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  • · Fachbeitrag · Erbschaftsteuer

    Schätzungsbescheid gegen unbekannte Erben zulässig und an Nachlasspfleger bekannt zu geben

    von WP StB Dipl.-Kfm. Gerrit Grewe, Berlin

    | Auch unbekannte Erben können zur Erbschaftsteuer herangezogen werden, wie der BFH jüngst klargestellt hat. Zumindest dann, wenn ausreichend Zeit bestand, die wahren Erben zu ermitteln, dies aber nicht gelungen ist (BFH 17.6.20, II R 40/17, Abruf-Nr. 218309 ). Für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall in der Regel angemessen. Jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren und fünf Monaten ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen nicht zu beanstanden, ErbSt gegen unbekannte Erben festzusetzen. |

     

    Sachverhalt

    Die Kläger K sind die Erben des am 27.2.14 verstorbenen Erblassers E. Der Erbschein wurde am 21.12.17 erteilt. Da die Erben zunächst nicht ermittelbar waren, wurde am 5.6.14 Nachlasspfleger N bestellt, der die ErbSt-Erklärung erstellte. Das FA setzte am 27.4.15 gegenüber den „unbekannten Erben“ des E die ErbSt wie folgt fest:

     

    • Vorläufig (§ 165 AO): Anzahl der Erben, Erbteile, persönliche Freibeträge und Steuerklasse
    • Im Wege der Schätzung: Anzahl der Erben (30 Personen), Steuerklasse III, Erbquoten jeweils zu gleichen Teilen.

     

    Der Bescheid wurde dem N bekannt gegeben. N legte Einspruch ein, da die Festsetzung gegen unbekannte Erben und eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht zulässig sei. Ferner habe er nicht genügend Zeit zur Erbenermittlung gehabt. Das FA wies den Einspruch ab. Das FG Düsseldorf (9.8.17, 4 K 442/16, EFG 17, 1525) folgte dem FA.

     

    Entscheidungsgründe

    Die ErbSt durfte gegenüber den unbekannten Erben im Wege der Schätzung festgesetzt werden. Gemäß § 31 Abs. 6 ErbStG ist ein Nachlasspfleger zur Abgabe der ErbSt-Erklärung verpflichtet. Nach § 32 Abs. 2 S. 1 ErbStG ist der ErbSt-Bescheid dem Nachlasspfleger bekannt zu geben. Diese Regelungen gelten nicht nur, wenn die Erben bereits bekannt sind, die Nachlasspflegschaft aber noch nicht aufgehoben worden ist (BFH 30.3.82, VIII R 227/80, BStBl II 82, 687), oder wenn die Annahme der Erbschaft noch nicht erfolgt oder ungewiss ist. Der Gesetzgeber wollte die ErbSt-Festsetzung vielmehr während der gesamten Dauer der Nachlasspflegschaft auch gegenüber unbekannten Erben als Inhaltsadressaten ermöglichen (BT-Drs VI/3418, S. 76; BFH 21.12.04, II B 110/04, BFH/NV 05, 704). Dass das FA nach § 32 Abs. 1 S. 3 ErbStG aus dem Nachlass Sicherheit verlangen kann, steht dem nicht entgegen.

     

    Beachten Sie | Die Rechtsfigur des unbekannten Erben ist keine Erbengemeinschaft, d. h. keine Mehrheit von Steuerschuldnern, sondern ein abstraktes Subjekt, dem der Gesetzgeber die Qualität eines Steuerschuldners beimisst (BFH 21.12.04, II B 110/04, BFH/NV 05, 704). Der Erlass nur eines Bescheids gegen dieses Subjekt missachtet daher nicht den Grundsatz, dass jeder Erwerber nur die Steuer für seinen Erwerb schuldet (§ 10 Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 1 S. 1 ErbStG).

     

    Sind die Erben noch nicht ermittelt und benannt, sind die Besteuerungsgrundlagen der ErbSt gemäß § 162 Abs. 1 S. 1 AO zu schätzen. Hierzu gehören die Anzahl der Erben, die jeweilige Erbquote, die Einteilung der Erben in Steuerklassen und die Bestimmung der persönlichen Freibeträge (BFH 21.12.04, II B 110/04, BFH/NV 05, 704). Bevor geschätzt wird, muss der Nachlasspfleger genügend Zeit zur Erbenermittlung gehabt haben, wobei besondere Schwierigkeiten bei der Erbenermittlung (z. B. genealogische Recherchen) den Zeitraum verlängern können. Nach mehr als einem Jahr seit dem Tod des Erblassers ist das FA regelmäßig befugt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn die Erben nicht ermittelt und dem FA benannt wurden (Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 32 ErbStG, Rz. 15).

     

    Im Streitfall fand die mündliche Verhandlung vor dem FG ca. drei Jahre und fünf Monate nach dem Tod des E statt. Nach diesem Zeitraum ist es auch in besonders schwierigen Fällen angemessen, ErbSt ohne Kenntnis der Erben festzusetzen. Der BFH kann nur überprüfen, ob das Schätzergebnis plausibel und schlüssig ist. Dies war im Streitfall gegeben. Die mit 30 geschätzte Zahl der Erben entspricht der Erklärung des N. Die Annahme, kein Erbe würde die Erbschaft ausschlagen, ist nachvollziehbar, da der Erblasser umfangreiches Vermögen hinterließ. Die Annahme von Steuerklasse III und gleicher Erbquoten begegnet ebenfalls keinen Bedenken.

     

    Relevanz für die Praxis

    Da der Bescheid im Streitfall einen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Zahl der Erben, Erbquoten, Freibeträge und Steuerklassen enthielt, blieb den Erben die Möglichkeit, die ErbSt-Festsetzung ändern zu lassen.

     

    Im Streitfall wurde die Nachlasspflegschaft aufgehoben, nachdem die Erben ermittelt worden waren. Der BFH wies darauf hin, dass er durch diese Aufhebung der Nachlasspflegschaft (§§ 1919, 1962 BGB) während des Revisionsverfahrens nicht an einer Entscheidung über die Revision gehindert sei. Die anstelle der unbekannten Erben i. S. des § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB in das Verfahren eingetretenen Erben des Erblassers konnten das Verfahren als Kläger ohne Unterbrechung oder Aussetzung fortführen.

     

    Der Nachlasspfleger hat als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 S. 1 AO). Er hat die festgesetzte ErbSt aus dem Nachlass zu entrichten (§ 32 Abs. 2 S. 2 ErbStG) und die Vollstreckung in diesen zu dulden (§ 77 Abs. 1 AO). Wurde aus dem Nachlass zu Unrecht ErbSt bezahlt, sind die unbekannten Erben Inhaber des Erstattungsanspruchs. Verfügungsberechtigt und empfangszuständig für die Erstattung ist aber der Nachlasspfleger (BFH 18.6.86, II R 38/84, BStBl II 86, 704, zum Testamentsvollstrecker).

    Quelle: Ausgabe 01 / 2021 | Seite 5 | ID 47015284

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