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  • 14.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231794

    Finanzgericht Sachsen-Anhalt: Beschluss vom 11.07.2022 – 5 V 319/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Sachsen-Anhalt

    Beschluss vom 11.07.2022


    In dem Verfahren
    1. A
    2. B
    Antragsteller,
    bevollmächtigt:
    zu 1-2:
    gegen
    Finanzamt
    Antragsgegner,
    wegen Einkommensteuer 2008 - 2013
    (Aussetzung der Vollziehung)

    hat der 5. Senat am 11. Juli 2022 beschlossen:

    Tenor:

    1.
    Die Bescheide vom 17. Januar 2018 über Einkommensteuer 2008 bis 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. März 2021 werden von der Vollziehung insoweit ausgesetzt, als darin Hinzuschätzungen zu den Gewinnen wie folgt zu berücksichtigen sind:

    Jahr    hinzugeschätzter Gewinn
    2008    51.190 €
    2009    24.753 €
    2010    35.680 €
    2011    62.918 €
    2012    55.900 €
    2013    46.280 €

    Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

    2.
    Von den Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller 44% und im Übrigen der Antragsgegner zu tragen.

    Gründe

    I.

    Streitig sind die infolge einer Betriebsprüfung (Bp) und Steuerfahndungsprüfung vom Antragsgegner (Finanzamt -FA-) vorgenommenen Erlöshinzuschätzungen bei dem vom Antragsteller betriebenen Taxi- und Mietwagenunternehmen.

    Nach den Feststellungen der Bp bestanden in den Streitjahren formelle Buchführungsmängel in den Einnahmeursprungsaufzeichnungen des Antragstellers (vgl. Bp-Berichte vom 01. November 2017 für die Streitjahre 2008 bis 2010 und für die Streitjahre 2011 bis 2012). Der Antragsteller habe danach weder Schichtzettel vorgelegt noch nach Auszählung der Tageskasse die Tageseinnahmen täglich in ein Kassenbuch übertragen. Der Antragsteller habe stattdessen seine Barerlöse monatlich in einer EXCEL-Tabelle erfasst, die ihm als Kassenbuch diente. Weitere Abrechnungen oder Fahrtenbücher habe der Antragsteller ebenfalls nicht vorgelegt. Im Rahmen einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume seien für die Kalenderjahre 2012 und 2013 unvollständige Tagesaufzeichnungen der Fahrer des Taxiverkehrs aufgefunden worden. Ein Abgleich dieser aufgezeichneten Barerlöse mit den vom Antragsteller gebuchten Bareinnahmen ergaben Mehrerlöse für das Jahr 2012 i. H. v. rund 78.621 € und für das Jahr 2013 i. H. v. rund 85.049 €.

    Diese Buchführungsmängel veranlassten die Prüferin zu einer Taxikalkulation und entsprechenden Erlöshinzuschätzung.

    Auf der Grundlage dieser Prüfungsfeststellungen erließ das FA unter dem 17. Januar 2018 die streitgegenständlichen Bescheide.

    Soweit der von der Bußgeld- und Strafsachenstelle nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung erlassene Strafbefehl eine Geldstrafe von insgesamt 17.000 € auswies, wurde das Strafverfahren vom Amtsgericht Z gem. § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 5.000 € im Februar 2021 eingestellt.

    Das dagegen angestrengte Einspruchsverfahren hatte teilweise Erfolg. Das FA erstellte zwei neue Taxikalkulationen und reduzierte zuletzt in seiner Einspruchsentscheidung (EE) vom 5. März 2021 die vorherigen Hinzuschätzungsbeträge für alle Streitjahre im Mittel auf nunmehr ca. die Hälfte. Im Verhältnis zu den vom Antragsteller erklärten Gewinnen verbleibt eine streitige Gewinnerhöhung für alle Streitjahre im Mittel i. H. v. 565%, wobei sich diese im Einzelnen wie folgt darstellen:

    Gewinn    erklärt    Hinzuschätzg Bp    Hinzuschätzg EE
    2008    20.476 €    204.800 €    111.863 €
    2009    9.901 €    286.300 €    114.463 €
    2010    14.272 €    330.400 €    112.063 €
    2011    25.167 €    144.900 €    113.563 €
    2012    22.360 €    121.100 €    91.809 €
    2013    18.512 €    147.000 €    81.617 €
    Summe    110.688 €    1.234.500 €    625.378 €
    in %    100%    1115%    565%

    Mit seiner ausführlichen Antragsschrift, auf deren Inhalt der Senat wegen der weiteren Einzelheiten Bezug nimmt, trägt der Antragsteller u. a. vor, dass es ausreichende Einnahmeursprungaufzeichnungen gegeben habe, die es noch immer gebe. Aus den gesamten bei der Prüfung vorgelegten Umständen sei die Ordnungsgemäßheit der Aufzeichnungen festzustellen, insbesondere auch im Zusammenhang mit den Aussagen der Fahrer. Die Höhe der Schätzung sei vollkommen willkürlich, falsch und liege außerhalb der wirtschaftlichen Realitäten des Unternehmens des Antragstellers. Die Bescheide seien formell rechtswidrig, weil keine Schlussbesprechung stattgefunden hätte, die Besteuerungsgrundlagen nicht mitgeteilt worden seien, keine digitale Daten zur Verfügung gestellt worden seien und auch Erörterungen an Amtsstelle unterblieben seien. Zudem bestünde eine unbillige Härte. Eine Vollziehung würde seine, des Antragstellers, wirtschaftliche Existenz gefährden, was der Antragsteller u.a. mit einer eidesstattlichen Versicherung nebst Betriebswirtschaftlicher Auswertung begründet hat.

    Der Antragsteller beantragt,

    die Vollziehung der Bescheide nach Bp bis zur Rechtskraft der abschließenden Entscheidung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

    Der Antragsgegner beantragt,

    den Antrag abzulehnen.

    Zur Begründung bezieht sich das FA im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen und hält dabei insbesondere an seiner letzten reduzierten Hinzuschätzung in seiner Einspruchsentscheidung fest.

    Der Antragsteller hat in der Hauptsache Klage erhoben (5 K 208/21), über die der Senat noch nicht entschieden hat.

    Dem Senat haben bei seiner Entscheidung 4 Band Bp-Arbeitsakten, 2 Band Einspruchsakten und 1 Band nicht nummerierte und offensichtlich auszugsweise zusammengestellte Steuerstrafakte vorgelegen.

    II.

    1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist zulässig und hatte im tenorierten Umfang in der Sache teilweise Erfolg.

    2. Insbesondere ist vorliegend die besondere Zugangsvoraussetzung für den gerichtlichen AdV-Antrag i. S. d. § 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt. Das FA hat nach Erlass der Einspruchsentscheidung und vor Anrufung des Gerichts den entsprechenden AdV-Antrag des Antragstellers abgelehnt.

    3. Die AdV soll gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO angeordnet werden, wenn und soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn die Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes -BFH-, vgl. Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Auflage 2019, Rz. 160 zu § 69 FGO m. w. N.).

    Bei der notwendigen Abwägung im Einzelfall sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen (ständige Rspr., BFH-Beschluss vom 23. 8. 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799). Die AdV setzt jedoch nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Gründe überwiegen. Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie ein Misserfolg (BFH-Beschluss vom 23. 8. 2007 VI B 42/07, BStBl II 2007, 799). Dagegen begründet eine vage Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (BFH-Beschluss vom 11. 6. 1968 VI B 94/67, BFHE 92, 545, BStBl II 1968, 657). Im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf AdV beschränkt sich der Prozessstoff wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Behörde und andere präsente Beweismittel. Das Gericht muss den Sachverhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter aufklären (BFH-Beschluss vom 14. 2. 1989 IV B 33/88, BStBl II 1989, 516).

    4. Unter Anwendung vorstehender Maßstäbe hat der Senat bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung des Sachverhalts anhand der vorliegenden Akten und präsenten Beweismittel keine Bedenken gegen die Annahme einer Schätzungsbefugnis dem Grunde nach (siehe unter 4.). Der Antragsteller hat vorliegend sowohl die Aufbewahrungspflichten als auch die Aufzeichnungspflichten verletzt hat, weshalb eine Schätzungsbefugnis besteht (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 - XI R 25/02 -, BStBl II 2004, 599). Jedoch hat der Senat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schätzung der Höhe nach und hat daher eine eigene Schätzung vorgenommen (siehe unter 5.). Im Einzelnen:

    a) Der Senat sieht es auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse, d.h. der vom FA konkret festgestellten Buchführungsmängel als zweifelsfrei an, dass der Antragsteller seine ihm obliegenden Buchführungspflichten gem. § 147 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) in erheblichem Umfang verletzt hat. Die gesetzliche Vermutung der formellen Richtigkeit der Buchführung des Antragstellers i. S. d. § 158 AO ist zur Überzeugung des Senats vollständig entkräftet, sodass eine Schätzungsbefugnis i. S. d. § 162 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) dem Grunde nach besteht.

    aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müssen ungeachtet der Art der Gewinnermittlung alle Taxiunternehmer zur Erfüllung ihrer Buchführungspflicht die Schichtzettel physisch nach den Vorgaben des § 147 Abs. 1 AO aufbewahren (z. B. Urteil vom 26. Februar 2004 - XI R 25/02 -, BStBl II 2004, 599; Beschluss vom 18.03.2015 - III B 43/14, BFH/NV 2015, 978-979). Die sich aus § 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) i. V. m. §§ 63 bis 68 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) ergebende Pflicht zur Einzelaufzeichnung wirkt unmittelbar auch hinsichtlich der Besteuerung nach dem Einkommensteuergesetz (EStG). Taxiunternehmer haben danach ihre Bareinnahmen jeweils einzeln aufzuzeichnen. Aufgrund der branchenspezifischen Besonderheiten des Taxigewerbes erfüllen die Schichtzettel in Verbindung mit den Angaben, die sich auf dem Kilometerzähler und dem Taxameter des einzelnen Taxis ablesen lassen, die sich aus der Einzelaufzeichnungspflicht ergebenden Mindestanforderungen.

    Von der Aufbewahrung dieser Einnahmenursprungsaufzeichnungen kann nach vorgenannter BFH-Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann abgesehen werden, wenn deren Inhalt täglich - und nicht nur in größeren Zeitabständen - unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen wird.

    bb) Gemessen an vorstehenden Maßstäben sieht es der Senat vorliegend als offenkundig an, dass der Antragsteller weder seine Schichtzettel aufbewahrt hat noch deren Inhalt täglich unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen hat. Soweit der Antragsteller seine Einnahmen in EXCEL erfasst hat (vgl. z. B. Bl. 47ff Band 1 Bp-Arbeitsakte 2008-2010) genügt dies offensichtlich nicht den Anforderungen des § 147 Abs. 1 AO, weshalb der Senat von weiteren Ausführungen absieht.

    b) Zu den vorstehenden formellen Mängeln der Buchführung tritt als weiterer formeller Mangel hinzu, dass die vom Antragsteller eingesetzten vier Fahrer (Frau C, Herr D, Herr E, Herr F) in ihren Vernehmungen bei der Steuerfahndung (vgl. Steuerfahndungsakte) übereinstimmend ausgesagt haben, in allen Streitjahren Fahrtenbücher, Tagesaufzeichnungen, Wochenaufzeichnungen und Monatsabrechnungen geführt und dem Antragsteller zur Kontrolle übergeben zu haben. Diese gem. § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtigen Grundaufzeichnungen liegen ebenfalls nicht vor.

    c) Die Verletzungen der formellen Buchführungspflichten i. S. d. § 147 Abs. 1 AO in allen Streitjahr gewichtet der Senat im Sinne der BFH-Rechtsprechung (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 23. Februar 2018 - X B 65/17, Rz 37) vorliegend als dermaßen besonders gravierend, als dass sie einen Einblick in die tatsächlichen betrieblichen Verhältnisse überhaupt nicht ermöglichen.

    Erschwerend tritt vorliegend noch weiter hinzu, dass dem Antragsteller dies bewusst gewesen ist. Einerseits hat der Antragsteller in seiner Vernehmung am 28. September 2017 im Beisein seines Verteidigers zu Protokoll gegeben, die Aufzeichnungspflichten "nicht so" erfüllt und seine Tagesbareinnahmen "auf Grund von unzureichenden Zuarbeiten der Fahrer und auf Grund von Schätzungen" ermittelt zu haben. Andererseits war der Antragsteller durch eine gewerbliche Vor-Bp im Jahr 2007 für vorrausgegangene Kalenderjahre bereits auf die besonderen Aufzeichnungspflichten im Taxisgewerbe der Schichtzettel sowie die fehlenden Tagesabrechnungen der Fahrer explizit hingewiesen worden (Tz. 13. Bp-Bericht vom 14. April 2007).

    d) Im Lichte vorstehender Ausführungen vermag der Antragsteller deshalb auch bei summarischer Prüfung auf Grund der präsenten Aktenlage und dem substantiierten Vortrag des FA nicht mit seiner einfachen Behauptung in der Antragsschrift durchdringen, aus den gesamten bei der Prüfung vorgelegten Umständen sei die Ordnungsgemäßheit der Aufzeichnungen festzustellen, insbesondere auch im Zusammenhang mit den Aussagen der Fahrer.

    Der Antragsteller hätte hierzu entsprechend dem summarischen Charakter des Aussetzungsverfahrens zumindest entsprechende Tatsachen konkret behaupten und auch glaubhaft machen müssen.

    5. Hinsichtlich der Höhe der Hinzuschätzung schließt sich der Senat der im Verhältnis zur Bp bereits um die Hälfte reduzierten Schätzung des FA auf Grund einer Taxikalkulation zuletzt in Gestalt der Einspruchsentscheidung für das vorliegende ADV-Verfahren nicht an. Eine vertiefte und eingehende Auseinandersetzung bleibt ggf. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

    Der Senat macht vielmehr von seiner eigenständigen Schätzungsbefugnis gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO i. V. m. § 162 Abs. 1, 2 AO Gebrauch. Bei seiner summarischen Prüfung hat sich der Senat davon leiten lassen, bei Beachtung der Umstände des Einzelfalls ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes bzw. nahekommendes Schätzungsergebnis im Rahmen des ADV-Verfahrens zu erzielen (z.B. BFH-Beschluss vom 14. August 2018, XI B 2/18, Rn. 12, m. w. N.). Der Antragsteller muss dabei auf Grund seiner besonders gravierenden Buchführungsverstöße auch etwaige Ungenauigkeiten einer vergröbernden Schätzung hinnehmen.

    a) Ausgangspunkt der Schätzung des Senats sind die im Rahmen einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume für die gesamten Kalenderjahre 2012 und 2013 aufgefundenen Tagesaufzeichnungen der vier Fahrer, die das FA den vom Antragsteller erfassten Erlösen taggenau für beide Streitjahre gegenübergestellt hat (vgl. Trennlasche gebuchte Erlöse in der Steuerfahndungsakte). Diese Prüfungsfeststellungen einschließlich der zahlenmäßigen Gegenüberstellung sind im Übrigen vom Antragsteller auch nicht angegriffen worden.

    b) Inwieweit diese Tagesaufzeichnungen - wie vom FA behauptet - unvollständig sind, vermag der Senat bei summarischer Prüfung auf Grund der präsenten Aktenlage nicht beurteilen. Soweit an bestimmten Tagen fehlende Einnahmen von Fahrern gemeint sein könnten, könnte dies unter Umständen auch darauf zurückzuführen sein, dass keine Fahrten erfolgten. Dies kann jedoch für die Hinzuschätzung im vorliegenden ADV-Verfahren dahinstehen.

    c) Die in Rede stehende Gegenüberstellung der vom Antragsteller erklärten Erlöse mit den auf der Grundlage der beschlagnahmten Tagesaufzeichnungen der Fahrer für die Streitjahre 2012 und 2013 ermittelten Erlöse ergeben höhere Erlöse in der Größenordnung im Mittel der beiden Jahre um rund 250% zu den vom Antragsteller selbst erklärten Erlöse:

    Erlöse    erklärt    ermittelt
    2012    51.609 €    130.229 €
    2013    57.766 €    142.815 €
    Summe    109.374 €    273.044 €
    in %    100%    250%

    Die auf diesem Wege überschlägig ermittelte Erlöserhöhung für die beiden Streitjahre 2012 und 2013 in der Größenordnung von 250% wendet der Senat auf die vom Antragsteller erklärten Hinzuschätzungsgewinne aller Streitjahre mit folgenden Ergebnissen an:

    Gewinn    erklärt    FG Erhöhung    Hinzuschätzungsgewinn lt. FG
    2008    20.476 €    250%    51.190 €
    2009    9.901 €    250%    24.753 €
    2010    14.272 €    250%    35.680 €
    2011    25.167 €    250%    62.918 €
    2012    22.360 €    250%    55.900 €
    2013    18.512 €    250%    46.280 €
    Summe    110.688 €    250%    276.720 €

    Diese Hinzuschätzungsgewinne "lt. FG" liegen den tenorierten Beträgen zu Grunde.

    d) Soweit die Prüferin teilweise in einigen Streitjahren (2008, 2009, 2010, 2013) außerhalb der Hinzuschätzung weitere Korrekturen für nicht verbuchte oder korrigierte Erlöse vorgenommen hat (vgl. Tz. 21 bzw. 23 der Bp-Berichte), sind diese nicht zu beanstanden und bleiben zusätzlich zu den Hinzuschätzungsgewinnen unverändert bestehen.

    Weder hat der Antragsteller Einwendungen gegen diese Korrekturen erhoben, sondern nur gegen die Hinzuschätzungen, noch kann der Senat dem präsentem Aktenmaterial Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Behandlung durch die Prüferin entnehmen.

    6. Schließlich ist die Aussetzung in vollem Umfang nicht geboten, weil die Vollziehung der angefochtenen Bescheide für den Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte. Die Vollziehung eines - noch nicht bestandskräftigen - Steuerbescheides ist für den Steuerpflichtigen unbillig hart, wenn ihm dadurch wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur sehr schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (Stapperfend/Gräber, 9. Aufl. 2019, FGO § 69 Rn. 172, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

    a) Der Senat kann vorliegend offenlassen, ob tatsächlich eine wirtschaftliche Existenzgefährdung droht wie der Antragsteller sie insbesondere in seiner eidesstattlichen Versicherung dargelegt hat. Denn diese Ausführungen beziehen sich naturgemäß auf die vom FA vorgenommene Hinzuschätzung mit einer Gewinnerhöhung für alle Streitjahre im Mittel i. H. v. 565%, und nicht auf die deutlich geringere Hinzuschätzung des Senats im Mittel i. H. v. 250%.

    b) Jedenfalls scheidet vorliegend eine ADV wegen unbilliger Härte aus, weil in Höhe der vom Senat vorgenommen Schätzung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen. Der erkennende Senat folgt insoweit der entsprechenden langjährigen Rechtsprechung des BFH (vgl. Gräber/Stapperfend, 9. Aufl. 2019, FGO § 69 Rn. 172 m. w. N.). Die Schätzung des Senats ist im vorliegenden Fall auf Grund der besonders gravierenden Buchführungsmängel sowie auf der Grundlage der belastbaren Gegenüberstellung zwischen erklärten Erlöse und den mittels beschlagnahmter Unterlagen ermittelten Erlöse der Streitjahre 2012 und 2013 im Sinne einer absoluten Hinzuschätzungsuntergrenze zu verstehen.

    Im Übrigen hat der Senat trotz der besonders gravierenden Buchführungsmängel bereits zu Gunsten des Antragstellers davon Abstand genommen, einen weiteren Unsicherheitszuschlag aufzuschlagen.

    7. Soweit der Antragsteller eingewandt hat, die Bescheide seien formell rechtswidrig, weil keine Schlussbesprechung stattgefunden hätte, die Besteuerungsgrundlagen nicht mitgeteilt worden seien, keine digitale Daten zur Verfügung gestellt worden seien und auch Erörterungen an Amtsstelle unterblieben seien, kann er damit nicht durchdringen

    a) Zunächst ergibt sich aus den Aktenvermerken der Prüferin, dass am 28. September 2017 eine Schlussbesprechung stattgefunden hat (Bl. 313 Bd. 2 Bp-Arbeitsakte 2011 - 2013 und Bl. 325 Band 2 Bp-Arbeitsakte 2008 - 2010). Ausweislich der Aktenvermerk nahm daran neben dem Antragsteller auch dessen Rechtsanwalt G teil, welcher danach auf die ihm übersandten Bp-Berichte mit Schriftsatz vom 08. Dezember 2017 auch Stellung genommen hat. Damit ist der Einwand der fehlenden Schlussbesprechung, fehlender Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen und damit die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs aus den präsenten Akten nicht nachvollziehbar, sondern widerlegt.

    Abgesehen davon kann eine Schlussbesprechung nicht mehr verlangt werden, wenn - wie vorliegend - bereits die Klage gegen die Änderungsbescheide anhängig ist (BFH-Beschluss vom 15.12.1997 - X B 182/96, Rz. 4 ff.). Auch kann selbst bei - unterstellt - zu Unrecht unterbliebener Schlussbesprechung aufgrund § 127 AO die Aufhebung der im Anschluss an die Bp ergangenen Steuerbescheide nicht beansprucht werden, wenn - wie vorliegend - keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden kann (BFH-Urteil vom 24.05.1989 - I R 85/85, BStBl. II 1989, 900; BFH-Beschluss vom 24.8.1998 - III S 3/98, Rz. 27).

    b) Den Akten kann auch nicht entnommen werden, dass der Antragsteller überhaupt ausdrücklich einen spezifischen Antrag auf Überlassung der digitalen Daten im Zusammenhang mit der Bp bzw. im Einspruchsverfahren gestellt hat. Selbst wenn dies Fall gewesen sein sollte, würde dies im Hinblick auf Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gem. § 32i Abs. 9 AO separat den Finanzrechtsweg eröffnen und nicht die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide im vorliegenden Verfahren begründen.

    c) Schließlich kann auch die vom Antragsteller behauptete unterbliebene Erörterung an Amtsstelle nicht nachvollzogen werden. Ausweislich der beiden jeweils mehrseitigen Aktenvermerke in der Einspruchsakte (Bl. 103ff Einspruchsakte betr. Einspruch und Bl. 102ff) fand am 23. Februar 2021 ein Telefonat zwischen dem Prozessbevollmächtigten und dem Rechtsbehelfsbearbeiter, Herr I, statt, in dem die Bp-Ergebnisse und Einsprüche erörtert worden sind. Aus der jeweiligen Seite 4 der Aktenvermerke ergibt sich, dass der Prozessbevollmächtigte zum Abschluss des Telefonats angeregt hat, dieses Gespräch als die ursprünglich beantragte und nun telefonisch durchgeführte Erörterung zu betrachten; "dies sei wohl wegen Corona auch besser." Diesem Vorschlag stimmte danach Herr I zu.

    Ungeachtet dessen hätte selbst eine tatsächlich unterbliebene Erörterung an Amtsstelle i. S. d. § 364a AO oder eine etwaig unberechtigte Ablehnung eines Erörterungsantrags im Einspruchsverfahren gem. § 127 AO keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, wenn - wie vorliegend - in der Sache keine andere Entscheidung in der Sache getroffen werden kann.

    8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Bei der Ermittlung der Kostenquote ist der Senat davon ausgegangen, dass die Hinzuschätzung des FA nach Bp in seiner Einspruchsentscheidung mit einem Aufschlagsatz von 565% auf den erklärten Gewinn (= 100%) aus Sicht des Antragstellers anstelle auf Null vom Senat auf 250% (= 44%) herabgesetzt worden ist und der Antragsteller insoweit unterlegen ist.

    RechtsgebietFGOVorschriften§ 69 Abs. 1 S. 2 FGO

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