02.11.2010
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 07.04.2010 – 4 K 2084/06
1. Ein angestellter Schäfer, der jeweils am Betriebssitz des Arbeitsgeber die Schafherde übernimmt und anschließend mit den Tieren unterschiedliche Weideplätze im Bereich eines über 60 km² großen Gebiets aufsucht, übt eine Einsatzwechseltätigkeit aus und kann Verpflegungsmehraufwand geltend machen.
2. Der Zuständigkeitsbereich des Schäfers ist nicht als eine einheitliche, großräumige, gleichbleibende (regelmäßige) Arbeitsstätte anzusehen, wenn die vom Schäfer zusammen mit den Schafen aufgesuchten Weideflächen mehrere Stadtteile umfassen, durch mehrere Straßen voneinander getrennt sind und wenn der Arbeitgeber keine Verfügungsmacht über das dazugehörende Gebiet hat.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 4. Senat durch den Berichterstatter gemäß § 79a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Finanzgerichtsordnung ohne mündliche Verhandlung am 07.04.2010 für Recht erkannt:
1. Der Einkommensteuerbescheid vom 05.09.2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.10.2006 wird dahingehend abgeändert, dass die Einkommensteuer 2004 unter Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen des Klägers zu 1. in Höhe von 1.896 EUR bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit festgesetzt wird.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen aus der Einsatzwechseltätigkeit des Klägers für 316 Tage mit einer Abwesenheit von mehr als acht Stunden pro Tag im Veranlagungszeitraum 2004. Streitig ist, ob bei der Ausübung des Berufs des Klägers zu 1. als angestellter Schäfer ein weiträumiges Arbeitsgebiet oder eine Einsatzwechseltätigkeit vorliegt.
Die Kläger werden als Ehegatten zusammen beim Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann übt den Beruf eines Schäfers aus. Der Kläger machte in der Einkommensteuererklärung 2004 (Rückseite von Blatt 3 der Rechtsbehelfsakte) für 324 Tage wegen der Abwesenheit von mindestens acht Stunden Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1944 Euro geltend. Der Kläger ist Schäfer in der G. Agrargemeinschaft in L., Ortsteil B.-E.. Er übernimmt dort täglich die Schafe und begibt sich sodann mit den Schafen auf die Weide.
Das vom Kläger aufgesuchte Weidegebiet umfasste insbesondere das Ufergebiet der L. auf einer Länge von ca. 8 km und des Weiteren mehrere bis zu 5 km nördlich dieses L. Abschnittes belegene, durch mehrere Straßen voneinander getrennte Weidegebiete. Außerdem suchte der Kläger vier südlich der L. belegene Weidegebiete auf, die bis zu 4 km von der L. entfernt waren. Im einzelnen wird auf die markierten Weideflächen in dem von der Klägerseite vorgelegten Stadtplan (Folientasche nach Blatt 46 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Der Kläger war unstreitig an insgesamt 316 Tagen im Streitjahr länger als 8 Stunden von seinem Wohnort und von der G. Agrargemeinschaft entfernt tätig. Auf das Stundenbuch des Klägers für den Veranlagungszeitraum 2004 wird ebenfalls Bezug genommen (Blatt 36 f. der Gerichtsakte).
Mit Bescheid vom 05.09.2005 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2004 ohne Berücksichtigung der geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen fest. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und reichten eine Bestätigung des Arbeitsgebers über die Einsatzwechseltätigkeit des Klägers ein (Blatt 22 der Rechtsbehelfsakte). Durch die Entscheidung vom 13.10.2006 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kläger tragen vor, dass der Kläger zu 1. regelmäßig von seiner Wohnung zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte bei der G. Agrargemeinschaft fahre. Er übernehme dort die Schafe und begebe sich dann mit den Schafen auf die Weiden. Die Weideflächen befänden sich nicht auf einem zusammenhängenden Gelände. Sie lägen teilweise viele Kilometer auseinander, nämlich zwischen L. – G. bis R.. Entsprechend der geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes im Urteil vom 14.05.2005 habe der Kläger durch das tägliche Aufsuchen des Betriebes dort seine regelmäßige Arbeitsstätte. Für den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen komme es auf die Abwesenheit von der regelmäßigen Arbeitsstätte an. Gemäß Urteil des Bundesfinanzhofes vom 04.04.2006, Az. VI R 44/03, werde ein Verpflegungsmehraufwand dann anerkannt, wenn die Abwesenheit von der regelmäßigen Arbeitsstätte und von der Wohnung mehr als acht Stunden betrage.
Der Klägervertreter legte einen Stadtplan für L. vor, in dem mit Rotstift die Weideflächen und Einsatzorte des Klägers markiert wurden (Folientasche nach Blatt 46 der Gerichtsakte). An den Markierungen sei erkennbar, dass es sich jeweils um weit auseinander liegende Einsatzorte des Klägers handele.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid vom 05.09.2005 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.10.2006 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer 2004 unter Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen des Klägers zu 1. in Höhe von 1.896 Euro bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit festgesetzt wird;
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt Klageabweisung.
Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf seine Einspruchsentscheidung entgegen getreten. Dort vertrat er die Auffassung, dass im Streitfall eine Einsatzwechseltätigkeit nicht anzunehmen sei. Vielmehr handele es sich um eine großräumige Arbeitsstätte. Eine großräumige Arbeitsstätte sei anzunehmen, wenn es sich entweder um ein zusammenhängendes Werksgelände des Arbeitgebers handele oder – falls das Gelände nicht dem Arbeitgeber zugerechnet werden könne – die Einsatzstellen aneinander grenzten und in unmittelbarer Nähe zueinander lägen. Die Weideflächen eines Schäfers befänden sich nicht auf einem zusammenhängenden Gelände des Arbeitgebers, aber grenzten aneinander und lägen in unmittelbarer Nähe zu einander. Ein der typischen Einsatzwechseltätigkeit vergleichbarer Ablauf sei im Streitfall nicht gegeben. Beim Fortbewegen der Schafe auf Weideflächen wechsele nicht der Einsatzort in diesem Sinne.
Ergänzend trug der Beklagte in seiner Klageerwiderung vor, dass auch bei Nichtvorliegen eines weiträumigen Arbeitsgebietes sich der streitgegenständliche Sachverhalt nicht als Einsatzwechseltätigkeit darstelle. Es handele sich bei den Weideflächen um ortsgebundene betriebliche Flächen, die vom Kläger nicht nur gelegentlich, sondern regelmäßig und dauerhaft immer wieder aufgesucht würden. Der Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit sei aufgrund des zeitlichen Umfanges der verrichteten Arbeit auf den Weideflächen und einer gewissen Nachhaltigkeit des immer wieder Aufsuchens der Weideflächen auf eben diesen Weideflächen begründet. Neben dem Betriebssitz der G. Agrargemeinschaft, von wo aus der Kläger die Schafe übernehme und sich dann mit den Schafen auf die Weiden begebe, stellten sodann die Weideflächen, soweit sie entfernt auseinander liegen sollten, ebenfalls regelmäßige Arbeitsstätten dar. Eine Einsatzwechseltätigkeit zeichne sich dadurch aus, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit gerade nicht überwiegend an einer regelmäßigen Arbeitsstätte, sondern typischer Weise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten ausübe. Die Arbeitsdauer auf den jeweiligen Weideflächen sei nicht von einem jeweiligen Arbeitsanfall abhängig. Der Kläger habe auf einer bestimmten Weidefläche über eine gewisse Dauer immer wieder seine Arbeitsleistung zu erbringen. Der Arbeitseinsatz erfolge nicht willkürlich nach jeweiligem Arbeitsanfall beim Arbeitgeber. Vielmehr begebe sich der Kläger mit den Schafen nach deren Übernahme am Betriebssitz der G. Agrargemeinschaft systematisch zum Abweiden über die Flächen. Die Nachhaltigkeit der naturgemäßen Bewegung beim Abweiden auf den Weideflächen in immer wiederkehrender Abfolge schließe bereits die Anerkennung als ständig wechselnde Einsatzstellen aus. Ein typisches ständiges „Wechseln” in diesem Sinne sei im Streitfall ebenso nicht gegeben, da ein Schäfer nicht mit der Schafherde von einem Tag zum anderen von einer Weide auf eine viel weiter entfernte Weidefläche plötzlich wechseln könne, sondern sich systematisch immer weiter fortbewege. Im hier vorliegenden Einzelfall eines Schäfers sei die Tätigkeit an die Bewegung der Schafherde gebunden und nicht an einen Arbeitsanfall. In den bisherigen Rechtsprechungseinzelfällen, in denen eine Einsatzwechseltätigkeit bejaht worden sei, sei dies in dem typisch ständigen Wechsel des Einsatzortes nach jeweiligem Arbeitsanfall beim Arbeitgeber sowie willkürlichem Einsatzortwechsel begründet gewesen. Dies treffe für den vorliegenden Sachverhalt nicht zu.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 8 und Blatt 38 der Gerichtsakte).
Im übrigen wird auf die Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Das Finanzamt hat zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen im Rahmen einer Einsatzwechseltätigkeit abgelehnt. Der Einkommensteuerbescheid 2004 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.10.2006 ist deshalb rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Gemäß § 9 Abs. 5 EStG i. V. m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG sind Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen unter den dort genannten Voraussetzungen und Grenzen abzugsfähig. Demnach kommen Verpflegungspauschalen insbesondere bei Einsatzwechseltätigkeiten in Betracht. Von einer Einsatzwechseltätigkeit ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischer Weise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig ist. Keine Einsatzwechseltätigkeit liegt dagegen vor, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit nicht außerhalb seiner Arbeitsstätte aufhält. Eine einzige, wenn auch weiträumige Arbeitsstätte ist dann anzunehmen, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt oder die Einsatzstellen aneinander grenzen und in unmittelbarer Nähe liegen. Ein ganzer Stadtbereich, ein Ballungsgebiet oder der Raum um den Betriebsort oder um die Wohnung im Radius des üblichen Einzugsbereichs kann hingegen nicht als sogenannte großräumige Arbeitsstätte angesehen werden (vgl. zum Ganzen BFH-Urteile vom 07.02.1997 VI R 61/96, BStBl. II 1997, 333 und vom 02.02.1994 VI R 109/89 BStBl. II 1994, 422 sowie BFH-Urteil vom 14.09.2005 VI R 22/04, BFH/NV 2006, 507 und BFH-Beschluss vom 12.04.2006 X B 138/04, BFH/NV 2006, 1462).
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das Finanzamt zu Unrecht die Voraussetzungen für die Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen verneint. Der Kläger verrichtete seine Arbeitsleistung als angestellter Schäfer typischer Weise fast ausschließlich auf unterschiedlichen Tätigkeitsstellen im Bereich eines über 60 km² großen Gebiets. Nach Dienstantritt in der G. Agrargemeinschaft begibt sich der Kläger mit den Schafen auf die ihm zugewiesenen Weideflächen. In der G. Agrargemeinschaft selbst erbringt er dagegen keinen wesentlichen Teil seiner Arbeitsleistung. Damit übt er seine berufliche Tätigkeit an ständig wechselnden Tätigkeitsstellen aus. Die fehlende Vorhersehbarkeit des jeweiligen auswärtigen Tätigkeitsortes ist entgegen der Ansicht des Beklagten kein entscheidendes Kriterium. Im übrigen sind auch für einen Schäfer regelmäßig bei der Beweidung Unwägbarkeiten vorhanden, die einem zügigen, planmäßigen Fortkommen entgegenstehen können (z. B. Schwierigkeiten beim Überqueren von Straßen, Geburt von Lämmern, Verletzung von Tieren, Suche nach Tieren usw.).
Entgegen der Auffassung des Finanzamtes ist der Zuständigkeitsbereich des Klägers nicht als eine einheitliche, großräumige, gleichbleibende (regelmäßige) Arbeitsstätte anzusehen. Die vom Kläger zusammen mit den Schafen aufgesuchten – mehrere Stadtteile umfassenden und durch mehrere Straßen voneinander getrennte – Weideflächen stellen ein großräumiges Gebiet und kein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers dar, wie es zum Beispiel bei einem größeren Werksgelände angenommen werden könnte. Anders als bei dem Werksgelände einer Großfirma besteht bei den Weideflächen keine Verfügungsmacht des Arbeitgebers über das dazugehörende Gebiet. Der dem Kläger zugeordnete Bezirk kann weder dem Arbeitgeber des Klägers in einer eigentumsähnlichen Weise zugerechnet werden, noch grenzen die Einsatzstellen aneinander oder liegen gar in unmittelbarer Nähe zueinander. Von einer einheitlichen Arbeitsstätte kann im Streitfall daher nicht ausgegangen werden (vgl. BFH-Urteil vom 14.09.2005 VI R 22/04 a.a.O. und FG Köln, Urteil vom 24.10.2000, Az. 8 K 3411/99, EFG 2001, 65 sowie Sächsischen Finanzgericht, Urteil v. 01.03.2005, Az. 1 K 225/02, Juris-Dokument).
Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19.02.1982 VI R 61/79, BStBl II 1983, 466, nachdem ein Waldarbeiter, der in einem ca. 11 km² großen Forstrevier seines Arbeitgebers an verschiedenen Hieborten arbeitet, nicht auf wechselnden Einsatzstellen tätig ist, sondern es sich bei dem abgegrenzten Waldrevier um eine einheitliche großräumige Arbeitsstätte handelt, steht diesem Ergebnis nicht entgegen: Das Urteil betrifft einen mit der vorliegenden Größe des Einsatzgebietes her nicht vergleichbaren Sachverhalt. Die vorliegend über mehrere Stadtteile verstreuten Weideflächen, die durch stark befahrene Straßen voneinander getrennt sind, können nicht mehr als zusammenhängender, großräumiger Tätigkeitsmittelpunkt angesehen werden. Es handelt sich um eine Fläche von rd. 60 km², in der die einzelnen Einsatzstellen nicht in unmittelbarer Nähe aneinander angrenzten. Ein derart weiträumiges Gebiet kann nicht mehr als einheitliche, großräumige Arbeitsstätte beurteilt werden (dazu BFH-Urteil vom 14.09.2005, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen nach § 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt waren.