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  • · Fachbeitrag · Gesetzgebung

    Bundestariftreuegesetz: Neue Hürde für Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe

    von Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

    | Öffentliche Aufträge des Bundes sollen künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden, die ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Dafür hat das Kabinett am 6.8.25 den Entwurf für ein Bundestariftreuegesetz (BTTG) beschlossen. BBP erläutert, welche Konsequenzen das geplante Gesetz für Unternehmen bei der Auftragsvergabe haben könnte und gibt Ihnen Tipps, wie Sie Ihre Unternehmermandanten jetzt am besten beraten. |

    1. Hintergrund und Zielsetzung des BTTG

    Tarifgebundene Unternehmen sind im Wettbewerb um die Vergabe öffentlicher Aufträge häufig benachteiligt: Sie kommen bei Vergaben oft nicht zum Zug oder bewerben sich erst gar nicht, da nicht tarifgebundene Konkurrenten ihre Waren und Dienstleistungen aufgrund geringerer Personalkosten meist günstiger anbieten können. Das beschränkt den Wettbewerb. Die Zahl der tarifgebundenen Betriebe und der Beschäftigten, für die ein Tarifvertrag gilt, ist in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Früher waren drei von vier Arbeitsplätzen tarifgebunden, heute ist es nur noch jeder zweite. Deshalb sollen Unternehmen ihren Beschäftigten nach dem jetzt vorgelegten BTTG-Entwurf künftig tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren müssen, wenn sie Aufträge des Bundes ausführen. Dies betrifft beispielsweise die Entlohnung, Urlaubsansprüche oder Regelungen zu Ruhezeiten.

     

    Ein entsprechender Kabinettsbeschluss vom 27.11.24 unter der Ampelregierung wurde im Bundestag nicht mehr behandelt und konnte somit in der 20. Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden. In der laufenden 21. Legislaturperiode wurde der Gesetzentwurf erneut eingebracht, da auch der aktuelle Koalitionsvertrag die Verabschiedung eines Tariftreuegesetzes vorsieht (Zeilen 553 bis 556 des Koalitionsvertrags 2025). Ziel des BTTG ist es, die Tariftreue und -autonomie zu stärken sowie „faire Löhne“ in Deutschland zu gewährleisten. Außerdem soll damit Art. 9 der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (RL [EU] 2022/2041) umgesetzt werden. Die Umsetzungsfrist dieser Richtlinie ist bereits am 15.11.24 abgelaufen.

    2. Eckpunkte des geplanten BTTG

    Das BTTG ist Kernstück eines Artikelgesetzes, mit dem weitere Gesetze geändert werden sollen. Außerdem soll das BTTG im Gleichklang mit dem Vergabebeschleunigungsgesetz umgesetzt werden, das das Kabinett inzwischen ebenfalls auf den Weg gebracht hat.

     

    2.1 Bund als Auftraggeber

    Adressat des BTTG ist der Bund bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Bau-, Liefer- und Dienstleistungsbereich. Der Begriff des Bundesauftraggebers umfasst dabei neben dem Bund auch juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts des Bundes. Dies ist vor dem Hintergrund des vom Kabinett beschlossenen „Sondervermögens Infrastruktur“ von Bedeutung, durch das in den kommenden Jahren viel Geld in die Modernisierung von Brücken, Krankenhäusern oder Schulbauten fließen wird.

     

    Beachten Sie | Die meisten Länder ‒ mit Ausnahme von Bayern und Sachsen ‒ haben auf Länderebene bereits ähnliche Regelungen.

     

    2.2 Wertgrenzen

    Das neue Gesetz soll für Vergaben auf Bundesebene ab 50 TEUR (ohne Umsatzsteuer) gelten.

     

    2.3 Tariftreueversprechen

    Der Gesetzentwurf zum BTTG sieht vor, dass öffentliche Aufträge künftig nur noch an Unternehmen vergeben werden dürfen, die ein sogenanntes Tariftreueversprechen abgeben. Dieses Versprechen soll als einfache, unbürokratische Erklärung abgegeben werden und verpflichtet die Unternehmen (Auftragnehmer, Nachunternehmer, beauftragte Verleiher), für die Dauer des öffentlichen Auftrags festgelegte Mindestarbeitsbedingungen einzuhalten, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) per Rechtsverordnung definiert (z. B. Entlohnung, Mindesturlaub, Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten). Die Kontrolle soll durch eine neu einzurichtende Behörde erfolgen, die bei der Rentenversicherung angesiedelt ist.

     

    Beachten Sie | § 4 BTTG-E räumt dem Arbeitnehmer dabei einen eigenen unmittelbaren Anspruch auf Gewährung der festgesetzten Arbeitsbedingungen gegen seinen Arbeitgeber ein. Unabhängig von den zugrunde liegenden vertraglichen Bedingungen kann der Arbeitnehmer diese Arbeitsbedingungen daher gegenüber seinem Arbeitgeber geltend machen und einklagen.

     

    2.4 Kontrolle und Nachweispflichten

    Die Vergabestellen der Bundesauftraggeber sollen stichprobenartig kontrollieren, ob ein Auftragnehmer sein Tariftreueversprechen einhält und Arbeitgeber ihre Pflichten erfüllen. Aktuell wird die Einhaltung der Vorgaben des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) ausschließlich durch die Zollverwaltung überwacht. Mit dem BTTG würden zusätzlich die Vergabestellen der jeweiligen Bundesauftraggeber in die Pflicht genommen.

     

    Auftragnehmer und Nachunternehmer haben die Erfüllung ihrer Pflichten nachzuweisen und zu dokumentieren. Dabei sollen Kontrollen und Nachweispflichten auf ein notwendiges Minimum begrenzt werden. Verstößt

    • der Auftragnehmer schuldhaft gegen sein Tariftreueversprechen,
    • der Auftragnehmer/Nachunternehmer schuldhaft gegen seine Nachweis- und Dokumentationspflicht oder
    • der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine Verpflichtung zur Einhaltung der Arbeitsbedingungen,

    stellt der Bundesauftraggeber dies durch Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) fest. Der Verwaltungsakt kann in einem Verwaltungs-(gerichtlichen) Verfahren angegriffen werden. Gemäß BTTG-E kann die Feststellung zum Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren für bis zu drei Jahre führen.

     

    2.5 Sanktionsmechanismen

    Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Bundesauftraggeber mit dem Auftragnehmer für Verstöße eine angemessene Vertragsstrafe sowie ein außerordentliches Kündigungsrecht vereinbaren muss. § 11 BTTG-E regelt darüber hinaus eine Nachunternehmerhaftung, bei der ein Auftragnehmer für Verstöße bei der Gewährung des Mindestentgelts durch den Nachunternehmer wie ein selbstschuldnerischer Bürge einzustehen hat. Diese ist der bereits derzeit geltenden Haftung des Auftraggebers nach § 14 AEntG nachgebildet. Bußgeldvorschriften sieht das BTTG-E hingegen nicht vor. Die Konsequenzen eines Verstoßes sind ein möglicher Ausschluss von laufenden bzw. zukünftigen Vergabeverfahren und die zuvor dargestellten zivilrechtlichen Sanktionen.

     

    2.6 Erweiterung von Tarifverträgen auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber

    Der BTTG-Entwurf sieht vor, dass das BMAS durch Rechtsverordnung Tarifverträge auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber erstrecken kann. Dies gilt bereits jetzt für eine Reihe von Branchen, für die das AEntG unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung von Tarifverträgen vorsieht (§§ 4 Abs. 1, 7 AEntG). Dafür ist ein gemeinsamer Antrag der Parteien eines Tarifvertrags erforderlich (§ 7 Abs. 1 S. 1 AEntG). Bei Bundesvergabeverfahren soll die Beschränkung auf diese Branchen künftig entfallen. Dann gelten die Tariftreueregeln für Auftragnehmer aller Branchen. Für die tarifvertragliche Verbindlichkeit soll bereits der Antrag einer der Tarifvertragsparteien genügen. Es gilt dann also eine geringere Hürde als bei einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG.

    3. Verbände kritisieren Gesetzentwurf scharf

    Bereits im Rahmen der ersten Anhörung haben die Wirtschaftsverbände den BTTG-Entwurf scharf kritisiert. Aus Sicht der DIHK führt der Gesetzentwurf zu erheblichen bürokratischen Mehrbelastungen und werde ‒ anders als im Koalitionsvertrag vereinbart ‒ nicht auf das „absolute Minimum“ beschränkt. Die umfangreichen Dokumentations- und Nachweispflichten für jeden einzelnen Arbeitnehmer und jede Einsatzzeit würden die Beteiligung von Unternehmen an Vergaben öffentlicher Aufträge erheblich erschweren. Die zusätzliche Bürokratie hemme insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, widerspreche dem Ziel der Vereinfachung im Vergaberecht und schade dem Wirtschaftsstandort Deutschland.

     

    In den Bundesländern mit Tariftreueregelungen müsse schon jetzt generell viel Aufwand für Dokumentation und Nachweise betrieben werden, ohne dass öffentliche Auftraggeber die Einhaltung des Tariftreueversprechens kontrollieren (können). Für eine neue Kontrollbehörde, die sogenannte Prüfstelle Bundestariftreue bei der Deutschen Rentenversicherung, stünden Aufwand und Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis, zumal eine weitere Betriebsprüfung zusätzlich abschreckend auf Unternehmen wirke. Die zusätzlichen Hürden durch die bürokratischen Nachweispflichten würden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen abhalten ‒ selbst solche, die bereits tarifgebunden sind oder übertariflich zahlen. Dieser Rückgang der Bieteranzahl mindere den Wettbewerb und führe zu weniger attraktiven Angeboten. Damit steige die Wahrscheinlichkeit, dass öffentliche Auftraggeber mit höheren Kosten rechnen müssen, was sich negativ auf die öffentlichen Haushalte und die sparsame Verwendung von Steuermitteln auswirke. Das Gesetz drohe somit ein „Beschaffungskostensteigerungsgesetz“ zu werden, das den wirtschaftlichen Druck auf die öffentliche Hand erhöht, ohne nachweisbaren Mehrwert für den Arbeitnehmerschutz zu schaffen.

     

    Zusätzliche Nachweispflichten und Anforderungen könnten KMU überfordern, die oft nicht tarifgebunden sind. Zudem sei fraglich, ob die angedachte Wertgrenze von 50 TEUR zu mehr Tarifbindung und Lohngerechtigkeit führt, denn schon heute liegt eine Vielzahl öffentlicher Auftragsvergaben des Bundes unterhalb dieser Wertgrenze.

    4. Wie sich Unternehmen jetzt vorbereiten sollten

    Die bisherigen Pflichten der Arbeitgeber, die unter einen allgemeinverbindlichen oder erstreckten Tarifvertrag fallen oder selbst tarifgebunden sind, zur Gewährung bestimmter Arbeitsbedingungen (§ 8 AEntG) sowie die Nachunternehmerhaftung (§ 14 AEntG) bleiben unverändert bestehen. Neu ist jedoch, dass sich diese Pflichten bei Bundesvergabeverfahren auch aus dem BTTG ergeben. Unternehmen, die künftig an Vergabeverfahren teilnehmen (möchten) bzw. von Unternehmen beauftragt werden wollen, die an der öffentlichen Auftragsvergabe mitwirken, sollten sich jetzt frühzeitig über die einschlägigen Tarifverträge und Arbeitsbedingungen informieren und ihre Arbeitsbedingungen für die Dauer der Auftragsumsetzung anpassen. Nur so können sie den Anforderungen der Vergabeverfahren genügen.

     

    Wichtig wird aber vor allem sein, dass Auftragnehmer bei öffentlichen Aufträgen sicherstellen, dass sie etwaige Verpflichtungen, denen sie bei der Vergabe unterliegen, an ihre Nachunternehmer weitergeben und die Einhaltung auch bei diesen überprüfen. Nur so können Vertragsstrafen und der Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe vermieden werden. Hierzu sind Compliance-Strukturen für die Auftragsvergabe und -durchführung zu schaffen, die eine (mindestens stichprobenhafte) Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtungen durch die Nachunternehmer umfassen. Die Unternehmen müssen sich hierbei auf einen höheren Personalbedarf und auch auf höhere Personal- und Verwaltungskosten einstellen.

    5. Nächste Schritte

    Das Gesetz muss nun im Bundestag beraten werden und bedarf der Zustimmung des Bundesrats. Dem Vernehmen nach ist beabsichtigt, dass das Beratungsverfahren im Bundestag und -rat bereits im September 2025 erfolgen soll. Nach der Verkündung im BGBl könnte das BTTG somit zeitnah in Kraft treten.

     

    Weiterführende Hinweise

    Quelle: Ausgabe 09 / 2025 | Seite 242 | ID 50514746