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  • · Fachbeitrag · ZR-Fachgespräch

    Zahnamalgam: ungefährlicher Werkstoff oder Auslöser vielfältiger Beschwerden?

    | Die EU-Kommission möchte ab 2025 Zahnamalgam verbieten. Während Vertreter der Umweltzahnmedizin den Vorstoß begrüßen, sehen die Zahnärzteorganisationen durch ein Verbot die zahnärztlichen Therapiemöglichkeiten wesentlich beeinträchtigt. Im ZR-Fachgespräch sprach Dr. Ulrike Oßwald-Dame getrennt voneinander mit dem Präsidenten der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Prof. Dr. Christoph Benz und mit Florian Schulze, Geschäftsführer der IG Umwelt-ZahnMedizin (IgUZ) über ihre Einschätzung zu Amalgam und seine Therapiealternativen. |

     

    • Ergänzung v. 17.01.2024: Europäisches Parlament schließt sich EU-Kommission an

    Das Europäische Parlament (EP) hat am 17.01.2024 seine Beratungen über die Revision der EU-Quecksilberverordnung vorerst abgeschlossen. Die Abgeordneten folgten dem Kommissionsvorschlag und sprachen sich aus Umweltschutzgründen für ein Verbot von Dentalamalgam ab Januar 2025 aus.

     

    Über diesen Zeitpunkt hinaus soll der Werkstoff nur für medizinisch unerlässliche Behandlungen erlaubt bleiben. Aus Gründen der Versorgungssicherheit hatte sich EP-Berichterstatterin Marlene Mortler (CSU) im Vorfeld für ein Kompromissdatum eingesetzt: „Die Verwendung von Dentalamalgam zur Zahnbehandlung [ist] bis zum 31. Dezember 2026 in den Mitgliedstaaten zulässig, in denen Dentalamalgam ein relevantes Material für die zahnärztliche Versorgung und eine der einschlägigen öffentlich erstatteten Methoden für Zahnfüllungen ist“, für das es keine Mehrheit gab.

     

    Nach dem Parlamentsvotum entscheiden nun die im Rat versammelten Mitgliedstaaten. Offen ist, ob das Verfahren bis zu den Europawahlen im Juni abgeschlossen werden kann. Vonseiten der europäischen und deutschen Zahnärzteschaft gab es Unverständnis für den viel zu kurzen Zeitraum, zumal die umweltgerechte Entsorgung sichergestellt ist.

     

    Quelle: BZÄK

     

    Oßwald: Herr Professor Benz, der Entwurf der EU-Kommission sieht vor, die Verwendung von Zahnamalgam ab 2025 zu verbieten. Rechnen Sie noch mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vor den Europawahlen 2024?

     

    Benz: Die Beratungen über den Kommissionsvorschlag haben im Europäischen Parlament und im Rat erst begonnen. Derzeit ist nicht abzuschätzen, ob noch vor den Europawahlen im Juni 2024 eine Einigung erzielt werden kann. Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments, Marlene Mortler, hat in ihrem Berichtsentwurf übrigens einen längeren Zeitraum, d. h. bis zum Jahr 2027, vorgeschlagen.

     

    Oßwald: Welche Beschwerden lassen sich, wissenschaftlich belegt, aus Amalgamfüllungen für Patienten ableiten?

     

    Benz: Amalgam gehört zu den am besten untersuchten Füllungsmaterialien. In keiner wissenschaftlichen Studie konnten bisher gesundheitliche Auswirkungen, die auf Amalgamfüllungen zurückzuführen sind, nachgewiesen werden. Das im Amalgam in geringen Mengen enthaltene Quecksilber (Hg) geht mit dem Hauptanteil (ca. 97 %) an Silber, Zinn, Zink und Kupfer eine feste intermetallische und sehr korrosionsbeständige Verbindung ein. Die Hg-Exposition aus Amalgamfülllungen wurde oftmals überschätzt, zeigen jüngere Studien. Quecksilber gelangt z. B. durch das Essen von Fisch in den Organismus ‒ je nach Ernährungsgewohnheiten in nicht unerheblichem Maße.

     

    Gerade unspezifische körperliche Symptome können nicht allein auf Amalgam zurückgeführt werden, sondern viele Ursachen haben. Studien belegen, dass besseres Befinden nach dem Entfernen von Amalgamfüllungen durch einen Plazeboeffekt ausgelöst wurde. Die in Blut, Harn und Haar gemessenen Hg-Werte der Personen mit Symptomen unterschieden sich nämlich nicht von denen beschwerdefreier Amalgamträger. Eine interdisziplinäre Studie der Universität Gießen zeigt auf, dass „Amalgamerkrankungen“ meist nicht durch Amalgam, sondern durch eine Amalgamphobie bedingt sind.

     

    Seit 2019 darf Dentalamalgam europaweit nur noch in vordosierter, verkapselter Form verwendet werden. Die Verwendung von Quecksilber in loser Form durch Zahnärzte ist verboten. In Deutschland wurde schon Jahre davor überwiegend Kapselamalgam verwendet und damit das medizinische Personal schon lange vor einer Exposition bei der Anmischung der Metalle geschützt. EU-weit sind zudem seit 2019 (und in Deutschland sogar schon seit Jahrzehnten) hochwirksame Amalgamabscheider Pflicht. Somit ist auch der Schutz der Umwelt gewährleistet.

     

    Oßwald: Sie lehnen den Vorstoß der EU-Kommission aus zahnmedizinischer Sicht ab, um Amalgam als Füllungsmaterial für die Versorgung vulnerabler Gruppen und in schwierigen klinischen Situationen weiter einsetzen zu können. Warum scheidet die Füllung, in der Werbung dafür propagiert, aus einem modernen Glasionomerzement (GIZ) immer noch als Alternative aus?

     

    Benz: GIZ sind bei mehrflächigen und vor allem Kaudruck belasteten Füllungen aufgrund ihrer geringen Festigkeit dem Werkstoff Amalgam noch immer weit unterlegen. Außerdem sind sie in der Verarbeitung sensitiver gegen Feuchtigkeit.

     

    Oßwald: Was entgegnen Sie Kritikern, die trotz Amalgamabscheidern und des in modernem Amalgam gebundenen Quecksilbers eine Gesundheitsgefährdung durch das Quecksilber beim Legen und Entfernen einer Füllung sowie Umweltbeeinträchtigungen durch die Abfälle sehen ‒ schließlich lösen sich auch die aufgefangenen Füllungsreste nicht in Luft auf.

     

    Benz: Werden die z. B. in der DGUV Information 213‒032 „Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst“ beschriebenen technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen zur Verminderung der Quecksilberexposition eingehalten, besteht nachweislich keine Gefährdung von Personal und Patienten durch Quecksilberdämpfe. Amalgamabfälle sind gemäß Abfallschlüssel an zertifizierte Entsorgungsfirmen zu übergeben. Von diesen oder deren Dienstleistern werden die Abfälle stofflich getrennt und in die Kreislaufwirtschaft zurückgeführt oder gesichert endgelagert.

     

    Oßwald: Werden im Zuge dieser Diskussion mögliche Risiken anderer dentaler Füllungsmaterialien für den Patienten und die Umwelt vernachlässigt? Falls ja, welche sind das und worauf sollten Zahnärzte in der Praxis achten?

     

    Benz: Auch zu anderen Füllungsmaterialien laufen Forschungen zur Bioverträglichkeit. Da diese aber erst seit sehr viel kürzerer Zeit als Amalgam verfügbar sind, liegen im Vergleich zu diesen Werkstoffen sehr viel weniger Daten vor. Sicher sagen kann man, dass auch von den alternativen Füllungsmaterialien keine direkten Gefahren für Patienten, Personal und Umwelt ausgehen. Bei der Verarbeitung müssen zum Schutz des Personals, z. B. vor Sensibilisierungen, selbstverständlich die Maßnahmen des Arbeitsschutzes eingehalten werden.

     

    Oßwald: Herr Schulze, wann rechnen Sie mit der Zustimmung der Europäischen Gremien zum Verbot von Zahnamalgam in der EU ab 2025?

     

    Schulze: Ich rechne damit in diesem Frühjahr.

     

    Oßwald: Wie viel Tonnen Dentalamalgam werden in der EU damit eingespart und in welchem Verhältnis steht das zur weltweiten Verwendung von Dentalamalgam sowie Quecksilberverwendung in anderen Bereichen?

     

    Schulze: Die Kommission geht davon aus, dass in Europa jährlich 40 Tonnen Quecksilber für Dentalamalgam verwendet werden. Weltweit waren es 2015 zwischen 226 und 322 Tonnen. Im Vergleich zu anderen quecksilberhaltigen Produkten machte Amalgam dabei etwa 20 % aus. Inzwischen ist der Anteil jedoch deutlich gestiegen, da unter anderem quecksilberhaltige Thermometer, Batterien oder Lampen über die Minamata-Konvention reguliert wurden. In der EU wird Quecksilber heute hauptsächlich für Dentalamalgam und ein abgeschlossenes Verfahren zur Messung der Porosität genutzt.

     

    Oßwald: Welche Beschwerden lassen sich, wissenschaftlich belegt, aus Amalgamfüllungen für Patienten ableiten?

     

    Schulze: Es ist wissenschaftlich belegt, dass Amalgamfüllungen Quecksilber freisetzen, wobei die Menge von zahlreichen Faktoren (Anzahl, Qualität oder Alter der Füllung, Kontakt zu anderen Metallen, Gewohnheiten wie Zähneknirschen, Kauen, dem Trinken von heißen Getränken oder Zähneputzen) abhängt. Bei vulnerablen Personen, oder solchen mit eingeschränkten Entgiftungsfähigkeiten bzw. Personen mit zusätzlichen Belastungen durch Quecksilber oder anderen Chemikalien mit Mischeffekten, können kleine, aber ständige Mengen chronische Beschwerden auslösen. Bei Patienten mit Atembeschwerden, Mattigkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Antriebs- und Gedächtnisschwäche, Angstgefühlen oder depressiven Verstimmungen wurde beobachtet, dass sich diese Beschwerden oft reduzieren, sobald Amalgamfüllungen entfernt und durch geeignete Alternativen ersetzt wurden [1,2]. Ebenso wurden in der wissenschaftlichen Literatur Assoziationen zu Alzheimer, Parkinson, Multipler Sklerose, amyotropher Lateralsklerose, schwerem Autismus, Nierenfunktionsstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder chronischen Immunerkrankungen beschrieben.

     

    Oßwald: In vielen Ländern finden wir andere Behandlungsvoraussetzungen als bei uns vor, es kann z. B. nicht adäquat trockengelegt werden. In Deutschland fordern die Vertreterversammlungen den Beibehalt von Amalgam als Füllungsmaterial für die Versorgung vulnerabler Gruppen und in schwierigen klinischen Situationen. Welche Füllungsalternativen empfehlen Sie hier?

     

    Schulze: Weltweit sind schon über 30 Länder mit unterschiedlichsten Behandlungsvoraussetzungen aus der Verwendung von Amalgam ausgestiegen. Die Möglichkeiten, adäquat trocken zu legen, haben sich weltweit deutlich verbessert. In schwierigen Fällen empfiehlt Dr. Jens Tartsch, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Umwelt-ZahnMedizin, auf alternative, ebenfalls kostengünstige und nicht techniksensitive Werkstoffe auszuweichen, wie bspw. Glasionomere, Ormocere, Alkasite oder Bulk-Fill-Komposite. Natürlich können sie als meist neuere Entwicklungen noch keine Langzeitstudien wie Amalgam aufweisen, jedoch legen bereits kurz- und mittelfristige Daten nahe, dass manche dieser Materialien in schwierigen Situationen als Alternativen geeignet sein könnten und somit auch zum Einsatz kommen sollten.

     

    Übrigens sind auch Amalgamfüllungen nicht in jedem Fall langlebig. In einfachen Fällen können sie Sekundärkaries oder Füllungsfrakturen aufweisen, in gravierenden Fällen kann es durch den Creep-Effekt zu Zahnfrakturen kommen, die bis zu einer Wurzelbehandlung oder Extraktion führen können. Letztendlich reduziert sich die Diskussion um den Einsatz von Amalgam auf den Kostenfaktor. Damit werden aus finanziellen Gründen potenziell gesundheitsschädliche Risiken eingegangen.

     

    Die Verwendung von Amalgam ist nicht einmal zeitsparender als Komposit, was eine Ausnahme rechtfertigen soll, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass man für eine sachgerechte Amalgamfüllung die Politur erst in einer zweiten Sitzung durchführen kann. Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller, ehemaliger Leiter des Bereichs zahnärztliche Werkstoffkunde und Biomaterialforschung an der Charité, empfiehlt, in besonders schwierigen Fällen das Therapiekonzept zu ändern und anstelle von Teilfüllungen Kronen aus Keramik oder modernen Kunststoffen einzusetzen.

     

    Oßwald: Wie können Patienten und Mitarbeiter beim Entfernen von Amalgamfüllungen vor Gesundheitsschäden durch Quecksilber geschützt werden?

     

    Schulze: Beim Entfernen von Amalgamfüllungen können bedenkliche Mengen an Quecksilberdampf entstehen, weshalb man Risiko und Nutzen gut abwägen sollte. Wir raten bei der Entfernung keine hochtourigen Bohrer, sondern Hartmetall-Fräsen zu verwenden, um die Dampfentwicklung so gering wie möglich zu halten. Zudem sollte auf eine gute Belüftung geachtet werden. Dr. Tartsch empfiehlt, das Einatmen der Dämpfe z. B. mit Goldmasken zu vermeiden. Diese bieten ausreichend Schutz; oft beschriebene Verfahren mittels Sauerstoffmasken, Sauerstoffgabe über Nasenbrillen oder auch externe Belüftungsanlagen scheinen hierbei übertrieben. Auch ein korrekt gelegter und zusätzlich abgedichteter Kofferdam bietet Schutz, ebenso wie die Anwendung von Clean-Up-Systemen für eine oft kontrolliertere Absaugung der Amalgamspäne.

     

    Oßwald: Welche Risiken sollte man bei anderen dentalen Füllungsmaterialien im Blick haben?

     

    Schulze: Komposite und Adhäsive enthalten Acrylate, die Entzündungen auslösen sowie Typ I- und Typ IV-Sensibilisierungen induzieren können. Dabei können einige Monomere wie TEGDMA und HEMA häufiger zu Sensibilisierungen führen als andere. Es gibt aber auch polymer-modifizierte keramische Füllungsmaterialien (Ormocere), die weniger lösliche Monomere beinhalten. Bisphenol A als Kontamination oder Abbauprodukt kommt inzwischen nur noch selten vor. Generell sollte darauf geachtet werden, lichthärtende Kompositfüllungen vollständig auszuhärten und sachgerecht zu polymerisieren.

     

    Quellen

    • [1] Björkman L et al. Removal of dental amalgam restorations in patients with health complaints attributed to amalgam: A prospective cohort study. Journal of oral rehabilitation. 2020.; 47(11): 1422‒1434. doi.org/10.1111/joor.13080.
    • [2] Dobson ML, Cousins M. Can removal of amalgam restorations reduce health complaints in patients with medically unexplained physical symptoms? Evid Based Dent. 2021 Jan;22(3):118‒119. doi.org/10.1038/s41432-021-0190-2.
    Quelle: Ausgabe 01 / 2024 | Seite 5 | ID 49814070