· Heilberufe
Ärztlicher Notfalldienst: Auch vertretungsweise Übernahme gegen Entgelt ist umsatzsteuerfrei

von Dipl.-Finw. (FH) Gerrit Uphues, LL. M., Köln
| Die Abgrenzung zwischen umsatzsteuerfreien Heilbehandlungen und steuerpflichtigen ärztlichen Leistungen zählt seit jeher zu den äußerst praxisrelevanten Streitfragen im Umsatzsteuerrecht. Besonders in Konstellationen, in denen Ärzte außerhalb der klassischen Behandlungssituation tätig werden, stellt sich die Frage, ob ihre Leistungen noch dem Bereich der Heilbehandlungen i. S. d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG zuzuordnen sind. Der BFH hatte jüngst zu klären, ob die vertretungsweise Übernahme ärztlicher Notfalldienste umsatzsteuerfrei ist ‒ was das Gericht erfreulicherweise bestätigt hat (BFH 14.5.25, XI R 24/23, Abruf-Nr. 249292 ). |
Sachverhalt
A ist selbstständiger Arzt in der Allgemeinmedizin. In den Jahren 2012 bis 2016 (Streitjahre) übernahm A, der mit der örtlich zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eine Vereinbarung über die freiwillige Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst abgeschlossen hatte, als Vertreter für andere eingeteilte Ärzte eigenverantwortlich notfallärztliche „Sitz- und Fahrdienste“. Gegenüber den vertretenen Ärzten rechnete A nach Stunden ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis und ohne Hinweis auf eine Steuerbefreiung ab.
Daneben führte A in den Streitjahren für die Polizeibehörde auch Blutentnahmen durch und fertigte hierüber jeweils einen einseitigen ärztlichen Bericht nach einem vorgegebenen Ankreuzbogen an. Die Liquidation für die Blutentnahmen erfolgte gegenüber der zuständigen Landeskasse ‒ auch hier ohne gesonderten USt-Ausweis. A ging davon aus, ausschließlich steuerfreie Umsätze auszuführen, und gab für die Streitjahre keine USt-Erklärungen ab.
Nach einer Außenprüfung nahm das FA u. a. an, dass die Übernahme des Notfalldienstes als Vertreter getrennt von der im Notfalldienst ausgeübten Heilbehandlung zu würdigen sei. A erbringe gegenüber dem eingeteilten Arzt, dessen Notfalldienst er gegen Entgelt übernehme, eine sonstige Leistung, die kein therapeutisches Ziel habe. In den Streitjahren seien die hieraus erzielten Einnahmen ‒ entgegen der bisherigen Handhabung ‒ dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Dasselbe müsse hinsichtlich der für die Polizeibehörde durchgeführten Blutentnahmen gelten. Das FG wies die Klage, mit der A sich auf die Steuerbefreiung seiner Umsätze als Heilbehandlungen berief, ab (EFG 23, 1257). Der BFH sah die Sache jedoch anders.
Entscheidungsgründe
Nach Ansicht des BFH ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Übernahme der Vertretung im ärztlichen Notfalldienst steuerpflichtig sei. Dagegen seien die vom A durchgeführten Blutentnahmen für die Polizeibehörde nicht von der Umsatzsteuer befreit. A kann aber hinsichtlich der Streitjahre 2014 bis 2016 die Anwendung der Kleinunternehmerregelung i. S. d. § 19 UStG a. F. beanspruchen, auf deren Anwendung er nicht verzichtet hat.
MERKE | Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden“, steuerfrei. Die Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL, wonach Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, steuerfrei sind. Der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin umfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen, und demnach einen therapeutischen Zweck haben (vgl. z. B. EuGH 20.11.03, C-212/01). |
Beachten Sie | Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden.
Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind indes ärztliche Leistungen, Maßnahmen oder medizinische Eingriffe, die zu anderen als derartigen therapeutischen Zwecken erfolgen (vgl. z. B. EuGH 24.11.22, C458/21; BFH 2.8.18, V R 37/17).
Dienen Leistungen einem therapeutischen Zweck, steht der Steuerbefreiung nicht entgegen, wenn sie umsatzsteuerlich nicht gegenüber Patienten oder Krankenkassen erbracht werden. Für die Steuerfreiheit kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogene Voraussetzung der Steuerfreiheit auf den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss (siehe BFH 18.3.15, XI R 15/11, BStBl II 15, 1058, Rz. 19).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kam der BFH zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Übernahme der ärztlichen Notfalldienste durch den A als Vertreter der zunächst eingeteilten Ärzte um umsatzsteuerfreie Heilbehandlungsleistungen im Bereich der Humanmedizin im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG handelt.
Das FG hatte den vorliegenden Sachverhalt dahin gehend gewürdigt, dass es sich bei den Zahlungen, die der A von den durch ihn vertretenen Ärzten erhielt, um ein Entgelt dafür gehandelt habe, dass der A diese Ärzte von ihrer Verpflichtung, einen ärztlichen Notfalldienst während eines festgelegten Zeitraums erbringen zu müssen, freistellte. Nach der Würdigung des FG wollten sich die vom A vertretenen Ärzte den in der Freistellung von sämtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem ihnen zugeteilten Notfalldienst liegenden Vorteil verschaffen. Hierbei hat das FG nach Ansicht des BFH jedoch nicht bedacht, dass der A die zum Notfalldienst eingeteilten Ärzte nur deshalb durch die Übernahme des Dienstes freistellen konnte, weil er dann selbst den ärztlichen Notfalldienst ausführte.
Die vertretungsweise Übernahme der Notfalldienste gewährleistete eine zeitnahe Behandlung von Notfallpatienten im jeweiligen Einsatzgebiet. Die Bereitschaft, jederzeit und unmittelbar privat- und kassenärztliche Leistungen in Notfällen zu Zeiten zu erbringen, zu denen eine haus- oder fachärztliche Versorgung nicht stattfindet, dient an sich einem therapeutischen Zweck, da der Arzt sich während des Bereitschaftsdienstes bereithält, um gesundheitliche Gefahrensituationen bei Notfallpatienten zu erkennen, gegebenenfalls sofort entsprechende Maßnahmen einzuleiten und damit einen größtmöglichen Erfolg einer (späteren) Behandlung in einer Klinik, bei einem Fach- oder Hausarzt sicherzustellen (vgl. BFH 2.8.18, V R 37/17, BFHE 263, 63, Rz. 17; s. a. FG Niedersachsen 23.1.20, 11 K 186/19, EFG 2020, 561).
Danach waren im Urteilsfall nur die übrigen, im Revisionsverfahren nicht mehr im Streit stehenden Umsätze des A aus Blutentnahmen für die Polizeibehörde steuerbar und steuerpflichtig, da diese Leistungen nicht ihrem Hauptzweck nach therapeutischen Zwecken dienten, sondern der Beweiserhebung im Zusammenhang mit einem strafrechtlich oder öffentlich-rechtlich geführten Verfahren.
Relevanz für die Praxis
Mit dem Besprechungsurteil stellt der BFH fest, dass die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfalldienste durch einen Arzt unabhängig davon, wem gegenüber diese sonstige Leistung erbracht wird, als Heilbehandlung i. S. d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei ist. Die Entscheidung des BFH verdeutlicht, dass die umsatzsteuerliche Einordnung ärztlicher Leistungen vom Zweck der Tätigkeit abhängt. Während Heilbehandlungen im Sinne von Diagnose, Behandlung oder Prävention steuerfrei bleiben, führt das Erbringen von Leistungen ohne therapeutischen Zweck regelmäßig zur Steuerpflicht. Gerade in atypischen Konstellationen ‒ wie der Übernahme ärztlicher Notfalldienste oder medizinischer Maßnahmen für Behörden ‒ ist daher eine sorgfältige Prüfung erforderlich.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Ärzte und ihre steuerlichen Berater die steuerliche Behandlung einzelner Tätigkeiten genau differenzieren müssen. Besonders wichtig ist die Dokumentation des therapeutischen Zwecks, um die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG abzusichern.
Zum Autor | Gerrit Uphues ist in der Finanzverwaltung NRW tätig. Der Aufsatz wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst und gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.