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  • · Fachbeitrag · Kanzleientwicklung

    Mission und Vision als Erfolgsfaktoren in der VUKA-Welt

    von Ralf Ecker, Bexbach

    | Wüssten Sie sofort zu sagen, was Ihre Kanzlei so besonders macht? Die hohe fachliche Kompetenz hinter Ihrer Leistung? ‒ Davon geht der Mandant aus, wenn er Sie als Berater mandatiert. Ein krisensicherer Arbeitsplatz für die Mitarbeiter? ‒ Den bieten auch die anderen Kanzleien (noch). Dass Sie trotz einer sich stark wandelnden Umwelt wissen, wo es lang geht und Mandanten und Mitarbeiter mitnehmen können? ‒ So langsam kommen wir der Sache näher. Mit diesem Beitrag möchte ich Sie einladen, über Ihre Mission als Steuerberater/in und die Vision für Ihre Kanzlei nachzudenken ‒ zwei essenzielle Bausteine auf dem Weg zu Ihrer Kanzleistrategie. |

    Was ist eine „VUKA-Welt“?

    VUKA ist ein Akronym und steht für

    • V ‒ volatil und eine Herausforderung Ihres kreativen Verstandes,
    • U ‒ unsicher und eine Herausforderung für Ihren Unternehmergeist,
    • K ‒ komplex und eine Herausforderung für Ihre kognitiven Potenziale,
    • A ‒ anders und damit eine Herausforderung für Ihre Agilität.

     

    VUKA beschreibt eine disruptive Welt, die es verbietet, die Vergangenheit linear in die Zukunft fortzuschreiben. Die VUKA-Welt ist unvorhersehbar (denken Sie an die Covid-19-Pandemie) und langfristig unplanbar in dem Sinne als dass mit zunehmendem Zeithorizont Planungen immer stärker revidiert werden müssen. Flexibel oder „agil“ zu agieren, lautet das Gebot.

     

    Agilität bezeichnet dabei die Fähigkeit, in einer unbeständigen Wettbewerbsumgebung, flexibel, proaktiv antizipativ und initiativ und dadurch erfolgreich und gewinnbringend zu agieren. Agile Organisationen werden eher durch Marktgegebenheiten und Kundenwünsche, als durch zentrale Hierarchien gesteuert. Agilität bezeichnet zudem eine Geisteshaltung, die von den handelnden Menschen gelebt und umgesetzt werden muss. Wesentliche Faktoren, die agile Unternehmen auszeichnen sind Antizipation, Eigenverantwortlichkeit, Flexibilität, Motivation und klar kommunizierte und gelebte Werte der Partner und Mitarbeiter.

     

    Um agil zu agieren, brauchen Sie aber einen Rahmen, eine Spielfeldbegrenzung. Um flexibel auf Hindernisse auf dem Weg zu reagieren, müssen Sie das Ziel kennen. Nur dann können Sie sinnvoll entscheiden, welche Umwege für Sie gangbar sind. Diese Spielfeldbegrenzung bieten Ihnen Mission und Vision. Darüber hinaus wirken Mission und Vision auch für andere sinnstiftend. Mitarbeiter, die „nur“ ihrer Arbeit nachgehen, sind in der Regel weit weniger agil als Mitarbeiter, die einen tiefen Sinn in ihrer Arbeit erkennen und ihren Beruf als bereichernden Bestandteil ihres Lebens (Berufung) wahrnehmen.

    Ihre Berufung ‒ Was ist Ihre Mission?

    Nehmen Sie sich bitte die Zeit, Ihre Gedanken zu Papier zu bringen. Warum nehmen Sie das eigentlich alles auf sich? Warum sind Sie Inhaber einer Steuerkanzlei oder Partner einer Sozietät geworden? Was treibt Sie an, was motiviert Sie? Halten Sie Ihre Antworten so ehrlich und authentisch wie möglich. Der Gedanke alleine hat wenig Kraft. Erst die Emotion dahinter haucht dem Gedanken Leben und Kraft ein. Was ist die Berufung, der Sie folgen?

     

    • Mögliche Antworten auf die Frage „Was treibt Sie an?“
    • Was treibt Sie an?
      • Mich in komplexe Sachverhalte hineinzudenken
      • Lösungen für komplexe Probleme zu finden
      • Sich immer aufs Neue den Anforderungen einer wechselhaften Umwelt zu stellen
      • Prozesse zu strukturieren
      • Menschen bei deren Problemen zu helfen
      • Die Rechte der Menschen gegenüber der staatlichen Verwaltung zu stärken
      • Mit Menschen eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten
      • Menschen anzuleiten und zu führen
      • Die soziale Anerkennung als Freiberufler
      • Als Arbeitgeber sichere Arbeitsplätze bieten zu können
      • Jedes Jahr 120 % mehr Umsatz zu machen
      • Die Zuversicht, in einer krisensicheren Branche zu arbeiten
     

    Ein paar Gedanken für die Beantwortung

    Viel zu lange wurde von den Wirtschaftswissenschaften der Homo oeconomicus zum Leitbild. Der Homo oeconomicus ist aber ungeeignet, die Komplexität menschlichen, wirtschaftlichen Handelns modellmäßig abzubilden, weil die Prämissen (Nutzen- bzw. Gewinnoptimierung, strikte Zweckrationalität, vollkommene Information etc.) jegliche Realität, in der Menschen nun mal handeln, wegdefiniert, damit die mathematische Modellierung einfacher wird. Menschliches (wirtschaftliches) Handeln ist aber nicht nur ein Erkenntnisgegenstand der Wirtschaftswissenschaften. Auch außerhalb der Wirtschaftswissenschaften wird es untersucht und es werden Modelle entwickelt, um es zu verstehen. Ein solches sind z. B. die Bedürfniskategorien von Maslow:

     

    • Selbstverwirklichung
    • Individualbedürfnisse
    • Soziale Bedürfnisse
    • Sicherheitsbedürfnisse
    • Physiologische Bedürfnisse

     

    Maslow selbst ging noch von einer starren Hierarchie aus („niedrigere“ Bedürfnisse müssen vor den „höheren“ erfüllt werden, daher auch die Bezeichnung als „Bedürfnispyramide“) und von einer klaren Abgrenzung dieser Bedürfniskategorien untereinander. Inzwischen wurden beide Annahmen empirisch widerlegt. Aber als heuristisches Instrument, um Einblicke und Ideen zu generieren und zu ordnen, leisten die Kategorien immer noch eine gute Hilfe und das ist ja genau das Ziel dieser Übung.

     

    Im Einklang mit den Bedürfnissen leben

    Ein Mensch, der sich seiner Bedürfnisstruktur bewusst ist und der seinen Beruf so wählt und seine Tätigkeiten so ausfüllt, dass seine Bedürfnisse weitestgehend erfüllt werden und diese auch im Einklang zueinander stehen, der erledigt nicht nur einen Job. Dieser Mensch erfüllt zumindest eine Aufgabe, die ihm Zufriedenheit verleiht. Eventuell folgt er gar seiner Berufung und findet in seiner Tätigkeit seine Mission, mit der er seine Welt und auch die Welt derjenigen, mit denen er in Kontakt steht, ein klein wenig besser macht! Er hat sein Ding gefunden und kann sich in dem, was er tut, auch als Mensch und Persönlichkeit verwirklichen!

     

    Andere begeistern

    Menschen, die ihrer Mission folgen, strahlen dies häufig auch aus. Sie wirken agil, meist auch charismatisch und haben spürbar eine andere Energie als Menschen, die nur ihre Aufgaben erledigen. Menschen, die ihrer Mission folgen, agieren aus einer tiefen Überzeugung heraus. Lassen Sie andere an Ihrer Begeisterung teilhaben, ohne diese jedoch zu überfordern und zu missionieren. Lassen Sie den Menschen den notwendigen Raum und akzeptieren Sie bitte auch, dass nicht jeder Ihre Mission teilt. Seien Sie einfach authentisch und gehen Sie voraus. Ihre Mitarbeiter und Ihre Mandanten werden dies spüren, was deren Bindung an Sie und Ihre Kanzlei signifikant erhöhen sollte. Kanzleien, die einer Mission folgen, wird die VUKA-Welt eine Menge Gelegenheiten schenken, die die Kollegen, die sich an die Sicherheit der alten Welt klammern, nicht erkennen werden!

     

    Ihr Ergebnis ‒ Das Mission-Statement

    Gießen Sie das Ergebnis in eine prägnante Formel: das Mission Statement. Welche Daseinsberechtigung hat Ihre Kanzlei? Welche Werte schafft die Kanzlei für Mandanten und die in ihr Arbeitenden?

     

    • Beispiel: Das Mission-Statement von Wikipedia

    Eine Welt, in der jeder einzelne Mensch freien Zugang zu der Summe menschlichen Wissens hat („A world in which every single person is given free access to the sum of all human knowledge“).

     

    Was ist Ihre Vision?

    Wo möchten Sie in einem Jahr, in fünf Jahren, in zehn Jahren stehen? Welche Strategien und Werte möchten Sie mit Ihrer Vision transportieren? Wir überschätzen häufig, was wir in einem Jahr erreichen und unterschätzen häufig, was wir in fünf Jahren erreichen können! Die VUKA-Welt ist keine Welt der Planwirtschaft. Einen Fünf-Jahres-Plan wird sie mit ihren Unwägbarkeiten höchstwahrscheinlich ad absurdum führen. Die VUKA-Welt ist die Spielwiese der agilen Organisationen, eine Welt für kreative Visionäre und Menschen mit Unternehmergeist, die bereit sind, ihre Zukunftsgestaltung proaktiv in die Hand zu nehmen. Sie werden höchstwahrscheinlich weder Ihren Umsatz in fünf Jahren prognostizieren können noch genau wissen, mit welchen Mitarbeitern und Mandanten Sie diesen erreichen.

     

    • Mit der „Disney-Technik“ zu einer Vision für die Kanzlei

    Die Disney-Strategie ist eine Methode, die auf den amerikanischen Autoren, Trainer und NLP Experten Robert Dilts zurückgeht. Sie ist eine Kreativitätstechnik, die sich sehr gut dazu eignet, langfristige Visionen zu entwickeln. In drei voneinander getrennten Räumen wird der Fokus von der Ideenfindung zur Machbarkeit verschoben. Dabei kann es sich wirklich um Räume oder auch um aufeinander folgende Phasen handeln. Die Teilnehmer können in jedem Raum dieselben oder es können verschiedene Teilnehmer sein.

     

    • Raum 1 ‒ Träumer: In diesem Raum entwickeln die Teilnehmer Szenarien und Strategien der Zukunft. Bewertungen, Mutmaßungen über die Machbarkeit haben hier keinen Platz.

     

    • Raum 2 ‒ Realisten: In diesem Raum werden die Träume auf Machbarkeit überprüft. Jetzt schlägt die Stunde der Realisten und kühlen Rechner.

     

    • Raum 3 ‒ Kritiker: Jetzt schlägt die Stunde des Advocatus Diaboli. Jetzt wird den Träumen schonungslos auf den Zahn gefühlt.

     

    Einmal im Monat sollten Sie danach ein kurzes Visions-Jour fixe von einer Stunde ansetzen und die drei Phasen noch einmal gemeinsam durchlaufen, um die Vision zu verfeinern und zu implementieren. Die Disney-Strategie geht sehr viel weiter als reines Brainstorming, da etwa 2/3 der Zeit und Energie in die Realisierung und Aussortierung gesteckt werden.

     

    Auch die Vision können Sie in einem entsprechenden Vision-Statement formulieren.

     

    • Beispiel: Das Vision-Statement von Amazon

    Unsere Vision ist es, das kundenzentrierteste Unternehmen der Welt zu sein, in dem Kunden alles finden und entdecken können, was sie online kaufen möchten. (“Our vision is to be earth’s most customer-centric company, where customers can find and discover anything they might want to buy online.”)

     

    Und wie geht‘s weiter?

    Kommunizieren Sie Mission und Vision! Beziehen Sie Ihre Mitarbeiter und Mandanten darin ein. Was fehlt der Welt, wenn es Ihre Kanzlei nicht mehr gibt? Sie finden die Frage zu großspurig oder zu übertrieben? Warum eigentlich? Es gibt auf der Welt keine zweite Kanzlei, die so ist wie die Ihre! Klar, dass die anderen auch deklarieren, Löhne berechnen, über Spezialwissen verfügen, BWA Beratungen und Gestaltungen machen. Und doch ist Ihre Kanzlei (Sie und Ihr Team) einzigartig!

     

    • Machen Sie sich das bewusst!
    • Machen Sie es Ihren Mitarbeitern bewusst!
    • Machen Sie es Ihren Mandanten bewusst!
    Quelle: Ausgabe 08 / 2021 | Seite 146 | ID 47071048