. Die Festsetzungsfrist verlängere sich auf zehn Jahre. Es werde beabsichtigt, den Gewinn aus Gewerbebetrieb entsprechend der Geldverkehrsrechnung zu erhöhen.

    Der Beklagte setzte die Ergebnisse der Steuerfahndungsprüfung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung -AO- in den Änderungsbescheiden für das Jahr 2000 vom 23. Dezember 2011 über Einkommensteuer, Gewerbesteuermessbetrag und Umsatzsteuer um. Mit Einspruchsentscheidungen vom 19. Februar 2013 minderte der Beklagte den gewerblichen Gewinn wegen eines Übertragungsfehlers um 10.000 DM auf 269.878 DM und wies die Einsprüche im Übrigen zurück. Zur Begründung der hiergegen gerichteten Klage führen die Kläger Folgendes aus:

    Die tatsächliche Verständigung vom 20. September 2004 sei weiterhin wirksam und der Beklagte daran nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gebunden sei. Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen, welche die tatsächliche Verständigung hätten beeinflussen können, wenn sie vorher bekannt geworden wären, beseitigten die Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung regelmäßig nicht. Ein einseitiger Widerruf sei nicht möglich.

    Für eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- fehle zum einen eine Anfechtungserklärung. Zum anderen sei die einjährige Anfechtungsfrist nach § 124 Abs. 1 BGB abgelaufen. Denn der Beklagte habe nach einem Aktenvermerk vom 17. September 2007 bereits am 23. August 2004 Kenntnis von einem weiteren Konto mit erheblichen Kontobewegungen gehabt. Des Weiteren habe er -der Kläger- zu keiner Zeit getäuscht, da seine Eltern DM 230.000 zum Erwerb einer Immobilie zur Verfügung gestellt hätten.
    Im Übrigen sei Festsetzungsverjährung eingetreten, da mangels einer Steuerhinterziehung keine Fristverlängerung auf zehn Jahre in Betracht komme.

    Er -der Kläger- sei 1992 als politisch Verfolgter nach Deutschland gekommen. Für seine zehnköpfige Familie habe er den Kauf eines geeigneten Hauses ins Auge gefasst. Als Eigenkapital habe hierzu der Verkauf eines in der Türkei seit 1989 von ihm betriebenen Ladenlokals dienen sollen, das nach seiner Flucht von Verwandten weitergeführt worden sei. Zudem habe er mit Zuwendungen aus seiner Familie gerechnet.

    1999 sei es zum Verkauf des Ladengeschäfts in der Türkei an einen Verwandten zum Preis von 70.000 DM gekommen. In der Folge sei in D... zunächst der Kauf eines Hauses in der F...-straße sowie der G...-Straße geplant gewesen, was nicht realisiert worden sei. Erst im Jahr 2005 sei zum Kauf des Grundstücks in der H...-straße gekommen.

    Seine -des Klägers- Eltern seien recht vermögend gewesen und hätten ihm 80.000 DM aus Gewinnen aus dem Erdöltransport geschenkt. Aufgrund des Irak-Boykotts habe das Unternehmen der Eltern in den neunziger Jahren gute Geschäfte gemacht, so dass es seinen -des Klägers- Eltern möglich gewesen sei, ihren Kindern erhebliche Geldbeträge zur Verfügung zu stellen. Daneben hätten seine Eltern noch über diverse Immobilien und daraus resultierende Mieteinnahmen verfügt. Zudem hätten sie -die Kläger- erhebliche Geldbeträge zu ihrer Hochzeit geschenkt bekommen. Sie -die Klägerin- hätte von ihrer Familie, die Goldschmiede seien, eine nicht unbeträchtliche Mitgift in Form von Geld erhalten. Dieses Geld sei nach der Flucht aus der Türkei zunächst an einen sicheren Aufbewahrungsort, nämlich in dem Tresor eines Juweliers, dort verblieben und sei im Jahr 2000 auf seine -des Klägers- Anweisung zurückgegeben worden. Dabei habe es sich um 80.000 DM gehandelt.

    Es sei zwar zutreffend, dass der Zufluss der Finanzmittel nicht durch Überweisungsbelege oder dergleichen nachgewiesen werden könne. Jedoch sei der Schluss des Beklagten, die Mittelherkunft sei ungeklärt, angesichts der besonderen Umstände dieses Falles nicht richtig. Es sei ihr -der Kläger- Kulturkreis zu berücksichtigen, in denen Bankgeschäfte eher die Ausnahme seien. Traditionell würden im kurdischen Teil der Türkei Geschäfte ganz überwiegend in bar abgewickelt. Dies habe mit dem Zinsverbot des Islam zu tun und mit der Angst, ein Guthaben könne aufgrund des Kurdenkonflikts vom Staat beschlagnahmt werden.

    Über die Transaktion der Geldbeträge i.H.v. 230.000 DM nach Deutschland könne seine -des Klägers- Mutter vernommen werden, die auch noch bestätigen könne, dass anlässlich eines Besuchs in D... größere Bargeldbeträge eingeführt worden seien, die direkt nach ihrer Ankunft in der Wohnung übergeben worden seien, was auch ihre -der Kläger- Kinder bestätigen könnten, den der Geldbetrag sofort gezeigt worden sei. Das Geld hätten die Eltern aus der Türkei in größeren DM-Scheinen in selbst gefertigten Beuteln nach Deutschland verbracht.
    Entgegen der Ansicht des Beklagten sei hinsichtlich der Herkunft der Mittel kein widersprüchlicher Vortrag erfolgt. Die in anderen Verfahren erwähnte Schenkung der Eltern in Höhe von 69.900 € durch Überweisung am 14.7.2004 sei durch ein Schreiben der E... Bank belegt und habe nichts mit dem hier streitigen Betrag in Höhe 230.000 DM zu tun.

    Die Kläger beantragen,

    die Bescheide über Einkommensteuer, Umsatzsteuer sowie den Gewerbesteuermessbetrag für 2000 vom 23. Dezember 2011, alle in Gestalt von Einspruchsentscheidungen vom 19. Februar 2013, aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er macht geltend, dass die tatsächliche Verständigung vom 20. September 2004 aufgrund einer erfolgten Anfechtung unwirksam sei. Die tatsächliche Verständigung habe auf vorsätzlich unzutreffenden Angaben des Klägers in seiner Erklärung vom 8. September 2004 zu den verfügbaren Mitteln im außerbetrieblichen Bereich beruht. Erst in den Klageverfahren für die Jahre 2001 bis 2003 habe der Kläger am 8. März 2006 das Sparbuch Nr. ... (Einzahlung DM 60.000 am 18. Juli 2000), am 29. Mai 2008 das Sparbuch Nr. ... (Einzahlung DM 60.000 am 18. Juli 2000) und am 6. Juli 2011 die Sparbücher Nr. ... und ... (Einzahlung insgesamt DM 90.000 am 15. Februar 2001) angegeben. Auch von den im Aktenvermerk vom 17. September 2007 genannten Kontenbewegungen habe er erst am 11. Mai 2005 und damit nach Abschluss der tatsächlichen Verständigung erfahren. Die Anfechtungserklärung stelle das Schreiben der Steuerfahndung vom 12.9.2011 dar.

    Die Anfechtungsfrist von einem Jahr sei eingehalten. Das Bekanntwerden der Einzahlungen von 2x 60.000 DM auf Sparkonten des Klägers habe die Frist noch nicht beginnen lassen, da diese Beträge noch im Rahmen der bewusst im Kauf genommenen Unsicherheit der tatsächlichen Verständigung gelegen hätten. Erst die Feststellung eines weiteren Betrages in Höhe von 90.000 DM am 6.7.2011 habe sich mit der Umsatzkalkulation, die der Verständigung zugrunde gelegen habe, nicht vereinbaren lassen.

    Die fehlende Bindungswirkung der tatsächlichen Verständigung folge zudem aus § 130 Abs. 2 Nr. 3 Abgabenordnung -AO-. Darüber hinaus hätten die Falschangaben im Jahr 2004 zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung geführt. Schließlich sei die Festsetzungsfrist auf zehn Jahre verlängert und habe für das Jahr 2000 erst am 31. Dezember 2011 geendet, da der Kläger mit dem bewussten Verschweigen seiner Geldbestände eine Steuerhinterziehung begangen habe.

    Die streitigen Beträge seien dem Kläger auch im Jahr 2000 zugeflossen. Die angesetzten Nettoumsätze betrügen 456.360 DM und damit noch weniger als die vom Gericht nicht beanstandeten Umsätze für 2001 in Höhe von netto 493.308 DM.

    Die Kläger hätten für die Herkunft der Geldbeträge in verschiedenen Verfahren jeweils andere Begründungen vorgetragen. Im Rahmen der Betriebsprüfung für 2001-2003 hätten die Kläger vorgebracht, am 2. Dezember 2000 einen Betrag in Höhe von 230.000 DM von den Eltern geschenkt bekommen zu haben, der aus Grundstückseinnahmen sowie dem Verkauf eines LKW gestammt haben sollen. In einer Stellungnahme im Rahmen eines Verfahrens wegen des Verdachts auf Geldwäsche habe der ehemalige Rechtsanwalt der Kläger vorgetragen, die Mittel stammten aus dem Gewerbebetrieb des Klägers, die dieser im Laufe der Zeit angespart habe. Ferner sei eine Schenkung der Eltern, die aus deren Gewerbebetrieb stammen solle, in Höhe von 69.900 € am 14.7.2004 erklärt worden. Nunmehr solle das Geld aus der Hochzeit des Klägers, dem Verkauf eines Ladens in der Türkei sowie von den Eltern des Klägers stammen. Für sämtliche Begründungen zur Herkunft der Mittel seien Bestätigungen der Verwandten aus der Türkei vorgelegt worden. Keine Belege gebe es hingegen für die Leistungsfähigkeit der Verwandten sowie die Einfuhr des Geldes nach Deutschland. Die Ausführungen der Kläger seien daher als Schutzbehauptungen anzusehen.

    Dem Senat lagen jeweils ein Band Einkommensteuer-, Gewerbesteuer-, Umsatzsteuer-, Betriebsprüfungs-, Steuerfahndungs- und Bilanzakten sowie eine Heftung zum Rechtsbehelfsverfahren und eine Heftung mit dem ADV-Vorgang vor.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten die Rechte der Kläger (§ 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Zu Unrecht hat der Beklagte angenommen, er sei an die in der tatsächlichen Verständigung niedergelegten Besteuerungsgrundlagen nicht mehr gebunden.

    Die Beteiligten durften aufgrund der erschwerten Sachverhaltsermittlung während und im Anschluss an die beim Kläger durchgeführte Betriebsprüfung in Form der tatsächlichen Verständigung eine Vereinbarung über die Erhöhung der Bruttoumsätze und des Gewinns für die Jahre 1998 - 2000 abschließen.

    Das Rechtsinstitut der "tatsächlichen Verständigung" entspringt einem praktischen Bedürfnis nach Verfahrensförderung, Verfahrensbeschleunigung und Rechtsfrieden. Es ist vom Bundesfinanzhof -BFH- in mittlerweile ständiger Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt. Dabei geht es darum, in Fällen, in denen über den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt eine anderweitig nicht einfach zu behebende Unklarheit besteht, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S. des § 88 der AO einvernehmlich festzulegen und insoweit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten zu beseitigen. Die tatsächliche Verständigung dient insbesondere zur Behebung eines Beweisnotstandes des Steuerpflichtigen (anstelle einer andernfalls nach § 162 Abs. 1 S. 1 AO regelmäßig gebotenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Gleich, ob man in der tatsächlichen Verständigung einen öffentlich-rechtlichen Vertrag erblickt oder eine anderweitige, am Grundsatz von Treu und Glauben zu messende Übereinkunft, kommt der Verständigung Bindungswirkung zu (BFH-Urteil vom 1. September 2009 - VIII R 78/06 -, BFH/NV 2010, 593, m.w.N.).

    Im Streitfall ist die tatsächliche Verständigung nicht von vornherein unwirksam, weil sie nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis geführt hat. Dies ist nur der Fall, wenn die Vereinbarung gegen die Regeln der Logik oder gegen allgemeine Erfahrungsätze verstößt (vgl. BFH-Urteil vom 6.2.1991 -I R 13/86 -, BStBl II 1991, 673, [...] Rn. 18 a.E.). Anhaltspunkte dafür gibt die tatsächliche Verständigung aus sich heraus nicht. Soweit sich der Beklagte in diesem Zusammenhang auf das Urteil des FG Münster vom 26.2.1997 (1 K 4356/94 U, EFG 1997, 929) stützt, wonach ein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis insbesondere dann vorliege, wenn der bei der Verständigung angenommene Grundsachverhalt sich als nicht zutreffend erweise, steht das im Widerspruch zu dem o.g. BFH-Urteil, welches nicht auf die Richtigkeit des zugrundliegenden Sachverhalts abstellt, sondern auf eine Prüfung an den allgemeinen Maßstäben der Logik und Erfahrungen. Dabei handelt es sich um eine Evidenzkontrolle aus der ex ante-Perspektive der Beteiligten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (Seer, Verständigungen an der Schnittstelle von Steuer- und Steuerstrafverfahren, BB 2015, 214, 216) und nicht um eine Würdigung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung nachträglich bekannt gewordener Tatsachen.

    Die tatsächliche Verständigung ist nicht durch Anfechtung des Beklagten unwirksam geworden.

    Nach der Rechtsprechung des BFH sind die Anfechtungsvorschriften der §§ 119, 123 BGB auf tatsächliche Verständigungen im Steuerverfahren grundsätzlich anwendbar. (BFH-Urteil vom 1. September 2009 - VIII R 78/06 -, BFH/NV 2010, 593, m.w.N.). Nach den Feststellungen Senats hat der Kläger die tatsächliche Verständigung zwar durch eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB über seine verfügbaren Mittel im außerbetrieblichen Bereich herbeigeführt, da er trotz formularmäßiger Nachfrage des Beklagten hierüber unvollständige Angaben in seiner schriftlichen Erklärung vom 8. September 2004 gemacht hat und es bei Kenntnis über die Sparkonten mit einem Guthaben am 31.12.2000 in Höhe von über 120.000 DM sowie vorhandener Barguthaben in Höhe von 90.000 DM aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu dieser Verständigung gekommen wäre, was dem Kläger auch bewusst gewesen sein musste. Der Beklagte hat jedoch die Anfechtungsfrist, die bei entsprechender Anwendung der Anfechtungsnormen des BGB folgerichtig zu beachten ist (vgl. BFH-Urteil vom 1. September 2009 - VIII R 78/06 -, BFH/NV 2010, 593), nicht eingehalten.

    Nach § 124 Abs. 1 BGB kann die Anfechtung nur binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt (§ 124 Abs. 2 BGB). Ein bloßer Verdacht oder ein Kennenmüssen genügt hierfür nicht (Ellenberger in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 124 Rn. 2).

    Nach Auffassung des Senats hat der Beklagte mit dem Erhalt des Schreiben der ehemaligen Steuerberaterin des Klägers vom 29. Mai 2008 infolge der Übersendung durch das Gericht im Verfahren 13 K 13034/07 Anfang Juni 2008 sicher Kenntnis von dem zum Abschluss der tatsächlichen Verständigung führenden Irrtum und vom arglistigen Verhalten des Klägers erlangt. Zu diesem Zeitpunkt kannte der Beklagte aufgrund der vorliegenden Kontoauszüge nicht nur die Einzahlung der ersten 60.000 DM, die bereits am 8. März 2006 bekannt geworden ist, sondern auch die zweite am 18. Juli 2000 vorgenommene Einzahlung in Höhe von 60.000 DM auf eine weiteres Konto des Klägers. Wie aus der Erwiderung des Beklagten vom 14. Juli 2008 zu dem klägerischen Schreiben vom 29. Mai 2008 hervorgeht, war sich der Beklagte im Klaren darüber, dass die Angaben des Klägers über seine Vermögensverhältnisse zum 31. Dezember 2000 in der Erklärung vom 8. September 2004 falsch gewesen waren. Damit hat der Beklagte die Täuschung entdeckt, die ursächlich war für das Zustandekommen der tatsächlichen Verständigung. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass bei einer mit der tatsächlichen Verständigung erfolgten Gewinn- und Umsatzerhöhung für die Jahre 1998 - 2000 von insgesamt 79.000 DM das Vorhandensein von (nicht angegebenen) Guthaben bei den Klägern mit einkalkuliert war. Jedoch wurde nach Auffassung des Senats mit dem sicheren Eintritt der Kenntnis über die Einzahlung der zweiten 60.000 DM am 29.5.2008 der Rahmen der hingenommenen Unsicherheiten nicht nur unwesentlich überschritten. Dem Beklagten war zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass die Kläger bei einer Betrachtung aller drei die tatsächliche Verständigung umfassenden Veranlagungszeiträume 41.000 DM mehr an Geld zur Verfügung hatten, als hinzugeschätzt wurde. Dass dieser Betrag noch im Rahmen der ursprünglichen Umsatzkalkulation lag, wie der Beklagte vorgetragen hat, hat er, trotz des ausdrücklichen Hinweises des Gerichts auf dieses Problem in seinem Aussetzungsbeschluss vom 17. Januar 2014 (13 V 13097/13), nicht näher erläutert. Der Senat vermag ohne solche Erläuterungen nicht zu erkennen, dass die der tatsächlichen Verständigung zugrunde liegende Kalkulation bei einer Gewinn- und Umsatzerhöhung in Höhe von 79.000 DM nicht nur von verschwiegenen Sparguthaben in dieser Höhe, sondern sogar in Höhe von 120.000 DM ausgegangen ist. Hinzu kommt, dass aus Sicht des Beklagten, der den gesamten nachträglich bekannt gewordenen Geldbetrag als nur im Streitjahr bezogene Einnahme ansieht, von einer höheren Abweichung als 41.000 DM ausgehen musste. Bei einer Gewinn- und Umsatzerhöhung durch die tatsächliche Verständigung in Höhe von 28.000 DM für das Jahr 2000 musste der Beklagte nach Bekanntwerden der Einzahlungen von 120.000 DM von nicht angegebenen Erträgen in Höhe von 92.000 DM ausgehen.

    Entgegen der Ansicht des Beklagten kann für die Kenntniserlangung nicht erst auf die Vorlage von Ablichtungen der Kontounterlagen zum Nachweis der Einzahlung von 90.000 DM infolge des Erörterungstermins am 6.7.2011 im Verfahren 13 K 13034/07 abgestellt werden. Zwar haben die Kläger zum Nachweis ihres Geldanfangsbestandes zum 1. Januar 2001 in dem die Jahre 2001 - 2003 betreffenden Klageverfahren erstmals entsprechende Kontoauszüge über die Einzahlungen am 15. Februar 2001 vorgelegt, was auf einen nicht angegebenen Bargeldbestand zum 31. Dezember 2000 hindeutet. Gleichwohl lag -wie oben ausgeführt- bereits durch den sicheren Nachweis der Einzahlung von 120.000 DM im Jahr 2000 Kenntnis von einer Täuschung der Kläger im Rahmen der tatsächlichen Verständigung im Sinne des § 124 Abs. 2 BGB vor. Aus diesem Grund kann es auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die bereits im klägerischen Schreiben vom 29.5.2008 ausdrücklich erwähnten -aber nicht belegten- Einzahlungen am 15. Februar 2001 in Höhe von 40.000 DM und 50.000 DM auf Konten der Kläger und den daraus folgenden Irrtum bereits zu diesem Zeitpunkt positiv im Sinne des § 124 Abs. 2 BGB kannte.
    Da die Anfechtungsfrist nach alledem bereits im Juni 2008 begonnen hat, war die Jahresfrist zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung mit Schreiben vom 12. September 2011 bereits abgelaufen.

    Die Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung lässt sich nicht aus § 130 AO herleiten.
    Wie oben ausgeführt, liegt zwar die dort unter Nr. 2 aufgeführte arglistige Täuschung im Streitfall vor und nach § 130 Abs. 3 S. 2 AO ist in diesem Fall nicht die Einhaltung der in § 130 Abs. 3 S. 1 AO genannten Jahresfrist nötig. Nach Auffassung des Senats würde die Anerkennung der Widerrufsmöglichkeit im Streitfall aber zu einem Wertungswiderspruch zu den Anfechtungsregeln führen, da die mit der tatsächlichen Verständigung verfolgten Zwecke (Beseitigung von Unsicherheiten und Rechtsfrieden) es gerade verlangen, dass das Verständigungsergebnis nicht durch eine länger währende Ungewissheit über deren Bestand gefährdet wird. Für den Fall der Anfechtung hat der BFH aus diesem Grund die Geltung der Vorschriften über die Anfechtungsfrist bejaht (BFH-Urteil vom 1. September 2009 - VIII R 78/06 -, BFH/NV 2010, 593). Bei Anerkennung des Widerrufs wegen Arglist würde es zum Leerlaufen der Anfechtungsfrist kommen. Zudem hat der BFH in seinem o.g. Urteil für den Fall der Arglist die Geltung von § 124 BGB angenommen. Dessen hätte es nicht bedurft, wenn § 130 Abs. 2 AO im Falle einer tatsächlichen Verständigung anwendbar gewesen wäre. Letztlich stammt das Vorbringen des Beklagten zur Anwendbarkeit von § 130 Abs. 2 AO aus dem BMF-Schreiben vom 30.7.2008IV A 3-S 0223/07/10002, welches zu der Frage der Anwendbarkeit des § 130 Abs. 2 AO jedoch ohne nähere Erläuterung bleibt und auch keine Nachweise aufführt. Mangels Stütze in der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann dem für den im Streitfall einschlägigen Fall der Arglist nicht gefolgt werden.

    Aufgrund des in § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO genannten Rücknahmegrundes (falsche Angaben) kann die Aufhebung der tatsächlichen Verständigung ebenfalls nicht mit Erfolg begehrt werden, da die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO, die mit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen beginnt, nicht eingehalten wurde. Zwar ist nach der BFH-Rechtsprechung für den Fristbeginn auf die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit abzustellen und nicht schon auf die bloße Tatsachenkenntnis (vgl. Rüsken in Klein, AO, 12. Aufl., § 130 Rn. 55). Jedoch ist nach Auffassung des Senats hierfür auf denselben Zeitpunkt abzustellen, der auch die Anfechtungsfrist in Gang gesetzt hat, nämlich die sichere Kenntnis über die Einzahlung von 120.000 DM im Jahr 2000. Der Beklagte kannte zu diesem Zeitpunkt die falschen Angaben des Klägers und damit die Nichtvereinbarkeit des vorhandenen klägerischen Vermögens mit dem Ergebnis der tatsächlichen Verständigung. Die konkrete Kenntnis einer Rechtswidrigkeit der tatsächlichen Verständigung ist bei der nur entsprechenden Anwendung einer begünstigende Verwaltungsakte betreffenden Regelung nicht möglich.

    Dem Kläger kann der Erfolg auch nicht im Hinblick auf einen Wegfall oder die Störung der Geschäftsgrundlage der tatsächlichen Verständigung versagt werden.

    Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf tatsächliche Verständigungen ist von der Rechtsprechung zwar anerkannt. Danach kann es auch dahingestellt bleiben, ob die zivilrechtlichen Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage (seit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz geregelt in § 313 BGB n.F., zuvor abgeleitet aus § 242 BGB) entsprechend auf die tatsächliche Verständigung im Steuerverfahren anwendbar sind oder ob stattdessen § 60 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) entsprechende Anwendung findet (BFH-Urteil vom 1. September 2009 - VIII R 78/06 -, BFH/NV 2010, 593). Eine Anpassung oder Aufhebung der tatsächlichen Verständigung kann auf diese Vorschriften aber nicht gestützt werden. Der Geldbestand der Kläger zum 31. Dezember 2000 war keine Geschäftsgrundlage der tatsächlichen Verständigung gewesen, da die Beteiligten nicht gemeinsam von derselben Geschäftsgrundlage ausgegangen sind, sondern der Kläger den Beklagten bewusst über seinen Geldbestand getäuscht hat. Die demnach einseitigen Erwartungen des Beklagten (vgl. hierzu Grüneberg in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 313 Rn. 9), die für seine Willensbildung maßgelblich waren, hat der Kläger nicht geteilt.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

    RechtsgebietEStGVorschriften§ 4 Abs. 3 EStG

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