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  • 07.01.2009 · IWW-Abrufnummer 090043

    Bundesgerichtshof: Urteil vom 06.11.2008 – IX ZR 140/07

    a) Der Steuerberater, der mit der Prüfung eines Steuerbescheides beauftragt ist, muss mit seinem Mandanten die Möglichkeit eines Einspruchs wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des anzuwendenden Steuergesetzes nicht erörtern, so lange keine entsprechende Vorlage eines Finanzgerichts an das Bundesverfassungsgericht veröffentlicht ist oder sich ein gleich starker Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung aus anderen Umständen, insbesondere einer in ähnlichem Zusammenhang ergangenen, im Bundessteuerblatt veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt.



    b) Der Steuerberater ist im Einzelfall noch nicht verpflichtet, die Möglichkeit eines Einspruchs wegen Verletzung der Erhebungsgleichheit mit seinem Mandanten zu erörtern, wenn weder der Gesetzgeber die vorliegenden Hinweise auf die gleichheitswidrige Besteuerung erkennbar zum Anlass genommen hat, dem Mangel abzuhelfen, noch die Fachkreise hierauf in breit geführter Diskussion reagiert haben.


    BUNDESGERICHTSHOF
    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL

    IX ZR 140/07

    Verkündet am:
    6. November 2008

    in dem Rechtsstreit

    Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2008 durch die Richter Prof. Dr. Kayser, Raebel, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape und Grupp

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 4. Juli 2007 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 13 des Landgerichts Hamburg vom 7. September 2006 wird insgesamt zurückgewiesen.

    Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.

    Von Rechts wegen

    Tatbestand:

    Der von dem Beklagten steuerlich beratene vormalige Kläger, der von der Klägerin beerbt wurde (nachfolgend nur Kläger), erklärte in seiner im Jahr 1999 eingereichten Einkommensteuererklärung für das Veranlagungsjahr 1998 Einkünfte aus Wertpapierveräußerungsgeschäften in Höhe von 4.087.985 DM. Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom 7. Januar 2000 unter voller Berücksichtigung der Einkünfte aus den Veräußerungsgeschäften Einkommensteuer in Höhe von 2.560.516 DM unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) fest. Mit Bescheid vom 26. Juni 2000 hob das Finanzamt den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die Einkommensteuer setzte es auf 2.560.632 DM fest. Dieser Bescheid wurde nicht angegriffen. Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 2002 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer mit Bescheid vom 4. April 2002 erhöht fest. Gegen diesen Bescheid legte eine der Sozietät des Beklagten angehörende Steuerberaterin auf Weisung des Klägers unter Bezugnahme auf ein anhängiges Verfahren vor dem Bundesfinanzhof, von dem dieser aus der Tagespresse erfahren hatte, Einspruch ein. Jenes andere Verfahren führte nach Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 Abs. 1 GG) für die Veranlagungsjahre 1997 und 1998 zur Feststellung der Nichtigkeit der Besteuerung von Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften von Wertpapieren (BVerfG, Urt. v. 9. März 2004 - 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 ff). Der Einspruch des Klägers hatte nur im Umfang der erhöhten Festsetzung Erfolg.

    Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe des auf die Besteuerung der Gewinne aus Wertpapiergeschäften entfallenden im Juni 2000 bestandskräftig festgesetzten Steuerbetrages, des hierauf entfallenden Solidaritätszuschlags und der Zinsen auf den Erstattungsbetrag, insgesamt 1.421.611,43 ¤ zuzüglich Zinsen, in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte überwiegend Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter.

    Entscheidungsgründe:

    Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

    I.

    Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in DStRE 2007, 1593 ff veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dem Beklagten falle eine Pflichtverletzung zur Last. Ihn hätten über den Normalfall hinausgehende Beratungspflichten getroffen, weil es sich um eine Angelegenheit von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung gehandelt habe. Der Beklagte hätte die Parallelität zwischen dem Zinsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 1991 (BVerfGE 84, 239) und dem Steuerfall des Klägers erkennen müssen, weil dessen Gewinne aus Wertpapiergeschäften resultierten, die - ebenso wie Zinseinkünfte - über Banken und Bankendepots und damit im Schutz- und Regelungsbereich des § 30a AO in der seit dem 3. August 1988 geltenden Fassung abgewickelt worden seien. Die Parallelität sei derart signifikant, dass sie sich jedem fachkundigen Steuerberater ab der Veröffentlichung dieses Urteils bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Spekulationssteuer bei Wertpapieren vom 9. März 2004 aufgedrängt hätte. Die Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Zinsurteil beträfen nicht die materielle Besteuerungsgrundlage, sondern die Regelungen des Erhebungsverfahrens. Gerügt worden sei die Unzulässigkeit einer mangels wirksamer Kontrollmöglichkeiten faktisch allein vom Willen des Steuerpflichtigen abhängigen Besteuerung. Das strukturelle Erhebungsdefizit habe das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zugerechnet und hierbei deutlich gemacht, dass nach Ablauf einer Übergangszeit ohne ausreichende gesetzgeberische Nachbesserung künftig auch die materielle Steuernorm selbst verfassungswidrig werde.

    Der Beklagte hätte auch die in der einschlägigen steuerrechtlichen Literatur geäußerten Bedenken gegen eine verfassungskonforme Steuererhebung hinsichtlich der dem Regelungsbereich des § 30a AO unterfallenden Spekulationsgewinne sowie gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift zur Kenntnis nehmen und den Kläger über diese unterrichten müssen, um ihm die eigenverantwortliche Entscheidung über die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die Festsetzung zu ermöglichen. Im Jahre 2000 hätte der Beklagte schließlich auf das in der Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (EFG) vom 25. Februar 2000 veröffentlichte Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 23. September 1999 und auf die Mitteilung über die Einlegung der Revision gegen dieses Urteil in der Anlage zum Bundessteuerblatt (Liste der beim Bundesfinanzhof anhängigen Revisionsverfahren) vom 10. April 2000 aufmerksam werden müssen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger bei zutreffender Unterrichtung über die Problematik des § 30a AO den Steuerbescheid nicht hätte bestandskräftig werden lassen. Das Kostenrisiko eines Einspruchs sei mit ca. 350 ¤ gering gewesen. Auch die Gefahr, dass im Falle eines Einspruchs vom Finanzamt bisher übersehene Einnahmen der Ehefrau berücksichtigt worden wären, sei zu vernachlässigen gewesen. Schließlich habe der Kläger tatsächlich Einspruch einlegen lassen, nachdem er Kenntnis von dem anhängigen Revisionsverfahren erlangt habe. Der Schadensersatzanspruch sei nicht verjährt.

    II.

    Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

    Der Beklagte war nicht verpflichtet, den Kläger bei Prüfung der Steuerbescheide im Jahre 2000 auf eine etwaige Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b EStG in der vom 29. April 1997 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung (fortan: § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b EStG a.F.) wegen Verletzung der Erhebungsgleichheit hinzuweisen.

    1. Unter welchen Voraussetzungen der Steuerberater seinen Mandanten auf die mögliche Verfassungswidrigkeit einer materiellen Steuernorm hinzuweisen hat, ist vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden worden. Ähnlich wie der anwaltliche oder steuerliche Berater von dem Fortbestand einer höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgehen kann, darf der Steuerberater im Grundsatz auf die Verfassungsmäßigkeit der auf den Steuerfall anzuwendenden Gesetze vertrauen.

    a) Wegen der richtungweisenden Bedeutung, die höchstrichterlichen Entscheidungen für die Rechtswirklichkeit zukommt, hat sich der Berater bei der Wahrnehmung seines Mandats grundsätzlich an dieser Rechtsprechung auszurichten (BGHZ 145, 256, 263; BGH, Urt. v. 30. September 1993 - IX ZR 211/92, WM 1993, 2129, 2130; v. 21. September 2000 - IX ZR 127/99, WM 2000, 2431, 2435; Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 545 f). Maßgeblich ist die jeweils aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung im Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme. Hierbei darf der Berater in der Regel auf deren Fortbestand vertrauen, weil von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen abgewichen zu werden pflegt (BGHZ 85, 64, 66; 87, 150, 155 f; BGH, Urt. v. 30. September 1993 - IX ZR 211/92, aaO; Zugehör, aaO Rn. 549; Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts 7. Aufl. Rn. 488). Entgegenstehende Judikatur von Instanzgerichten und vereinzelte Stimmen im Schrifttum verpflichten den Rechtsanwalt regelmäßig nicht, bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben die abweichende Meinung zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 30. September 1993 - IX ZR 211/92, aaO; Zugehör, aaO Rn. 552). Eine Änderung der Rechtsprechung hat er allerdings in Betracht zu ziehen, wenn ein oberstes Gericht darauf hinweist oder neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Auswirkungen auf eine ältere Rechtsprechung haben können und es zu einer bestimmten Frage an neueren höchstrichterlichen Entscheidungen fehlt (BGH, Urt. v. 30. September 1993 - IX ZR 211/92, aaO S. 2131). Eine Verpflichtung des Beraters, die Rechtsprechung der Instanzgerichte und das Schrifttum einschließlich der Aufsatzliteratur heranzuziehen, kann ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn ein Rechtsgebiet aufgrund eindeutiger Umstände in der Entwicklung begriffen und (neue) höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist (BGH, Urt. v. 21. September 2000 - IX ZR 127/99, aaO S. 2435). Hat ein Rechtsanwalt eine Angelegenheit aus einem solchen Bereich zu bearbeiten, muss er auch Spezialzeitschriften in angemessener Zeit durchsehen, wobei ihm ein "realistischer Toleranzrahmen" zuzubilligen ist (BGH, Urt. v. 21. September 2000 - IX ZR 127/99, aaO).

    Entscheidend sind die besonderen Umstände des Einzelfalls. Grundsätzlich wird darauf abzustellen sein, mit welchem Grad an Deutlichkeit (Evidenz) eine neue Rechtsentwicklung in eine bestimmte Richtung weist und eine neue Antwort auf eine bisher anders entschiedene Frage nahe legt. Ferner kann ins Gewicht fallen, mit welchem Aufwand - auch an Kosten - der neuen Rechtsentwicklung im Interesse des Mandanten Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 30. September 1993 - IX ZR 211/92, aaO S. 2131).

    b) An die Sorgfaltspflichten des Steuerberaters bei der Prüfung eines Steuerbescheides auf die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage sind entsprechende Maßstäbe anzulegen.

    aa) Danach darf ein Steuerberater grundsätzlich auf die Verfassungsmäßigkeit des von der Steuerverwaltung angewendeten Steuergesetzes vertrauen. Die Verwaltung hat Gesetze trotz bestehender Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit anzuwenden. Gleiches gilt für die mit dem Steuerfall befassten Gerichte. Erst wenn ein Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer entscheidungserheblichen Norm überzeugt ist, hat es das Verfahren auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen; bloße verfassungsrechtliche Zweifel berechtigen noch nicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 78, 104, 117; 86, 52, 57 f; Jarass in Jarass/Pieroth, GG 9. Aufl. Art. 100 Rn. 10). Daher wird eine Steuernorm bei bloßen verfassungsrechtlichen Bedenken von der Finanzverwaltung und den Finanzgerichten angewendet werden. Der Mandant kann unter dieser Voraussetzung seine verfassungsrechtlichen Bedenken erst nach Erschöpfung des Rechtsweges im Wege einer Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) durchsetzen.

    bb) Aus der Grundpflicht des Steuerberaters, den Mandanten im Rahmen seines Mandats umfassend und möglichst erschöpfend steuerlich zu beraten, kann sich ausnahmsweise die Pflicht ergeben, auch auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit eines bislang als verfassungsmäßig behandelten Steuergesetzes hinzuweisen.

    (1) Ein Ausnahmefall kann etwa gegeben sein, wenn das Bundesverfassungsgericht in einer Senatsentscheidung in ähnlichem Zusammenhang eine Verfassungsfrage behandelt und dabei eine aussagekräftige Vorentscheidung auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung des anhängigen Besteuerungsfalls getroffen hat. Drängt sich ein Zusammenhang auf, hat der Steuerberater den Mandanten hierauf hinzuweisen, um ihm die eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, ob er - gestützt auf die Parallelentscheidung des Bundesverfassungsgerichts - den Weg durch die Instanzen einschlagen will. Auf die Einschätzung der Erfolgsaussichten einer Anfechtung des Steuerbescheides durch den Berater kommt es nicht an (vgl. BGH, Urt. v. 11. Mai 1999 - IX ZR 298/97, WM 1999, 1342, 1344).

    (2) Eine Hinweispflicht auf etwaige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerungsgrundlage kann auch dann bestehen, wenn ein Gericht einen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG gefasst und der Berater hiervon Kenntnis erlangt hat. In diesen Fällen ist es zwar nicht stets naheliegend, dass das Bundesverfassungsgericht die zugrunde liegende Norm für verfassungswidrig erklären wird. Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle hat erfahrungsgemäß nur eine geringe Erfolgsquote (vgl. Zuck in Lechner/Zuck, BVerfGG 5. Aufl. vor § 80 Rn. 10; HK-BVerfGG/Dollinger 2. Aufl. § 81a Rn. 2). Eine Hinweispflicht ist aber gleichwohl anzunehmen, weil in diesen Fällen einer möglichen neuen Rechtsentwicklung mit geringem Aufwand - auch an Kosten - Rechnung getragen werden kann (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 30. September 1993 - IX ZR 211/92, aaO S. 2131). Nach § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 AO ruht das Einspruchsverfahren bis zur Entscheidung des Musterverfahrens, wenn wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm ein Verfahren bei dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird (vgl. Klein/Brockmeyer, AO 9. Aufl. § 363 Rn. 22). Aufgrund dieser verfahrensrechtlichen Besonderheit kann sich der Mandant ohne großen Aufwand die Möglichkeit sichern, von einer späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Nutzen zu ziehen, ohne dass dem die Bestandskraft des Steuerbescheides entgegensteht (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

    (3) Pflichtwidrig handelt der Steuerberater nur, wenn er das Beratungsgespräch versäumt, obwohl hierzu - für ihn erkennbar - ein konkreter Anlass bestand. Dies gilt auch in Fällen schwerwiegender wirtschaftlicher Bedeutung (s. hierzu BGH, Urt. v. 15. November 2007 - IX ZR 34/04, WM 2008, 41, 42 Rn. 10). Ohne hinreichende Veranlassung braucht der Steuerberater weder nach verfassungsrechtlichen Argumenten gegen die anzuwendende Steuernorm noch nach einem Musterverfahren zu suchen, welches seinem Mandanten die Möglichkeiten des § 363 Abs. 2 AO eröffnet. Einzelne Stimmen in der Literatur, welche eine Steuernorm - auch unter Berufung auf neue Gesichtspunkte - für verfassungswidrig halten, begründen noch keinen Anlass für ein Rechtsgespräch mit dem Mandanten, weil solche Bedenken in den letzten Jahren vielfach erhoben worden sind und sich in den wenigsten Fällen als zutreffend herausgestellt haben (vgl. Lange DB 2008, 511, 516; Beisel DStR 1459, 1460; ähnlich bereits Messmer/Späth DStR 1967, 554, 555; vgl. auch Meixner/Hörnig DStR 2007, 411). Gleiches gilt grundsätzlich für eine vereinzelte instanzgerichtliche Entscheidung, welche die Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes diskutiert, letztlich aber bestätigt, mag gegen sie auch der Bundesfinanzhof mit dem Ziel angerufen worden sein, eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zu erreichen.

    2. Nach diesen Grundsätzen fällt dem Beklagten kein Verstoß gegen steuerrechtliche Beratungspflichten zur Last. Solche trafen den Beklagten nur in dem Zeitraum von der Abgabe der Steuererklärung über den Zugang des ersten Steuerbescheides vom 7. Januar 2000 bis hin zum Eintritt der Bestandskraft des am 27. Juni 2000 zugegangenen Bescheides vom 26. Juni 2000. Mit der Bestandskraft des zweiten Bescheides, der den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob, war die Steuerfestsetzung für die erklärten Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren nicht mehr abänderbar (vgl. Klein/Rüsken, aaO § 164 Rn. 38). Eine Beratung nach diesem Zeitpunkt konnte den eingetretenen Steuerschaden selbst bei Nichtigkeit der zugrunde liegenden Steuernorm nicht mehr beseitigen. Denn nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, welche auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt.

    a) Bei Abgabe der Steuererklärung und auch noch bei Zugang und Überprüfung des Bescheides vom 7. Januar 2000 musste der Beklagte nicht mit der Möglichkeit einer Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Gewinnen aus Spekulationsgeschäften nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b EStG a.F., die Anlass für ein Beratungsgespräch geboten hätte, rechnen. Das Berufungsgericht hat insoweit die Ausstrahlungswirkung des Zinsurteils vom 27. Juni 1991 (BVerfGE 84, 239) auf den vorliegenden Steuerfall überschätzt.

    aa) Das auch im Bundessteuerblatt nahezu vollständig abgedruckte Urteil (BStBl. II 1991, 654 ff) hätte der Beklagte allerdings in angemessener Zeit nach der Veröffentlichung, mithin noch im Laufe des Jahres 1991, zur Kenntnis nehmen müssen. Kerngedanke dieser Entscheidung ist - ausgehend von der Feststellung, dass bei einem Vergleich zwischen den erklärten und nicht erklärten, aber steuerbaren Kapitalerträgen jedenfalls die Hälfte der Erträge nicht erfasst werden (BVerfGE 84 aaO S. 276 f) - der von dem Gesetzgeber verantwortete Erhebungsmangel, welcher verfassungsrechtliche Relevanz erhält, wenn sich das Verfahrensrecht gegenüber einem Besteuerungstatbestand strukturell gegenläufig auswirkt, so dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Eine Steuerbelastung, die nahezu allein auf der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen beruht, weil die Erhebungsregelungen Kontrollen der Steuererklärungen weitgehend ausschließen, trifft nicht mehr alle und verfehlt die steuerliche Leistungsgleichheit (BVerfGE 84 aaO S. 272 f). Die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit führt nach Ablauf einer Nachbesserungsfrist zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Norm.

    bb) Eine sorgfältige Auswertung dieses Urteils hätte einen steuerlichen Berater allerdings auf den Gedanken bringen können, dass die vorgenannten Erwägungen in ähnlicher Weise auch auf die Besteuerung von Gewinnen aus Effektengeschäften zutreffen könnten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergab sich ein solcher Zusammenhang in der ersten Jahreshälfte 2000 für den Beklagten jedoch nicht mit einer für den Vorwurf der Pflichtverletzung erforderlichen Stärke.

    (1) Das Zinsurteil betrifft den damals rund 19 Jahre zurückliegenden Veranlagungszeitraum 1981, für den noch nicht § 30a AO, sondern der sogenannte Bankenerlass in der Fassung vom 31. August 1979 (vgl. BStBl. I 1979, 590) maßgeblich war (vgl. BVerfGE 84 aaO S. 248 f). Dieser Erlass ist zwar, worüber in dem Zinsurteil auch berichtet wird, als § 30a AO "weitgehend" in die Abgabenordnung übernommen worden. Zu einer strukturell gegenläufigen Erhebungsregelung im Veranlagungsjahr 1998 verhält sich das Urteil jedoch nicht. Der an die verfassungsmäßige Ordnung gebundene (Art. 20 Abs. 3 GG) Gesetzgeber hat die Parallelen zwischen der Zinsbesteuerung und der Spekulationssteuer für Wertpapiere bei den nach dem Zinsurteil von ihm entfalteten Aktivitäten nicht zum Anlass genommen, der gleichheitswidrigen Spekulationsbesteuerung abzuhelfen. Er hat den ihm erteilten Auftrag, den Gleichheitsgrundsatz bei der Zinsbesteuerung innerhalb angemessener Frist, spätestens jedoch mit Wirkung vom 1. Januar 1993, durch hinreichende gesetzliche Vorkehrungen für die Zukunft zu gewährleisten, auf andere Weise als durch eine Änderung des § 30a AO erfüllt. Das Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung vom 9. November 1992 (Zinsabschlaggesetz, BGBl. I 1853) lässt § 30a AO der damals geltenden Fassung unberührt. Dass dies nicht auf eine rechtspolitische Umsetzungsschwäche, sondern auf ein Wahrnehmungsdefizit des Gesetzgebers zurückzuführen war, zeigt dessen rasche Reaktion auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 16. Juli 2002 zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b EStG (BStBl. 2003 II S. 74 ff), über die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. März 2004 (BVerfGE 110 aaO S. 132) berichtet (Art. 1 Nr. 9 des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15. Dezember 2003, BGBl. I 2645, 2646). Das Bundesverfassungsgericht selbst hält es in seiner an das Urteil vom 9. März 2004 anknüpfenden Kammerrechtsprechung für unzulässig, die in dem Zinsurteil gesetzte Übergangsfrist bis zum 1. Januar 1993 auf die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren nach § 23 EStG zu übertragen (vgl. BVerfG WM 2006, 1168, 1169).

    (2) In Rechtsprechung und Literatur wurden aus dem Zinsurteil auch nach dem Ablauf der dem Gesetzgeber gesetzten Frist zur Behebung der Mängel keine Schlüsse gezogen, die den steuerlichen Berater darauf hätten hinlenken müssen, dass mit der Einführung der Zinsabschlagsteuer die vom Bundesverfassungsgericht gerügten Erhebungsdefizite in anderen Zusammenhängen möglicherweise noch nicht beseitigt waren. Der Diskussionsstand um die Verfassungsmäßigkeit des § 30a AO war aus dem Urteil des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs vom 18. Februar 1997 (BFHE 183, 45 ff) abzulesen. Die Diskussion wurde allein um die Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung geführt. Rückschlüsse auf die Verfassungsmäßigkeit der Erhebung von Steuern auf Gewinne aus Veräußerungen von Wertpapieren wurden daraus in Fachkreisen nicht verbreitet abgeleitet (vgl. BVerfG WM 2006, 1166, 1169). Hätte sich die von dem VIII. Senat des Bundesfinanzhofs vertretene einschränkende Auslegung des § 30a AO (BFHE 183 aaO S. 55 ff) oder die Auffassung von der Verfassungswidrigkeit dieser Norm durchgesetzt, wären die eine Ermittlung durch die Finanzbehörden einschränkenden Wirkungen des § 30a AO entfallen. Gerade diese Wirkungen hatten aber in dem Zinsurteil zu der Feststellung eines strukturellen Erhebungsdefizits mit der Folge der Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm geführt (vgl. BVerfGE 84, 239, 278 ff). Die Diskussion deutet also auf den Weg hin, die Verfassungsmäßigkeit der materiellen Steuernorm dadurch zu sichern, dass die Verfahrensnorm gleichheitswahrend angewendet wurde.

    (3) Die später von dem Bundesverfassungsgericht angenommene Parallelität zur Zinsbesteuerung ist bis zur Zustellung des Steuerbescheides vom 7. Januar 2000 auch nicht in einer anderen Weise aufgedeckt worden, die der Beklagte hätte zur Kenntnis nehmen müssen. In der veröffentlichten Rechtsprechung ist seit der Bekanntgabe des Zinsurteils die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgeschäften aus dem Gesichtspunkt eines strukturellen Vollzugsdefizits bis zu dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 23. September 1999, das noch von einer Verfassungsmäßigkeit ausgegangen ist, nicht behandelt worden (vgl. hierzu BFHE 199, 451, 458 f). In der Kommentarliteratur wurde die Thematik lediglich vereinzelt angesprochen. Zwei Kommentierungen bejahten die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen unter Berufung auf das Zinsurteil (Glenk in Blümich/Glenk, EStG KStG GewStG 15. Aufl. 63. Ergänzungslieferung Juni 1999 § 23 EStG Rn. 10; Tipke in Tipke/Kruse, AO 16. Aufl. 84. Ergänzungslieferung April 1998 Rn. 30 aE, 24 aE, 25 aE). Eine weitere Kommentierung äußerte sich andeutungsweise in diese Richtung. Crezelius (in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz 56. Ergänzungslieferung Juni 1995 § 23 Rn. A 70) hat darauf hingewiesen, die dem Anwendungsbereich des § 23 EStG unterfallenden Einkünfte ließen sich relativ leicht verschleiern, wodurch diese Vorschrift regelmäßig leer laufe. Die Konsequenz einer möglichen Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes wird aber nicht ausgesprochen. Die von dem Berufungsgericht zitierte Fundstelle (Crezelius in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, aaO A 23) befasste sich in der damaligen Fassung nur mit verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine unterschiedliche Besteuerung gewerblicher und privater Veräußerungseinkünfte sowie allgemein mit den bestehenden fehlenden staatlichen Kontrollmöglichkeiten aller privaten Veräußerungsgeschäfte. Andere Kommentierungen erwähnten die Problematik nicht (vgl. Schmidt, EStG 18. Aufl. 1999 § 23 Rn. 2) oder haben keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl. Bachem in Bordewin/Brandt, Kommentar zum EStG 153. Ergänzungslieferung April 1996 § 23 Rn. 30).

    In der Aufsatzliteratur wurde eine mögliche Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgeschäften ebenfalls nicht diskutiert. In einer 1991 erschienenen Anmerkung zum Zinsurteil wird das Vollzugsdefizit bei der Versteuerung von Wertpapier-Veräußerungsgewinnen mit nur einem Satz gestreift (Felix, FR 1991, 389, 390). Diese Anmerkung ist zunächst vereinzelt geblieben, repräsentierte nicht die Wahrnehmung in den Fachkreisen (vgl. BFHE 199 aaO S. 460) und hat keine bei der steuerlichen Beratung zu beachtende Diskussion in der Literatur ausgelöst. Erst am 23. Oktober 2000 und damit nach dem für den Streitfall maßgeblichen Zeitraum ist ein Aufsatz, der die Problematik vertiefend behandelt, veröffentlicht worden (Balmes FR 2000, 1069 ff).

    b) Bis zu der Bestandskraft des Steuerbescheides vom 26. Juni 2000 war der Stand der Diskussion in der Literatur unverändert. Zwischenzeitlich war allerdings das mit der Revision angegriffene Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 23. September 1999 veröffentlicht (EFG 2000, 178 ff erschienen am 25. Februar 2000) und in die am 10. April 2000 erschienene Liste der beim Bundesfinanzhof anhängigen Verfahren aufgenommen worden (Beilage Nr. 1/2000 zu BStBl. II S. 93). Diese Veröffentlichungen mussten dem Beklagten aber nicht bekannt sein, weil eine entsprechende Recherchetätigkeit von ihm im Juni 2000 aufgrund der bisher vorliegenden, vorstehend unter a) erörterten Hinweise nicht verlangt werden konnte. Deshalb brauchte er auch die Anhängigkeitsliste nicht durchzusehen. Diese hat den Charakter eines Nachschlagewerkes (Umfang der Beilage 1/2000: 168 Seiten mit durchschnittlich ungefähr zehn Entscheidungen je Seite). Es würde die Pflichten des Steuerberaters überspannen, wenn er bei drohender Unabänderbarkeit eines Steuerbescheides eines seiner Mandanten die Anhängigkeitsdatei jeweils ohne hinreichenden Anlass darauf durchzusehen hätte, ob ein anhängiges Revisionsverfahren den aktuellen Rechtsstand, welcher der Bearbeitung der Steuersache zugrunde liegt, in Frage stellen könnte.

    III.

    Das angefochtene Urteil kann damit nicht bestehen bleiben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und die Sache nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus positiver Vertragsverletzung sind nicht gegeben. Das klagabweisende Urteil des Landgerichts ist wieder herzustellen.

    RechtsgebieteBGB, EStG, AO, GGVorschriftenBGB § 675 Abs. 1, EStG § 23 Abs. 1 Satz 1, AO § 363 Abs. 2 Satz 2, GG Art. 3 Abs. 1

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