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  • · Nachricht · Steuerrecht

    Sichtbarkeit aller Richter bei Videokonferenz

    von Rechtsassessor Dr. Matthias Gehm, Limburgerhof und Speyer

    | Der BFH (30.6.23, V B 13/22) hat entschieden, dass der absolute Revisionsgrund des nicht vorschriftsmäßig besetzten Gerichts gem. § 119 Nr. 1 FGO gegeben ist, wenn während einer Videokonferenz in einer finanzgerichtlichen mündlichen Verhandlung nach § 91a Abs. 1 FGO nicht durchgehend bei der Übertragung alle Richter sichtbar sind. |

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Im Zuge einer NZB machte der Kläger geltend, dass der vorsitzende Richter, der auch die einzige Kamera führte, bei Übertragung der Videokonferenz ca. 2/3 der Verhandlungsdauer allein sichtbar gewesen war. Die Richterbank und der aktuell sprechende Richter sind nie gleichzeitig im Bild gewesen.

     

    Der BFH sieht durch die Kameraführung den absoluten Revisionsgrund nach § 119 Nr. 1 FGO i. V. m. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gegeben, weil der Anspruch des Klägers auf vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts verletzt sei. Denn es muss für die Beteiligten jederzeit feststellbar sein, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen, was deren körperliche und geistige Anwesenheit erfordert. Nur wenn solchermaßen die Richter körperlich und geistig anwesend sind, ist das Gericht unter Berücksichtigung von § 96 Abs. 1 S. 1 FGO vorschriftsmäßig besetzt. Nicht entsprechend anwesend ist ein Richter, der für einen nicht nur unerheblichen Zeitraum der mündlichen Verhandlung einschläft bzw. erst zu spät bei der Verhandlung erscheint oder sich während dieser entfernt (BFH 28.8.86, V R 18/86, BStBl II 86, 908; 17.6.11, XI B 21-22/10, HFR 12, 62). Eine solche Kontrolle ist den Beteiligen jedoch nicht möglich gewesen und somit das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt, wenn sie nicht alle Richter während der Videokonferenz sehen und hören können, weil der Bildausschnitt nur auf einen von ihnen beschränkt ist (BR-Drs. 228/23,49). Dabei dient § 119 Nr. 1 FGO dazu, das Vertrauen der Rechtssuchenden und der Öffentlichkeit in die Sachlichkeit der Gerichte zu sichern (BFH 14.3.19, V B 34/17, BStBl II 19, 489).

     

    Auf die Einhaltung der ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts kann von den Beteiligten nicht wirksam nach § 155 S. 1 FGO i. V. m. § 295 ZPO verzichtet werden, sodass es unerheblich ist, dass der Kläger nicht bereits während der Verhandlung die Kameraführung durch den Vorsitzenden gerügt hat (BFH 5.3.18, X B 44/17, BFH/NV 18, S. 637).

     

    Relevanz für die Praxis

    Um der Vorgabe des BFH gerecht zu werden, wird es sich technisch anbieten, Videokonferenzen durch die simultane Übertragung aus mehreren Kameras durchzuführen, wobei eine stets auf die gesamte Richterbank gerichtet ist. Allerdings steht eher zu befürchten, dass die Gerichte ob dieser strengen Vorgaben geneigt sein werden, keine Videokonferenzen nach § 91a FGO abzuhalten, zumal ihnen ein entsprechendes Ermessen eingeräumt ist (Fu in Schwarz/Pahlke/Keß, FGO, § 91a, Stand: 15.5.14, Rz. 9).

    Quelle: ID 49630153

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