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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 14.01.2003 – 4 K 239/01

    1. Nehmen die Großeltern ein minderjähriges Kind, das freiwillig den Haushalt der sorgeberechtigten Mutter verlassen hat, entgegen deren Willen in ihren Haushalt auf und verweigern die Herausgabe des Kindes, obwohl sie dazu nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtlich aufgefordert wurden, steht ihnen gleichwohl das Kindergeld zu.

    2. Weil die Mutter im Hauptsacheverfahren auf die Herausgabe des Kindes verzichtete, blieb offen, wann eine dem Kindergeldanspruch entgegenstehende rechtswidrige Kindesentziehung vorliegt.


    Im Namen des Volkes

    Urteil

    In dem Finanzrechtsstreit

    wegen Kindergeld

    hat der 4. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg – aufgrund der mündlichen Verhandlung – in der Sitzung vom 14. Januar 2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … des Richters am Finanzgericht … der Richterin am Finanzgericht … der ehrenamtlichen Richter …

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

    3. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

    4. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob Kindergeld für das Kind … im Zeitraum Dezember 1999 bis März 2001 der Klägerin oder dem beigeladenen Vater der Klägerin zusteht.

    Die Klägerin hat die am 1. Juli 1986 nichtehelich geborene … durch Beschluss des Amtsgerichts … vom 20. Oktober 1992 als Kind angenommen. Seither steht ihr die alleinige elterliche Sorge für das Kind zu. … lebte im Haushalt der Klägerin und war unter deren Wohnsitz gemeldet; zunächst in … neben dem Haushalt der Großeltern, seit September 1998 in … verbrachte nach dem Umzug nach … regelmäßig die Wochenenden bei ihren Großeltern in … Es kam in der Folgezeit zu Spannungen zwischen der Klägerin und deren Eltern. Am Abend des 30. November 1999 verließ … gegen den Willen ihrer Mutter deren Wohnung und rief von außerhalb der Wohnung abends gegen 23 Uhr ihre Großeltern an, die sie in … abholten und mit nach … nahmen; seither lebt … im Haushalt der Großeltern in ….

    In der Folgezeit kam es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen vor den Familiengerichten:

    Zunächst wurden die Großeltern im Verfahren der vorläufigen Anordnung vor dem Amtsgericht … (Beschluss vom 9.12.1999, Geschäftsnummer …)verpflichtet, das Kind an die Mutter herauszugeben. Die Beschwerde der Großeltern wies das Oberlandesgericht … mit Beschluss vom 4.01.2000 (Geschäftsnummer …)zurück. Die Großeltern haben das Kind nicht an die Mutter herausgegeben.

    Das Amtsgericht … hat im Hauptsacheverfahren ein psychologische Gutachten zur Klärung der Frage in Auftrag gegeben, ob es dem Wohl des Kindes widerspreche, in den Haushalt der Mutter zurückzukehren. Auf den Inhalt dieses Gutachtens wird Bezug genommen (Bl. 82 bis 110 d.A.). Nach Vorlage des Gutachtens lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 15.08.2000 (Geschäftsnummer …)sowohl den Antrag der Klägerin auf Herausgabe des Kindes als auch den Antrag der Großeltern auf Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ab. Auch auf den Inhalt dieses Beschlusses wird Bezug genommen (Bl. 76 bis 81 d.A.). Das Oberlandesgericht … … wies die Beschwerde des Kindes betreffend Änderung der elterlichen Sorge zurück. In diesem Verfahren erledigte sich der Antrag der Mutter auf Herausgabe des Kindes (Beschluss vom 9. Februar 2001, …), weil die Mutter in nichtöffentlicher Sitzung vom 10. November 2000 erklärte, sie gehe davon aus, … wolle aufgrund eigenen Willens in … bleiben und dort die Schule besuchen. Deshalb sei sie mit einem Verbleib von … in … einverstanden.

    Am 5.02.2001 beantragte der Beigeladene beim Arbeitsamt … unter der KG-Nr. … Kindergeld, das er seit April oder Mai 2001 auch tatsächlich erhält. Die Klägerin leistete in dem streitbefangenen Zeitraum von Dezember 1999 bis einschließlich März 2001 keinen Barunterhalt für ihre Tochter.

    Mit Bescheid vom 27.03.2001 hat die beklagte Behörde die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind … ab 01.12.1999 aufgehoben und das für die Zeit vom 01.12.1999 bis 31.03.2001 gezahlte Kindergeld in Höhe von 4.300 DM zurückgefordert. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens trug der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor, es könne nicht nur auf die „Haushaltsaufnahme” ankommen, da ansonsten selbst in Entführungsfällen die Entführer kindergeldberechtigt seien. Die Verbringung von … nach … … sei rechtswidrig, weil sie einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Elternrechte darstelle und deshalb einer Entführung vergleichbar sei. Die Tatsache, dass die Klägerin den Aufenthalt des Kindes in … hinnehmen musste, könne nicht zur Folge haben, dass eine anfangs rechtswidrige Kindesvorenthaltung zum rückwirkenden Wegfall des Kindergeldes führe.

    In ihrer nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage trägt die Klägerin im wesentlichen vor, das Verhalten der Großeltern sei jedenfalls bis Frühjahr 2001 in einer „schier unerträglichen Weise” rechtsfeindlich und sei einer Kindesentführung gleichzustellen. Schon das Amtsgericht … habe in seinem Beschluss vom 15.08.2000 (Hauptsacheverfahren) ausdrücklich festgestellt, dass das Verhalten des Großvaters, der eine Herausgabe des Kindes verweigerte, rechtswidrig sei und die Klage auf Herausgabe nur deshalb abzuweisen sei, weil das Wohl des Kindes entgegenstünde.

    Aus dem Gesichtspunkt der „Einheit der Rechtsordnung” könne den Großeltern kein Kindergeldanspruch zustehen, weil der Staat die Kindesentführung verbiete, strafrechtlich sanktioniere und ein widerrechtliches Vorenthalten eines Kindes als Verstoß gegen Gesetz und Verfassung missbillige. Dieser Staat könne nicht zugleich dieses Verhalten durch die Zahlung von Kindergeld an die entführenden Großeltern subventionieren.

    Der BFH steile in seiner neuesten Rechtsprechung zu Entführungsfällen (VIII R 62/00 und VIII R 52/01 jeweils vom 19. März 2002, BFH/NV 2002, 1146 f, und 1148 f.) darauf ab, ab wann der sorgeberechtigte Elternteil nicht mehr mit der Rückkehr der Tochter rechnen könne. Dies sei bei der Klägerin erst ab April 2001 der Fall gewesen.

    Die Klägerin beantragt,

    den Bescheid des beklagten Landesamtes vom 27.03.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.05.2001 aufzuheben und für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.

    Das beklagte Landesamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Da … in den Haushalt des Beigeladenen aufgenommen worden sei, stehe der Klägerin kein Kindergeld mehr zu. Das aus § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) resultierende Obhutsprinzip gelte auch dann, wenn die Entfernung des Kindes aus dem Haushalt gegen den Willen der leiblichen Mutter vollzogen werde. Steuerrechtlich käme es weder auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht, noch auf die Sorgerechtsregelung an, sondern allein auf die Haushaltsaufnahme. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Tochter der Klägerin – wenn auch durch die Großeltern möglicherweise beeinflusst – aus eigenem Streben heraus den Haushalt der Eltern der Klägerin aufgesucht habe.

    Mit Beschluss vom 4. Juli 2002 ist der Großvater des Kindes gem. § 60 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung –FGO– beigeladen worden.

    Die Sach- und Rechtslage wurde am 11. September 2002 im Rahmen eines Erörterungstermins vor der Berichterstatterin des erkennenden Senats ausführlich diskutiert.

    Gründe

    Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

    Das beklagte Landesamt hat die Kindergeldfestsetzung für die Tochter … zu Recht gem. § 70 Abs. 2 EStG ab Dezember 1999 aufgehoben und das Kindergeld für den Zeitraum Dezember 1999 bis März 2001 (4.300 DM) zurückgefordert. Die Klägerin war nach dem Auszug der Tochter gegenüber dem Beigeladenen lediglich nachrangig anspruchsberechtigt.

    I. Anspruchsberechtigt für ein nach § 63 EStG zu berücksichtigendes Kind ist insbesondere, wer im Inland einen Wohnsitz hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Als Kinder werden neben leiblichen bzw. adoptierten Kindern (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 EStG) u. a. auch von dem Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 EStG) berücksichtigt.

    1. Neben der als leibliche Mutter anspruchsberechtigten Klägerin ist im Streitfall auch der Großvater anspruchsberechtigt, weil er seine Enkelin am 30. November 1999 in seinen Haushalt in … aufgenommen hat.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bedeutet Haushaltsaufnahme die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH vom 19.10.2000 VI B 68/99, BFH/NV 2001, 441 f.; BFH vom 20.06.2001 VI R 224/98, Bundessteuerblatt – BStBl– II 2001, 713). Danach gehört ein Kind dann zum Haushalt eines Anspruchsberechtigten, wenn es dort wohnt, versorgt und betreut wird, so dass es sich in dessen Obhut befindet (sog. Obhutsprinzip).

    2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist von einer Aufnahme des Kindes … in den Haushalt ihres Großvaters ab 30. November 1999 auszugehen. Ab diesem Zeitpunkt lebte … örtlich gebunden in … mit ihren Großeltern zusammen, die sie sowohl in materieller Hinsicht versorgten und ihr Unterhalt gewährten als auch in immaterieller Hinsicht für sie sorgten und sie betreuten. Die Mutter hat ab diesem Zeitpunkt weder Betreuungsleistungen, noch Barunterhalt für ihr Kind erbracht.

    3. Dieser Haushaltsaufnahme steht weder das alleinige Sorgerecht der Mutter entgegen, noch die Tatsache, dass der Umzug der Tochter in den Haushalt der Großeltern gegen den Willen der Mutter geschehen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können formale Gesichtspunkte, z. B. die Sorgerechtsregelung oder die Eintragung in ein Melderegister, bei der Beurteilung, in welchen Haushalt das Kind aufgenommen ist, allenfalls unterstützend herangezogen werden (BFH vom 19.10.2000 VI B 68/99, BFH/NV 2001, 441; BFH vom 08.11.2001 VI B 167/00, JURIS; BFH vom 20.06.2001 VI R 224/98, BStBl II 2001, 713).

    4. Es kann dahinstehen, ob die Haushaltsaufnahme durch den Beigeladenen Anfang Dezember 1999 zunächst noch nicht endgültig gewesen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs steht einer Aufnahme in den Haushalt des einen Kindergeldberechtigten nicht entgegen, wenn die Aufnahme in diesen Haushalt zwar zunächst noch nicht endgültig ist, aber für einen längeren Zeitraum gelten soll, so dass das Obhutsverhältnis zu dem abgebenden Elternteil jedenfalls zunächst beendet ist (BFH vom 20.06.2001 VI R 224/98, BStBl K 2001, 713). In einem solchen Fall wird das Kind nach dem Umzug von dem aufnehmenden Kindergeldberechtigten betreut, versorgt und unterhalten, so dass ein neues Obhutsverhältnis begründet wird.

    Im Streitfall sollte das Kind jedenfalls einen längeren Zeitraum dort verbringen und sich nicht nur in den Ferien oder zu Besuchszwecken dort aufhalten.

    II. Mit der Aufnahme der Enkelin in den Haushalt des Großvaters wurde dieser nicht nur neben der Klägerin Berechtigter i.S.d. § 63 EStG, sondern ihr gegenüber vorrangig berechtigt, so dass die Klägerin mit der Haushaltsaufnahme ihren Kindergeldanspruch, verlor.

    Bei mehreren Berechtigten wird gem. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Diese Regelung ist Konsequenz des in § 64 Abs. 1 EStG enthaltenen Grundsatzes, dass das Kindergeld nur einem Berechtigten bezahlt wird (sog. Obhutsprinzip; siehe Greite in: Korn, EStG-Kommentar, § 64 EStG, Rz. 7), denn die Regelung bedeutet zum einen, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird, zum anderen ergibt sich aus der Vorschrift, dass eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, nicht stattfindet.

    III. Die Rechtsfrage, ob § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG auch dann anzuwenden ist, wenn dem sorgeberechtigten Elternteil das Kind durch einen anderen Anspruchsberechtigten widerrechtlich entzogen wird, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich, weil das Verhalten des Beigeladenen nicht in diesem Sinne als widerrechtlich einzustufen ist.

    1. Erstens hat im Streitfall die 13-jährige Tochter freiwillig den Haushalt der Mutter in … verlassen und ihre Großeltern angerufen, um sie an einem Ort außerhalb des Haushalts der Mutter abzuholen. Das Kind ist mit anderen Worten weggelaufen und hat aus eigenem Streben heraus den Haushalt des Großvaters aufgesucht, um fortan dort zu leben. Der Großvater hat daher das Kind seiner Mutter nicht widerrechtlich entzogen, sondern mit seinem Handeln erst nach dem vorausgegangenen freiwilligen Handeln des Kindes in das Geschehen eingegriffen und damit allenfalls dessen eigenen Entschluss nachträglich gefestigt.

    In einem vergleichbaren Sachverhalt hat der BFH eine Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet abgewiesen (BFH vom 21. Dezember 2000 VI B 93/00, JURIS).

    2. Zweitens hat sich die sorgeberechtigte Mutter in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG … am 10. November 2000 damit einverstanden erklärt, dass … in … bleibt und dort die Schule besucht. Sie hat sich damit als Inhaberin des Sorgerechts letztlich mit einem Wechsel des Kindes zum Haushalt des anderen Berechtigten nachträglich einverstanden erklärt. Der BFH hat in einem Fall, in dem der sorgerechtsberechtigte Elternteil sich nachträglich mit einem Haushaltswechsel des Kindes zum anderen Elternteil einverstanden erklärt hat, eine widerrechtliche Kindesentziehung abgelehnt (BFH vom 20.06.2001 VI R 224/98, BStBl II 2001, 713, 714). Der BFH sieht in dem nachträglichen Einverständnis quasi eine Heilung einer evtl. zuvor widerrechtlichen Kindesentziehung.

    3. Drittens scheitert die Annahme einer rechtswidrigen Kindesentziehung auch daran, dass keine Kindesentführung vorliegt. Der BFH hat in den Fällen, in denen er geprüft hat, ob eine rechtswidrige Kindesentziehung vorliegt, regelmäßig das Erfordernis aufgestellt, die rechtwidrige Kindesentziehung müsse als „Kindesentführung” zu qualifizieren sein (BFH vom 21.12.2000 VI B 93/00, JURIS; BFH vom 20.6.2001 VI R 224/98, BStBl. II, 713, 714), gleichzeitig aber die Definition der Kindesentführung offen gelassen. In dem Fall, in dem er – im Rahmen eines Prozesskostenhilfe-Verfahrens – einer Kindergeldklage eines sorgeberechtigten Elternteils wegen widerrechtlicher Entziehung des Kindes hinreichende Aussicht auf Erfolg zusprach, hatte eine nicht sorge berechtigte Mutter ihr dreijähriges Kind dem sorgeberechtigten Vater entzogen und sich mit ihrer Tochter verborgen gehalten. Gleichzeitig wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Entziehung Minderjähriger eingeleitet. Somit liegt der Schluss nahe, eine Kindesentführung nur bei Erfüllung des Tatbestands des § 235 Strafgesetzbuch – StGB – (Entführung Minderjähriger) anzunehmen.

    Hierfür ist erforderlich, entweder eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List den Eltern zu entziehen oder aber ein Kind, ohne dessen Angehöriger zu sein, den Eltern zu entziehen. Beide Tatbestandsalternativen sind im Streitfall nicht erfüllt. Von der Klägerin wurde bislang nicht vorgetragen, dass ihr die 13-jährige … vom Beigeladenen mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List entzogen wurde. Die zweite Tatbestandsalternative scheitert schon daran, dass der Beigeladene als Großvater Angehöriger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB ist.

    IV. Dem Kindergeldanspruch des Großvaters steht auch nicht der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung entgegen.

    Das Amtsgericht … hat im Hauptsacheverfahren die Klage der Mutter auf Herausgabe des Kindes letztlich abgewiesen, nachdem ein umfangreiches Sachverständigengutachten nachgewiesen hat, dass eine Herausgabe dem Wohl des Kindes entgegenstünde. Die Großeltern haben zwar zunächst nach Erlass der einstweiligen Anordnung die Herausgabe des Kindes verweigert, obwohl sie dazu gerichtlich aufgefordert wurden, und damit gegen eine gerichtlich verfügte einstweilige Anordnung verstoßen. Dieses Verhalten wurde im Hauptsacheverfahren nach Auswertung eines Sachverständigengutachtens aber quasi legalisiert. Im Verfahren der vorläufigen Anordnung wird eine Entscheidung zunächst nur vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache getroffen. Erst die Entscheidung in der Hauptsache ist dann endgültig.

    Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ist gesetzlich nicht ausdrücklich normiert und allenfalls als überpositives Recht zu beachten. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass die Rechtsordnung nicht einerseits ein Verhalten als rechtswidrig sanktionieren und auf der anderen Seite dieses Verhalten tolerieren kann. Wenn aber ein Zivilgericht nach Anhörung einer Sachverständigen im Hauptsacheverfahren zu dem Ergebnis gelangt – aus welchen Gründen auch immer –, das Kind sei nicht an die sorgeberechtigte Mutter herauszugeben, so kann das Verhalten der Nichtherausgabe aufgrund des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung trotz erfolgter Haushaltsaufnahme nicht zu einer Negierung des Kindergeldanspruches führen. Vielmehr würde die Versagung des Kindergeldanspruches mit der alleinigen Begründung, die Nichtherausgabe des Kindes sei rechtswidrig gewesen, obwohl zuvor ein Zivilgericht im Hauptsacheverfahren einen Herausgabeanspruch der Mutter abgelehnt hat, gegen die Einheit der Rechtsordnung verstoßen.

    Gleichgültig ist hierfür, ob die Ansicht der Klägerin zutreffend ist, die das Verhalten der Großeltern als rechtswidrig einstuft und wonach der Herausgabeanspruch nur deshalb nicht gerichtlich durchzusetzen sei, weil das Kindeswohl entgegenstünde.

    V. Auch die Anwendung der neuesten, von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu Entführungsfällen (VIII R 62/00 und VIII R 52/01 jeweils vom 19. März 2002, BFH/NV 2002, 1146 f, und 1148 f.) lässt den Kindergeldanspruch des Beigeladenen unberührt.

    In den zitierten Urteilen war streitig, ob bzw. wie lange ins Ausland entführten Kinder im Inland noch einen Wohnsitz bzw. einen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. §§ 8, 9 AO haben. Der Bundesfinanzhof hat in der Entscheidung dieser Rechtsfrage – darin ist der Klägerin zuzustimmen – darauf abgestellt, ab welchem Zeitpunkt der sorgeberechtigte Elternteil nicht mehr mit der Rückkehr des Kindes rechnen kann.

    Die vom Bundesfinanzhof aufgeworfene Rechtsfrage steht jedoch in einem anderen rechtlichen Zusammenhang, als er sich im Streitfall darstellt, und stellt sich im vorliegenden Streitfall nicht. Sie ist auch nicht vergleichbar mit der Frage der Anspruchskonkurrenz des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG.

    VI. Der Kindergeldanspruch der Klägerin ist daher zum 30.11.1999 erloschen und die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch die beklagte Behörde ab 01.12.1999 rechtmäßig.

    Die Klägerin hat als unterliegende Partei gemäß § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kosten zu tragen.

    Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Nach § 139 Abs. 4 FGO sind diese Kosten nur dann erstattungsfähig, wenn das Gericht sie aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Eine solche Kostenerstattung entspricht nur dann der Billigkeit, wenn der Beigeladene selbst Sachanträge gestellt hat, weil er nur dann auch das Risiko trägt, selbst zu unterliegen und mit Kosten belastet zu werden (siehe Gräber, FGO-Kommentar, 5. Aufl. 2002, § 139 Rn. 34).

    Im vorliegenden Streitfall entspricht es nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu erstatten, weil der Beigeladene weder eigene Sachanträge gestellt, noch das Verfahren durch seinen Sachvortrag oder durch Rechtsausführungen wesentlich gefördert hat.

    Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine rechtswidrige Kindesentziehung vorliegt, die einen Kindergeldanspruch entfallen lässt, noch nicht höchstrichterlich entschieden ist und grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hat.

    Anschrift: Finanzgericht Baden-Württemberg • Außensenate Stuttgart •

    Postfach 10 14 16 • 70013 Stuttgart

    Dienstgebäude: Gutenbergstraße 109 • 70197 Stuttgart

    Fernsprecher: Vermittlung (07 11) 66 85–0 • Telefax (07 11) 66 85–1 66

    E-Mail: Poststelle@FGStuttgart. justiz. bwl. de

    VorschriftenEStG § 64 Abs. 2 S. 1, EStG § 63 Abs. 1 Nr. 1, EStG § 63 Abs. 1 Nr. 3, EStG § 70 Abs. 2