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  • · Fachbeitrag · Haftungsrisiken vermeiden

    Berufsverband bildet Fachexperten für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung aus

    von RA Hans-Günther Gilgan, Münster

    | Der Steuerberaterverband (StBV) Westfalen-Lippe hat in einem fünftägigen Lehrgang die ersten Versicherungsvermittler zu „Fachexperten für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten (Fachexperten VH SWR)“ ausgebildet. Durch den Lehrgang werden die Versicherungsvermittler für die Probleme des Berufs sensibilisiert. Zugleich wird es ihnen dadurch erleichtert, in qualifizierte Beratungsgespräche mit den Berufsangehörigen einzutreten. |

    Hintergrund des Lehrgangs und Ausgangsüberlegungen

    Der Steuerberaterverband ist als zertifizierte Berufsorganisation zur Bewertung seiner Kooperationspartner verpflichtet. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Qualität der Beratung seiner Mitglieder durch die im Bereich der Berufshaftpflichtversicherung für den Gruppenvertragspartner HDI tätigen Versicherungsvermittler, aber auch der ansonsten tätigen Versicherungsvermittler (Makler und Versicherungsvertreter) zu bewerten. Damit sollen die Berufsangehörigen vor vermeidbaren Haftungsrisiken geschützt werden, die sich, auch für die Erben, insbesondere durch eine nicht angemessene Versicherungssumme ergeben können (s. auch „Keine Beratung ohne Haftpflicht - Zur Bedeutung der ‚angemessenen‘ Versicherungssumme“ in KP 12, 195).

     

    Ausgangspunkt für die Überlegungen und den Qualifizierungslehrgang sind die „Beratungs- und Dokumentationspflichten“ nach § 61 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Danach treffen den Versicherungsvermittler folgende vier Pflichten:

     

    • Befragungspflicht
    • Beratungspflicht
    • Begründungspflicht
    • Dokumentationspflicht

     

    Insgesamt sollte sich eine optimale Beratung aus vier Phasen zusammensetzen.

    Phase 1: Befragungspflicht

    Zunächst muss der Versicherungsnehmer vom Versicherer über seine Bedürfnisse, Wünsche und persönlichen Verhältnisse befragt werden. § 61 Abs. 1 VVG fordert, die Wünsche des Kunden zu erfragen und zu dokumentieren. Wünsche sind

    • subjektive Begehren, Forderungen oder Ziele, die mit der (Versicherungs-)Realität nicht zwangsläufig übereinstimmen sowie
    • Neigungen zu etwas.

     

    Bezogen auf die Versicherungsberatung geht es um Wünsche und Neigungen des Kunden zum potenziellen Vertrag; darüber hinaus - und dies wohl nur bei unabhängigen Vermittlern - zum bestehenden Vertrag sowie zum Versicherer.

     

    Nach § 42c Abs. 1 VVG sind auch die Bedürfnisse des Kunden zu ermitteln. Bedürfnisse sind der tatsächliche und neutral ermittelte Bedarf. Der Bedarf wiederum bezeichnet die objektiven Risiko-Gegebenheiten, d.h. die zur Beantwortung der Frage „Welche Versicherung/en bzw. Deckung braucht der Kunde?“ mittels Bedarfsanalyse/-exploration ermittelten Risiko-Daten. Der Bedarf folgt dem Anlass. Es sind also nur Risiko-Verhältnisse entsprechend dem Anlass zu ermitteln.

     

    Hinweis | Die Befragungspflicht sollte sich nach Auffassung des StBV auf Kanzlei-Daten, Personalangaben, Mandanten, Tätigkeiten und Organisation erstrecken.

    Phase 2: Rat zum Abschluss eines Versicherungsvertrags

    Die Pflicht zur Beratung ist in § 6 VVG niedergelegt. Hiernach trifft den Versicherer die Pflicht, den Versicherungsnehmer vor Vertragsabschlusszu beraten und ihm den erteilten Rat und die Gründe hierfür vor Vertragsabschlussin Textform zu übermitteln. Dadurch soll im Interesse des Versicherungsnehmers sichergestellt werden, dass dieser einen an seinen Wünschen und Bedürfnissen optimal orientierten Versicherungsschutz erhält. Grundlage des Rats sind die zuvor erhobenen Daten (Risiko-Analyse). Die Beratung kann unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und den vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien erfolgen.

     

    Hinweis | Die Beratungspflicht besteht nicht nur für die Vermittler selbst, sondern auch für deren Angestellte. Der Vermittler erfüllt auf diese Weise gleichzeitig die Beratungspflicht des Versicherers.

     

    Nach dem Gesetz hat die Beratungspflicht allerdings nur einmal stattzufinden, nämlich vor Vertragsschluss. Innerhalb der Vertragslaufzeit kann die Beratungspflicht zwar erneut zum Tragen kommen - allerdings nur, wenn der Versicherungsnehmer z.B. eine mögliche Veränderung seiner Risiko-Lage ausdrücklich zu erkennen gibt. Darüber hinaus hält es der StBV aber für notwendig, dass der Versicherungsvermittler den Steuerberater von sich aus in regelmäßigen Abständen kontaktiert und eine Risiko-Überprüfung des Versicherungsschutzes anregt. Die Verhältnisse in den Praxen ändern sich nämlich im Lauf der Zeit häufig erheblich. Hierauf ist besonderes Augenmerk zu legen, weil der Steuerberater dies in der Hektik des Alltags oft nicht bedenkt.

     

    Der Rat muss prinzipiell drei Punkte berücksichtigen:

     

    • Die Beratung an sich
    • Den - potenziellen oder bestehenden - Vertrag
    • Den Versicherer (bei Maklern)

    Phase 3: Begründungspflicht

    Die Gründe sind für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. So soll sichergestellt werden, dass der Versicherungsnehmer nochmals überprüfen kann, ob das angebotene Versicherungsprodukt seinen persönlichen Bedürfnissen gerecht wird.

    Phase 4: Dokumentationspflicht

    Der gesamte Verlauf des Beratungsgesprächs ist in einem Beratungsprotokoll schriftlich zu fixieren und dem Versicherungsnehmer auszuhändigen. Hierbei ist umstritten, ob das Beratungsprotokoll unterschrieben werden muss. Aus Beweisgründen sollte ein Versicherungsnehmer jedoch darauf bestehen, dass das Beratungsprotokoll von beiden Seiten (Versicherer und Versicherungsnehmer) unterschrieben wird. Werden die Pflichten zur Beratung vom Versicherer schuldhaft verletzt, ist er dem Versicherungsnehmer nach Maßgabe von § 6 Abs. 5 VVG zum Schadenersatz verpflichtet. Rat und Begründung sind unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 VVG zu dokumentieren. Grundsätzlich muss die Beratung als solche dokumentiert werden. Folglich ist wesentlich, worüber der Kunde beraten wurde. Weiterhin muss ein Dritter die Beratung schlüssig nachvollziehen können. Zu dokumentieren sind im Einzelnen:

     

    • Der Anlass für die Beratung
    • Der Beratungs-/Dokumentationsverzicht
    • Der Verzicht des Kunden auf Mitteilung der Beratungsgrundlage
    • Die Wünsche des Kunden
    • Die Bedürfnisse des Kunden
    • Der Rat des Vermittlers

     

    Beratungs-/Dokumentationsverzicht

    Der Kunde hat nach § 61 Abs. 2 VVG die Möglichkeit, auf eine Beratung oder eine Dokumentation zu verzichten. Jedoch muss er schriftlich und separat auf einen möglichen Verlust seines Anspruchs auf Schadenersatz nach § 63 VVG hingewiesen werden. Es ist deshalb fraglich, ob ein Kunde in der Praxis eine solche Verzichtserklärung unterzeichnen wird.

     

    Verzicht des Kunden auf Mitteilung der Beratungsgrundlage

    Nach § 60 Abs. 3 VVG kann der Kunde in einem gesonderten Dokument auf die Bekanntgabe der Beratungsgrundlage verzichten. Die Erklärung sollte beinhalten:

     

    • Name und Vorname des/der Kunden
    • Verzicht auf Mitteilung der Beratungsgrundlage
    • Gründe für den Verzicht
    • Ort und Datum
    • Unterschrift des/der Kunden

     

    Hinweis | Der Verzicht auf die Mitteilung der Beratungsgrundlage sollte ein vorsichtig eingesetztes Instrument sein. Der Verband erwartet von den zertifizierten Versicherungsvermittlern, dass sie den Beratungs- und Dokumentationsverzicht nur auf Wunsch der Berufsangehörigen akzeptieren und selbst auf einen entsprechenden Vorschlag verzichten.

    Inhalte der Beratung

    Während nach VVG eine Beratung lediglich vor Vertragsschluss erforderlich ist und eine Beratung nach Vertragsschluss nur auf Wunsch des Berufsangehörigen erfolgen muss, sind die zertifizierten Versicherungsvermittler auch nach Vertragsschluss verpflichtet, die Risiko-Situation in den von ihnen betreuten Kanzleien in regelmäßig stattfindenden „Jahresgesprächen“ zu überwachen. Der StBV hat in der nachstehenden Checkliste definiert, welche Bestandteile die Beratung in jedem Fall umfassen muss.

     

    Checkliste / Pflichtbestandteile der Beratung

    Prüfparameter
    Folgen/Auswirkungen auf

    Kanzleistruktur

    Rechtsform

    Versicherungssumme

    Interprofessionalität

    Versicherungssumme

    Außenauftritt

    Homepage

    Dienstleistungsangebot, Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), Kooperationen, Haftungsausschlüsse

    Geschäftsbogen

    Scheinsozietät, Kooperationen

    Visitenkarte

    Berufsbezeichnungen, Kooperationen, Dienstleistungsangebot

    Kanzlei-Broschüre

    Dienstleistungsangebot, RDG

    Leistungskataloge

    Dienstleistungsangebot, RDG, Kooperationen, Haftungsausschlüsse

    Personalstruktur

    Anzahl Personen

    Überwachungsverschulden/Beachtung berufsrechtlicher Vorgaben

    Qualifikationen

    Beratungsfehler

    Fortbildungsnachweise

    Beratungsfehler

    Auszubildende

    Auswahl-/Überwachungsverschulden

    Angestellte Steuerberater, freie Mitarbeiter

    Mitversicherung

    Mandatsstruktur

    Branchen

    Steuerstrafrechtliche Haftung des Steuerberaters, Spezialkenntnisse, Deckungssummen

    Rechtsformen

    Umfang der Beratungspflichten bei Kapitalgesellschaften, Höhe der 
Deckungssummen

    National/international

    Deckung Auslandsrisiko, Höhe der Deckungssummen

    Dienstleistungsangebot

    Vorbehaltsaufgaben

    Verstoß gegen RDG (z.B. Vertragsgestaltung), allgemeine Rechtsberatung

    Vereinbare Tätigkeiten

    (Zusätzlicher) Versicherungsschutz, z.B. für Insolvenzverwalter, 
Testamentsvollstrecker, Treuhänder etc.

    Unvereinbare Tätigkeiten

    Kein Versicherungsschutz, persönliche Haftung, z.B. bei gewerblicher Tätigkeit

    Organisation

    Auftrag/Allgemeine 
Auftragsbedingungen (AAB)

    Abwehr von Schadenersatzansprüchen, Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von gerichtlichen Auseinandersetzungen

    Auftragsannahme

    Befugnis

    Vollständigkeitserklärungen

    Haftungsbegründende Kausalität für Schadenersatzsprüche

    Vollmachten

    Legitimation gegenüber Dritten, Datenschutz

    Gesprächsnotizen, Aktenvermerke

    Sachverhaltsermittlung, Nachweis von Beratung

    Mandanteninformationen

    Erfüllung von Beratungspflichten

    Fristenkontrolle

    Haftung für Übersehen/Vergessen

    Zertifizierung

    Rabatte auf Standardprämie

    Stellenbeschreibungen

    Haftung für Mitarbeiter

    Vertretungsregeln

    Verantwortliche Kanzlei-Führung

    Zuständigkeitsmatrix

    Haftung für Mitarbeiter

     

    Ablauf und Abschluss des Lehrgangs

    Der Qualifizierungslehrgang umfasst fünf Tage und erstreckt sich u.a. auf folgende Inhalte:

     

    • Aufgaben- und Kompetenzprofil des Versicherungsvermittlers
    • Bedarfsanalyse
    • Status quo im steuerberatenden Beruf
    • Vorbehaltsaufgaben
    • Vereinbare Tätigkeiten
    • Haftungsgrundlagen beim Steuerberater
      • Vertragliche Haftung
      • Deliktische Haftung
    • Haftung, Haftungsbegrenzung
      • Dritthaftung
      • AAB/Individualvereinbarung
      • Haftungskonzentration
      • Haftungsbegrenzung
    • Angemessenheit der Versicherungssumme
      • Kriterien
      • Tatsächliche Versicherungssummen
      • Deckung zum Verstoßzeitpunkt
      • Rechtsfolgen nicht angemessener Versicherung
    • Versicherungsbedingungen

     

    Der Lehrgang schließt mit der Erteilung eines Zertifikats ab, das den Vermittler den Verbandsmitgliedern gegenüber als „Fachexperten für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten“ ausweist. Den Sachkundenachweis können Makler und gebundene Versicherungsvermittler anderer Versicherer erwerben. Zur Fortführung der Fachexpertenbezeichnung ist es erforderlich, jährlich eine Pflichtfortbildung über zehn Stunden nachzuweisen. Neben einer „Fachexpertenordnung“, die die Ausbildung und die Befugnis zur Titel(fort)führung regelt, gibt es einen Ehrenkodex, durch den die Anwendung des Beratungswissens in der Praxis gewährleistet werden soll.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2013 | Seite 157 | ID 40317300

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