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  • · Fachbeitrag · Arzthaftung

    Aktuelles Urteil: Ist vor Routineimpfungen ein mündliches Aufklärungsgespräch erforderlich?

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rainer Hellweg, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

    | Immer wieder haben auch im Krankenhaus der Chefarzt oder seine Mitarbeiter mit Impfungen zu tun. Insbesondere in Privatambulanzen werden je nach Fachgebiet mehr oder weniger regelmäßig auch Routineimpfungen durchgeführt. In der Notfallambulanz geht es um die Tetanus-Schutzimpfung. Muss vor Routineimpfungen ein mündliches Aufklärungsgespräch erfolgen oder reicht ein schriftliches Aufklärungsmerkblatt zur Unterschrift? Zu dieser rechtlich heiklen Frage bringt eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken einen interessanten Vorstoß. |

    Der Sachverhalt

    Dem jetzt veröffentlichten Beschluss des OLG Zweibrücken vom 31. Januar 2013 (Az. 5 U 43/11, Abruf-Nr. 140517) lag folgender Fall zugrunde: Ein Patient wurde Ende 2009 von seinem Hausarzt simultan sowohl gegen den H1N1-Virus - die sogenannte Schweinegrippe - als auch gegen die saisonale Influenza geimpft. Vor der Impfung war ein vom Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz herausgegebenes Aufklärungsmerkblatt ausgehändigt worden. Die dort enthaltenen Fragen zu seinem aktuellen Gesundheitszustand und bekannten allergischen Reaktionen hatte der Patient ausgefüllt und unterschrieben. Ein mündliches Aufklärungsgespräch fand nachfolgend nicht mehr statt. Der Patient erlitt nach der Impfung eine seltene Erkrankung des zentralen Nervensystems (Bickerstaff-Enzephalitis) und wurde aufgrund schwerer körperlicher Behinderung berufsunfähig. Der vom Gericht beauftragte medizinische Sachverständige bestätigte eine kausale Verursachung durch die vorgenommenen Impfungen, auch wenn eine solche Komplikation der Influenza-Impfung extrem selten sei. Der Patient forderte ein Schmerzensgeld von mindestens 350.000 Euro sowie materiellen Schadensersatz.

    Die Entscheidung des OLG Zweibrücken

    Das OLG Zweibrücken gab im Berufungsverfahren dem Arzt Recht und verneinte einen Aufklärungsfehler. Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt, dass es bei öffentlich empfohlenen Routineimpfungen genügt, wenn dem Patienten nach ordnungsgemäßer schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zur weiteren Information durch ein Gespräch mit dem Arzt gegeben wird. Eine darüber hinausgehende Rechtspflicht, in jedem Fall ein mündliches Aufklärungsgespräch zu führen, existiere bei Routineimpfungen nicht.

    Der rechtliche Hintergrund

    Eigentlich betont die Rechtsprechung seit jeher und in Allgemeingültigkeit das Erfordernis eines „vertrauensvollen Gesprächs zwischen Arzt und Patient“ vor jedem Eingriff. Mit Urteil vom 15. Februar 2000 (Az. VI ZR 48/99) entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Fall der Polio-Schutzimpfung, dass das Erfordernis einer mündlichen Erläuterung der Risiken bei einer Routineimpfung nicht absolut gelte. Vielmehr könne es genügen, wenn dem Patienten nach schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zur Erlangung weiterer Informationen durch ein Gespräch mit dem Arzt gegeben werde.

     

    Dieses BGH-Urteil blieb jedoch ein medizinrechtliches Unikat. Seit 2000 gab es keine weitere Gerichtsentscheidung in diese Richtung. Die Rechtslage war umstritten und derart unklar, dass selbst der Gesetzgeber vor einer klarstellenden Regelung zurückschreckte. Während noch in einem Referentenentwurf formuliert war, dass „die Aufklärung bei geringfügigen Eingriffen auch in Textform erfolgen“ können sollte, ist diese Passage letztlich wieder herausgestrichen worden und auch durch das Patientenrechtegesetz nicht gesetzlich geregelt. Ausweislich der Begründung wollte der Gesetzgeber dies dem Auslegungsspielraum der Gerichte überlassen.

    Spannungsverhältnis zwischen Rechtsanspruch und Realität

    Die aktuelle Entscheidung des OLG Zweibrücken - wie auch schon das seinerzeitige BGH-Urteil - ist in der medizinrechtlichen Literatur auf teilweise heftige Kritik gestoßen. Es wird argumentiert, die Unverzichtbarkeit des mündlichen Aufklärungsgesprächs müsse in jedem Fall gewahrt bleiben. Von diesem Grundsatz könne auch bei Routineimpfungen nicht abgewichen werden. Allerdings stellt sich nach Meinung des Verfassers schon die Frage, ob ein regelhaftes mündliches Aufklärungsgespräch vor jeder Routineimpfung praktikabel ist und ob dies überhaupt im Patienteninteresse liegt. Bei einem Zuviel an Aufklärung besteht die Gefahr, dass Desinteresse bei den Patienten aufkommt und das Aufklärungsgespräch zu einer bloßen Förmelei verkommt.

     

    PRAXISHINWEISE | In Anbetracht der auch aktuell geführten Diskussion kann die Rechtslage keineswegs als eindeutig bezeichnet werden. Diese Entscheidung als Klärung dahingehend zu begreifen, dass vor Routineimpfungen regelhaft auf ein mündliches Aufklärungsgespräch verzichtet werden kann, wäre verfrüht. Gleichwohl hat das OLG Zweibrücken einen für die Ärzteschaft erfreulichen Vorstoß gebracht. Die zukünftige Rechtsprechung auch des BGH bleibt aber abzuwarten. In jedem Fall sollten vor Routineimpfungen die einschlägigen - teilweise auch von Behörden herausgegebenen - Aufklärungsmerkblätter verwendet werden. Die dortigen Fragen sind vom Patienten oder dessen Vertreter auszufüllen und zu unterschreiben. Im Merkblatt sollte ausdrücklich auf die Gelegenheit hingewiesen werden, im nachfolgenden Arztgespräch Fragen zu stellen.

     

    Um „auf Nummer sicher zu gehen“, kann in Anbetracht der derzeit unklaren Rechtslage nur die Empfehlung ausgesprochen werden, nach und trotz Unterzeichnung des Merkblatts den Patienten zusätzlich zumindest kurz mündlich über die Risiken der Impfung aufzuklären. Unterbleibt dies, besteht ein haftungsrechtliches Risiko. In jedem Fall sollte darauf geachtet werden, dass dem Vermerk im Hinweisblatt folgend den Patienten tatsächlich Gelegenheit gegeben wird, Fragen zur bevorstehenden Impfung im Gespräch zu stellen. Zu Beweiszwecken sollte dies kurz schriftlich dokumentiert werden.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2014 | Seite 6 | ID 42527781