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  • 21.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145616

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 22.09.2015 – 7 V 89/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Az.: 7 V 89/14
    Beschwerde eingelegt - BFH-Az.: noch nicht bekannt

    Die Vollziehung des Bescheides über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags vom 31. Januar 2014 wird in voller Höhe aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

    Die Beschwerde wird zugelassen.

    Gründe
    I.

    Streitig ist, ob die Vollziehung des Bescheids über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags wegen verfassungsrechtlicher Zweifel aufzuheben ist.

    Die Antragsteller sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Sie erzielen als Angestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gem. § 19 Einkommensteuergesetz (EStG). Sie reichten am 30. Oktober 2013 ihre Einkommensteuererklärung beim Antragsgegner ein.

    Der Antragsgegner führte antragsgemäß eine Zusammenveranlagung durch und erließ mit Datum vom 10. Dezember 2013 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid und setzte gleichzeitig den Solidaritätszuschlag in Höhe von 742,11 € fest. Nachdem die Antragsteller Einspruch eingelegt hatten, änderte der Antragsgegner die Einkommensteuerfestsetzung und die Festsetzung des Solidaritätszuschlags mit Bescheiden vom 31. Januar 2014. Der Solidaritätszuschlag wurde danach auf 738,04 € herabgesetzt und ist - u.a. im Wege der Steuerabzugs - vollständig bezahlt.

    Die Antragsteller erhoben gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags mit Schreiben vom 3. Februar 2014 Einspruch. Der Antragsgegner hat über den Einspruch bisher noch nicht entschieden. Mit Schreiben vom 14. April 2014 beantragten die Antragsteller darüber hinaus, die Vollziehung des Bescheids über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags aufzuheben. Zur Begründung ihres Antrags verwiesen sie auf den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. August 2013 (Az. 7 K 143/08) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes, welches noch unter dem Aktenzeichen 2 BvL 6/14 beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.
    Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung mit Bescheid vom 22. April 2014 als unbegründet ab. Mit dem gerichtlichen Antrag verfolgen die Antragsteller ihr Begehren auf Aufhebung der Vollziehung des Solidaritätszuschlags weiter.

    Sie sind der Auffassung, dass das Solidaritätszuschlaggesetz verfassungswidrig sei. Zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes könne auf das beim Verfassungsgericht anhängige Verfahren 2 BvL 6/14 verwiesen werden.

    Daher bestünden auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners stehe das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung dem Aussetzungsbegehren nicht entgegen. Es sei zutreffend, dass ein öffentliches Interesse an einer geordneten Haushaltsführung bestehe. Die Bundesrepublik Deutschland sei aber finanziell in der Lage, innerhalb kürzester Zeit sehr hohe Geldbeträge zur Sicherung anderer europäischer Staaten oder der Rettung von Banken zu Verfügung zu stellen. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Haushaltsführung nicht beeinträchtigt wäre, wenn die Finanzverwaltung den Steuerpflichtigen eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Solidaritätszuschlags gewähren würde. Außerdem bezeichne sich die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibe im Internet einen Rechtsstaat als einen Staat, in dem die Regierung und Verwaltung nur im Rahmen der bestehenden Gesetze handeln und die Grundrechte achten müsse, die den Bürgern in der Verfassung garantiert seien.

    Die Besteuerung aufgrund eines Gesetzes, an dessen Verfassungsmäßigkeit ernstliche Zweifel bestünden, sei nach dieser Beschreibung in einem Rechtsstaat nicht als geordnete Haushaltsführung anzusehen.

    Sie stelle vielmehr einen Eingriff in die Rechte des Steuerpflichtigen unter Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze dar. In einem Rechtsstaat gebe es einen Gesetzesvollzug nur hinsichtlich verfassungsgemäßer Gesetze. Der Vollzug eines Gesetzes, dessen Verfassungsmäßigkeit ernstlich zweifelhaft sei, widerspreche jeglichen öffentlichen Belangen in einem Rechtsstaat, weil ein derartiger Vollzug nicht nur für die Steuerpflichtigen, sondern auch für den Rechtsstaat selbst inakzeptabel wäre. In einem Rechtsstaat habe jedes staatliche Vorgehen, also auch das Erheben von Steuern, unter strikter Beachtung der Verfassung, die das höchste Gut eines Rechtsstaats sei, zu erfolgen, so dass in einem Rechtsstaat bei Bestehen ernstlicher rechtlicher Zweifel an einem Steuergesetz eine Aufhebung der Vollziehung so lange zwingend geboten sei, bis die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes feststehe. In diesem Zusammenhang sei auch zu bedenken, dass für die finanzielle Notlage, in die die Staatsfinanzen angeblich geraten würden, wenn eine Aussetzung der Vollziehung gewährt werde, vorrangig ursächlich nicht der Antrag der einzelnen Steuerpflichtigen auf Aussetzung der Vollziehung sei. Vorrangig ursächlich sei die Untätigkeit des Staates, der für die benötigten Steuereinnahmen keine verfassungsgemäße Grundlage schaffe, obwohl es ihm bekannt sei, dass es ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Steuergesetzes gäbe. Die Bundesrepublik Deutschland habe es selbst in der Hand, dafür Sorge zu tragen, dass sie ausreichende Steuereinnahmen aufgrund verfassungsmäßiger Gesetze erhalte. Zu einer „ungeordneten“ Haushaltsführung könne es erst gar nicht kommen, wenn der Gesetzgeber eindeutig verfassungsgemäße Gesetze erlasse. Wenn die Bundesrepublik Deutschland meine, auf die Steuereinnahmen, die sie aufgrund des Solidaritätszuschlaggesetzes erhalte, nicht verzichten zu können, hätte der Gesetzgeber für diese Einnahmen längst eine eindeutig verfassungsgemäße Rechtsgrundlage schaffen können. Dass er dieses nicht für notwendig gehalten habe, zeige, dass die Verfassung nur noch eine untergeordnete Bedeutung im Steuerrecht habe. Der Gesetzgeber müsse sich nicht der Mühe unterziehen, verfassungsgemäße Gesetze zu erlassen, weil der Staat auch Steuereinnahmen aufgrund verfassungswidriger Gesetze einziehen und behalten dürfe. Es sei im Übrigen zutreffend, dass grundgesetzlich gesicherte Rechte wie Bildung, Krankenwesen, Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung etc. durch einen geordneten Haushalt sicher zu stellen seien. Sie - die Antragsteller - würden sich auch nicht gegen die Höhe der Steuereinnahmen, die zur Erfüllung dieser Verpflichtungen notwendig seien, wenden.

    Es stelle sich lediglich die Frage, ob die Steuereinnahmen in einem Rechtsstaat auf verfassungsgemäßen Gesetzen beruhen müssten, der Gesetzgeber sich also um klar und eindeutig verfassungsgemäße Steuergesetze bemühen müsse. Dies sei in einem Rechtsstaat unzweifelhaft zu fordern.

    Die Antragsteller beantragen,
    die Vollziehung des Bescheides über Solidaritätszuschlag für 2012 vom 10. Dezember 2013 in der Fassung des geänderten Bescheides über Solidaritätszuschlag für 2012 vom 31. Januar 2014 aufzuheben.

    Der Antragsgegner beantragt,
    den Antrag abzulehnen.

    Der Antragsgegner meint, dass eine Aufhebung der Vollziehung nicht zu gewähren sei. Eine Vollziehung eines Steuerbescheids sei u.a. aufzuheben, wenn ernsthafte Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestünden. Im Falle ernstlicher Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift sei nach gefestigter Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes eine besondere Interessenabwägung zwischen den gegen die Gewährung einer Aufhebung der Vollziehung sprechenden öffentlichen Belangen und den für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen geboten.

    Dabei komme es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift sei bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung.

    Ob „ernstliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes vorlägen, könne aus vorstehenden Gründen dahingestellt bleiben, weil eine Aufhebung der Vollziehung zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung jedoch grundsätzlich Vorrang gegenüber dem Individualinteresse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes habe.

    Ausschließlich ein geordneter Haushalt lasse es zu, dass hohe Geldbeträge auch kurzfristig zur Abwendung ernsthafter finanzpolitischer Konsequenzen oder in anderen notwendigen Situationen bereitgestellt werden könnten. Der Solidaritätszuschlag mit einem Gesamtaufkommen im Jahre 2012 von 13,624 Milliarden Euro trage wesentlich zu einem geordneten Haushalt bei. Um ebenfalls grundgesetzlich gesicherte Rechte wie Bildung, Krankenwesen, Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung etc. sicherstellen zu können, sei ein geordneter Haushalt unabdingbar.

    Der individuelle Rechtsschutz müsse daher hinter diese öffentlichen Interessen zurücktreten. Darüber hinaus erachte der II. Senat des BFH die streitbefangene Ergänzungsabgabe als verfassungsgemäß und eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde sei nicht zur Entscheidung angenommen worden. Aus diesen Gründen sei dem Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nicht stattzugeben.
    II.

    Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung ist begründet.

    1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt gemäß § 69 Abs. 2 Satz 7 FGO an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung.

    Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen u.a. dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl. III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung, s. z.B. Beschlüsse vom 13. März 2012 I B 111/11, BFHE 236, 501, BStBl. II 2012, 611, und vom 9. Mai 2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489). Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl. II 2011, 156; vom 26. August 2010 I B 85/10, BFH/NV 2011, 220). Dies gilt auch für ernstliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (BFH-Beschlüsse 18. Dezember 2013 I B 85/13, BStBl. II 2014, 947; vom 26. August 2010 I B 49/10, BStBl. II 2011, 826).

    Nach Auffassung des Senats bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für das Jahr 2012, weil der Senat von der Verfassungswidrigkeit des der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Solidaritätszuschlaggesetzes überzeugt ist.

    Der Senat hat deshalb das Verfahren 7 K 143/08, in welchem um die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944/975), in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 2002 (BGBl. I S. 4130), geändert durch Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4621) und Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2878) gestritten wird, mit Beschluss vom 21. August 2013 gem. Art. 100 Grundgesetz (GG) ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das Solidaritätszuschlaggesetz verfassungsgemäß ist. Zur Begründung seiner ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des hier angefochtenen Bescheids über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für 2012 verweist der Senat daher auf seinen Vorlagebeschluss vom 21. August 2013. Die für das Jahr 2007 ausschlaggebenden Gründe für die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes gelten nach Auffassung des Senats uneingeschränkt auch für das im Streitjahr 2012 anzuwendende Solidaritätszuschlaggesetz.

    2. Die Aufhebung der Vollziehung ist im Streitfall nicht wegen eines fehlenden besonderen Aussetzungsinteresses der Antragsteller ausgeschlossen.
    Es ist in Rechtsprechung und Fachliteratur umstritten, ob bei der Aussetzung oder Aufhebung von Steuerbescheiden aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die ihnen zugrunde liegenden Vorschriften ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu verlangen sei.

    a. Einige Senate des BFH fordern in solchen Fällen ausdrücklich ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das gründe in dem Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes. Geboten sei hiernach eine Interessenabwägung zwischen der einer Aussetzung der Vollziehung entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen (BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl. II 1991, 104; vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl. II 2003, 663; vom 7. Juli 2004 XI B 231/02, BFH/NV 2005, 178; vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl. II 2010, 558; vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl. II 2012, 418). Bei der Abwägung solle es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung ankommen (BFH-Beschlüsse in BFHE 162, 542, BStBl. II 1991, 104; vom 19. August 1994 X B 318, 319/93, BFH/NV 1995, 143; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl. II 2003, 18; in BFHE 236, 206, BStBl. II 2012, 418). Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift solle bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein (BFH-Beschlüsse vom 9. November 1992 X B 137/92, juris, und in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558).

    Soweit die Rechtsprechung ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes fordert, geht sie dabei von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis aus. Denn bei Bestehen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sei dessen Vollziehung im Regelfall auszusetzen oder im Fall eines bereits vollzogenen Verwaltungsakts die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 FGO). Jedoch könne in besonders gelagerten Ausnahmefällen trotz Vorliegens solcher Zweifel ausnahmsweise die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

    Ein solcher atypischer Fall komme in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift beruhen (BFH-Beschluss vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl. II 1984, 454). Sei dies der Fall, setze die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes (d.h. im Sinne eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsvorgangs) zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraus (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl. II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl. II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl. II 1994, 567).

    Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen bestehe, sei dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei komme es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse vom 21. November 2013 II B 46/13, BFHE 243, 162, BStBl. II 2014, 263; in BFHE 199, 566, BStBl. II 2003, 18; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl. II 1991, 104, und vom 20. Mai 1992 III B 100/91, BFHE 168, 174, BStBl. II 1992, 729). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes sei der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sei und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen habe. Es sei zu bedenken, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes (wie das KernbrStG) nicht nur die konkrete Steueranmeldung des jeweiligen Antragstellers beträfe, sondern vielmehr in gleicher Weise für sämtliche Adressaten des Gesetzes gelte, so dass deshalb im Ergebnis die vorläufige Außervollzugsetzung des gesamten ordnungsgemäß zustande gekommenen Steuergesetzes bis zur Entscheidung des BVerfG, d.h. für einen nicht absehbaren Zeitraum, eintrete. Die Befugnis, eine solche Rechtsfolge herbeizuführen, stehe jedoch nur dem BVerfG zu, dem allein die Feststellung der Nichtigkeit eines Gesetzes sowie der sich aus der Nichtigkeit ergebenden Konsequenzen vorbehalten sei und das nach § 32 BVerfGG einen streitigen Zustand bis zu seiner Entscheidung vorläufig regeln, also auch ein Gesetz, über dessen Verfassungsmäßigkeit zu entscheiden sei, vorläufig außer Vollzug setzen könne. Dabei sei nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Ohne Rücksicht auf die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechenden Gründe seien die Nachteile des Ausbleibens einer vorläufigen Maßnahme gegen die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn die Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes erginge, die Verfassungsbeschwerde aber schließlich ohne Erfolg bliebe (BVerfG-Beschluss vom 27. Juni 2013 1 BvR 1501/13, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 2013, 1145, m.w.N.). Von dieser Möglichkeit sei nach Auffassung des BVerfG nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen, denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stelle stets einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar, so dass die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprächen, ein besonderes Gewicht haben müssten (BVerfG-Beschlüsse in NVwZ 2013, 1145, und vom 22. Mai 2001 2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.).

    Auch wenn der Steuerpflichtige im konkreten Normenkontrollverfahren nicht nach § 32 BVerfGG, sondern allein beim Finanzgericht gemäß § 69 FGO vorläufigen Rechtsschutz beantragen könne, sei jedenfalls für den Fall, dass die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch ein Fachgericht gleichbedeutend sei mit der Außervollzugsetzung eines kompletten Gesetzes, kein Grund ersichtlich, weshalb das Fachgericht insoweit weniger strengen Anforderungen unterläge als das Bundesverfassungsgericht.

    Wie das BVerfG entschieden habe, verstoße eine solche Interessenabwägung --die auch das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltsführung berücksichtigt-- nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest so lange, wie der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibe; in Ausnahmefällen könnten deshalb überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (BVerfG-Beschluss vom 6. April 1988 1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rz 283; im Ergebnis ebenso BVerfG-Beschlüsse vom 6. Mai 2013 1 BvR 821/13, NVwZ 2013, 935, und vom 24. Oktober 2011 1 BvR 1848/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2012, 89).

    Dies gelte auch, wenn das Gericht im Rahmen eines Vorlagebeschlusses das BVerfG zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder eines Steuergesetzes angerufen habe. Ein solcher Vorlagebeschluss versperre nicht den Weg für eine Interessenabwägung. Mit unterschiedlichen Ergebnissen habe der BFH eine Interessenabwägung zwischen der einer Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen selbst in den Fällen vorgenommen, in denen er selbst eine Entscheidung des BVerfG eingeholt habe (BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 2003 II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl II 2003, 807, und vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl. II 2003, 663). Aus dem Beschluss des BFH vom 21. November 2013 (II B 46/13 BStBl. II 2014, 263) lasse sich auch nicht entnehmen, das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers habe stets Vorrang, wenn der BFH in der Sache einen Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG gefasst habe. Vielmehr habe der BFH in der Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, im Rahmen der Interessenabwägung sei der Umstand zu berücksichtigen, dass die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes praktisch zu einer einstweiligen Nichterhebung der gesamten Steuer führen könne und dass in Ausnahmefällen überwiegende öffentliche Belange eine Zurückstellung des Rechtsschutzanspruchs des Grundrechtsträgers rechtfertigen könnten. Im Ergebnis sei dem Rechtsschutzanspruch des Erbschaftsteuerpflichtigen nur deshalb der Vorrang eingeräumt worden, weil dieser zur Entrichtung der Erbschaftsteuer eigenes Vermögen hätte einsetzen oder die im Wege der Erbschaft erworbenen Gegenstände veräußern oder belasten müssen.

    b. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der VII. Senat des BFH z.B. die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheids über die Festsetzung der Kernbrennstoffsteuer trotz eines beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburg vom 29. Januar 2013 abgelehnt, weil die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes (d.h. im Sinne eines ordnungsgemäßen Gesetzgebungsvorgangs) zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers voraussetze (BFH-Beschluss vom 25. November 2014 VII B 65/14, BStBl. II 2015, 207 und BFH-Beschluss vom 9. März 2012 VII B 171/11, BStBl. II 2012, 418; s.a. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl. II 2010, 558; vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFHE 199, 566, BStBl. II 2003, 18; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, und vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl. II 1994, 567).

    c. Auch der II. Senat des BFH gewährt Aussetzung der Vollziehung bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der dem Steuerbescheid zugrunde liegenden Norm nur, wenn nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehe, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukomme (BFH-Beschluss vom 21. November 2013 II B 46/13, BStBl. II 2014, 263).

    Nach Auffassung des II. Senats des BFH sei bei der Prüfung, ob ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids vorliege, das individuelle Interesse des Steuerpflichtigen mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei komme es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung auf den Gesetzesvollzug und das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschlüsse in BFHE 228, 149, BStBl. II 2010, 558; in BFHE 236, 206, BStBl. II 2012, 418; in BFHE 236, 501, BStBl. II 2012, 611; in BFH/NV 2012, 1489).

    Allerdings hat der II. Senat des BFH in jüngeren Entscheidungen dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung eine geringere Bedeutung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung eingeräumt (gl.A. Cöster in Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 361 AO Rz. 58; Seer in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rz. 96). So hat der II. Senat des BFH die Aussetzung der Vollziehung eines Erbschaftsteuerbescheids trotz erheblicher finanzieller Auswirkungen für den Haushalt ausgesetzt, weil ein Normenkontrollverfahren wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG beim BVerfG anhängig war (BFH-Beschluss vom 21. November 2013 II B 46/13, BStBl. II 2014, 263). Der II. Senat des BFH begründet die Aussetzung dabei wie folgt:

    Bis zur Entscheidung des BVerfG sei zwar ungewiss, ob dieses die Vorschrift als verfassungswidrig beurteilen und im Fall einer Verfassungswidrigkeit für nichtig oder (nur) für mit dem GG unvereinbar erklären werde und welche Rechtsfolge hieraus ziehen sei. Jedoch habe der BFH vorläufigen Rechtsschutz auf der Basis seiner, der Vorlage zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl. II 2004, 367, m.w.N.). Eine Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes bei Verfassungsverstößen, von denen das Gericht überzeugt sei, gegenüber dem bei sonstigen Rechtsverstößen zu gewährenden vorläufigen Rechtsschutz sei dem rechtsuchenden Steuerpflichtigen im Hinblick auf seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl. II 2004, 367). Mit dem Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz müsse der Steuerpflichtige auch in Kauf nehmen, dass bei einer Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Klage gegen den Steuerbescheid Aussetzungszinsen nach § 237 der Abgabenordnung (AO) anfallen, die für jeden Monat ein halbes Prozent betragen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

    Sei --wie bei der Erbschaftsteuer-- die dem BVerfG zur Prüfung vorgelegte Vorschrift allerdings eine Tarifnorm, müsse im Rahmen der Interessenabwägung auch berücksichtigt werden, dass in diesem Fall die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes praktisch zu einer einstweiligen Nichterhebung der gesamten Steuer führen könne. Die Kompetenz, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, stehe aber nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht allein dem BVerfG zu, das von dieser Möglichkeit nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Gründe Gebrauch machen dürfe (BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2001 2 BvQ 48/00, BVerfGE 104, 23, 27 f.). Dennoch habe ein Steuerpflichtiger auch in einem solchen Fall Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Nur in Ausnahmefällen könnten überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (vgl. BVerfG-Beschluss in StRK, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283).

    Nachdem zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG aufgrund des Vorlagebeschlusses des BFH (in BFHE 238, 241, BStBl. II 2012, 899) ein Normenkontrollverfahren beim BVerfG anhängig sei, sei die Vollziehung eines auf § 19 Abs. 1 ErbStG beruhenden Erbschaftsteuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen auszusetzen oder aufzuheben, wenn ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bestehe. Ein berechtigtes Interesse liege jedenfalls vor, wenn der Steuerpflichtige mangels des Erwerbs liquider Mittel (wie z.B. Bargeld, Bankguthaben, mit dem Ableben des Erblassers fällige Versicherungsforderungen) zur Entrichtung der festgesetzten Erbschaftsteuer eigenes Vermögen einsetzen oder die erworbenen Vermögensgegenstände veräußern oder belasten müsse. In diesen Fällen könne der Erwerber die Erbschaftsteuer nicht bzw. nicht ohne weitere, ggf. auch verlustbringende Dispositionen aus dem Erwerb begleichen. Es sei ihm hier deshalb nicht zuzumuten, die Erbschaftsteuer vorläufig zu entrichten. Wegen des vorrangigen Interesses des Steuerpflichtigen stehe der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entgegen, dass das ErbStG als formell zustande gekommenes Gesetz bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG Geltung beanspruche und von den Behörden und Gerichten anzuwenden sei.
    Gehörten dagegen zu dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb auch verfügbare Zahlungsmittel, die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer eingesetzt werden könnten, fehle regelmäßig ein vorrangiges Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Durch die Begleichung der Erbschaftsteuer verminderten sich lediglich die dem Steuerpflichtigen mit dem Erwerb zugeflossenen Zahlungsmittel, so dass die vorläufige Zahlung der Erbschaftsteuer dem Steuerpflichtigen zuzumuten sei.

    d. Dagegen vertritt der VI. Senat im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Pendlerpauschale die Auffassung, dass das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft regelmäßig hinter das Interesse des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz zurücktreten müsse, auch wenn die finanziellen Auswirkungen auf den Haushalt erheblich seien (BFH-Beschluss vom 23. August 2007 VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799). Der VI. Senat führt zur Begründung aus, dass der Haushaltsvorbehalt jeden (legislativen) Verfassungsverstoß mit genügender finanzieller Breitenwirkung sanktionieren würde. Das wäre ein "rechtsstaatlich unerträgliches Ergebnis" (so auch Seer in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rz. 97), da im Ergebnis damit der individuelle Rechtsschutz auf der Strecke bleiben würde. Im Übrigen würden durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung Risiken für die öffentliche Haushaltswirtschaft, die mit der Verplanung bzw. Verausgabung möglicherweise verfassungswidriger Steuern verbunden seien, gerade vermieden (Seer, Steuer und Wirtschaft 2001, 3, 17 f., m.w.N.). Der Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz trete daher nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurück.

    e. Der I. Senat des BFH hat es in verschiedenen Verfahren ausdrücklich offen gelassen, ob eine solche Interessenabwägung vorzunehmen ist (z.B. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, BStBl. II 2014, 947), weil im jeweiligen Streitfall ein besonderes Aussetzungsinteresse nach Auffassung des Senats vorlag, welches den öffentlichen, vor allem den haushälterischen Interessen des Staates vorging.

    Dazu führt der I. Senat des BFH aus, dass es nicht notwendig sei, dass der Vollzug eines Steuerbescheides für den Steuerpflichtigen irreparable Nachteile nach sich ziehe (s. zu solchen Konstellationen z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Juli 1991 III B 555/90, BFHE 164, 570, BStBl. II 1991, 876, und vom 29. Oktober 1991 III B 83/91, BFH/NV 1992, 246; s. für irreparable Nachteile BFH-Beschlüsse vom 9. November 1992 X B 137/92, juris, und in BFH/NV 1995, 143). Auch bei einer geringeren Belastung des Steuerpflichtigen könne das Aussetzungsinteresse nämlich überwiegen, namentlich dann, wenn die Gefahren für die öffentliche Haushaltsführung vergleichsweise gering seien. Auch drohende Einnahmeausfälle von mehreren hundert Millionen Euro im Jahr - wie im Falle der sog. Zinsschranke - stünden einer Aussetzung der Vollziehung nicht entgegen. Zumindest für den Fall, dass der Steuerpflichtige die fragliche Steuer "aus der Substanz" erbringen müsse, gehe das Aussetzungsinteresse dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung vor (BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, BStBl. II 2014, 947).

    f. Zur Frage, in welcher Höhe Einnahmeausfälle drohen müssen, damit das öffentliche Interesse überwiegt, liegen ebenfalls unterschiedliche Entscheidungen des BFH vor. Während der I. Senat des BFH die Aussetzung der Vollziehung bezüglich der sog. Zinsschranke bei einem drohenden Steuerausfall von 697,5 Mio. € p.a. gewährt hat, lehnte dies der VII. Senat des BFH im Verfahren über die Kernbrennstoffsteuer wegen drohender Einnahmeausfälle in Höhe von 0,92 Mrd. € (2011), 1,57 Mrd. € (2012) bzw. 1,28 Mrd. € (2013) ab. Der VI. Senat des BFH hat wiederum in dem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung bezüglich der sog. Pendlerpauschale das Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses auch für den Fall erheblicher Steuerausfälle verneint. Mit dem Hinweis auf die Größenordnung der mit der Einführung einer Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verbundenen Steuermehreinnahmen sei diese nicht geeignet, das öffentliche Interesse als vorrangig zu beurteilen. Denn abgesehen davon, dass sich die Einnahmesituation der öffentlichen Hand aufgrund der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung -gerichtsbekannt- derzeit als positiv darstelle, würde der Haushaltsvorbehalt jeden (legislativen) Verfassungsverstoß mit genügender finanzieller Breitenwirkung sanktionieren. Dies sei nicht hinzunehmen.

    2. Es kann nach Auffassung des Senats auch im vorliegenden Aussetzungsverfahren dahingestellt bleiben, ob für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zwingend eine Abwägung des für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses der Antragsteller und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses geboten ist. Denn im Streitfall steht dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung, nicht entgegen.
    Allein der Umstand, dass dem Fiskus durch die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung erhebliche Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe drohen, lässt nach Auffassung des Senats das individuelle Interesse der Antragsteller an einem effektiven Rechtsschutz nicht hinter das öffentliche Interesse des Staates an einer geordneten Haushaltsführung zurücktreten. Die Wahrnehmung und Erfüllung der öffentlichen Aufgaben ist durch den drohenden Einnahmeausfall nicht gefährdet.

    Der Staat verfügt nach Überzeugung des Senats auch für den Fall, dass der Solidaritätszuschlag bis zur Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss des Senats nicht vollzogen werden kann, gerade in jüngster Zeit über ausreichende Steuereinnahmen. Der Staat erzielt Rekordsteuereinnahmen und könnte sich im Zweifel am Kapitalmarkt zu historisch niedrigen Zinsen refinanzieren, so dass die Wahrnehmung und Erfüllung der öffentlichen Aufgaben nicht gefährdet erscheint.
    Der Senat verkennt dabei nicht, dass das Steueraufkommen aus dem Solidaritätszuschlag von mehr als 13 Milliarden € jährlich keine zu vernachlässigende Größe darstellt, deren Ausgleich erhebliche Anstrengungen des Staates nach sich ziehen würde. Jedoch hat der Anspruch des Steuerpflichtigen auf einen effektiven Rechtsschutz nach Auffassung des Senats nicht schon dann zurückzutreten, wenn dem Staat nicht unerhebliche Einnahmeausfälle drohen. Es ist auch für die Senate, welche eine Interessenabwägung fordern, unbestritten, dass bei Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids dieser in der Regel von der Vollziehung auszusetzen ist. Nur im Ausnahmefall ist von einer Vollziehungsaussetzung wegen vorrangiger Interessen des Staates an einer geordneten Haushaltsführung abzusehen. Dieses Regel - Ausnahmeverhältnis würde aber in sein Gegenteil verkehrt, wenn schon nicht unerhebliche Einnahmeausfälle einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung entgegenstünden. Deswegen kann sich der Senat nicht der Auffassung des VII. Senats des BFH anschließen, der eine Aussetzung im Zusammenhang mit der Kernbrennstoffsteuer schon abgelehnt hat, weil dem Staat Einnahmeausfälle von etwas mehr als 1 Milliarde € jährlich drohen würden. Vielmehr ist dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung nach Auffassung des Senats erst der Vorrang vor dem Individualinteresse an der Aussetzung bzw. Aufhebung des fraglichen Steuerbescheids einzuräumen, wenn durch die damit drohenden Einnahmeausfälle die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben konkret gefährdet wäre.

    3. Der Senat ist der Auffassung, dass dem besonderen Aussetzungsinteresse der Antragsteller nicht entgegen steht, dass vor allem der II. Senat des BFH bislang davon ausgegangen ist, im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung könne keine weiter gehende Entscheidung getroffen werden als vom BVerfG in einem Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG zu erwarten sei. Der II. Senat des BFH ging in der Vergangenheit davon aus, dass eine Aussetzung der Vollziehung ausscheide, wenn zu erwarten sei, dass vom BVerfG eine Vorschrift nicht rückwirkend für nichtig erklärt werde (BFH-Beschlüsse vom 11. Juli 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl. II 1986, 782; vom 17. Juli 2003, II B 20/03, BFHE 202, 380, BStBl. II 2003, 807; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BStBl. II 2011, 942). Denn der II. Senat des BFH hat diese Rechtsprechung jüngst aufgegeben, weil es nicht gerechtfertigt sei, aufgrund einer Prognose über eine Entscheidung des BVerfG vorläufigen Rechtsschutz generell auszuschließen. Sei ein qualifiziertes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorhanden, müsse dieses Interesse im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiv durchsetzbar sein und dürfe nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren eine Weitergeltung verfassungswidriger Normen anordne. Der geänderten Auffassung des II. Senats des BFH schließt sich der erkennende Senat an (so auch BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2013 I B 85/13, BStBl. II 2014, 947). Denn eine solche Prognoseentscheidung, wie das BVerfG zukünftig entscheiden wird, kann nach Überzeugung des Senats nicht seriös getroffen werden.

    4. Die Aufhebung der Vollziehung ist im Streitfall nicht auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, beschränkt, da die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids zur Abwendung wesentlicher Nachteile der Antragsteller nötig erscheint.
    Nach § 69 Abs. 2 Satz 8 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 FGO sind bei Steuerbescheiden die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Begriff der wesentlichen Nachteile i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO ist im Sinne der Rechtsprechung zu § 114 FGO zu verstehen (BFH-Beschluss vom 2. November 1999 I B 49/99, BFHE 190, 59, BStBl. II 2000, 57, unter II. 3. a dd, m.w.N.).
    Wesentliche Nachteile i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 FGO sind dann gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. November 2001 V B 100/01, BFH/NV 2002, 519, unter II. 2. a; vom 11. Juni 2001 I B 30/01, BFH/NV 2001, 1223, und vom 29. Januar 1985 IX B 106/84, BFH/NV 1985, 40, zu § 114 FGO). Darüber hinaus gewährleistet § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO aufgrund des Gebots eines effektiven Rechtsschutzes, dass wegen wesentlicher Nachteile zugunsten des Bürgers von den allgemeinen Grundsätzen abgewichen werden kann, wenn ein unabweisbares Interesse dies gebietet (BFH-Beschluss in BFHE 190, 59, BStBl. II 2000, 57, unter II. 3. a dd; s. auch BVerfG-Beschluss vom 7. Dezember 1977 2 BvF 1, 2, 4, 5/77, BVerfGE 46, 337, 340), um eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung von Grundrechten zu vermeiden, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15. August 2002 1 BvR 179/00, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2002, 3691, unter 2. a; vom 16. Mai 1995 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1, 14; vom 25. Oktober 1988 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69, 74 f.). Bei einem Überwiegen der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache erscheint eine Aufhebung der Vollziehung zur Vermeidung wesentlicher Nachteile nicht nötig (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 519, unter II. 1. b; in BFHE 190, 59, BStBl. II 2000, 57, unter II. 3. b). Dies gilt auch im Falle von (schwerwiegenden) Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Steuerrechtsvorschriften. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache können jedoch zur Bejahung wesentlicher Nachteile führen, wenn die Rechtslage klar und eindeutig für die begehrte Regelung spricht und eine abweichende Beurteilung in einem etwa durchzuführenden Hauptverfahren zweifelsfrei auszuschließen ist oder wenn bei Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit einer Norm die Dringlichkeit, ihren Vollzug einstweilen auszusetzen, besonders deutlich wird (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 13. November 1957 1 BvR 78/56, BVerfGE 7, 175, 180, und vom 17. November 1966 1 BvR 52/66, BVerfGE 20, 363, 364). In einem derartigen Fall sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache für das Vorliegen wesentlicher Nachteile in weitem Umfang vorgreiflich (vgl. BVerfG in BVerfGE 79, 69, 77 f.). Danach erscheint die Aufhebung der Vollziehung i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2, Abs. 3 Satz 4 FGO zur Abwendung wesentlicher Nachteile des Steuerpflichtigen auch dann nötig, wenn das zuständige Gericht eine streitentscheidende Vorschrift bereits gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt hat, weil es von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. Bis zur Entscheidung des BVerfG ist zwar ungewiss, ob dieses die Vorschrift für nichtig oder (nur) für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklären und welche Rechtsfolge es hieraus ziehen wird (vgl. BFH-Beschluss vom 29. April 2003 VI R 140/90, BFHE 202, 49, BStBl. II 2003, 719, unter II. 6.). Jedoch hat das Fachgericht vorläufigen Rechtsschutz auf Basis seiner, der Vorlage zugrunde liegenden Rechtsauffassung zu gewähren (vgl. BVerfGE 86, 382, 389). Anderenfalls würde der fachgerichtliche vorläufige Rechtsschutz des Steuerpflichtigen bei Verfassungsverstößen gegenüber sonstigen Rechtsverstößen, von denen das Gericht überzeugt ist, verkürzt. Dies ist dem rechtsuchenden Steuerpflichtigen im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten (BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BStBl. II 2004, 367; s.a. AEAO zu § 361 AO Nr. 4.6.1).
    Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Vollziehung des festgesetzten Solidaritätszuschlags in voller Höhe aufzuheben. Die Aufhebung der Vollziehung erscheint zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, weil der erkennende Senat von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes überzeugt ist und dementsprechend mit Beschluss vom 21. August 2013 das BVerfG gem. Art. 100 GG angerufen hat. Mit Blick auf die Rechtsauffassung des erkennenden Senats hätten die Antragsteller, die die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes rügen, in der Hauptsache Erfolg. Für eine im Streitfall abweichende Beurteilung sind bei summarischer Prüfung keine Anhaltspunkte ersichtlich.

    5. Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gem. § 128 Abs. 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

    6. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens gem. § 135 Abs. 1 FGO zu tragen.

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