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  • 25.09.2013

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 22.05.2013 – 10 K 15/12 E

    Für den Zeitpunkt der Anschaffung oder Veräußerung bei einem privaten Veräußerungsgeschäft mit Grundstücken kommt es grundsätzlich
    auf den Zeitpunkt des obligatorischen Kauf- oder Verkaufsvertrages an. Dies setzt jedoch bei einem Vertrag unter aufschiebender
    Bedingung schon den Eintritt des zukünftigen Ereignisses voraus. Im Falle eines Verkaufs unter der aufschiebenden Bedingung
    der Erteilung einer Freistellungsbescheinigung von einer öffentlich-rechtlichen Widmung gelangt der Verkaufsvertrag erst im
    Zeitpunkt der Erteilgung der Bescheinigung zur Entstehung; insoweit tritt keine Rückwirkung auf den früheren Zeitpunkt des
    Abschlusses des Notarvertrags ein (entgegen BFH v. 18.5.1999 - II R 16/98, BStBl. II 1999, 606).


    Im Namen des Volkes


    URTEIL

    In dem Rechtsstreit


    hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin … ehrenamtlicher
    Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22.05.2013 für Recht erkannt:


    Tatbestand

    Zu entscheiden ist, ob der Kläger durch die Veräußerung eines Grundstücks im Jahr 2008 den Tatbestand eines steuerpflichtigen
    privaten Veräußerungsgeschäfts gemäß § 22 Nr. 2 iVm § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) verwirklicht hat.


    Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 03.03.1998 von der Deutsche Bahn Immobiliengesellschaft mit beschränkter Haftung ein
    Teilgrundstück in A-Stadt, Grundbuchblatt 1900, Gemarkung A-Stadt, Flur 6 Stück 43 (UR-Nr. 38/1998 des Notars N. mit dem Amtssitz
    in A-Stadt). In § 3 des Kaufvertrages wurde als Stichtag für den Besitzübergang der 01.04.1998 vereinbart. In § 4 des Kaufvertrages
    verpflichtete sich der Käufer für den Fall, dass das Kaufgrundstück oder Teile davon innerhalb von zehn Jahren nach der Umschreibung
    im Grundbuch einer höherwertigen Planung zugeführt würden, dem Verkäufer die sich daraus ergebende Wertsteigerung zu erstatten.
    Das in der Folgezeit neu vermessene Grundstück wird seit 1999 unter dem Grundbuchblatt 6132 Gemarkung A-Stadt Flur 6 Flurstück
    464, „B-Straße”, geführt.


    Der Kläger vermietete das Grundstück „B-Straße” an die X. GmbH.

    Am 30.01.2008 schloss der Kläger mit der Stadt A-Stadt einen notariellen Kaufvertrag über das bebaute Grundstück „B-Straße”
    (UR-Nr. 10/2008 des Notars N., A-Stadt). Der Kaufpreis in Höhe von 309.632 Euro sollte gemäß § 3 des Kaufvertrages eine Woche
    nach Vorlage einer Bankbürgschaft in Höhe des Kaufpreises gegenüber der Käuferin fällig sein. Außerdem wurde in § 3 des Kaufvertrages
    der beurkundende Notar angewiesen, die Eigentumsumschreibung im Grundbuch erst dann zu beantragen, wenn ihm der Zahlungseingang
    des vollständigen Kaufpreises durch den Verkäufer mitgeteilt wird und die Entwidmung durch die Deutsche Bundesbahn vorliegt.
    Gemäß § 5 des Kaufvertrages war der Kläger verpflichtet, der Käuferin das Grundstück am 24.07.2008 zu übergeben, Besitz, Nutzen,
    Lasten und Gefahr sollten mit diesem Zeitpunkt auf die Käuferin übergehen. In § 7 des Kaufvertrages wurde festgehalten, dass
    die Käuferin vom beurkundenden Notar über die Risiken einer Kaufpreiszahlung bei schwebender Unwirksamkeit des Vertrages hingewiesen
    worden sei und es dennoch bei der Kaufpreisfälligkeit wie in § 3 des Kaufvertrages geregelt bleiben solle. In § 8 des Kaufvertrages
    war geregelt, dass die Kaufvertragsparteien sich darüber einig seien, dass das Eigentum an dem verkauften Grundstück vom Verkäufer
    auf die Käuferin übergehen solle und die Eigentumsumschreibung im Grundbuch bewilligt und beantragt werde. Ferner wurde in
    § 8 die Eintragung einer Erwerbsvormerkung zugunsten der Käuferin bewilligt und beantragt. § 9 des Kaufvertrages sah vor,
    dass der Vertrag „[…] nur dann wirksam [wird] (schwebend bedingt), wenn die Deutsche Bundesbahn bzw. die dafür zuständige
    Behörde/Amt die Entwidmung dieses Grundstücks erklärt hat.” Weiter war in § 9 geregelt, dass, sollte die Entwidmung versagt
    werden, der Kaufvertrag, „[…] soweit bereits abgewickelt (Kaufpreiszahlung) […]”, aufgehoben und rückabgewickelt werden soll.
    Für den Fall der Rückabwicklung enthielt § 9 die Verpflichtung des Verkäufers, auf Verlangen den Kaufpreis ohne Zinsen innerhalb
    von 14 Tagen nach Zahlungsaufforderung an die Käuferin zu erstatten. § 9 sah schließlich vor, dass die Käuferin in alle Verpflichtungen
    des Klägers aus dem Grundstückskaufvertrag vom 03.03.1998 (UR-Nr. 38/1998 des Notars N. mit dem Amtssitz in A-Stadt) eintreten
    sollte. Wegen der weiteren Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf den notariellen Kaufvertrag vom 30.01.2009
    Bl. 23 bis 29 GA, Bezug genommen.


    Unter dem 10.12.2008 erteilte das Eisenbahn-Bundesamt gegenüber der Stadt A-Stadt einen Freistellungsbescheid, mit dem das
    Grundstück „B-Straße” von Bahnbetriebszwecken freigestellt wurde. In einem begleitenden Schreiben gleichen Datums teilte das
    Eisenbahn-Bundesamt der Stadt A-Stadt mit, dass die Grundstücksfläche damit vollständig in die Planungshoheit der Gemeinde
    zurückfalle.


    Mit Schreiben vom 26.01.2009 teilte der beurkundende Notar N. dem Kläger mit, dass ihm die Stadt A-Stadt mitgeteilt habe,
    dass die Entwidmung des Grundstücks „B-Straße” rechtskräftig geworden sei und er die Eigentumsumschreibung beantragt habe.


    In seiner Einkommensteuererklärung 2008 gab der Kläger an, dass private Veräußerungsgeschäfte, insbesondere Grundstücks- und
    Wertpapierveräußerungen, nicht getätigt worden seien.


    Im Einkommensteuerbescheid 2008 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 65.525 Euro fest und berücksichtigte dabei Einkünfte
    aus einem privaten Veräußerungsgeschäft in Höhe von 124.776 Euro aufgrund der Veräußerung des Grundstücks „B-Straße” durch
    den Kläger. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass für die Berechnung des Zehnjahreszeitraums gemäß § 23 Abs. 1 Satz
    1 Nr. 1 EStG grundsätzlich der Zeitpunkt maßgebend sei, in dem der obligatorische Vertrag abgeschlossen werde. Der Übergang
    von Nutzen und Lasten sei unerheblich.


    Den gegen die Besteuerung des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf des Grundstücks „B-Straße” eingelegten Einspruch des Klägers
    wies der Beklagte als unbegründet zurück. Der Beklagte begründete dies wiederum damit, dass grundsätzlich der Abschluss des
    obligatorischen Geschäfts für die Berechnung des Zehnjahreszeitraums gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG maßgeblich sei. Es
    lägen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, welche eine vom Regelfall abweichende Beurteilung rechtfertigen würden. Die
    Parteien des Kaufvertrages vom 30.01.2008 seien sich auch von Anfang an darüber einig gewesen, dass der Vertrag wie vereinbart
    durchgeführt würde, wenn das Eisenbahn-Bundesamt die Freistellung erteilte. Lediglich in dem Fall, dass das Eisenbahn-Bundesamt
    die Entwidmung versagt hätte, hätte der Kaufvertrag aufgehoben und rückabgewickelt werden sollen. Auch nach Auffassung des
    Bundesfinanzhofs sei jedenfalls dann auf den ursprünglichen Abschlusszeitpunkt des Kaufvertrages abzustellen, wenn lediglich
    die Genehmigung eines am Vertrag nicht selbst beteiligten Dritten ausstehe, soweit der Vertragsabschluss für die Beteiligten
    selbst bindend sei. Da im Streitfall die Wirksamkeit des Kaufvertrages von der Genehmigung eines Dritten abhänge, seien für
    die Berechnung der Zehnjahresfrist wie im Regelfall die obligatorischen Rechtsgeschäfte maßgebend.


    Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger geltend, dass die Zehnjahresfrist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
    im Hinblick auf das Grundstück „B-Straße” abgelaufen sei. Es komme nicht allein auf den Zeitpunkt der notariellen Urkundserrichtung
    an, sondern auf den Vertragsschluss und den Zeitpunkt, an dem dem Grundstückskäufer die wirtschaftliche Verfügungsmacht verschafft
    werde, also auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums. Steuerlich seien nicht ausschließlich die schuldrechtlichen Vereinbarungen
    maßgeblich, sondern in erster Linie der wirtschaftliche Gehalt eines Veräußerungsvorgangs. Der Streitfall weiche außerdem
    insofern vom Regelfall ab, als der Vertragsschluss und der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums weit hinter dem Zeitpunkt
    der notariellen Beurkundung gelegen hätten. Der Kaufvertrag vom 30.01.2008 sei außerdem unter der aufschiebenden Bedingung
    der Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch das Eisenbahn-Bundesamt geschlossen und deshalb erst mit Erteilung der
    Freistellungsbescheinigung am 10.12.2008 wirksam geworden. Hierauf sei es nicht nur dem Kläger, sondern auch der Stadt A-Stadt
    als Käuferin angekommen. Der Kläger und der Käufer hätten am 30.01.2008 noch keine bindenden Willenserklärungen abgegeben.
    § 9 des Kaufvertrages bedürfe nicht der Auslegung, weil er den Parteiwillen klar und deutlich wiedergebe. Zudem habe auch
    der beurkundende Notar darauf hingewiesen, dass die „Spekulationsfrist” von zehn Jahren nicht unterschritten werden dürfe.
    Darauf sei der Kläger auch von seinem steuerlichen Berater hingewiesen worden. Der Kläger habe außerdem kein Interesse an
    einem Vertragsschluss am 30.01.2008 gehabt, weil er bei einem Verkauf innerhalb einer gleichlaufenden Zehn-Jahres-Frist einen
    anteiligen Mehrerlös an seinen damaligen Verkäufer, die Deutsche Bahn Immobilien GmbH, hätte zahlen müssen.


    Auch die weiteren Schritte der Vertragsabwicklung bestätigten, dass der Vertragsschluss unter einer aufschiebenden Bedingung
    erfolgte. In § 7 Abs. 8 des Kaufvertrages vom 30.01.2008 werde der Käufer auf die Risiken einer vorzeitigen Kaufpreiszahlung
    hingewiesen. Gemäß § 3 Abs. 2 des Kaufvertrages habe sich die Käuferin dieses Risiko durch eine Bürgschaft absichern lassen.
    Ferner sei der beurkundende Notar in § 3 Abs. 8 des Kaufvertrages angewiesen worden, die Auflassungserklärung erst nach Vorliegen
    der Entwidmungserklärung des Eisenbahnbundesamtes an das Grundbuchamt weiterzuleiten. Der Umstand, dass die Kaufpreiszahlung
    vor Erteilung der Freistellungsbescheinigung erfolgt sei, bedeute nicht, dass die Parteien des Kaufvertrages sich so hätten
    stellen wollen, als würde der Vertrag sofort wirksam geschlossen.


    Der Kläger beantragt,

    den Bescheid für 2008 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 03.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
    vom 02.12.2011 dahingehend zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn des Klägers aus dem Grundstücksverkauf an die Stadt A-Stadt
    mit notariellem Vertrag vom 30.01.2008 (UR-Nr. 10/2008, Notar N., A-Stadt) nicht besteuert wird,


    dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

    die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise,

    die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Gründe der Einspruchsentscheidung.

    Mit Schreiben vom 22.04.2013 hat die Stadt A-Stadt gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zu dessen Frage, ob der
    Kaufvertrag vom 30.01.2008 aufschiebend bedingt geschlossen worden sei, auf ein Protokoll vom 05.03.2008 aus der Sitzung des
    Ausschusses für Grundstücke und Gebäude am 22.01.2008 verwiesen, in dem es heißt, dass der Kaufvertrag nur unter der aufschiebenden
    Bedingung der Entwidmung des Kaufgrundstücks durch das Eisenbahnbundesamt geschlossen werden könne, der Kläger aber auf eine
    Kaufpreiszahlung sofort nach Vertragsabschluss bestehe und sich deshalb die Frage stelle, in welcher Form eine Verpflichtung
    des Klägers zur Rückzahlung des Kaufpreises gesichert werden könne. Weiter hat die Stadt A-Stadt in dem Schreiben vom 22.04.2013
    ausgeführt, dass diese Sicherung dann durch eine Bankbürgschaft erfolgt sei.


    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte
    Bezug genommen.


    Entscheidungsgründe

    1. Die Klage ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.12.2011
    ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), als
    der Beklagte den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks „B-Straße” der Besteuerung gemäß § 22 Nr. 2 iVm § 23 Abs. 1 Satz
    1 Nr. 1 EStG unterworfen hat.


    a) Die Voraussetzungen der § 22 Nr. 2 iVm § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG für eine Besteuerung des Gewinns des Klägers aus der
    Veräußerung des Grundstücks „B-Straße” liegen nicht vor.


    Gemäß § 22 Nr. 2 iVm § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG sind als sonstige Einkünfte steuerpflichtig u.a. Gewinne aus einem Veräußerungsgeschäft
    bei einem Grundstück, bei dem der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Im Streitfall
    lagen zwischen der Anschaffung des Grundstücks „B-Straße” und der Veräußerung mehr als zehn Jahre.


    aa) Maßgeblicher Anschaffungszeitpunkt iSv § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG für das Grundstück „B-Straße” war der Tag des Abschlusses
    des Kaufvertrages mit der Deutsche Bahn Immobiliengesellschaft mit beschränkter Haftung am 03.03.1998. Für den Zeitpunkt der
    Anschaffung iSv § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ist der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts, der schuldrechtlichen Vereinbarung
    maßgeblich (BFH IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171). Auf den dinglichen Vollzug kommt es nicht an.


    bb) Die zehnjährige Veräußerungsfrist iSv § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG war vorliegend abgelaufen. Eine wirksame Veräußerung
    war nicht schon im Zeitpunkt der Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am 30.01.2008 anzunehmen. Es kann offen bleiben,
    ob die Veräußerung bereits mit Übergang von Nutzen, Lasten, Besitz und Gefahr des Grundstücks „B-Straße” auf die Käuferin
    am 24.07.2008 oder erst mit Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch das Eisenbahn-Bundesamt am 10.12.2008 vollzogen
    war, denn die zehnjährige Veräußerungsfrist war zu beiden Zeitpunkten abgelaufen.


    (1) Für den Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks und damit für die Berechnung des Zehnjahres-Zeitraums gemäß § 23 Abs.
    1 S. 1 Nr. 1 EStG kommt es ebenfalls auf den Zeitpunkt des Abschlusses des obligatorischen (Verkaufs-) Vertrages, also des
    zivilrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts an (vgl. nur BFH v. 02.10.2001, IX R 45/99, BStBl. II 2002, 10 m.w.N.). Der Vertragsabschluss
    muss innerhalb der Spekulationsfrist für beide Vertragsparteien bindend sein (BFH a.a.O.). Im Einzelfall kann bereits vor
    Zustandekommen des schuldrechtlichen Vertrages eine Veräußerung iSv § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG angenommen werden, wenn
    Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten bereits übergegangen sind und der Verkauf damit bereits vor seinem wirksamen Zustandekommen
    wirtschaftlich vollzogen ist (BFH v. 02.10.2001, IX R 45/99, BStBl. II 2002, 10).


    (2) Eine Veräußerung ist vorliegend nicht schon im Zeitpunkt der Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am 30.01.2008
    anzunehmen, da der Kaufvertrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht zivilrechtlich wirksam war. Der Kaufvertrag über das Grundstück
    „B-Straße” ist erst mit Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch das EisenbahnBundesamt gegenüber der Stadt A-Stadt
    am 10.12.2008 wirksam geworden, da er unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung dieser Freistellungsbescheinigung geschlossen
    wurde. Auf diese zivilrechtliche Wirksamkeit kommt es für Zwecke des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG an.


    (a) § 9 des Kaufvertrages vom 30.01.2008 sah vor, dass der Vertrag „[…] nur dann wirksam [wird] (schwebend bedingt), wenn
    die Deutsche Bundesbahn bzw. die dafür zuständige Behörde/Amt die Entwidmung dieses Grundstücks erklärt hat.” Diese vertragliche
    Bestimmung ist unter Berücksichtigung des Willens der Vertragsparteien und des Gesamtzusammenhangs der vertraglichen Regelungen
    als aufschiebende Bedingung iSv § 158 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auszulegen. Der Grundstückskaufvertrag sollte nach
    dem Vertragswillen der Beteiligten nicht unmittelbar mit Vertragsschluss am 30.01.2008, sondern erst mit Erteilung der Freistellungsbescheinigung
    wirksam zustande kommen.


    Bereits der Wortlaut des § 9 des Grundstückskaufvertrages vom 30.01.2008 („… nur dann wirksam wird…”) spricht für eine aufschiebende
    Bedingung. Weiter heißt es in § 9 zwar, dass der Vertrag „aufgehoben und rückabgewickelt” wird, wenn die Entwidmung versagt
    werden sollte und es wird eine detaillierte Regelung für die Rückerstattung des Kaufpreises an die Stadt A-Stadt getroffen.
    Die Formulierung „rückabwickeln” könnte nahelegen, dass der Grundstückskaufvertrag zunächst wirksam sein und alle vereinbarten
    Rechtsfolgen entfalten sollte. Die Fälligkeit des Kaufpreises ist aber die einzige Rechtsfolge, die unmittelbar mit Abschluss
    des Kaufvertrages bzw. Vorlage der Bankbürgschaft eintreten sollte. Der Übergang von Nutzen und Lasten des Grundstücks sollte
    erst am 24.07.2008 erfolgen. Die Eigentumsumschreibung im Grundbuch sollte ebenfalls erst nach Erteilung der Freistellungsbescheinigung
    durch das Eisenbahn-Bundesamt erfolgen. Auch aus dem Schreiben der Stadt A-Stadt vom 22.04.2013 bzw. dem darin zitierten Protokoll
    vom 05.03.2008 der Sitzung des Ausschusses für Grundstücke und Gebäude am 22.01.2008 ergibt sich, dass der Kaufvertrag unter
    der aufschiebenden Bedingung der Entwidmung des Kaufgrundstücks durch das Eisenbahnbundesamt geschlossen werden sollte und
    nur die Kaufpreiszahlung auf Wunsch des Klägers sofort nach Vertragsabschluss erfolgen sollte. Dementsprechend wurde auch
    nur der mögliche Anspruch der Stadt A-Stadt auf Rückzahlung des Kaufpreises durch eine Bankbürgschaft gesichert. Die Sicherung
    des Eigentums des Klägers an dem Grundstück für den Fall der Versagung der Freistellungsbescheinigung erfolgte bereits dadurch,
    dass die Eigentumsumschreibung im Grundbuch bei Versagung der Genehmigung nicht erfolgt wäre (§ 3 des Kaufvertrages vom 30.01.2008).


    Darüber hinaus ergibt sich der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien, dass der Kaufvertrag aufschiebend bedingt durch
    die Erteilung der Freistellungsbescheinigung des Eisenbahn-Bundesamtes geschlossen werden sollte, auch daraus, dass in § 7
    des Kaufvertrages ausdrücklich festgehalten wurde, dass die Käuferin vom beurkundenden Notar über die Risiken einer Kaufpreiszahlung
    bei schwebender Unwirksamkeit des Vertrages hingewiesen worden sei.


    Schließlich ist bei der Auslegung zu berücksichtigen, dass zumindest der Kläger kein Interesse an einem wirksamen und bindenden
    Vertragsschluss am 30.01.2008 gehabt haben konnte, weil für ihn nach den Regelungen des Kaufvertrages über die Anschaffung
    des Grundstücks vom 30.03.1998 bei einem Verkauf innerhalb einer Frist von zehn Jahren nach der Umschreibung im Grundbuch
    das Risiko bestand, einen anteiligen Mehrerlös an seinen damaligen Verkäufer, die Deutsche Bahn Immobilien GmbH, auskehren
    zu müssen. In § 9 des Grundstückskaufvertrages vom 30.01.2008 hat die Stadt A-Stadt ausdrücklich bestätigt, dass ihr die Regelungen
    des Vertrages vom 30.03.1998 bekannt seien und sie in alle Verpflichtungen aus diesem Vertrag eintrete.


    (b) Der maßgebliche Veräußerungszeitpunkt lag nicht bereits in der Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am 30.01.2008.
    Für Zwecke des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kommt es auf die zivilrechtliche Wirksamkeit des Kaufvertrages an. Im Kaufvertrag
    vom 30.01.2008 hatten zwar der Kläger und die Stadt A-Stadt bindende Willenserklärungen abgegeben. Der Vertrag war aber aufgrund
    der vereinbarten aufschiebenden Bedingung bis zur Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch das Eisenbahn-Bundesamt schwebend
    unwirksam.


    Der maßgebliche Veräußerungszeitpunkt iSv § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bestimmt sich danach, wann der schuldrechtliche (Verkaufs-)vertrag
    zivilrechtlich wirksam geworden ist. Die zivilrechtliche Wirksamkeit tritt gemäß § 158 BGB erst mit dem Eintritt der Bedingung
    ein, der Zeitpunkt des Bedingungseintritts ist damit maßgeblich für den Fristablauf gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Der
    Senat folgt insofern nicht der zur Grunderwerbsteuer vertretenen Auffassung des II. Senats des Bundesfinanzhofs, wonach ein
    Erwerbsvorgang bereits dann verwirklicht sein kann, wenn die Rechtswirkungen eines Rechtsgeschäfts noch von dem Eintritt einer
    Bedingung oder Erteilung einer Genehmigung abhängen, durch die Abgabe wirksamer Willenserklärungen aber bereits eine Bindung
    der Vertragsbeteiligten an das vorgenommene Rechtsgeschäft eingetreten ist (BFH v. 18.05.1999 II R 16/98, BStBl. II 1999,
    606). Die Parteien eines genehmigungsbedürftigen oder bedingten Rechtsgeschäfts seien im Regelfall durch den Vertragsabschluss
    gebunden und könnten die Vertragsbeziehungen nicht mehr einseitig lösen (BFH a.a.O.). Der IX. Senat des Bundesfinanzhofs hat
    in einer Entscheidung zu § 23 EStG ausdrücklich offen gelassen, ob eine Veräußerung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auch
    dann vorliegen kann, wenn eine für den Eintritt der Wirksamkeit erforderliche Genehmigung eines Dritten, der am Vertrag selbst
    nicht beteiligt ist, fehlt (BFH v. 02.10.2001 IX R 45/99, BStBl. II 2002, 10).


    Der Senat vertritt die Auffassung, dass es für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht ausreicht,
    wenn die Vertragsbeteiligten wie vorliegend zwar bindende Willenserklärungen abgegeben haben, der Vertrag aber wegen Vereinbarung
    einer aufschiebenden Bedingung oder eines Genehmigungsvorbehalts noch schwebend unwirksam ist. Maßgeblich ist der Zeitpunkt
    der zivilrechtlichen Wirksamkeit und damit des Bedingungseintritts bzw. der Erteilung der Genehmigung. Frühestens von diesem
    Zeitpunkt an können tatsächlich und rechtlich alle Folgerungen aus dem bis dahin schwebend unwirksamen Vertrag gezogen und
    die Rechte der Vertragsbeteiligten durchgesetzt werden. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung erfordert,
    nur einen verwirklichten Tatbestand der Besteuerung zugrunde zu legen. (c) Die spätere Erteilung der Freistellungsbescheinigung
    hat auch nicht dazu geführt, dass der Grundstückskaufvertrag rückwirkend gemäß § 184 BGB wirksam geworden ist. Bei der Erteilung
    der Freistellungsbescheinigung handelte es sich nicht um eine Genehmigung des Kaufvertrages iSv § 184 BGB, sondern um eine
    aufschiebende Bedingung gemäß § 158 BGB, deren Eintritt keine rückwirkende Wirkung entfaltet. Im Übrigen wäre auch eine Rückwirkung
    gemäß § 184 BGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht in die Spekulationsfristberechnung einzubeziehen
    (BFH v. 2. Oktober 2001, IX R 45/99, BStBl II 2002, 10; BFH v. 7. Juni 2006, IX R 4/04, BStBl II 2007, 294; BFH v. 16. Oktober
    2007, VIII R 21/06, BStBl II 2008, 126; BFH v. 29. Mai 2009, IX B 23/09 – juris –).


    b) Es kommt nicht darauf an, ob der Beklagte den Veräußerungsgewinn der Höhe nach zutreffend bestimmt hat, weil schon die
    Voraussetzungen der § 22 Nr. 2 iVm § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG für eine Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung des
    Grundstücks „B-Straße” dem Grunde nach nicht vorlagen.


    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§
    151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 709 der Zivilprozessordnung.


    3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war gemäß § 139 Abs. Abs. 3 Satz 3 FGO wegen der Schwierigkeit
    der Sach- und Rechtslage für notwendig zu erklären.


    4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    VorschriftenEStG § 23 Abs 1 Satz 1 Nr 1, BGB § 158, EStG § 22 Nr 2

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