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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 22.06.2005 – IV 103/01

    Treffen verbrauchsteuerpflichtige entzogene Waren nicht am Bestimmungsort ein, verbleibt das Besteuerungsrecht beim Ausgangsmitgliedsstaat (Art. 20 Abs. 3 Systemrichtlinie)

    Bestimmungsort ist die Ausgangszollstelle, bei der Waren die Gemeinschaft bestimmungsgemäß verlassen sollen.


    Tatbestand

    Streitig ist, ob die Klägerin, als Inhaberin eines Steuerlagers Branntweinsteuer schuldet. Die Klägerin betreibt an den Lagerorten F, R, W und N offene Branntweinlager (OBL). Sie stellt Trinkbranntweine selbst her, einen Teil der Erzeugnisse entnimmt sie unter Steueraussetzung den Lagern zur Ausfuhr aus dem Verbrauchsteuergebiet der Europäischen Gemeinschaft. Gegenstand des Rechtsstreits sind zwei Lieferungen vom 07.05.1996 und vom 20.05.1996. Mit den begleitenden Verwaltungsdokumenten unter dem gleichen Datum entnahm die Klägerin ihrem OBL in F jeweils eine Sendung mit 3.300 Kartons Whisky der Marke ”...” (M), 40 % Vol. in Kartons zu Flaschen 0,7 Liter. Käufer der Ware war die Außenhandelsagentur A, Inhaberin Frau P. Als Empfängerin beider Lieferungen war die Fa. „G...” in St. Petersburg/Russland angegeben. Mit dem Transport der Spirituosen war ein der Klägerin unbekanntes Transportunternehmen (Spedition ... S) beauftragt worden. Die Lieferung wurde aus dem OBL der Klägerin unter Steueraussetzung zur Ausfuhr aus dem Verbrauchsteuergebiet entnommen. Die Klägerin erhielt von der Außenhandelsagentur A die Drittstücke der Begleitdokumente (Rückschein) mit Bestätigungsvermerk des Zollamts Pomellen zurück.

    Am 24.06.1996 richtete die schwedische Generalzolldirektion eine Erkenntnisanfrage an das Zollfahndungsamt Kiel, deren Anlass die Aufdeckung von Alkoholschmuggel nach Schweden war. Die Ermittlungen ergaben, dass die beiden streitgegenständlichen Lieferungen über Saßnitz nach Schweden gelangten. Diese Ermittlungsergebnisse sind unter den Beteiligten dieses Rechtsstreits nicht streitig.

    Das Zollkriminalamt in Köln stellt in einem Gutachten fest, dass es sich bei den Stempelabdrucken des Zollamts Pomellen um Fälschungen gehandelt hat.

    Unter dem 29.09.1997 erließ der Beklagte - das Hauptzollamt F - den zusammengefassten Steuerbescheid über insgesamt 282.744 DM gegen die Klägerin wie auch gegen die beteiligten Personen, die den Branntwein aus dem Steueraussetzungsverfahren entzogen hatten. Von den Gesamtschuldnern wurde vorerst nur die Klägerin durch Zahlungsaufforderung in Anspruch genommen.

    Gegen den Bescheid legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und beantragte zugleich den Erlass der Branntweinsteuer aus Billigkeitsgründen. Der Billigkeitsantrag wurde am 26.06.1998 bestandskräftig abgelehnt. Das Rechtsbehelfsverfahren bezüglich des Steuerbescheides blieb erfolglos. Die Einspruchsentscheidung wurde am 09.04.2001 zugestellt.

    Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der fristgerecht erhobenen Klage und trägt vor:

    Es könne im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, dass ein Fall der Entziehung von Erzeugnissen aus dem Steueraussetzungsverfahren gegeben sei. Von einer Entziehung könne nicht ausgegangen werden, wenn die Erzeugnisse das Steuergebiet, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, verlassen haben, gleich auf welche Art und Weise. Denn in diesem Fall sei kein Verbrauch im räumlichen Geltungsbereich des Branntweinmonopolgesetzes gegeben. Die Branntweinsteuer sei gemäß § 130 Abs. 1 Satz 3 Branntweinmonopolgesetz (BranntwMonG) eine nationale Verbrauchsteuer. Mit ihr solle der Verbrauch im Steuergebiet, also im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland versteuert werden. Erfolge der Verbrauch außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland, sei der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes überschritten. Diese Rechtsauffassung entspreche Art. 6 der Systemrichtlinie (EWG) Nr.92/12 des Rates. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift richten sich die Voraussetzungen für das Entstehen des Steueranspruchs nach den Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Entstehens des Steueranspruchs in den Mitgliedstaaten gelten, in denen die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr stattfinde. Die Verbrauchsteuer werde nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bestimmungen erhoben und eingezogen, was bedeutet, dass keine EU-rechtliche Notwendigkeit bestehe, den räumlichen Geltungsbereich des § 143 BranntwMonG auf das Verbrauchsteuergebiet der Europäischen Gemeinschaft auszuweiten.

    Die Steuererhebung verstoße überdies gegen Art. 7 ff der Systemrichtlinie. Feststehe, dass die Spirituosen nach Schweden verbracht worden seien, weshalb nur eine Besteuerung nach schwedischem Recht mit der Systemrichtlinie vereinbar sei. Auch aus Art. 10 Abs. 2 der Systemrichtlinie ergebe sich, dass die Lieferungen allenfalls in Schweden zu besteuern gewesen wären. Bei Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren entstehe die Verbrauchsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat.

    Die Inanspruchnahme der Klägerin als Steuerschuldnerin sei ermessensfehlerhaft. Vorrangig seien andere Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen, und zwar aus dem Gesichtspunkt der Verursachung, der Tatnähe und des Verschuldens. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebiete es, dass die Klägerin, der keine unkorrekten Handlungen vorzuwerfen seien, nachrangig in Anspruch genommen werde. Die Außenhandelsagentur A habe zudem ihre vorrangige Haftung gegenüber der Klägerin schriftlich bestätigt.

    Die Klägerin beantragt, den zusammengefassten Steuerbescheid V .../97 vom 29.09.1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.03.2001 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und hält an seiner Auffassung fest, dass die Branntweinsteuer gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG entstanden sei. Die in Rede stehenden Erzeugnisse hätten sich in einem von der Klägerin als Versenderin wirksam eröffneten Steueraussetzungsverfahren des § 112 BranntwMonG befunden. Zu der Zweckbestimmung der Ausfuhr aus dem Verbrauchsteuergebiet der EG sei es nicht gekommen, da die beiden Sendungen nach Schweden (Mitgliedstaat der EG) umgeleitet worden seien. Die Umleitung stelle eine Unregelmäßigkeit im Steueraussetzungsverfahren und damit ein Entziehen der Erzeugnisse im deutschen Steuergebiet aus diesem Verfahren dar. Da die Waren von einem Mitgliedstaat in einen anderen gelangt seien, liege keine Ausfuhr, sondern ein Verbringen vor. Ein Verstoß gegen die Systemrichtlinie sei im Hinblick auf Art. 20 RL nicht gegeben. Da eine Erhebung der Verbrauchsteuer in Schweden nicht erfolgt sei, habe keine Erstattungsmöglichkeit nach Art. 20 Abs. 4 RL bestanden. Im Hinblick auf die gesamtschuldnerische Haftung der Steuerpflichtigen sei die Auswahl der Klägerin als Steuerschuldnerin rechtlich fehlerfrei erfolgt, weil insoweit Ermessensgesichtspunkte nicht zu berücksichtigen gewesen seien.

    Drei Aktenordner des ZFA Kiel sowie die Amtsakte RbL .../98 haben vorgelegen.

    Gründe

    Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig. Der Steueranspruch ist nach § 143 Abs. 1 BranntwMonG entstanden. Steuerschuldnerin ist die Klägerin gemäß § 143 Abs. 4 Nr. 1 BranntwMonG. Hierzu im Einzelnen:

    1. Nach § 143 Abs. 1 BranntwMonG entsteht die Steuer, wenn Erzeugnisse während der Beförderung nach den §§ 140 bis 142 BranntwMonG im Steuergebiet dem Steueraussetzungsverfahren entzogen werden, es sei denn, dass sie nachweislich untergegangen oder an Personen im Steuergebiet abgegeben worden sind, die zum Bezug von Erzeugnissen unter Steueraussetzung berechtigt sind. Nach der Vorschrift des § 143 Abs. 1 Satz 2 BranntwMonG gelten Erzeugnisse als entzogen, wenn sie in den Fällen des § 140 Abs. 2, des § 141 Abs. 4 oder des § 142 Abs. 3 BranntwMonG nicht in das Steuerlager oder in den Betrieb im Steuergebiet aufgenommen, in ein Zollverfahren übergeführt oder aus dem Steuergebiet ausgeführt werden. Nach der Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 29.10.2002, VII R 48/01, BFH/NV 2003, 279) wird ein Erzeugnis dem Steueraussetzungsverfahren durch jede Unregelmäßigkeit entzogen, die der steuerlichen Regelung der Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren unter Steueraussetzung zuwiderläuft und zur Folge hat, dass die Ware als in den steuerrechtlich freien Verkehr entnommen anzusehen ist.

    2. Im Streitfall sind die Erzeugnisse unter Steueraussetzung im innersteuerlichen Versandverfahren durch das Steuergebiet befördert worden (§ 141 Abs. 1 Nr. 3 BranntwMonG). Die Erzeugnisse sind im Sinne der Vorschrift entzogen worden. Die Entziehungshandlung liegt zunächst darin, dass der Transport nicht - wie mit gefälschten Zolldokumenten dokumentiert - über das Zollamt Pomellen ausgeführt, sondern über den Fährhafen Saßnitz nach Schweden umgeleitet worden ist. Als weitere Entziehungshandlung ist die Fälschung der Zolldokumente und deren Vorlage bei der Ausgangsstelle zu sehen. Hierdurch sollte der nicht dem tatsächlichen Verlauf entsprechende Eindruck erweckt werden, die Waren seien ordnungsgemäß durch das Steuergebiet befördert worden. Durch die Entziehungshandlungen sind die Spirituosen der Steueraufsicht (§ 209 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) vorenthalten und damit entzogen worden (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.2002, a.a.O.).

    Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für ein Entziehen nach § 143 Abs. 1 Satz 3 BranntwMonG gegeben sind. Diese Vorschrift enthält keine abschließende Legaldefinition des Begriffs der Entziehung. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die „Gilt-Fälle” der Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren den Anwendungsbereich der „echten” Entziehungsfälle des § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG nicht einschränken. Unerheblich ist deshalb, dass die Spirituosen nicht aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgeführt worden, sondern nach Schweden verbracht worden sind. Zwar mag es Sinn und Zweck des BranntwMonG entsprechen, wenn der nationale Verbrauch, also der Verbrauch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Steuergebiet) gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BranntwMonG erfolgt. Der hier zu beurteilende Tatbestand gründet sich jedoch nicht auf dem Verbrauch, sondern auf die Gefährdung des Steueranspruchs bei Entziehen der Ware aus dem Steueraussetzungsverfahren. Das ist zulässig und widerspricht nicht Art. 20 der Richtlinie92/12/EWG (Systemrichtlinie, Hinweis auf BFH-Urteil vom 30.11.2004, VII R 25/01, BFH/NV 2005, 588). In dem hier vorliegenden Entziehungsfall des § 143 Abs. 1 BranntwMonG kommt es - abgesehen von den in der Vorschrift genannten Ausnahmen - nicht darauf an, wohin die Waren gelangt sind. Der Steuertatbestand knüpft vielmehr an das Entziehen der Erzeugnisse im Steuergebiet an. Mit anderen Worten: Mit der Entziehungshandlung entsteht der Steueranspruch.

    3. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die Steuererhebung nicht gegen die Vorschriften der RL (EWG) 92/12 (Systemrichtlinie). Nach Art. 20 Abs. 1 RL wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem die Unregelmäßigkeit oder die Zuwiderhandlung begangen wurde, geschuldet, wenn während des Verfahrens der Steueraussetzung eine Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit begangen wird. Im Streitfall wurden die Spirituosen im Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland dem Steueraussetzungsverfahren entzogen. Das Besteuerungsrecht steht damit gemäß Art. 20 Abs. 1 RL der Bundesrepublik Deutschland zu. Fehl geht der Hinweis der Klägerin auf die Vorschrift des Art. 7 Systemrichtlinie. Hiernach werden die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat erhoben, in dem sich die Waren befinden, wenn sich verbrauchsteuerpflichtige Waren nach der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr in einem anderen Mitgliedstaat befinden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind ersichtlich nicht gegeben, denn die Spirituosen befanden sich im Steueraussetzungsverfahren und waren gerade nicht zum steuerrechtlich freien Verkehr abgefertigt worden.

    4. Die Auswahl der Klägerin als Steuerschuldnerin ist entgegen der Auffassung der Klägerin frei von Ermessensfehlern. Wie auch die Klägerin nicht verkennt, sind neben der Versenderin der Beförderer und der Eigentümer der Erzeugnisse Steuerschuldner im Sinne des § 143 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 BranntwMonG. Weiterer Steuerschuldner ist der Entzieher (§ 143 As. 4 Satz 2 BranntwMonG). Personen, die - wie im Streitfall - nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden, sind gemäß § 44 AO 1977 Gesamtschuldner. Für den Begriff der Gesamtschuld gilt die bürgerlich-rechtliche Definition des § 421 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB-. Hiernach sind mehrere Personen Gesamtschuldner, wenn sie dieselbe Leistung in der Weise schulden, dass jeder die gesamte Leistung zu bewirken verpflichtet ist, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist.

    Im Falle der Gesamtschuld besteht - entgegen der Auffassung der Klägerin - kein stufenweise beschränktes Auswahlermessen. Da jeder Gesamtschuldner die ganze Leistung schuldet, steht es der Finanzbehörde frei, an welchen Gesamtschuldner sie sich halten will (BFH-Urteil vom 13.05.1987, II R 189/83, BStBl II 1988, 188). Eine Beschränkung des Ermessens auf Gesichtspunkte der Verursachung, der Tatnähe und des Verschuldens entbehrt der rechtlichen Grundlage. Es ist vielmehr sachgerecht, wenn der Gesamtschuldner in Anspruch genommen wird, gegenüber dem die Schuld am einfachsten durchsetzbar erscheint. Gerade bei der von der Klägerin zu erbringenden Sicherheitsleistung erscheint es sachgerecht, den Anspruch ihr gegenüber geltend zu machen.

    Unerheblich ist die interne Vereinbarung der Klägerin mit der Außenhandelsagentur A, wonach diese sich verpflichtet hat, die Abgaben im Fall der nicht ordnungsgemäßen Ausfuhr zu übernehmen. Diese Vereinbarung betrifft allein das Innenverhältnis der Gesamtschuldner und kann daher gegenüber der beklagten Behörde rechtlich keine Wirkung entfalten.

    5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben sind.

    VorschriftenWG Art. 20