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  • · ZR Fachgespräch

    KI-Anwendungen unterstützen schon heute die Arbeit in der Zahnarztpraxis

    Bild: ©Worawut - stock.adobe.com

    | Heutzutage stehen in Medizin und Zahnmedizin immense Datenmengen zur Verfügung, z. B. in Form von elektronischen Patientenakten, Fotos, Röntgenbildern und Scans. Mittlerweile können diese Datenmengen von Hardware-Seite mit hohen Rechenkapazitäten verarbeitet und von Software-Seite analysiert werden. Die effizientere Nutzung dieser Datenfülle wird für die Zahnmedizin in den kommenden Jahrzehnten ein wichtiges Thema sein, konstatiert Prof. Dr. med. dent. Falk Schwendicke, Experte für Künstliche Intelligenz in der Zahnheilkunde an der Charité in Berlin und Mitentwickler einer marktreifen Software für die Röntgenbildanalyse. |

     

    Frage: Herr Prof. Schwendicke, welche ist die bisher am weitesten verbreitete KI-Anwendung in der Zahnmedizin?

     

    Antwort: Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist die Röntgenbildanalyse, zum Beispiel bei der Befundung von Einzelbildern, Bissflügelaufnahmen, Panoramaschichtaufnahmen und Fernröntgenseitenbildern. Weltweit arbeiten einige Forschergruppen daran, KI-Modelle zu entwickeln, die einerseits physiologische Strukturen wie Zähne und Knochen, aber auch zahnärztliche Restaurationen wie Kronen, Implantate oder Füllungen erkennen können. Zudem können auch pathologische Zustände wie Karies, Knochenabbau oder apikale Läsionen erkannt werden.

     

    Frage: Wie gut funktioniert das heute schon?

     

    Antwort: Es funktioniert schon heute teilweise erstaunlich gut ‒ einige Anwendungen sind jetzt schon genauso gut oder genauer als ein Zahnarzt, z. B. für die Detektion früher Karies. Bei anderen Fällen sind die Anwendungen ähnlich gut wie Kliniker, entlasten sie jedoch trotzdem durch automatische Dokumentation etc. Schwieriger ist die Erkennung seltener Erkrankungen ‒ hier sind in Zukunft noch Verbesserungen zu erwarten. Gerade unerfahrene Kolleginnen und Kollegen profitieren aber bereits heute signifikant durch KI-Anwendungen.

     

    Frage: Welche Vorteile sehen Sie beim Einsatz von KI?

     

    Antwort: Ich sehe eine Entlastung des Zahnmediziners als ein Vorteil. Die KI-Software erstellt einen systematischen Vorbefund, den der Zahnarzt nur noch einmal kontrollieren muss. Manche Läsionen erkennt eine KI-Anwendung sogar zuverlässiger als ein Zahnarzt, wie die eben erwähnten frühen Stadien einer Approximalkaries. Die farbige Kenntlichmachung dieser Läsionen auf dem Röntgenbild erlaubt zudem eine einfachere Kommunikation mit dem Patienten.

     

    Bild: © Prof. F. Schwendicke

    Beispiel einer Panoramaschichtaufnahme ohne Detektion von pathologischen Befunden

    © Prof. F. Schwendicke

     

    Bild: © Prof. F. Schwendicke

    Panoramaschichtaufnahme mit Detektion von Pathologien mithilfe der KI-Software dentalXrai Pro

    © Prof. F. Schwendicke

     

    Frage: Wie weit sind Machine-Learning-Modelle zur Prognosestellung in der Zahnheilkunde (zum Beispiel Kariesentstehung oder Zahnverlust)?

     

    Antwort: Es gibt dazu einige wissenschaftliche Aktivitäten, zum Beispiel um Zahnverluste vorherzusagen, doch man sollte genau hinschauen. Innerhalb bestimmter Datensätze können wir mathematisch erarbeiten, warum Patienten Zähne verlieren. Sobald dieses Modell allerdings auf eine andere Bevölkerung übertragen wird, funktioniert es schon nicht mehr so gut. Es gibt momentan also kein Genauigkeits-, sondern ein Generalisierbarkeitsproblem.

     

    Für Kariesrisikosysteme gibt es ebenfalls erste Ansätze, diese durch Maschine Learning zu untermauern, doch die Datensätze sind häufig nicht groß genug. Es braucht viele Patienten, eine lange Beobachtungszeit und einen großen Variablensatz, damit Machine Learning seine Vorteile gegenüber klassischen statistischen Verfahren ausspielen kann. Das kommt leider selten zusammen. Sind die Datensätze nicht besonders groß ‒ wie oft in der Zahnmedizin ‒ können wir mit Machine Learning oftmals keine höheren Genauigkeiten erreichen als beispielsweise mit einer klassischen Regressionsanalyse.

     

    Frage: Wie könnten Daten wie Röntgenbilder, Fotos und Behandlungsdokumentationen zukünftig intelligent zusammengeführt werden?

     

    Antwort: Eine spannende Frage, die bereits im Krankenhauszukunftsgesetz aufgegriffen wird: Der Gesetzgeber fordert ja unter anderem eine bessere Nutzung digitaler Daten! Ziel ist es, Daten nicht mehr in sogenannten Silos vor sich hinschlummern zu lassen. Denn momentan werden Patientendaten an unterschiedlichen Orten separat gespeichert, ohne dass eine Zusammenführung möglich wäre.

     

    In Zukunft werden sich Plattformen etablieren, die datenschutzkonform Zugang zum Beispiel zu Patientenmanagement-Systemen und zur Bilddokumentation erhalten werden, um die Daten zusammenzuführen und mathematisch mithilfe von KI-Modellen verarbeitbar zu machen. Diverse Anbieter arbeiten bereits daran, solche Daten integrieren zu können. Doch noch existieren keine standardisierten Schnittstellen und die abgelegten Dokumente sind ebenfalls nicht standardisiert auslesbar. Zunächst werden bis 2025 die großen Krankenhäuser gemeinsam mit Softwareherstellern Lösungen bieten. In den Praxen wird das sicher nachgelagert oder vielleicht sogar parallel erfolgen.

     

    Frage: Wie weit ist eine sprachbasierte automatische Dokumentation?

     

    Antwort: Das gibt es in der Medizin bereits, für die zahnmedizinische Terminologie gibt es erste Prototypen. Technisch ist es möglich, dass die Maschine uns versteht und mit uns spricht. Es gibt hier eher ein Akzeptanzproblem, denn manche befürchten, die Geräte hören einem ständig zu ‒ was zu Recht zu Sorgen in einer sensiblen Situation wie beim Arzt- oder Zahnarzt-Patient-Gespräch führt. Dazu kommen rechtliche Fragen und der Datenschutz bei der verbalen Aufzeichnung zum Beispiel des Aufklärungsgesprächs. Technologisch sind diese Dinge möglich ‒ bei den Rahmenbedingungen ist aber noch einiges zu klären.

     

    Frage: Macht die Anschaffung einer KI-Software aus Ihrer Sicht heute schon Sinn und wenn ja für welche Kolleginnen und Kollegen (Spezialisten oder Großpraxen zum Beispiel)?

     

    Antwort: Für die Patientenkommunikation und die Diagnose-Unterstützung macht eine Anschaffung heute schon Sinn. Eine Software braucht beispielsweise nur zehn Sekunden, um eine Panoramaschichtaufnahme zu befunden. Der Zahnarzt kontrolliert das und speichert den Befund. Das dauert insgesamt etwa eine Minute. Allein aus Schnelligkeitsgründen sind solche Systeme heute schon nützlich ‒ und sie werden ja stetig besser! Diese Anwendungen sind nicht nur für Spezialisten und Großpraxen nützlich, sondern im Prinzip für die ganze Breite der Zahnarztpraxen, denn jedes datengenerierende Gerät in einer Praxis ist potenziell geeignet, mit KI zusammenzuarbeiten.

     

    Herr Professor Schwendicke, vielen Dank für das Gespräch!

    Quelle: Ausgabe 02 / 2022 | Seite 9 | ID 47907096