Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Gekündigter Werkvertrag: Auch Zahlungen für nicht erbrachte Leistungen unterliegen der USt

    von Georg Nieskoven, Troisdorf

    | Erteilte Werkverträge kann der Auftraggeber jederzeit „frei“ kündigen. Er schuldet dem Auftragnehmer dann jedoch die vertragliche Gesamtvergütung, abzüglich „erspartem Aufwand“ und der durch frei werdende Kapazitäten erwirtschaftbaren Ersatzaufträge (§ 648 BGB). Während die deutsche BFH- wie BGH-Rechtsprechung in solchen Fällen den auf noch nicht erbrachte Leistungen entfallenden Zahlungsanteil als nicht umsatzsteuerbaren Schadenersatz einstuft, hat der EuGH dies jüngst anders beurteilt und eine Umsatzsteuerung bejaht ( EuGH 28.11.24, C-622/23 ). Die erheblichen Praxisfolgen sollte man nicht unterschätzen. |

    1. Der Entscheidungssachverhalt

    Das EuGH-Urteil betraf einen in Österreich angesiedelten Fall. Die dortige „Parkring Immobilien GmbH“ (P) plante die Errichtung einer Immobilie und hatte im März 2018 die „rhtb GmbH“ (rhtb) mit der Ausführung von Trockenbauarbeiten (Werklohn: 5,4 Mio. EUR inkl. USt) beauftragt. Nachdem die rhtb mit den Werkarbeiten begonnen hatte, kam es wenige Wochen später zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschäftsführungen der beiden Unternehmen. Infolgedessen kündigte die P bereits Ende Juni 2018 den Werkvertrag gegenüber der rhtb.

     

    Im Dezember 2018 übermittelte die rhtb unter Verweis auf § 1168 des österreichischen ABGB (ähnlich dem deutschen § 648 BGB) der Parkring eine Schlussrechnung, die sich inkl. MwSt auf brutto 1,6 Mio. EUR belief (Auftragssumme 5,4 Mio. EUR, abzüglich ersparter Aufwendungen für noch nicht erbrachte Leistungen). In dieser Summe waren die von der rhtb bereits erbrachten Werkleistungen mit 37.000 EUR enthalten. P verweigerte die Zahlung der angeforderten Summe, woraufhin die rhtb Zivilklage erhob und in erster Instanz Recht erhielt.

     

    Die österreichische Berufungsinstanz bejahte ‒ insofern differenzierter ‒ zwar den grundsätzlichen Anspruch der rhtb, ging jedoch davon aus, dass Umsatzsteuer nur hinsichtlich „des tatsächlich erbrachten Werkleistungsvolumens“ (37.000 EUR) entstanden und damit durch die rhtb von P einforderbar sei. Auf den Restbetrag falle mangels tatsächlich erbrachter Werkleistung keine USt an und könne somit auch nicht zusätzlich eingefordert werden. Der von beiden Parteien angerufene „Oberste Gerichtshof“ (OGH) setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob Umsatzsteuer nur auf das Volumen der tatsächlich erbrachten Werkleistungen oder auf den Gesamtvergütungsanspruch i. S. v. § 1168 Abs. 1 S. 1 ABGB entstehe ‒ auch wenn diesem weit überwiegend keine von der rhtb an P erbrachte Leistung zugrunde liege.

     

    Während der OGH in der Vorlage gegen die Umsatzbesteuerung der „schadenersatzähnlichen Zahlung für nicht erbrachte Leistungen“ plädiert, entschied der EuGH gegenteilig.

    2. EuGH-Entscheidung und Urteilsbegründung

    Der EuGH legt Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL (der die Steuerbarkeit von erbrachten Dienstleistungen regelt) dahin gehend aus, dass er die Umsatzbesteuerung der „Gesamtheit“ der vertraglich geschuldeten Vergütungen bereits dann verfügt, wenn

    • diese (wegen auftraggeberseitig erfolgter Kündigung) auf „letztlich nicht mehr erbrachte Leistungsanteile“ entfällt und
    • der Auftragnehmer mit seinen Arbeiten des „Gesamtauftrags“ bereits begonnen hatte und zu deren Fertigstellung auch unverändert bereit war.

     

    Der EuGH begründete seine Einschätzung mit bemerkenswert kurzen Ausführungen:

     

    Ein umsatzsteuerbarer Leistungsaustausch sei anzunehmen, wenn das eingegangene Rechtsverhältnis eine Leistung gegen Entgelt i. S. eines unmittelbaren kausalen Zusammenhangs beinhalte. Dies sei vorliegend gegeben, denn Auftraggeber P werde aufgrund des Bauleistungsvertrags in die Lage versetzt, gegen Zahlung der vertraglichen Leistungsvergütung die vertragliche Leistung vollständig abzurufen. Dass P vorliegend den Leistungsabruf bereits kurz nach Leistungsbeginn durch Kündigung beende, beeinträchtige die Annahme eines Leistungsaustauschs nicht.

     

    MERKE | Nach der EuGH-Rechtsprechung genügt es für die Bejahung eines Leistungsaustauschs und dessen Umsatzsteuerbarkeit bereits, dass der Leistungsempfänger in die Lage versetzt wird, die Leistung zu erhalten („Bereitstellung zum Abruf“) ‒ unabhängig davon, ob er diese tatsächlich vollumfänglich in Anspruch nimmt. Dies müsse erst recht in einem Sachverhalt wie dem vorliegenden gelten, in dem der Auftragnehmer mit seiner Leistungserbringung begonnen habe und zu deren vollständiger Erbringung bereit sei ‒ so der EuGH.

     

     

    In Rn. 17 ff. des Besprechungsurteils verweist der EuGH hierzu auf seine Entscheidung „Vodafone Portugal/ C-43/19“ ‒ insbesondere auf die dortigen Rn. 31‒40: In diesem Verfahren ging es um längerfristige Telekommunikationslaufzeitverträge mit „Mindestbindungsfrist“ und die Frage, ob bei vertragswidrigem vorzeitigen Vertragsabbruch des Kunden durch Nichtzahlung der vertraglichen Monatsvergütung die nachträglich beim Kunden beigetriebenen Monatsbeiträge trotz der vom Mobilfunkanbieter inzwischen veranlassten Deaktivierung der Mobilfunk-Dienste noch als Zahlung einer Gegenleistung im Leistungsaustausch zu werten seien. Der EuGH hatte dies eindeutig bejaht.

     

    In diesem Sinne hebt der EuGH auch im vorliegenden Bauleistungsfall hervor, dass es für die Annahme einer Zahlung im Leistungsaustausch ausreiche, wenn der leistende Unternehmer seine fortgesetzte Leistungsbereitschaft bezüglich der vertraglichen Bauleistung erkläre, unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger sein Recht zum Leistungsabruf wahrnehme. Denn die „Überzahlung“ ‒ über das bislang erbrachte Leistungsvolumen hinaus ‒ sichere dem Werkleistungsunternehmer eine vertragliche Mindestvergütung (Rn. 22).

     

    Beachten Sie | Dass der EuGH in einer Hotelzimmer-Reservierungsgebühr im Falle des Nichterscheinens ein nicht steuerbares, „verfallbares Angeld“ gesehen habe (EuGH C-277/05), stehe dem nicht entgegen, da die schlichte Zimmerreservierung und die bei Nichterscheinen insofern erhobene „No-Show-Gebühr“ ‒ wie vom EuGH damals betont ‒ eine Pauschalentschädigung ohne Leistungsinhalt darstelle.

    3. Rechtslagenvergleich und bisherige deutsche Besteuerung

    Die österreichische Zivilrechtslage stellt sich im Vergleich zur deutschen wie folgt dar:

     

    • § 1168 ABGB-Österreich: 1Unterbleibt die Ausführung des Werkes, so gebührt dem Unternehmer gleichwohl das vereinbarte Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Bestellers liegen, daran verhindert worden ist; er muss sich jedoch anrechnen, was er infolge Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.

     

    • § 648 BGB-Deutschland - Kündigungsrecht des Bestellers: 1Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. 2Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. 3Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 von Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen.

     

    Ausweislich des vorstehenden Rechtslagenvergleichs sieht auch das deutsche Zivilrecht im Falle einer sog. freien Kündigung (§ 648 S. 2 BGB) eines Werkvertrags vor, dass der Auftragnehmer seine „vereinbarte Vergütung“ ‒ abzüglich der ersparten Aufwendungen und der durch „frei werdende Kapazitäten“ erwirtschaftbarer Ersatzaufträge („… was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt …“) ‒ beanspruchen kann.

     

    Nach bisherigem deutschen Rechtsverständnis war insoweit jedoch von nicht umsatzsteuerbarem Schadenersatz auszugehen. Der BGH hatte sich bereits 2007 dafür ausgesprochen, dass auf letztlich nicht erbrachte Leistungsanteile keine Umsatzsteuer entsteht (BGH 22.11.07, VII R 83/05). Auch der BFH hatte jüngst im Fall eines vorzeitig gekündigten Architektenvertrags und der daraufhin nach § 648 BGB geforderten Vergütung judiziert, dass „Umsatzsteuer nur auf bereits tatsächlich erbrachte Leistungen anfalle ‒ aber nicht auf die restliche nach § 648 S. 2 BGB beanspruchbare „Vergütung“ (BFH 26.8.21, V R 13/19). Dieser Sichtweise des BFH hat sich bislang auch die Finanzverwaltung angeschlossen durch Veröffentlichung der o. a. BFH-Entscheidung V R 13/19 im Bundessteuerblatt Teil II.

    4. Folgeüberlegungen zur jüngsten EuGH-Entscheidung

    4.1 Finanzverwaltung dürfte umsetzen

    Auch wenn es vorliegend um einen in Österreich angesiedelten Fall ging, steht wohl außer Zweifel, dass die Finanzverwaltung der gegenteiligen EuGH-Sichtweise wird folgen müssen, auch wenn sie sich bislang noch nicht zu dieser Frage geäußert hat (zur bisherigen Weisung vgl. Abschn. 1.3 Abs. 5 UStAE). Es ist zudem denkbar, dass das BMF aufgrund der (bezüglich Häufigkeit und erheblicher Umsatzvolumina) großen praktischen Relevanz und der bislang gegenteiligen nationalen Rechtsprechung bzw. Verwaltungspraxis bezüglich der Anwendung der „neuen EuGH-Sichtweise“ eine Übergangsregelung verfügen könnte.

     

    4.2 Zusatzbelastung/Vorsteuerabzug

    Ist der Werksbesteller Nichtunternehmer oder wegen vorsteuerschädlicher Ausgangsumsätze nicht bzw. nur eingeschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigt, so ergibt sich für ihn aus der in den o. a. Fällen künftig „zusätzlich entstehenden USt auf die nicht erbrachten Werkleistungsanteile“ eine ganz erhebliche finanzielle Zusatzbelastung, was künftig in etwaige Entscheidungen abwägend einzubeziehen ist.

     

    Bei unternehmerischen Werksbestellern mit voller Vorsteuerabzugsberechtigung besteht der vorstehende Gesichtspunkt nicht. Dieser Vorsteuerabzugsberechtigung steht m. E. auch nicht entgegen, dass der Unternehmer mit seiner Kündigung gerade den Bezug der fraglichen Eingangsleistung unterbindet und für seine nach Zivilrecht gleichwohl zu leistende Zahlung (künftig zzgl. USt) gerade keine unternehmerisch verwertbare Gegenleistung erhält.

     

    Beachten Sie | Insofern drängte sich zwar auch im EuGH-Fall die Frage auf, ob die vom Geschäftsführer der rhtb als Impulsiventscheidung wirkende freie Kündigung tatsächlich zum besten wirtschaftlich-unternehmerischen Vorteil und Nutzen der Gesellschaft erfolgte. Gleichwohl dürfte aber der Vorsteuerabzug aus der nun zusätzlich entstehenden Umsatzsteuer auch in Fällen unternehmerischer Fehlentscheidungen systemisch nicht ernsthaft infrage stehen, denn ein solcher steht dem Unternehmer auch aus Eingangsleistungen zu, die sich nachträglich betrachtet als ökonomische Fehlentscheidung erweisen (so z. B. BFH 22.03.01, V R 46/00).

     

    4.3 Erste auf EuGH C-622/23 bezogene „Zivilgerichtsentscheidung“

    Nachdem der EuGH die bisherige Zivilrechtssicht (BGH VII R 83/05) in entsprechenden Fällen ins Wanken gebracht hat, ist nun mit dem Kammergericht Berlin ein erstes OLG der neuen EuGH-Sicht gefolgt: Mit Beschluss vom 13.5.25 (21 U 8/25) hat es bestätigt, die „Kündigungsentschädigung“ i. S. d. § 648 GBG sei umsatzsteuerpflichtig und werde daher „brutto“ geschuldet. In einer anderen OLG-Entscheidung (OLG Stuttgart 25.3.25, 6 U 110/24) ‒ dort allerdings betreffend eines vom Leasinggeber wegen Zahlungsverzugs des Leasingnehmers vorzeitig gekündigten Leasingvertrags ‒ hat das Gericht noch entsprechend der bisherigen BGH-Sichtweise gegenteilig geurteilt (BGH 14.3.07, VIII ZR 68/06; so auch Abschn. 1.3. Abs. 17 S. 6 UStAE).

     

    Beachten Sie | In der Literatur wird insofern bereits die Ansicht vertreten, diese OLG-Einschätzung sei durch die EuGH-Entscheidung C-622/23 überholt und die Restleasingraten mit USt zu berechnen.

     

    4.4 Vorsteuersperre im Zusammenhang mit nicht steuerbarem Schadenersatz?

    Einen ähnlich erscheinenden Fall hatte jüngst das FG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 29.5.24 (7 K 7122/22) zu entscheiden: Im dortigen Sachverhalt war die X-GmbH mit dem Ziel gegründet worden, für die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen eines Betreibervertrags tätig zu werden. Nach umfänglichen wie aufwendigen Vorarbeiten erhielt die X letztlich auch den Auftrag, der im Folgejahr von der Bundesrepublik Deutschland jedoch bereits wieder gekündigt wurde.

     

    Die insofern „umsatzlos bleibende“ X-GmbH beauftragte Anwälte zur Erzielung einer gütlichen Einigung bzw. alternativ zur Geltendmachung von „Ersatzansprüchen“, was letztlich scheiterte. Die von der X aus den umfänglichen Anwaltsrechnungen geltend gemachten Vorsteuerabzugsbeträge verwehrte die USt-Sonderprüfung des FA mit der Begründung, die Eingangsleistungen hätten nicht der Erwirtschaftung umsatzsteuerpflichtiger Umsätze gedient, sondern stünden mit nicht umsatzsteuerbaren Schadenersatzforderungen im Zusammenhang. Doch das FG war zum Glück anderer Auffassung.

     

    Nach erfolglosem Einspruch gab das FG dem Vorsteuerbegehren mit der Begründung statt, dass die X zur Erzielung umsatzsteuerpflichtiger „Betreiberumsätze“ gegründet worden sei. Der begehrte Vorsteuerabzug aus den Anwaltskosten sei lediglich eine (Kollateral-)Folge, um im Zusammenhang mit dieser beabsichtigten Tätigkeit entstandene Ansprüche durchzusetzen. Das Vorsteuerbegehren sei mithin auf die Umsatzabsicht und nicht auf nicht umsatzsteuerbare Schadenersatzerträge zu beziehen. Die Anwaltskosten stünden folglich mit der unabwendbaren Folge der Unternehmensliquidation im Zusammenhang. Der sog. „erfolglose Unternehmer“ sei vorliegend aber unstreitig mit der Absicht der Erwirtschaftung umsatzsteuerpflichtiger Erlöse gegründet worden und habe auch entsprechende Verträge abgeschlossen, die jedoch letztlich scheiterten und die Liquidation nach sich gezogen hätten. In diesem Verfahren ist inzwischen Revision (Az. V R 15/24) anhängig.

    5. Einordnung des EuGH-Urteils

    Die EuGH-Entscheidung C-622/23 markiert einen weiteren Wegpunkt in der Tendenz der jüngeren Rechtsprechung. Die Trennlinie zwischen „nicht steuerbarem Schadenersatz“ und „umsatzsteuerbarem Erlös“ verschiebt sich immer weiter Richtung Umsatzbesteuerung: Mit der Entscheidung C-277/05 hatte der EuGH noch geurteilt, die von einem Gast gegenüber einem Hotel für eine Zimmerreservierung zu zahlende „Reservierungsgebühr“, die im Falle seines Nichterscheinens als verfallbare Anzahlung behandelt werde, stelle umsatzsteuerlich nicht steuerbaren „echten Schadensersatz“ dar.

     

    • In der weiteren Folge urteilte der BFH (30.6.10, XI R 22/08), die einer Spedition für die kurzfristige Absage eines Umzugs zu zahlende „Kündigungsentschädigung“ stelle gleichfalls nicht steuerbaren Schadenersatz dar.

     

    • Dagegen kamen BFH wie EuGH bei „Unflown Revenues“ ‒ also gebuchten und bezahlten Flugtickets, die vom Buchenden letztlich nicht genutzt wurden ‒ zu der Einschätzung, der Buchungspreis unterliege der Umsatzsteuer, da der Flug durchgeführt (= Leistung erbracht) worden sei, aber der Fluggast diesen letztlich nicht genutzt habe (vgl. auch BFH 15.09.11, V R 36/09; EuGH 23.12.15, C-250/14; C-289/14).

     

    • Auch Entschädigungszahlungen für das Zugeständnis einer vorzeitigen Vertragsbeendigung (sog. Rechtspositionsverzichts-Leistung) beurteilten EuGH (C-63/92) wie BFH (V B 161/01, V R 34/03, V R 19/05, V B 156/08, V R 22/13, XI R 3/16 u. XI R 20/17) als umsatzsteuerbaren Vorgang. Dieser soll dabei so behandelt werden wie das „vorzeitig beendete Rechtsverhältnis“, also beim Zugeständnis des Mieters zur vorzeitigen Beendigung eines umsatzsteuerfreien Mietverhältnisses soll auch die „Rechtspositionsverzichts-Leistung“ umsatzsteuerfrei bleiben (s. o. C-63/92).
    •  
    • Die vorstehende „Besteuerungsanalogie“ greift aber beispielsweise nicht, soweit der Chefarzt einer Klinik gegenüber dem Klinikträger „gegen Abstandszahlung“ künftig auf sein Privatliquidationsrecht verzichtet (V R 36/20: Die Zahlung ist auch nicht umsatzsteuerfrei, da keine Heilbehandlungsleistung i. S. d. § 4 Nr. 14 UStG gegenüber Patienten erbracht wird, sondern eine „Verzichtsleistung“ gegenüber Dritten ‒ hier dem Klinikträger.
    •  
    • Beachten Sie | Die vorstehenden Grundsätze i. S. einer umsatzsteuerpflichtigen Leistung gelten beispielsweise auch dann, wenn der Unternehmer sich hinsichtlich einer vom ihm angestrengten Klage letztlich gegenüber dem Beklagten gegen Ausgleichszahlung zur Klagerücknahme bereit erklärt (BFH V R 47/17). Auch bei anderen längerfristigen Leistungsverhältnissen (z. B. 24-Monats-Mindestlaufzeitverträge) und ihrer gleichwohl vom Kunden vorzeitig veranlassten Kündigung mit der Folge der vorzeitigen Leistungseinstellung durch den Anbieter (z. B. Abschaltung der Internetleitung) hält der EuGH nachfolgend beigetriebene Vertragsraten trotz gekappter Leistungsbereitstellung unverändert für umsatzsteuerliches Leistungsentgelt (C-295/17, C-242/18, C-43/19; vgl. auch Abschn. 1.3. Abs. 16c UStAE).

     

    • Abmahnungskosten: Insofern ist auch in den durch begründete Abmahnungen hervorgerufenen und an den Abgemahnten weiterbelasteten Kosten kein Schadenersatz, sondern eine aufgezwungene Leistung der Art zu sehen, dass dem Abgemahnten auf diese Weise ein Weg zur kostengünstigen Streitbeilegung aufgezeigt wird (BFH XI R 27/14, XI R 1/17; vgl. auch Abschn. 1.3. Abs. 16a UStAE).

     

    • Vertragsstrafen: Auch die von einem Parkflächen-Überwachungsunternehmen bei vertragswidrig zeitüberschreitender Parkflächennutzung erhobene Parkverstoßgebühr hat der EuGH (C-90/20) nicht als Schadenersatz, sondern als umsatzsteuerpflichtiges Leistungsentgelt gewertet, woraufhin die Finanzverwaltung ihre gegenteilige Ansicht im neuen Abschn. 1.3. Abs. 16b UStAE aufgab.

     

    • „Stromdiebstahl“: Auch die nach unrechtmäßiger Stromentnahme und deren Entdeckung nachgeforderte Vergütungszahlung unterliegt nach Ansicht des EuGH (C-677/21) der Umsatzsteuer; zumindest beim „erhöhten Beförderungsentgelt“ hatte das BMF bislang gegenteilig geurteilt (Abschn. 10.1 Abs. 3 S. 11 UStAE).

     

    • „Abgrenzung zur Entgeltminderung/§ 17 UStG“: Macht der Auftraggeber bei einem nicht auftragsgemäß gelieferten Werk (BFH V R 72/01: dort eine bestellte Säge, die in punkto Sägevermögen und Schnittqualität nicht die vereinbarten Eckwerte erfüllte), „Schadenersatz“ geltend, so ist laut BFH zu differenzieren: Vergütungsminderungen wegen nicht vertragsgemäßer Werksqualität stellen „Entgeltminderungen i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG dar, und lediglich „Schäden infolge dieser Qualitätsmängel“ (z. B. verlorene Aufträge oder Regressforderungen der Kunden des Sägewerk-Unternehmers) stellten nicht umsatzsteuerbaren Schadenersatz dar.

     

    FAZIT | Die jüngste Entscheidung verlängert die Serie der systemisch wenig überzeugenden EuGH-Entscheidungen und verwirft die bislang in der Praxis gut handhabbaren Abgrenzungsüberlegungen von BFH und BGH. Der EuGH hinterlässt mit seiner These, der „mögliche Abruf der vertraglich geschuldeten Leistungen“ sei der tatsächlichen Leistungserbringung gleichzustellen, ratlose Praktiker. Betroffene Steuerpflichtige werden sich in der Folge auch fragen, ob Entsprechendes nur bei (auch noch so geringer) körperlich gegenständlich erstellter Bausubstanz oder bereits dann gilt, wenn der Unternehmer zwar „noch keinen Stein verbaut“, aber bereits mit der erforderlichen Baustelleneinrichtung begonnen hat (denn auch dort besitzt der Auftraggeber bereits das vom EuGH als relevant betonte Recht, die volle Leistung abzurufen).

     

    Auch die unter 5. aufgezeigte ‒ keine handhabbaren Abgrenzungsgrundsätze schaffende ‒ Kasuistik wird durch die jüngste Entscheidung weiter verstärkt. Und dennoch: Um eine Beachtung und Umsetzung der neuen EuGH-Sichtweise werden Finanzverwaltung und nationale Rechtsprechung nicht umhinkommen. Das gilt ggf. auch für die Auftragnehmer ‒ wollen sie nicht das Risiko einer anfänglich zu geringen „Nettoforderung“ für Teilbeträge i. S. d. § 648 BGB mit späteren Nachforderungsproblemen „zzgl. USt“ eingehen.

     

    Zur vorstehenden „Beachtung“ gehört demnach für auftragnehmende Werkunternehmer ab sofort auch, eine „klarstellende Umsatzsteuerklausel“ in ihre Verträge aufzunehmen, die Ihnen unter Verweis auf die o. a. EuGH-Entscheidung (ab dem Zeitpunkt der Umsetzung der neuen Rechtsprechung in Deutschland) das Recht einräumt, auch auf „vereinbarte Vergütungsanteile für nach auftraggeberseitiger Kündigung i. S. d. § 648 BGB nicht mehr erbrachte Leistungsanteile“ entsprechend Umsatzsteuer abrechnen bzw. nachberechnen zu können.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2025 | Seite 315 | ID 50489280