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  • · Fachbeitrag · Kanzleimarketing

    Die Vier-Tage-Woche als Kanzlei-Relaunch

    von WP StB Ingrid Senbert, Münster

    | Viele Kanzleien haben sich seit Beginn der Pandemie so durch das Alltagsgeschäft durchgehangelt. Arbeitsausfälle und lästige zusätzliche Aufgaben (Corona-Hilfen, KuG, Grundsteuer, § 233a AO) haben zu Arbeitsrückständen geführt. Und jetzt soll man gerade die knappe Arbeitszeit verringern? Oder ist die Vier-Tage-Woche die Initialzündung für einen Relaunch der Kanzlei nach den Corona-Jahren, ein bewusstes Zeichen, dass es so wie vor der Pandemie nicht mehr weitergehen kann? |

    Gründe für eine Vier-Tage-Woche

    Die Sicht der Mitarbeitenden

    Erschöpfung hat sich breitgemacht unter den Mitarbeitenden. Die Work-Life-Balance stimmt nicht mehr. Der Wunsch nach einer längeren Erholungszeit durch eine Reduzierung der Arbeitstage auf vier Tage kommt sowohl von den Jungen (dem heiß umkämpften Nachwuchs), er findet sich aber genauso bei den älteren Mitarbeitenden, die ihre Leistungsgrenzen spüren. Ersatz von Pflegedienst oder KiTa, Behördengänge aber auch eine berufsbegleitende Fortbildung geht bei einer Vier-Tage-Woche mit erheblich weniger Urlaub als bei einer längeren Arbeitswoche. Die Konkurrenz, also nicht nur Steuerberater, sondern Unternehmen anderer Branchen, macht sich übrigens schon länger auf den Weg in die Vier-Tage-Woche.

     

    Die Sicht der Kanzleiinhaber/innen

    Was für die Mitarbeitenden gilt, gilt vielfach auch für Kanzleiinhaber/innen: Sie sind erschöpft. Auch sie sehnen sich nach mehr Freizeit am Stück, nach mehr Privatleben. Zwar gibt es hier noch stärker den Wunsch, etwas voranzutreiben, etwas zu bewegen, sich im Beruf selbst zu verwirklichen, aber es ist ein deutlicher Wandel spürbar. Hinzu kommt, dass viele Kanzleiinhaber/innen die Mitte des Lebens bereits passiert haben. Die Kräfte lassen nach und die Perspektiven ändern sich. Die Aufnahme jüngerer Partner/innen in die Kanzlei kommt in den Blick. Der Berufsnachwuchs ist sich bewusst, dass Partnerschaften und Ehen heute anders funktionieren. Also wird auch hier eine neue Work-Life-Balance angestrebt.

     

    FAZIT | Wenn alle sich mehr Freizeit und eine bessere Work-Life-Balance wünschen, dann liegt es auf der Hand, dass beim Kampf um neue Mitarbeitende und um Nachfolger die Kanzlei punkten wird, die diese Work-Life-Balance in Form der Vier-Tage-Woche bieten kann.

     

    Kein Projekt für nebenbei

    Die Neuregelung der Arbeitszeit ist dabei nicht etwas, das man einfach mal irgendwie so schleichend einführt. Mit der Ankündigung „Ab nächstem Monat bleiben alle freitags zu Hause“ und der entsprechenden Änderung der Arbeitsverträge ist es nicht getan. Ganz im Gegenteil. Es handelt sich um ein tiefgreifendes zentrales Projekt, das für einen Relaunch genutzt werden sollte, einen Neustart in eine neue, schönere, sicher auch digitalere Kanzlei. Gute Vorbereitung, Kommunikation und Begleitung sind von zentraler Bedeutung. Nicht nur die Mitarbeitenden sind betroffen, auch für die Mandanten ändert sich mitunter Gravierendes. Bei möglichst vielen Beteiligten, mindestens aber bei allen Kanzleiinhaber/innen und allen „Meinungsführenden“, sollte das Gefühl entstehen: „Das finde ich gut, das will ich mitgestalten!“.

    Was bedeutet die Vier-Tage-Woche eigentlich?

    Die Vier-Tage-Woche bedeutet im Grundmodell, dass die reguläre Vollzeitarbeitszeit von (5 × 8 =) 40 Stunden reduziert wird auf (4 × 8 =) 32 Stunden. Jetzt haben viele Kanzleien schon heute nicht mehr diese starre 40-Stunden-Woche mit gleichmäßig acht Stunden pro Tag. Häufig anzutreffen ist der freie oder verkürzte Freitagnachmittag, ggf. mit anderen längeren Arbeitstagen. Oder die regelmäßige Arbeitszeit ist schon jetzt nicht 40 Stunden. Die Vier-Tage-Woche bedeutet aber immer, dass grundsätzlich an vier Tagen gearbeitet wird, an drei Tagen nicht.

     

    Beachten Sie | Grundsätzlich ist die Vier-Tage-Woche mit einer Reduzierung der Vollzeit-Arbeitszeit auf 32 Wochenstunden verbunden. Vier-Tage-Woche bedeutet nicht, dass an diesen Tagen mehr als vorher gearbeitet wird. Überstunden sind nicht vorgesehen. Es kommt also tatsächlich zu einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit. Die Verkürzung ist mit einem vollen Lohnausgleich verbunden. Das bedeutet, dass sich bei einer Reduzierung von 40 auf 32 Wochenstunden das Gehalt pro Arbeitsstunde um 20 % erhöht.

     

    Das hat eine Reihe von Konsequenzen:

     

    • Für bezahlte Feier- und Krankheitstage bedeutet die Verkürzung, dass sie mehr ins Gewicht fallen. Wenn ein Feiertag bisher mit 20 % der Wochenarbeitszeit zu Buche schlägt, dann sind es bei der Vier-Tage-Woche 25 %. Da kommt schon was zusammen.

     

    • Wie sieht es mit Teilzeitkräften aus? Mittlerweile haben sich die unterschiedlichsten Teilzeitmodelle in den Kanzleien etabliert. Neben einer kürzeren täglichen Arbeitszeit ist die Arbeit nur an zwei oder drei Tagen in der Woche evtl. verbunden mit Homeoffice verbreitet. Es gibt hier keine Generallösung, aber wenn die Vollzeitkräfte durch den Lohnausgleich eine Gehaltserhöhung bekommen, dann kann man die Teilzeitkräfte nicht übersehen. Arbeitszeit- und/oder Gehaltsanpassungen sind erforderlich. Da kommt den Kanzleien entgegen, dass es keinen Tarifvertrag für die Branche gibt und die Gehälter im Einzelfall ausgehandelt werden.

     

    • Die Auszubildenden sind in dem Zusammenhang ebenfalls zu beachten. Es gibt hier kein wirklich großes Problem. Wenn der Schultag auf den arbeitsfreien Tag fällt, werden sie nicht jubeln und als Ausbilder/in muss man schauen, ob und wie man ggf. einen Ausgleich schafft.

     

    • Soll die Vier-Tage-Woche auch für Steuerberater/innen bzw. Kanzleiinhaber/innen gelten, sind weitere Aspekte zu berücksichtigen. In einer kleinen Kanzlei mit nur einem Berufsträger sieht es ganz anders aus als in einer größeren Kanzlei.

     

    • Wenn alle Berufsträger das gleiche Vier-Tage-Modell wahrnehmen, dann stellt sich zwangsläufig die Frage nach den Kanzleiöffnungszeiten bzw. nach der Erreichbarkeit der Kanzlei.

     

    Was ist, wenn nicht alle bei der Vier-Tage-Woche mitmachen wollen? Wenn Mitarbeitende sagen, sie würden gerne länger arbeiten, um mehr Geld zu verdienen, oder wenn sie Pflege, Kinderbetreuung, Haushalt besser mit kürzeren täglichen Arbeitszeiten an fünf Tagen vereinbaren können, dann muss man abwägen, ob man strickt bei der Vier-Tage-Woche für alle bleibt oder ob man Vielfalt zulässt. Es besteht die Gefahr, dass eine ungute Konkurrenz entsteht, wenn Vollzeit für eine Person 32 Stunden und für die andere Person 40 Stunden bedeutet. Ist, wer 40 Stunden arbeiten will, engagierter? Ungleichheit führt leicht zu Neid und Missgunst.

    Welche Wochentage sollen frei sein?

    In den Branchen, in denen inzwischen die Vier-Tage-Woche eingeführt ist, ist der Freitag in der Regel der freie Tag. So entsteht ein langes Wochenende. Gerade die Mandanten, die freitags nicht im eigenen Betrieb tätig sind, nutzen aber den Freitag für das Gespräch beim Steuerberater. Dies trifft besonders auf Handwerker zu, aber ebenso auch z. B. auf Ärzte. Für Bilanzbesprechungen und andere Beratungsgespräche ist der Freitag oft ein wichtiger Tag.

     

    Für ein längeres Wochenende könnte natürlich auch der Montag genutzt werden. Dadurch fallen gleich zwei bezahlte Feiertage weg: Ostermontag und Pfingstmontag. Der Nachteil liegt hier im Arbeitsablauf und im Zusammenwirken mit dem Mandanten. Abgesehen davon, dass es Branchen gibt, deren Geschäfte montags geschlossen sind und die ähnlich wie die „Freitags-freiMandanten“ diesen Tag für den Besuch beim Steuerberater nutzen, kommt hier hinzu, dass über das Wochenende typischerweise viel Post vom FA eintrifft, dass Mandanten über das Wochenende Unterlagen zusammenstellen und übermitteln und dass sie erfahrungsgemäß am Wochenende Ideen und Fragen entwickeln, die sie am liebsten gleich abklären möchten.

     

    Ein anderer aus Steuerberatersicht evtl. besser geeigneter Tag wäre der Donnerstag. In Kombination mit einer im Team abgestimmten Brückentagsurlaubsplanung springen für die Mitarbeitenden besonders lange Wochenenden auch jenseits von Christi Himmelfahrt und Fronleichnam heraus. Als weiterer Effekt wäre die Kanzlei gerade an den für die Mandantentermine wichtigen Freitagen besetzt. Nach einem kompakten Arbeitsblock von drei Tagen bringt der Donnerstag dann schon eine Erholungspause. Der Freitag als alleinstehender, vollständiger Arbeitstag bringt noch mal eine ganz andere Qualität mit sich. Auch wenn er für Mandantentermine genutzt werden kann, ist er doch häufig durch die Möglichkeit, ungestört zu arbeiten, geprägt. Wenn alle da sind, bietet er sich auch für Teambesprechungen an. Eingetroffene Post, andere Informationen und Daten können noch in der gleichen Kalenderwoche verarbeitet werden. Nicht erreicht wird allerdings das Ziel, regelmäßig drei Tage am Stück arbeitsfrei zu haben. Dienstag und Mittwoch haben keine Besonderheiten.

     

    Ob für alle der gleiche Wochentag frei ist und wie Homeoffice-Zeiten eingebaut werden, hängt von den Gegebenheiten in jeder Kanzlei ab. Bei einer größeren Kanzlei wäre eine „Donnerstags-frei-“ und eine „Freitags-frei-Gruppe“ gut vorstellbar. Auch ein Wechsel zwischen Donnerstag und Freitag wäre denkbar. Die beste Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit im Team ist eine lange gemeinsame Arbeitszeit vor Ort. Damit hier aber auch ruhige, ungestörte Arbeit stattfinden kann, bieten sich öffentliche Kalender aller Mitarbeitenden und Inhaber/innen an. Durch Transparenz wird Frust vermieden.

     

    PRAXISTIPP | Die Flexibilität findet dort ihre Grenze, wo Mandanten und die Zusammenarbeit im Team darunter leiden. Mandanten sollten wissen, wann sie ihre Ansprechpartner/innen erreichen können bzw. dass eine E-Mail nicht umgehend beantwortet werden kann, weil Mitarbeitende freihaben.

     

    Die Vier-Tage-Woche als bewusster Neuanfang

    Die Einführung der Vier-Tage-Woche kann als Startschuss für einen Relaunch der Kanzlei dienen. Die Aufbruchsstimmung, die das Projekt in der Kanzlei vermittelt, sollte genutzt werden, um eingetretene Pfade zu verlassen. Hier denke ich vor allem an die konsequente Digitalisierung der Prozesse und an die Zusammenarbeit mit den Mandanten. Die Digitalisierung führt dazu, dass viele Arbeiten überflüssig werden oder in ihrem Umfang deutlich schrumpfen. In den (noch) nicht digitalisierten Abläufen (in der Kanzlei und beim Mandanten) liegt ein Schatz an gebundener Kapazität, den es zu heben gilt. Ebenso gehört die Zusammenarbeit mit den Mandanten auf den Prüfstand: Wer arbeitet mit, wer nicht? Wer ist bereit, mit der Kanzlei neue Wege zu gehen, wer nicht?

     

    Die Vier-Tage-Woche bringt für alle Beteiligten und für die Kanzlei unterschiedliche Vor- und Nachteile. Es stellt sich nicht nur die Frage, ob sie überhaupt eingeführt werden soll, sondern letztlich auch für wen und zu welchen Konditionen. Hier muss man fragen, ob die Entscheidung im Grunde von oben getroffen werden soll oder ob man andere, partizipative Methoden der Entscheidungsfindung nutzen soll. Zu dem Thema haben alle eine Meinung, denn alle sind betroffen. Meinungen zu sammeln, abzuwägen und gemeinsam zu einem Konsens und zu einer Entscheidung zu kommen ‒ hier ist eine gute Gelegenheit dafür. Und vielleicht lässt sich das dann auch auf andere Felder, wie die weitere Digitalisierung, die Abschaffung von Papier, die Organisation der Zusammenarbeit im Büro und im Homeoffice übertragen. Wir müssen mit permanenten Änderungen und Neuerungen leben. Da ist es sehr hilfreich eine Unternehmenskultur zu entwickeln, in der Impulse für Entscheidungen von allen Seiten kommen dürfen und in der Entscheidungen partizipativ zustande kommen. Die Entscheidung über den Einstieg in die Vier-Tage-Woche wäre ein guter Einstieg.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2023 | Seite 133 | ID 49262383

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