08.01.2010
Finanzgericht Berlin: Urteil vom 12.12.2000 – 5 K 5192/99
Maßgebend dafür, ob ein Stipendium zur Förderung der Forschung oder zur wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung oder Fortbildung gewährt wird, ist die subjektive Zweckbestimmung, d. h. der Wille und die Vorstellung des Stipendiengebers.
Die Grenze zwischen Stipendien, die ausschließlich der Forschung dienen, und solchen, die der Fortbildung dienen, kann fließend sein.
Anders als in § 3 Nr. 11 EStG stellt der Gesetzgeber in § 3 Nr. 44 Buchst. a EStG nicht darauf ab, dass durch das Stipendium „unmittelbar” die Forschung gefördert wird. Die mittelbare Förderung reicht aus, um die Steuerfreiheit zu gewähren.
Tatbestand
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 1995 Honorare in Höhe von 5.600,00 DM aus ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit als Germanistin. Daneben erhielt sie ein Stipendium nebst einer Pauschale für Sachmittel / Reisekosten in Höhe von insgesamt 22.900,00 DM, das im Rahmen des Förderprogramms Frauenforschung von der Senatsverwaltung ... zur Erstellung einer Studie zum Thema ”...” bewilligt wurde.
Der Beklagte sah lediglich die Sachmittelpauschale in Höhe von insgesamt 1.800,00 DM als steuerfrei an und erhöhte die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit um 21.100,00 DM. Die Einkommensteuer 1995 wurde mit Bescheid vom 18. Dezember 1997 auf 2.145,00 DM festgesetzt.
Der hiergegen gerichtete Einspruch führte insoweit zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1995, als von den Honorareinnahmen Betriebsausgaben pauschal mit einem Betrag von 1.200,00 DM abgezogen wurden und die tarifliche Einkommensteuer zur Steuerfreistellung des Existenzminimums um 18,00 DM gemindert wurde. Hinsichtlich der begehrten Steuerfreiheit des Stipendiums nach § 3 Nr. 44 Einkommensteuergesetz - EStG - blieb der Einspruch jedoch erfolglos.
Der Beklagte verwies hierzu mit Einspruchsentscheidung vom 30. März 1999 insbesondere auf die Regelung in R 6 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1993 zu § 3 Nr. 44 EStG, wonach Stipendien zur unmittelbaren Förderung der Forschung - im Unterschied zu den Stipendien zur Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Aus- und Fortbildung - nur insoweit steuerfrei seien, als die Mittel zur Schaffung der sachlichen Voraussetzungen zur Erfüllung einer Forschungsaufgabe verwendet würden (Sachbeihilfe). Beihilfen für die persönliche Lebensführung des Empfängers seien nach § 18 oder § 19 EStG steuerpflichtig.
Maßgebend für die Einordnung des Stipendiums sei die subjektive Zweckbestimmung, d. h. der Wille des Stipendiengebers. Im Streitfall ergebe sich diese aus der in dem Bewilligungsbescheid der Senatsverwaltung bezeichneten Aufgabe, einer Forschungsaufgabe. Selbst wenn das Stipendium im Streitfall auch, jedoch nur als Nebenzweck, dazu gedient habe, die Klägerin in ein völlig neues Gebiet mit anderen Arbeitschancen einzuarbeiten, sei Förderziel vorliegend nicht die Aus- und Fortbildung gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 30. März 1999 Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 30. April 1999 hat die Klägerin Klage gegen die Einspruchsentscheidung erhoben und gleichzeitig die Gewährung von Prozesskostenhilfe - PKH - unter Beiordnung des Rechtsanwalts ... beantragt. In der Klageschrift wurde darauf hingewiesen, dass die Klage erst nach Gewährung der PKH als eingereicht gelten solle.
Zur Begründung der Klage hat die Klägerin ausgeführt, laut Bescheinigung der Senatsverwaltung ... als Stipendiengeber stelle die Gewährung des Stipendiums eine Förderung der wissenschaftlichen Aus- und Fortbildung dar. Das Förderprogramm habe entsprechend der Richtlinien das Ziel, Frauen für den akademischen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Zweck des Stipendiums sei daher die Aus- und Fortbildung, was nicht ausschließe, dass sich die Arbeiten inhaltlich mit der Erforschung bestimmter Sachverhalte befassten. Wieso im Übrigen nach Auffassung der Finanzverwaltung die Deckung des Lebensbedarfs nicht bei Forschungsstipendien, wohl aber bei Aus- und Fortbildungsstipendien begünstigt sein solle, sei als sachlicher Differenzierungsgrund im Sinne des Artikels 3 Grundgesetz - GG - nicht einleuchtend. Die Auslegung des § 3 Nr. 44 EStG sei zu eng. Aus dem Wortlaut der Vorschrift sei die Differenzierung kaum herauszulesen. § 3 Nr. 44 Satz 3 EStG besage eher das Gegenteil.
Der erkennende Senat hat den Antrag auf Gewährung von PKH mit Beschluss vom 17. Mai 2000 unter Hinweis auf § 115 Abs. 3 Zivilprozessordnung - ZPO - zurückgewiesen. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 22. Mai 2000 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2000 hat der Bevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich des Versäumens der Wiedereinsetzungsfrist für die Klage beantragt. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass seine Angestellte Frau ..., bei der es sich um eine geschulte und zuverlässige Bürokraft handle, die seit über drei Jahren den Fristenkalender sorgfältig und fehlerlos geführt habe, die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versehentlich als „gewöhnliche” Frist behandelt habe. Dies habe dazu geführt, dass er die Akte mit der normalen Vorlage erhalten habe und am Tag des Fristablaufs nicht erinnert worden sei. Der Prozessbevollmächtigte legte ferner eine eidesstattliche Versicherung seiner Angestellten vor, in der diese bestätigte, dass die Angaben des RA ... im Schriftsatz vom 13. Juni 2000 richtig seien und es nur aus den vorgenannten Gründen zum Fristversäumnis gekommen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Klägerin wird insoweit auf die Schriftsätze vom 13. Juni 2000 und vom 24. Juli 2000 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Einkommensteuer 1995 abweichend von dem Bescheid vom 18. Juli 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. März 1999 auf 0,00 DM festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist zunächst darauf, dass die Klage bereits unzulässig sei. Die für die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragenen Gründe könnten die unverschuldete Versäumung der Frist nicht glaubhaft machen. Die Gründe würden insbesondere nicht durch die eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten gestützt, da die Erklärung keine eigenen inhaltlichen Schilderungen der Erklärenden über die Umstände der Fristversäumung enthalte.
Die Klage sei auch unbegründet. Bei dem gewährten Stipendium habe es sich entsprechend der Zwecksetzung im Bewilligungsbescheid der Senatsverwaltung ... offensichtlich um ein Stipendium zur Erfüllung einer konkreten Forschungsaufgabe gehandelt. Dies zeige sich daran, dass die Senatsverwaltung das Stipendium nur unter der Maßgabe gewährt habe, dass die Klägerin sich während der Förderdauer überwiegend der ihr gestellten Aufgabe widme und regelmäßig über ihre Forschungsergebnisse zu dem gestellten Arbeitsthema berichte. Die Fördermaßnahme habe daher nicht in erster Linie ihrer wissenschaftlichen Aus- und Fortbildung zur Qualifikation für den akademischen Arbeitsmarkt dienen sollen, da dies erfordert hätte, dass der Klägerin innerhalb der Förderdauer überwiegend Zeit und Gelegenheit zum Erwerb verschiedenster Kenntnisse zu unterschiedlichen Themen gewährt worden wäre.
Demzufolge hätten nur die gewährten Sachmittelpauschalen bzw. Reisekosten als steuerfrei angesehen werden können. Das Erfordernis des unmittelbaren Zusammenhangs der Stipendienzahlung mit der Schaffung der sachlichen Voraussetzungen für die Erfüllung des Forschungsvorhabens folge zunächst aus dem Wortlaut des § 3 Nr. 44 a EStG. Denn in § 3 Nr. 44 a EStG stehe die „Erfüllung der Forschungsaufgabe” anders als die „Deckung des Ausbildungsbedarfs” („und”) erkennbar nicht in einem Sinnzusammenhang mit der „Bestreitung des Lebensunterhalts”. Schon daraus ergebe sich, dass Stipendien für die Erfüllung eines Forschungsvorhabens nicht auch in Höhe des Anteils hätten steuerfrei sein sollen, der auf die Sicherung des Lebensunterhalts des Stipendiaten entfalle.
Dieses Ergebnis werde durch den systematischen Zusammenhang der Norm mit § 3 Nr. 11 EStG gestützt. Ebenso wie in § 3 Nr. 11 EStG würden durch § 3 Nr. 44 EStG Leistungen der öffentlichen Hand oder vergleichbarer öffentlicher Institutionen zur Förderung von Forschungstätigkeiten steuerfrei gestellt. In § 3 Nr. 11 EStG werde diesbezüglich die Steuerfreiheit ausdrücklich auf die Mittel beschränkt, die unmittelbar der Förderung der wissenschaftlichen Tätigkeit als solcher dienten. Da es sich im Rahmen des § 3 Nr. 44 EStG hinsichtlich der Stipendien für Forschungsförderung um vergleichbare öffentliche Zuwendungen handle, würde eine Erweiterung der Steuerfreiheit der Stipendien nach § 3 Nr. 44 EStG auf den für die Sicherung des Lebensunterhalts entfallenden Teil zu einer gleichheitswidrigen Besserstellung der Stipendiaten gegenüber den mit Beihilfen im Sinne des § 3 Nr. 11 EStG geförderten Person führen. Nach dem Sinn und Zweck des § 3 Nr. 11 und 44 EStG sollten Zuwendungen der öffentlichen Hand oder vergleichbarer öffentlicher Institutionen unabhängig von der Herkunft der Mittel stets nur in Höhe der sachbezogenen Förderung steuerfrei sein.
Diese Behandlung von Forschungsstipendien führe schließlich nicht zu einer gleichheitswidrigen Schlechterstellung der Stipendiaten von Forschungsstipendien gegenüber den Stipendiaten von Aus- und Fortbildungsstipendien. Die verschiedenen Förderungsformen dienten verschiedenen Zielen, welche auch der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bei der Auswahl der Steuerquellen habe berücksichtigen dürfen. Forschungsstipendien würden regelmäßig projektbezogen gewährt; dem Stipendiengeber komme es gerade auf das Ergebnis der wissenschaftlichen Bearbeitung einer bestimmten Frage an. Hingegen dienten Aus- und Fortbildungsstipendien regelmäßig gerade auch zur Deckung des Lebensunterhalts des Stipendiaten, der sich innerhalb der Förderdauer umfassende Kenntnisse über ein bestimmtes Wissenschaftsgebiet erwerben und nicht lediglich projektbezogen arbeiten solle.
Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung ein Band der vom Beklagten geführten Einkommensteuerakten zur Steuernummer ... vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist zulässig. Der Klägerin ist wegen des Versäumens der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Klageerhebung Wiedereinsetzung nach § 56 Finanzgerichtsordnung - FGO - zu gewähren.
Die Klage ist mit Schriftsatz vom 29. April 1999 per Telefax bei Gericht eingegangen. In der Klageschrift heißt es eingangs „Namens und im Auftrag erheben wir Klage. Wir werden beantragen, ...” und im Folgenden „Außerdem wird beantragt, der Klägerin Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihr den Unterzeichnenden als Rechtsanwalt beizuordnen. Die Klage soll erst dann als eingereicht gelten.” Damit hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Klage nur unter der Bedingung erhoben werden sollte, dass der Klägerin PKH gewährt wird. Eine Klage, die unter einer Bedingung erhoben wird, ist unwirksam (Bundesfinanzhof, Beschluss vom 3. April 1987 VI B 150/85, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1987, 573).
Ein Beteiligter, der wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage war, das gegebene Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen, hat jedoch Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist alles Zumutbare getan hat, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Das setzt voraus, dass bis zum Ablauf der Klagefrist ein ordnungsgemäßes PKH-Gesuch eingereicht worden ist, der Antragsteller durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist und die begehrte Beiordnung des Prozessbevollmächtigten erforderlich erscheint (vgl. Beschlüsse des BFH vom 1. September 1982 I S 4/82, BStBl II 1982, 737, und vom 27. Juni 1983 II S 2/83, BStBl II 1983, 644).
Die den PKH-Antrag der Klägerin näher begründenden Unterlagen sind am 3. Mai 1999 und daher noch vor Ablauf der Klagefrist bei Gericht eingegangen. Damit hatte die Klägerin rechtzeitig alle Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH zur Einlegung der Klage geschaffen, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich in Betracht kommt.
In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte ist auch anerkannt, dass ein Verfahren über die Gewährung von PKH auch unabhängig von seinem Ausgang ein berechtigter (weil unverschuldeter) Grund für die Überschreitung der Rechtsmittelfrist ist. Das Hindernis ist weggefallen mit dem Tag, an dem die Entscheidung über die Gewährung oder Ablehnung des PKH-Gesuchs an den Antragsteller zugestellt worden ist (BFH-Beschlüsse vom 2. September 1986 VII B 71/86, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1987, 307, und vom 27. November 1991 III B 566/90, BFH/NV 1992, 686 mit jeweils weiteren Nachweisen).
Im Streitfall wurde der PKH-Beschluss dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 22. Mai 2000 zugestellt. Die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO endete daher am 5. Juni 2000. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Erhebung der Klage ist aber erst am 14. Juni 2000 und somit verspätet bei Gericht eingegangen.
Der Klägerin ist wegen des Versäumens der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch ebenfalls Wiedereinsetzung zu gewähren. Das Gericht hat sich anhand des im Original vorgelegten Fristenkontrollbuchs davon überzeugen können, dass die Fristversäumnis auf einem unverschuldeten Büroversehen beruhte. Ein solches Büroversehen kann dann in Betracht gezogen werden, wenn im Büro des Bevollmächtigten geeignete Maßnahmen getroffen worden waren, um eine Fristversäumnis nach menschlichem Ermessen auszuschließen, was nach Auffassung des Gerichts vorliegend der Fall war.
Aus dem Fristenkalender ist insbesondere ersichtlich, dass die übliche Vorfrist von einer Woche für die Vorlage von Fristsachen unter dem 29. Mai 2000 rot unterlegt eingetragen worden ist. Dass die Frist abgehakt worden ist, deutet darauf hin, dass die Akte am 29. Mai 2000 auch vorgelegt worden ist. Nach dem - für das Gericht glaubhaften - Vortrag der Klägerin hat die ansonsten zuverlässige Büroangestellte ... es dabei jedoch versäumt, die Akte mit dem ansonsten üblichen auffälligen Aufkleber „Fristablauf” zu versehen, so dass die Akte nicht als Fristsache behandelt worden ist. Dass die Büroangestellten den Fristablauf am 5. Juni 2000 schließlich nicht anhand des Fristenkalenders feststellen konnten, erklärt sich für das Gericht im Übrigen daraus, dass der Fristablauf entgegen der üblichen Gepflogenheiten gerade nicht am 5. Juni 2000 als dem Tag des Fristablaufs, sondern bereits unter dem 2. Juni eingetragen war, und der Termin somit leicht übersehen werden konnte. Damit hat letztlich eine Verkettung unglücklicher Umstände zu dem Fristversäumnis geführt. Es handelt sich dabei jedoch um Versäumnisse, die selbst einer langjährigen und ansonsten zuverlässigen Bürokraft bei größter Sorgfalt einmal unterlaufen können, so dass die Fristversäumnis im Ergebnis als unverschuldet anzusehen ist.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Nach § 3 Nr. 44 EStG steuerfrei sind Stipendien, die unmittelbar aus öffentlichen Mitteln oder von vergleichbaren öffentlichen Einrichtungen zur „Förderung der Forschung oder zur Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung oder Fortbildung” gewährt werden. Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist nach § 3 Nr. 44 a EStG, dass die Stipendien einen für die Erfüllung der Forschungsaufgabe oder für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Deckung des Ausbildungsbedarfs erforderlichen Betrag nicht übersteigen und nach den von dem Geber erlassenen Richtlinien vergeben werden.
Die Finanzverwaltung geht bei der Anwendung dieser Vorschrift von der Auslegung in R 6 EStR zu § 3 Nr. 44 aus, wonach Stipendien zur unmittelbaren Förderung der Forschung nur insoweit steuerfrei seien, als die Mittel zur Schaffung der sachlichen Voraussetzungen zur Erfüllung einer Forschungsaufgabe verwendet würden (Sachbeihilfe). Beihilfen für die persönliche Lebensführung des Empfängers seien nach § 18 oder § 19 EStG steuerpflichtig. Stipendien zur Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung oder Fortbildung seien demgegenüber insgesamt steuerfrei, gleichgültig, ob sie zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Empfängers oder für den durch die Ausbildung oder Fortbildung verursachten Aufwand bestimmt seien.
Für die Entscheidung über die Frage der Steuerfreiheit kommt es daher zunächst darauf an, welche Art des Stipendiums gewährt wird. Maßgebend dafür, ob ein Stipendium zur Förderung der Forschung oder der wissenschaftlichen oder künstlerischen Aus- oder Fortbildung gewährt wird, ist die subjektive Zweckbestimmung, d. h. der Wille und die Vorstellung des Stipendiengebers (Bergkemper in Herrmann / Heuer / Raupach, § 3 Nr. 44 EStG Rn. 12).
Nach einem Schreiben der Senatsverwaltung ... vom ... hat das Förderprogramm Frauenforschung das Ziel, Frauen mit ihren Vorhaben im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung für den akademischen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Die Gewährung des Stipendiums für die Klägerin stelle nach Auffassung der Senatsverwaltung eine Förderung der wissenschaftlichen Aus- und Fortbildung dar, auch wenn das Ziel der Förderung nicht unbedingt der Erwerb einer Formalqualifikation sei.
Für die Bestimmung der Begriffe „Ausbildung” und „Fortbildung” sind auch in diesem Zusammenhang die Grundsätze heranzuziehen, wie sie von der Rechtsprechung im Rahmen der Abzugsfähigkeit von Werbungskosten und Betriebsausgaben entwickelt wurden, da ihre Anwendung im Rahmen des Einkommensteuerrechts einheitlich zu erfolgen hat (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1972 IV 133/64, BStBl II 1972, 566). „Ausbildung” zielt danach auf den Erwerb von Kenntnissen, die als Grundlage für einen künftigen oder weiteren Beruf erforderlich sind, während Maßnahmen des Steuerpflichtigen, die darauf gerichtet sind, in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben, den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden und so in dem ausgeübten Beruf besser vorwärts zu kommen, der „Fortbildung” zuzuordnen sind (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1992 VI R 163/88, BStBl II 1992, 661).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Zweck des Stipendiums jedenfalls nicht der Ausbildung zugeordnet werden. Bei der Klägerin handelte es sich um eine Germanistin mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Letzteres bzw. eine für das Forschungsvorhaben einschlägige Berufsausbildung bzw. Qualifikation war nach den vorliegenden „Informationen für Antragstellerinnen”, denen die Kriterien für die Stipendiengewährung zu entnehmen sind, auch eine der Fördervoraussetzungen. Die Erstellung der Studie ist daher eher als weiterer Schritt auf dem bereits eingeschlagenen Berufsweg anzusehen. So werden beispielsweise auch Maßnahmen eines wissenschaftlichen Mitarbeiters zur Qualifikation als Hochschullehrer durch Habilitation zur „Fortbildung” gezählt (vgl. Schmidt / Drenseck, 19. Auflage 2000, § 19 EStG Rn. 60). „Forschung” ist demgegenüber die Suche nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und damit ein Ausschnitt aus der Wissenschaft, welche die Anwendung der Forschungsergebnisse umfasst (Schmidt / Heinicke, § 3 EStG ABC Stichwort „Stipendien”, Seite 106).
Das Stipendium wurde der Klägerin zur Erfüllung einer konkreten Aufgabe, nämlich der Erstellung einer Studie über ... gewährt, und zwar unter der Maßgabe, dass sie sich während der Förderdauer überwiegend der ihr gestellten Aufgabe widme. Wie sich aus den „Informationen für Antragstellerinnen” ergibt, hat das Förderprogramm Frauenforschung das Ziel, wissenschaftlich und wissenschaftlich-künstlerisch tätige Frauen mit ihren Vorhaben im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung und deren Infrastruktur zu fördern, innovative und regional gewachsene Arbeitszusammenhänge abzusichern, ihnen Kontinuität zu ermöglichen und darüber hinaus neue Aktivitäten im Rahmen dieses speziellen Wissenschaftsgebiets zu unterstützen. Als Förderungsarten sind genannt Forschungsprojekte, Forschungsstipendien und Maßnahmen im Bereich der Infrastruktur. Hiervon ausgehend dürfte das Stipendium der Klägerin durchaus als „Forschungsstipendium” zu qualifizieren sein, dem allerdings auch ein Fortbildungs- bzw. Weiterqualifizierungsaspekt zukommt. So zählen zu den Auswahlkriterien für die Entscheidung über die Vergabe der Mittel (unter anderem) nicht nur die Bedeutung des Vorhabens für das engere Fachgebiet, für die Frauen- und Geschlechterforschung generell und für die Anwendung der Ergebnisse in der Praxis, sondern gerade auch die Bedeutung des Vorhabens für die berufliche Entwicklung der Antragstellerin.
Die Frage der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Forschungsstipendien und Aus- und Fortbildungsstipendien ist in der Literatur auch stark umstritten (gegen die von der Finanzverwaltung vorgenommene Auslegung des § 3 Nr. 44 EStG: Schmidt / Heinicke, § 3 EStG Stichwort „Stipendien”; Bergkemper in Herrmann / Heuer / Raupach, § 3 Nr. 44 EStG Rn. 12; Blümich / Erhard § 3 Rn. 534; Handzik in Littmann / Bitz / Helwig, § 3 Rn. 522; a. A. von Beckerath in Kirchhof / Söhn, § 3 B 44/32). Gegen die Auffassung der Finanzverwaltung, die wie bei § 3 Nr. 11 EStG für Forschungsstipendien eine „unmittelbare” Förderung der Forschung verlangt, wird insbesondere ins Feld geführt, dass diese aus dem Wortlaut des § 3 Nr. 44 EStG nicht herauszulesen ist. Darüber hinaus lasse sich dem ungenauen Wortlaut und Aufbau der Vorschrift nicht entnehmen, dass im Rahmen des Satzes 3 Buchstabe a für Forschungsstipendien nur auf den erforderlichen Sachaufwand und für die übrigen Stipendien alternativ auch auf den Lebensunterhaltsbedarf abzustellen wäre.
Von Beckerath geht hingegen davon aus, dass die Auslegung der Finanzverwaltung sowohl dem Wortlaut des § 3 Nr. 44 a EStG als auch der Parallelität von § 3 Nr. 44 und § 3 Nr. 11 EStG entspreche. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das Erfordernis der Unmittelbarkeit nur klarstellend, in Bestätigung der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs in § 3 Nr. 11 EStG aufgenommen habe (in Kirchhof / Söhn § 3 EStG B 44/32).
Diese enge Auslegung des Gesetzes berücksichtigt nicht, dass die Grenzen zwischen Stipendien, die ausschließlich zu Forschungszwecken vergeben werden und solchen, die der Fortbildung dienen sollen, durchaus fließend sein können - wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Eine Beschränkung der Steuerfreiheit auf den Sachbedarf für die Erfüllung der Forschungsaufgabe wie Rohstoffe, Apparate, Bücher läßt sich nach Auffassung des Gerichts auch nicht der Gesetzesbegründung zu § 3 Nr. 44 EStG entnehmen. Danach soll durch die Voraussetzung zu Buchstabe a sichergestellt werden, dass Stipendien nur in der Höhe steuerfrei bleiben, die zur Erreichung des mit dem Stipendium verfolgten Zwecks erforderlich ist. Durch die Bindung an von dem Geber erlassene Richtlinien soll eine möglichst weitgehende Bindung der vergebenden Stelle im Interesse einer soweit wie möglich einheitlichen Handhabung erreicht werden (BT-Drucksache 4/2400, Seite 62).
Der Gesetzgeber stellt jedoch - anders als in § 3 Nr. 11 EStG - gerade nicht darauf ab, dass durch das Stipendium „unmittelbar” die Forschung gefördert wird. Die mittelbare Förderung, die dadurch eintritt, dass ein Stipendium auch zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt wird, so dass sich der Stipendiat ganz auf die Forschungsaufgabe konzentrieren kann, reicht daher nach Auffassung des Gerichts aus, um die Steuerfreiheit zu begründen.
Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht. Nach den Förderrichtlinien werden Stipendien im Rahmen des Förderprogramms Frauenforschung nur unter der Voraussetzung gewährt, dass die Stipendiatinnen während der Förderdauer über kein Einkommen zur Sicherung des Lebensunterhaltes verfügen und sich überwiegend der geplanten Forschungsaufgabe widmen. Bezahlte Nebentätigkeiten sind nur in geringem Umfang gestattet und müssen mit der Geschäftsstelle abgestimmt werden (... der Informationen für Antragstellerinnen). Damit soll - wie bei entsprechenden Aus- und Fortbildungsstipendien - sichergestellt werden, dass die Stipendiatinnen sich nicht gleichzeitig noch mit der Notwendigkeit des Gelderwerbs befassen müssen. Durch die entsprechende Bedingung wird letztlich auch deutlich gemacht, dass der Forschungszweck nur erreicht werden kann, wenn die Stipendiatin sich nahezu ausschließlich der Forschungsaufgabe widmet, sodass der gezahlte Betrag insgesamt als gemäß § 3 Nr. 44 Satz 3 Buchstabe a EStG zur Erfüllung der Forschungsaufgabe erforderlich angesehen werden kann.
Jedenfalls erscheint es dem Gericht - im Anschluss an die herrschende Meinung in der Literatur - angezeigt, auch bei einem Forschungsstipendium der vorliegenden Art Steuerfreiheit zu gewähren, soweit das Stipendium einen für die Bestreitung des Lebensunterhalts erforderlichen Betrag nicht übersteigt.
Anhaltspunkte für den Lebensbedarf können hierbei die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - BaFöG - oder dem Arbeitsförderungsgesetz sein (Bergkemper in Herrmann / Heuer / Raupach, § 3 Nr. 44 Rn. 15). Die Klägerin hat neben der (steuerfreien) Sachmittelpauschale von 150,00 DM im Monat monatliche Leistungen in Höhe von ca. 1.800,00 DM erhalten. Der monatliche BaFöG-Höchstsatz hat im Jahr 1995 bei rund 900,00 DM gelegen (vgl. Artikel 1 des 17. Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 24. Juli 1995, Bundesgesetzblatt - BGBl - II 1995, 976). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin nicht mehr um eine Studentin, sondern eine qualifizierte Akademikerin handelte, so dass insoweit ein „Mehrbetrag” anzusetzen wäre. Letztlich kann das Gericht die genaue Höhe des Lebensbedarfs der Klägerin jedoch dahingestellt sein lassen, da selbst bei Annahme des Lebensbedarfs in Höhe von nur 900,00 DM monatlich, mithin 10.800,00 DM jährlich, der nach Auffassung des Gerichts in jedem Fall anzunehmen wäre, die Einkommensteuer für 1995 0,00 DM betragen würde.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 139 Abs. 3 Satz 3, 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 und 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
Die Revision wird zugelassen, da das Gericht mit seiner Entscheidung von den Einkommensteuer-Richtlinien zu § 3 Nr. 44 EStG abweicht und es der Auslegung des § 3 Nr. 44 Satz 3 Buchstabe a EStG - auch vor diesem Hintergrund - grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).