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  • · Fachbeitrag · Absetzungen für Abnutzung

    Der Erwerb einer Vertragsarztpraxis und die Frage der Abschreibung

    von Dr. Stephan Peters, Münster

    | In zwei Entscheidungen hat der BFH seine Rechtsprechung zu Fragen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Vertragsarztpraxen bestätigt und konkretisiert. Für die Annahme, dass eine Arztpraxis als gesamtes Chancenpaket übernommen wird und damit sämtliche Aufwendungen abschreibbar sind, kommt der Höhe des Kaufpreises eine besondere Indizwirkung zu ( BFH 21.2.17, VIII R 7/14, Abruf-Nr. 193967 ). Liegt ausnahmsweise nur der Erwerb eines wirtschaftlichen Vorteils aus der Zulassung vor, kommt AfA nicht in Betracht ( BFH 21.2.17, VIII R 56/14, Abruf-Nr. 193966 ). |

    1. Vorüberlegungen

    Möchte ein Arzt neben Privatpatienten auch Kassenpatienten behandeln und die erbrachten Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen abrechnen, bedarf es gemäß § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Kommt es zur Übernahme einer Praxis oder zum Kauf eines Anteils an einer Arztpraxis, ist es für die Verhandlungen über die Höhe des Kaufpreises für den Erwerber von entscheidender Bedeutung, in welchem Umfang die mit dem Erwerb verbundene Kaufpreiszahlung steuerlich als AfA oder erst bei Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe steuermindernd geltend gemacht werden können.

     

    Weil praktisch regelmäßig die den laufenden Gewinn mindernde Absetzung für Abnutzung angestrebt wird, hat sich der BFH schon in der Vergangenheit mehrfach mit der Frage befasst, in welchem Umfang beim Kauf einer Vertragsarztpraxis Abschreibungen nach § 7 Abs. 1 S. 1, S. 2 EStG geltend gemacht werden können. Der Abschreibung zugänglich sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 1, S. 2 EStG abnutzbare Wirtschaftsgüter. Beim Kauf einer Vertragsarztpraxis wird dabei zwischen den materiellen und den immateriellen Wirtschaftsgütern differenziert.

     

    • Der Vorteil aus der Vertragsarztzulassung stellt grundsätzlich kein neben dem Praxiswert stehendes selbstständiges Wirtschaftsgut dar und ist somit einheitlich mit dem Praxiswert abzuschreiben.
    • Die Vertragsarztpraxis werde inklusive aller Wirtschaftsgüter als Chancenpaket erworben.
    • In Ausnahmefällen könne sich der Vorteil aus der Vertragsarztzulassung jedoch zu einem selbstständig neben dem Praxiswert stehenden Wirtschaftsgut konkretisieren.
    • Eine solche Sonderkonstellation sei beispielsweise anzunehmen, wenn ein Arzt im Zusammenhang mit der Erlangung einer Vertragsarztzulassung eine Zahlung leistet, ohne die Praxis des Abgebenden jedoch tatsächlich zu übernehmen.
     

    Um die vom BFH angesprochenen Sonderkonstellationen identifizieren zu können, lohnt vorab ein Blick auf die Vorgaben und die in der Praxis anzutreffenden Gestaltungsvarianten des Zulassungsrechts. Bei der Zulassung handelt es sich zunächst um einen statusbegründenden Akt (BSG, SozR 3-2500, § 95, Nr. 18), der den Arzt nicht nur zur Leistungserbringung berechtigt, sondern im Sinne der Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung sogar verpflichtet (§ 95 Abs. 3 S. 1 SGB V).

     

    Beachten Sie | Der in der Praxis seltene Fall einer Ermächtigung soll hier nicht weiter behandelt werden, weil Ermächtigungspraxen aufgrund der Besonderheiten der Ermächtigung nur selten Gegenstand von Veräußerungsvorgängen sind.

     

    Weil das System der vertragsärztlichen Versorgung bedarfsorientiert ausgestaltet ist, kann in Abhängigkeit von Fachgebiet und Arztgruppe nach der jeweils geltenden Bedarfsplanungsrichtlinie nur eine bestimmte Zahl von Ärzten an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Sind in der Bedarfsplanungsrichtlinie ausgewiesene Sitze nicht nur kurzfristig unbesetzt, spricht man von Unterversorgung (§ 100 SGB V), liegt die Zahl der zugelassenen Ärzte oberhalb einer bestimmten Grenze, spricht man von Überversorgung (§ 101 SGB V). Diese Differenzierung ist sowohl für das Zulassungsverfahren als auch für die steuerliche Behandlung der mit dem Kauf in Zusammenhang stehenden Aufwendungen wichtig, weil die Möglichkeiten zur Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung in über- und unterversorgten Gebieten grundsätzlich unterschiedlichen Regelungen folgen.

     

    Steht eine Unterversorgung fest, können interessierte Ärzte unabhängig von der Übernahme einer Arztpraxis einen Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung stellen und ihre Tätigkeit nach der Zulassung aufnehmen. Die entsprechenden Feststellungen zur Über- bzw. Unterversorgung werden von vielen Kassenärztlichen Vereinigungen im Internet veröffentlicht. Völlig konträr stellt sich die Situation in Bereichen mit Überversorgung dar, weil die Niederlassungsmöglichkeiten in diesen Bereichen wesentlich eingeschränkter sind.

     

    1.1 Das Nachbesetzungsverfahren

    Das klassische Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 3a, Abs. 4 SGB V bietet dabei den gesetzlich vorgesehenen Regelfall. In den Fokus der Diskussionen ist das Nachbesetzungsverfahren aufgrund der neu geschaffenen Möglichkeit zum „Aufkauf“ von Vertragsarztsitzen zum Abbau von Überversorgung geraten. Wenngleich sich in der Praxis gezeigt hat, dass dieses Instrument nur in besonderen Ausnahmefällen zur Anwendung kommt, bspw. wenn die Fallzahlen einer Arztpraxis deutlich unter dem Fachgruppendurchschnitt liegen und eine erhebliche Überversorgung gegeben ist, hat die bloße Einführung der Norm insbesondere im Bereich der fachärztlich tätigen Ärzte viel Verunsicherung hervorgerufen. Ungeachtet dieses praktisch wohl eher geringen Risikos, ist das klassische Nachbesetzungsverfahren aber auch aus einem anderen Grund unbeliebt.

     

    Wird die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens genehmigt, kommt es zunächst zur Ausschreibung des Vertragsarztsitzes. Daraufhin können sich alle potenziellen Interessenten auf diesen Arztsitz bewerben und der Zulassungsausschuss trifft sodann gemäß § 103 Abs. 4 S. 4, S. 5 SGB V nach pflichtgemäßem Ermessen zwischen den Bewerbern eine Auswahlentscheidung. Der abgebende Arzt hat auf die Zulassungsentscheidung und somit auf die Auswahl seines Nachfolgers keinen Einfluss. Für die Auswahlentscheidung ist auch unbeachtlich, welcher Kandidat dem Abgebenden den höchsten Kaufpreis für seine Praxis bietet. Die wirtschaftlichen Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes werden nämlich nur insoweit berücksichtigt, als der Kaufpreis die Höhe des Verkehrswerts der Praxis nicht übersteigt (§ 103 Abs. 4 S. 8 SGB V). Weil am Ende des klassischen Nachbesetzungsverfahren regelmäßig noch immer die Fortführung der Praxis am Standort der zu übernehmenden Praxis steht, wird in den Kaufverträgen regelmäßig materielles und immaterielles Vermögen veräußert. In diesen Fällen bildet der Vorteil aus der Vertragsarztzulassung nach der Rechtsprechung kein neben dem Praxiswert stehendes selbstständiges Wirtschaftsgut, die Praxis wird als Chancenpaket erworben (BFH 9.8.11, VIII R 13/08).

     

    Neben der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens sind jedoch alternative Gestaltungen denkbar und in der Praxis anzutreffen. Sofern Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen, kann die Nachbesetzung mit der Verlegung des Vertragsarztsitzes gemäß § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV kombiniert werden. In diesen Fällen wird die übernommene Praxis nicht am bisherigen Standort fortgeführt, weshalb sich steuerrechtlich die Frage stellt, wie solche Fälle im Hinblick auf § 7 Abs. 1, Abs. 2 EStG zu behandeln sind.

     

    1.2 Sicherer Weg zum Übergang von Vertragsarztsitzen

    Um das komplizierte und mit Risiken verbundene Nachbesetzungsverfahren zu umgehen, haben sich in der Praxis weitere Sonderkonstellationen entwickelt. Eine Gestaltungsvariante eröffnet hier der Verzicht des abgebenden Vertragsarztes auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, um sodann als angestellter Arzt in einem MVZ oder bei einem anderen niedergelassenen Vertragsarzt als angestellter Arzt gemäß § 103 Abs. 4a, Abs. 4b SGBV tätig zu sein. Unter Einhaltung einer bestimmten Übergangsfrist wurden diese Anstellungsgenehmigungen zunächst mit einem anderen angestellten Arzt (dem geplanten Nachfolger) nachbesetzt und die Anstellungsgenehmigung sodann ‒ sofern gewollt ‒ gemäß § 95 Abs. 9b SGB V in eine freiberufliche Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung rückumgewandelt (bspw. zur Gründung einer Gemeinschaftspraxis). Wenngleich das BSG die Vorgaben für diese „Umgehung“ des Zulassungsverfahrens durch eine Entscheidung aus dem Jahr 2016 für das MVZ deutlich eingeschränkt hat und die Nachbesetzung einer Arztstelle nach vorherigem Verzicht grundsätzlich erst nach drei Jahren für zulässig erachtet (BSG 4.5.16, B 6 KA 21/15 R), stellt dieses Verfahren bei ausreichendem zeitlichen Vorlauf noch immer einen sicheren Weg zum Übergang von Vertragsarztsitzen dar. Dies ist insbesondere der Fall, weil das BSG eine sukzessive Reduktion des Beschäftigungsumfangs und damit eine sukzessive Nachbesetzung durchaus für zulässig erachtet (BSG 4.5.16, B 6 KA 21/15 R).

     

    PRAXISHINWEIS | Rückumwandlungsanträge können auch immer mit Anträgen auf Verlegung des Vertragsarztsitzes kombiniert werden.

     

    In der steuerrechtlichen Praxis ergab sich, nicht zuletzt aufgrund der Vielzahl der zulassungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die Frage, wann von einem bloßen Kauf des Vorteils einer Vertragsarztzulassung auszugehen ist und ob bei Annahme einer solchen Sonderkonstellation eine Absetzung für Abnutzung in Betracht kommt.

    2. Entscheidungen

    Mit diesen zwei grundsätzlichen Fragestellungen haben sich nun die Richter beim BFH befasst.

     

    2.1 Urteil des BFH vom 21.2.17 (VIII R 7/14)

    In dem ersten Fall war zwischen den Parteien streitig, ob der Erwerber nur den wirtschaftlichen Vorteil aus einer Vertragsarztzulassung erworben hat und anhand welcher Kriterien der Erwerb der Praxis als Chancenpaket von diesem Sonderfall abzugrenzen ist.

     

    2.1.1 Sachverhalt

    Hintergrund war der Kauf einer nuklearmedizinischen Einzelpraxis durch die klagende GbR im Jahr 2003. In dem Praxisübernahmevertrag wurde vereinbart, dass die Praxis an dem Standort des abgebenden Arztes nicht fortgeführt werden soll, weil der Verkäufer in den Räumlichkeiten weiterhin einer privatärztlichen Tätigkeit nachgehen wollte. Zudem verpflichtete sich der Verkäufer an der Überleitung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens mitzuwirken. Nach Vollzug der Praxisübernahme und Überleitung der Zulassung, behandelte die GbR die gesamten Kosten für den Erwerb der Praxis als Anschaffungskosten und machte diese als AfA über eine dreijährige Nutzungsdauer gewinnmindernd geltend.

     

    Im Rahmen einer Außenprüfung gelangte der Betriebsprüfer des beklagten FA zu der Überzeugung, dass der Kaufpreis ausschließlich für den Erwerb der Vertragsarztzulassung gezahlt worden sei. Weil die Zahlung somit in vollem Umfang auf ein nicht abnutz- und damit auch nicht abschreibbares Wirtschaftsgut entfalle, erhöhte das FA den Gewinn entsprechend.

     

    Nachdem Einspruchs- und Klageverfahren erfolglos blieben, verfolgte die Klägerin ihr Begehren nunmehr im Wege der Revision.

     

    2.1.2 Entscheidung

    Die Klägerin hatte Erfolg! Sie kann für die Anschaffungskosten AfA in Anspruch nehmen. Nach einer Gesamtwürdigung gingen die Richter des BFH davon aus, dass Gegenstand der Übertragung die Vertragsarztpraxis als Chancenpaket war.

     

    Entscheidende Bedeutung komme dabei der Höhe des gezahlten Kaufpreises zu. Entspreche dieser Preis dem Verkehrswert der Praxis, „indiziert dies“, dass Gegenstand des Kaufs die Praxis als Chancenpaket ist. Dies gelte auch, wenn ‒ wie im vorliegenden Fall ‒ ein Zuschlag zum Verkehrswert gezahlt werde. Dass die Parteien die erfolgreiche Zulassung des Übernehmers im Nachbesetzungsverfahren zum Gegenstand des zivilrechtlichen Vertrags machen, ist unschädlich. Insoweit handelt es sich bei Nachbesetzungsverfahren und zivilrechtlichem Kaufvertrag um zwei unabhängige Rechtsakte. Dass vorliegend eine Gemeinschaftspraxis als Erwerberin aufgetreten ist und eine Fortführung der Praxis in den Räumen des Abgebenden nicht beabsichtigt ist, sei unschädlich! Der BFH verwies insoweit auf die sozialrechtliche Rechtsprechung, wonach eine Fortführung der Praxis nicht zwingend voraussetzt, dass die Praxis am Ort des Abgebenden auf Dauer betrieben wird.

     

    Zudem haben die Richter die Beurteilung des FG abgelehnt, wonach bei einer „Zuweisungspraxis“ quasi zwingend von einem Zulassungskauf auszugehen sei, weil in diesem Fall ein fester Patientenstamm nicht veräußert werden kann! Für die Beurteilung des Vertragsgegenstands spiele es keine Rolle, ob sich der Verkehrswert nach der Ertragskraft eines festen Patientenstamms oder überzuleitender sog. Zuweiserbindungen bemisst. Für eine Überleitung des Patientenstamms spreche vorliegend auch, dass das gesamte Patienten-archiv übernommen wurde. Außerdem ist der Erwerber nach § 613a BGB in die bestehenden Anstellungsverträge eingetreten, was ebenfalls für eine Übernahme der Praxis als Chancenpaket spreche.

     

    2.1.3 Beurteilung

    Der BFH hat mit seiner Entscheidung die Kriterien für die Abgrenzung eines Praxiskaufs als Chancenpaket und den Sonderfall eines bloßen „Zulassungskaufs“ anhand verschiedener Kriterien abgegrenzt und dabei unterstrichen, dass der Höhe des Kaufpreises im Verhältnis zum Verkehrswert eine „maßgebliche Bedeutung“ zukommt! Weil dieser Punkt im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens aufgrund der Regelung in § 103 Abs. 4 S. 8 SGB V jedoch regelmäßig unproblematisch ist, sollten auch die weiteren Kriterien (Patientenkartei, Fortführung Praxisverträge, Übernahme Personal) nicht vernachlässigt werden. Außerdem haben die Richter klargestellt, dass die für den Erwerb von einer Einzelpraxis aufgestellten Rechtsprechungsgrundsätze auch für Konstellationen unter Beteiligung von Gemeinschaftspraxen gelten. Ebenfalls überzeugend ist die Begründung des BFH, wonach es nicht darauf ankommt, ob ein fester Patientenstamm oder Zuweiserbindungen übergeleitet werden. Aufgrund der freien Arztwahl ist auch bei Übernahme eines vermeintlich festen Patientenstamms, bspw. bei Übernahme einer Hausarztpraxis, nicht gewährleistet, dass tatsächlich alle Patienten die Praxis des Nachfolgers aufsuchen. Eine Indizwirkung wird hier der Übernahme der Patientenkartei zukommen.

     

    2.2 Urteil des BFH vom 21.2.17 (VIII R 56/14)

    In dem zweiten Fall ging es um die Folgefrage, ob es sich bei dem wirtschaftlichen Vorteil aus einer Vertragsarztzulassung um ein abnutzbares Wirtschaftsgut handelt.

     

    2.2.1 Sachverhalt

    Die Klägerin ist eine GbR und erwarb 2005 eine Einzelpraxis. Die Übernahme erfolgte ohne Forderungen und Verbindlichkeiten. In dem Vertrag vereinbarten die Parteien den Kauf des Patientenstamms, also des ideellen Werts der Praxis, wobei die Patientenkartei zunächst beim Verkäufer verbleiben sollte und die Herausgabe patientenbezogen mit Zustimmung der Patienten erfolgen sollte. Die GbR erwarb weder Wirtschaftsgüter des Anlage- oder Umlaufvermögens und übernahm keine Verträge (bspw. Praxismietvertrag, Arbeitsverträge, Versicherungsverträge etc.). Als Kaufpreis für den Patientenstamm einschließlich der Patientenkartei vereinbarten die Parteien 50.000 EUR. Die Übertragung stand insgesamt unter der Bedingung, dass der Gesellschafter X der GbR die Vertragsarztzulassung des Veräußerers erhielt. Der Veräußerer verpflichtete sich zudem, den Vertragsarztsitz an den Sitz der GbR zu verlegen.

     

    Die GbR machte den auf Grundlage des Praxisübernahmevertrags gezahlten Kaufpreis in Höhe von 50.000 EUR und weitere 2.320 EUR für Vermittlungstätigkeiten als Absetzungen für Abnutzung im Rahmen der Sonderbetriebsausgaben ihres Gesellschafters X geltend.

     

    Dieser Bewertung folgte das FA nicht und beurteilte den Praxisübernahmevertrag als Kaufvertrag über eine Vertragsarztzulassung. In der Folge wurde die geltend gemachte AfA nicht berücksichtigt.

     

    Nach erfolglosem Einspruchsverfahren schloss sich das FG zwar dem Grunde nach der Beurteilung des FA an und sah ebenfalls nur einen Kauf der Vertragsarztzulassung. Entgegen der Beurteilung des FA seien die Vorteile aus der Zulassung als eigenständiges, immaterielles Wirtschaftsgut jedoch der Abschreibung zugänglich. Gegen die Entscheidung legte das FA die Revision ein!

     

    2.2.2 Entscheidung

    Die Revision des FA war begründet. Zwar sahen auch die Richter beim BFH in dem Kauf lediglich den Kauf des wirtschaftlichen Vorteils aus einer Vertragsarztzulassung, lehnten aber Absetzungen für Abnutzung im Rahmen der Sonderbetriebsausgaben des X als Gesellschafter der GbR ab!

     

    Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BFH aus dem Jahr 2011 sahen die Richter in der vorliegenden Konstellation den „Sonderfall“ gegeben. Das FG habe seine Entscheidung zu Recht maßgeblich darauf gestützt, dass die Klägerin weder

    • Wirtschaftsgüter des Anlage- oder Umlaufvermögens noch
    • bestehende Praxisverträge

     

    übernommen hat. Zutreffend sei das FG auch davon ausgegangen, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Patientenstamm tatsächlich übernommen werden sollte. Dafür spreche zunächst, dass dem Übernehmer die Patientenkartei nicht übergeben worden sei.

     

    Auch die Versorgungssituation und die Entfernung zwischen der ehemaligen Praxis des Abgebenden und dem „neuen“ Sitz der Praxis nach Verlegung des Vertragsarztsitzes an den Ort der GbR des Erwerbers, sprächen ‒ so die Richter ‒ gegen eine Übernahme des Patientenstamms. Maßgeblich sei insoweit auch, dass der Abgebende nach der Verlegung des Vertragsarztsitzes an den Ort der GbR tatsächlich nicht in der Praxis tätig wurde. Diese Feststellungen hielten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand, wobei ergänzend auch die Höhe des gezahlten Kaufpreises einbezogen wurde.

     

    Die Vertragsarztzulassung ist damit ausnahmsweise alleiniger Gegenstand des privatrechtlichen Übertragungsvorgangs gewesen. Insoweit stellten die Richter beim BFH auch ausdrücklich fest, dass man trotz der geäußerten Kritik an seiner Auffassung aus dem Jahr 2011 festhalte!

     

    Das FG sei jedoch rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass AfA auf das entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgut vorgenommen werden können, weil es sich bei der Vertragsarztzulassung um ein nicht abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens handele. Für die Bemessung der AfA nach § 7 Abs. 1 S. 1 EStG komme es gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 EStG auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts an. Hinsichtlich der immateriellen Wirtschaftsgüter werde zwischen den abnutzbaren und den nicht abnutzbaren, immerwährenden Rechten unterschieden (vgl. BFH 16.10.08, IV R 1/06). Ist die Nutzung eines immateriellen Wirtschaftsguts weder unter rechtlichen noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zeitlich begrenzt, kommt eine Abnutzung nicht in Betracht (BFH 21.10.15, IV R 6/12). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der wirtschaftliche Vorteil einer Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nicht abnutzbar, weil der Inhaber einer zeitlich unbegrenzten Vertragsarztzulassung den damit einhergehenden Vorteil gleichbleibend und ohne Werteverzehr in Anspruch nehmen kann. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Inhaber die Zulassung zumindest „steuerrechtlich“ zum Gegenstand von Veräußerungsvorgängen machen kann oder die Zulassung mit dem Tod des Inhabers automatisch endet. Auch die theoretische Möglichkeit der Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen führe nicht zu einer Abnutzbarkeit.

     

    2.2.3 Beurteilung

    Kommt man im Einzelfall bei wirtschaftlicher Betrachtung zu dem Ergebnis, dass Gegenstand des Kaufvertrags lediglich der Erwerb des Vorteils aus der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist, scheidet eine Absetzung für Abnutzung insoweit aus. Vielmehr können die Aufwendungen allenfalls gemäß § 4 Abs. 3 S. 4 EStG zum Zeitpunkt der Veräußerung oder der Entnahme als Betriebsausgabe berücksichtigt werden.

    3. Praxishinweise

    Für welche Fallkonstellationen ergeben sich nun Neuigkeiten? Unproblematisch dürften sich auch weiterhin die Fälle gestalten, in denen eine Praxis in einem unterversorgten Bereich übernommen wird. Hier dürfte der komplette Kaufpreis, unabhängig von dem Verkehrswert der Praxis oder der tatsächlichen Fortführung der Praxis auch weiterhin als AfA gewinnmindernd zu berücksichtigen sein, weil der Zulassung hier kein besonderer Wert beigemessen werden kann, wie dies auch bei Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen bei kassenzahnärztlichen Zulassungen angenommen wurde (vgl. OFD NRW Kurzinfo Nr. 37/2015 vom 29.10.15).

     

    Neuigkeiten ergeben sich indes für die Behandlung von Arztpraxen in Gebieten mit festgestellten Überversorgungslagen, weil der BFH die für eine Geltendmachung von AfA relevanten Abgrenzungskriterien aus dem Jahr 2011 bestätigt und deren Verhältnis zueinander mit den Entscheidungen konkretisiert hat.

     

    Beachten Sie | Aufmerksamkeit ist besonders in Fällen geboten, in denen die Praxis des Verkäufers praktisch nicht fortgeführt werden soll. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung wird die Finanzverwaltung diese Sachverhalte daraufhin überprüfen, ob nicht tatsächlich nur der Vorteil aus der Vertragsarztzulassung erworben wurde.

     

    Besonders anfällig können hier auch Modelle sein, in denen der Praxisabgebende gemäß § 103 Abs. 4a, Abs. 4b SGB V auf seine Zulassung verzichtet, um sodann als angestellter Arzt in der Praxis des Erwerbers tätig zu werden. Wenngleich in diesen Konstellationen regelmäßig ein „normaler“ Praxiskaufvertrag über den Erwerb von immateriellem Vermögen geschlossen wird, bleibt fraglich, ob die Finanzverwaltung diese Konstellationen aufgrund der oben dargestellten Kriterien nunmehr ggf. anders bewertet, wenn die Praxis des Abgebenden aufgegeben wird und die Tätigkeit an einem räumlich deutlich anderen Ort fortgeführt wird. Insbesondere in Konstellationen, in denen der Kaufpreis unterhalb des Verkehrswerts liegt, sollte neben der Übernahme des immateriellen Werts der Praxis, der Übernahme der Patientenkartei (ggf. nur zur Verwahrung) auch die Übernahme von materiellen Vermögensgegenständen erwogen werden.

     

    Konkretisiert sich der Gegenstand auf den entgeltlich erworbenen Vorteil aus der Vertragsarztzulassung und ist eine Abschreibung damit ausgeschlossen, wirken sich die Aufwendungen gemäß § 4 Abs. 3 S. 4 EStG erst im Zeitpunkt der Veräußerung oder der Entnahme als Betriebsausgabe aus.

     

    Zusammenfassend ist aufgrund der nunmehr geklärten Rechtslage durch den BFH zu erwarten, dass sich die Finanzverwaltung der Auffassung des Gerichts anschließen und entsprechende Fallkonstellationen unter folgenden Gesichtspunkten aufgreifen wird, wobei der Höhe des Kaufpreises eine besondere Bedeutung zukommen dürfte:

     

    • Kaufpreis unterhalb des Verkehrswerts?
    • Übernahme von Personal
    • Übernahme von Mietverträgen und sonst. Dauerschuldverhältnissen
    • Übernahme/Verwahrung der Patientenkartei
    • Patientenstamm: Gegenstand des Kaufvertrags?
    • Übernahme von materiellem Anlage- und/oder Umlaufvermögen
    • räumliche Distanz zwischen Praxis von Übernehmer und Abgebendem

     

    Weiterführender Hinweis

    • Dieser Artikel wurde vom Autor nicht in seiner dienstlichen Eigenschaft verfasst, sondern gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2017 | Seite 185 | ID 44718913

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