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  • · Leitlinie

    Vernachlässigung und Kindesmisshandlung ‒ auch der Zahnarzt ist gefordert

    Bild: ©Bashkatov - stock.adobe.com

    | Kindesmisshandlung und Kindeswohlgefährdung sind erheblich unterdiagnostiziert und damit auch untertherapierte Probleme. Die neue Kinderschutz-Leitlinie hat auch Handlungsempfehlungen für Zahnärzte. Wichtig: Beratung, Dokumentation und Kooperation mit Einrichtungen der Jugendhilfe wie Jugendamt oder Gesundheitsamt! |

    Vernachlässigung und Kindesmisshandlung

    Frühkindliche Karies (ECC), die immerhin ca. 14 % der Dreijährigen aufweisen, entsteht nur durch langfristig nicht ausreichende Mundhygiene und sehr häufige Kohlenhydrataufnahme. Dieser „Pflegeschaden“ ist sehr dicht an einer Kindeswohlgefährdung und erfordert eine Beratung der Eltern einschließlich eines praktischen Mundhygienetrainings am Kind, was meistens das Problem löst.

     

    PRAXISTIPP | Wenn die Eltern aber trotz Informationen und Training nicht in der Lage sind, eine Veränderung herbeizuführen, oder der Sanierung bei pulpaler Beteiligung nicht nachkommen, ist der Tatbestand der Kindeswohlgefährdung erfüllt. Es sollten entsprechende Maßnahmen zum Schutz des Kindes eingeleitet werden.

     

    Beim Frontzahntrauma, insbesondere bei kleinen Kindern und Unfällen im häuslichen Milieu ist immer die Plausibilität des Unfallhergangs am vorliegenden Verletzungsmuster zu überprüfen. Wenn Indikatoren für eine Kindesmisshandlung vorliegen, sollten diese diskret dokumentiert werden und adäquate Folgeschritte eingeleitet werden. [1]

    Details aus der neuen Leitlinie

    Die AMWF Leitlinie Kinderschutz, die zurzeit unter Mitwirkung vieler Fachgesellschaften von einer S2-Leitlinie auf eine S3(+)-Leitlinie erweitert wird, sieht auch den Zahnarzt in der Pflicht. Hier die Handlungsempfehlungen aus der Konsultationsphase, die abgeschlossen ist. Die Finalfassung der Leitlinie wird zurzeit erstellt und soll im September 2019 veröffentlicht werden. [2]

     

    Beratung bei Karies oder Verdacht auf Vernachlässigung

    Es gibt keinen Grenzwert für die Anzahl kariöser Zähne oder keine anderen spezifischen Erkrankungen des Mundes, die zwangsläufig zu der Diagnose Vernachlässigung führen. Zahnärzte sollen bei Kindern oder Jugendlichen mit Karies vor der Verdachtsdiagnose (dentale) Vernachlässigung und nach Ausschluss von Differenzialdiagnosen für Zahnhartsubstanzdefekte mehrere Faktoren mit dem Kind/Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten/Bezugspersonen besprechen:

     

    • Beeinträchtigung durch die Karies,
    • Dauer und Ausprägung der Karies,
    • Kenntnis und Bewusstsein der Eltern/Bezugspersonen in Bezug auf Mundgesundheit,
    • die Bereitschaft und Fähigkeit zur zahnärztlichen Behandlung der Kinder und Jugendlichen,
    • Verfügbarkeiten der und Bereitschaft zur zahnärztlichen Versorgung.

     

    Vorgehen bei Untätigkeit der Eltern/Bezugspersonen

    Die zahnärztliche Information der Sorgeberechtigten sollte folgende Inhalte umfassen:

     

    • Art und Ausmaß der (kariösen) Erkrankungen des Kindes
    • Nutzen einer Behandlung
    • Spezifische Behandlungsoptionen zur Abwendung weiterführender Schäden
    • Zugang zu diesen Behandlungsoptionen

     

    Wurden Eltern/Bezugspersonen entsprechend informiert und enthalten sie ihren Kindern eine indikationsgerechte zahnärztliche Behandlung und/oder erforderliche Unterstützung bei der Mundhygiene vor, ist dies ein gewichtiger Anhaltspunkt für eine Vernachlässigung.

     

    • Handlungsempfehlungen für Zahnärzte

    Bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sollten Zahnärzte

    • die strukturierte medizinische Diagnostik (z. B. laut OPS 1-945) [3] einleiten und
    • nach dem Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) vorgehen.
     

    Vorgehen bei oralen Verletzungen

    Dokumentieren Sie jede orale Verletzung sorgfältig. Liegt kein akzidentelles Trauma oder eine zweifelhafte Anamnese vor, gehen Sie dem Verdacht auf eine körperliche Misshandlung als Ursache nach. Auch hier gelten die o. g. Handlungsempfehlungen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung.

     

    Kindeswohlgefährdung und Schweigepflicht

    Bitte beachten Sie: Die (zahn-)ärztliche Schweigepflicht rangiert niedriger als die Rechte des Kindes! Die Zahnärztekammern wie auch die Krankenkassen halten Informationsmaterial über das Vorgehen sowie Dokumentationsbögen für diesen Fall bereit, die Sie auch online für Ihre Praxisunterlagen abrufen können.

     

    Quellen

    • [1] Splieth C. Kindesmisshandlung und Kindeswohlgefährdung - Auch der Zahnarzt ist gefordert. Dt. Zahnärztetag 2018.
    • [2] Leitlinienvorhaben Kindesmisshandlung, -missbrauch, -vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik (Kinderschutzleitlinie). AWMF-Register-Nr. 027‒069.
    • [3] OPS 1-945.

     

    Volltexte

    Quelle: Ausgabe 03 / 2019 | Seite 8 | ID 45730300