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  • 02.12.2021 · Anhängiges Verfahren · AEUV Art 267 · C-512/21

    Karussellfakturierungen, Geheimnisschutz, Steuerhinterziehung, Lebensmittelkette

    Letzte Änderung: 2. Dezember 2021, 01:00 Uhr, Aufgenommen: 2. Dezember 2021, 12:42 Uhr

    Vorabentscheidungsersuchen des Fovarosi Törvenyszek (Ungarn), eingereicht am 17. August 2021, zu folgenden Fragen:

    Ist eine steuerbehördliche Praxis mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie und dem Grundsatz der Steuerneutralität vereinbar, die die Kenntnis einer natürlichen Person, die in einem Rechtsverhältnis mit einer vom Steuerpflichtigen als Auftraggeber beauftragten, von ihm separaten, selbständigen juristischen Person mit eigener Rechtspersönlichkeit steht - ohne dass die natürliche Person in einem Rechtsverhältnis mit dem Steuerpflichtigen stünde -, ohne jegliche Prüfung automatisch der Kenntnis des Steuerpflichtigen gleichsetzt, und zwar unabhängig von dem zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer bestehenden Vertrag bzw. von den für das Auftragsrechtsverhältnis maßgeblichen ausländischen Rechtsvorschriften?

    Sind die Art. 167, 168 Buchst. a und 178 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass dann, wenn die Steuerbehörde eine Kette von Karussellfakturierungen feststellt, dies allein ein hinreichender objektiver Umstand für den Nachweis einer Steuerhinterziehung ist, oder muss die Steuerbehörde auch in diesem Fall angeben, welche Mitglieder der Kette mit welcher Handlung Steuern hinterzogen haben?

    Sind die genannten Artikel der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und der Angemessenheit dahin auszulegen, dass auch dann, wenn die Steuerbehörde aufgrund der spezifischen Umstände des Falls feststellt, dass der Steuerpflichtige zu einem höheren Maß an Sorgfalt verpflichtet ist, vom Steuerpflichtigen nicht erwartet werden kann, solche Umstände zu prüfen, die auch die Steuerbehörde im Rahmen einer fast fünf Jahre dauernden, zahlreiche Prüfungen umfassenden Überprüfung nur mit behördlichen Mitteln ermitteln konnte, wobei ihre Prüfung nicht durch den Steuerpflichtigen zustehenden Geheimnisschutz eingeschränkt wurde? Ist es im Fall des hohen Maßes der gebotenen Sorgfalt für die Feststellung der gebotenen Sorgfalt ausreichend, dass der Steuerpflichtige seine Prüfung möglicher Geschäftspartner auch auf Umstände ausgeweitet hat, die über die im Urteil Mahageben genannten Umstände in der Weise hinausgehen, dass er zur Prüfung der Partner über eine Beschaffungsregelung verfügt, er keine Barzahlung akzeptiert, seine abgeschlossenen Verträge Klauseln über mögliche Risiken enthalten und er im Zuge der Geschäfte auch weitere Umstände prüft?

    Sind die oben genannten Artikel der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass es in dem Fall, in dem die Steuerbehörde eine aktive Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Steuerhinterziehung feststellt, genügt, wenn die von ihr ermittelten Beweise darauf hindeuten, dass der Steuerpflichtige mit der gebotenen Sorgfalt hätte wissen können, dass er an einer Steuerhinterziehung beteiligt ist, aber nicht, dass er wusste, dass er Beteiligter einer Steuerhinterziehung war, weil er durch sein aktives Handeln daran beteiligt war? Muss die Steuerbehörde im Fall der aktiven Beteiligung an der Steuerhinterziehung bzw. des Nachweises der Kenntnis davon das sich in seinem Zusammenwirken mit den früheren Mitgliedern der Kette verkörpernde betrügerische Verhalten des Steuerpflichtigen beweisen oder genügt es mit objektiven Beweisen zu belegen, dass sich die Mitglieder der Kette einander kennen?

    Ist eine steuerbehördliche Praxis mit den oben genannten Artikeln der Mehrwertsteuerrichtlinie und mit dem als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar, bei der die Steuerbehörde ihren Bescheid auf die vermeintliche Verletzung von Vorschriften über die Sicherheit der Lebensmittelkette stützt, die keinerlei Auswirkung auf die Steuerdisziplin oder den Kontoumsatz des Steuerpflichtigen haben, deren Bestimmungen in keiner Form in den steuerrechtlichen Normen im Hinblick auf den Steuerpflichtigen enthalten sind und die keinerlei Auswirkung auf das tatsächliche Vorliegen der von der Steuerbehörde geprüften Umsätze bzw. auf die im Steuerverfahren geprüfte Kenntnis des Steuerpflichtigen hatten?

    Sollte die vorherige Frage bejaht werden:

    Ist eine steuerbehördliche Praxis mit den oben genannten Artikeln der Mehrwertsteuerrichtlinie und mit dem als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 47 der Charta sowie mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar, bei der die Steuerbehörde in ihrem Bescheid ohne Einbindung der für die Sicherheit der Lebensmittelkette zuständigen Fachbehörde in die Zuständigkeit dieser Behörde fallende Feststellungen in Bezug auf den Steuerpflichtigen trifft, und zwar so, dass sie auf der Grundlage von festgestellten Rechtsverletzungen im Hinblick auf die nicht in ihre Zuständigkeit fallende Frage der Sicherheit der Lebensmittelkette zu Lasten des Steuerpflichtigen steuerrechtliche Rechtsfolgen feststellt, ohne dass der Steuerpflichtige die Feststellung der Verletzung der Vorschriften über die Sicherheit der Lebensmittelkette in einem unter Einhaltung der grundlegenden Garantieprinzipien durchgeführten und die Rechte als Verfahrensbeteiligter sichernden Verfahren unabhängig vom steuerbehördlichen Verfahren hätte rügen können?

    Gericht: Europäischer Gerichtshof

    Aktenzeichen: C-512/21

    Normen: AEUV Art 267, EGRL 112/2006 Art 9 Abs 1, EGRL 112/2006 Art 10, EGRL 112/2006 Art 167, EGRL 112/2006 Art 168, EGRL 112/2006 Art 178 Buchst b, EUGrdRCh Art 47

    Rechtsmittel: Vorabentscheidungsersuchen