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  • · Autokauf

    Der „Verbrauch“ der Elektrofahrzeuge: Faktenwissen für die rechtliche Einordnung

    Bild: © Halfpoint - stock.adobe.com

    | Für die „Dieselskandal“-Anwaltskanzleien hat es sich ausgedieselt. Das neu entdeckte Futter ist offenbar der Stromverbrauch der Elektrofahrzeuge (BEV = Battery Electric Vehicle) im Realbetrieb in Relation zum ‒ zugegeben: absurden ‒ Normverbrauch. Die Kanzleien bewerben ihre Dienste zu dem Thema so offensiv wie einst bei den manipulierten Dieselfahrzeugen. Da rollt nun die nächste Welle auf die Justiz und die Anwaltschaft zu. Was muss man dazu wissen? |

    1. Der Realverbrauch ist nicht das Maß der Dinge

    Mindestens eine der Kanzleien, die sich derzeit auf das Thema stürzen, versucht durchzusetzen, dass es ein erheblicher Mangel sei, wenn der Realverbrauch den Normverbrauch um mehr als 10 % überschreite. Auf den Einwand, dass es kaufrechtlich nicht um den Realverbrauch gehe, denn das sei bei Verbrennerfahrzeugen ja auch nicht so, kontert man dort wörtlich: „Tatsache ist, dass die Angaben zum Verbrauch auch bei Verbrennermotoren nicht ohne Weiteres im Realbetrieb eingehalten werden. Jedoch hat die Rechtsprechung anerkannt, dass ein Mehrverbrauch von 10 % einen erheblichen Mangel darstellt. Nichts anderes gilt für die Elektrofahrzeuge.“

     

    Das einzig Richtige daran ist: Es gibt keinen Grund, die BEV rechtlich anders zu behandeln als die Verbrennerfahrzeuge. Es wird also so werden, dass die Gerichte die Rechtsprechung zum Verbrauch von Verbrennerfahrzeugen auch auf die BEV anwenden. Das bedeutet: Der Käufer muss behaupten, das von ihm gekaufte Auto verbrauche, wenn man es unter Normbedingungen daraufhin überprüft, mehr Strom, als nach der WLTP-Norm angegeben wurde.

    2. Die Basisentscheidung des BGH

    So heißt es in BGH 18.6.97, VIII ZR 52/96 (worauf sich der BGH auch in seiner späteren Rechtsprechung bezieht) unter II b.:

     

    „Es mag sein, dass der Käufer eines Neuwagens ‒ wie die Revision meint ‒ mehr an Angaben über den tatsächlichen Kraftstoffverbrauch „im normalen Betrieb“ als an den nach der EG-Richtlinie ermittelten „Laborwerten“ interessiert ist. Das besagt indessen nichts darüber, welche Beschaffenheitsmerkmale im konkreten Vertrag vereinbart worden sind. In der Betriebsanleitung, anhand derer dem Kläger gegenüber, seinem eigenen Vortrag folgend, bei den Verkaufsverhandlungen Erklärungen über den Benzinverbrauch des Wagens abgegeben worden sind, heißt es nach den Zahlenangaben für die einzelnen Fahrzyklen: „Die Kraftstoffverbrauchsangaben wurden nach EG-Richtlinien ermittelt.“ Waren die Erklärungen des Verkäufers als Angebot einer Vereinbarung über eine bestimmte Eigenschaft des Pkw zu verstehen, so konnten sie nur so Vertragsinhalt werden, wie es ihrem ausdrücklichen Wortlaut entspricht, nämlich als „nach den EG-Richtlinien ermittelter Kraftstoffverbrauch“. Dem Kläger als Erklärungsempfänger war damit jedenfalls erkennbar, dass die Herstellerangaben auf einer verobjektivierenden Grundlage beruhten und dass sich der bei individueller Fahrweise erzielte Kraftstoffverbrauch mit den angegebenen Werten nicht decken musste. Selbst wenn der Kläger, wie die Revision geltend macht, „über die Funktion der EG-Richtlinie nicht aufgeklärt“ worden ist, kann dies nicht dazu führen, die der Beklagten zuzurechnenden Erklärungen in einem mit dem erkennbar Gewollten unvereinbaren Sinne auszulegen.“

     

    Also muss das Fahrzeug auf dem Normprüfstand auf seinen Verbrauch unter Normbedingungen überprüft werden. Das ist allerdings eine sehr teure Angelegenheit, sodass der rechtsschutzversicherte Käufer im Hinblick auf die Prozessrisikobereitschaft dem Autohändler mehr als nur eine Nasenlänge voraus ist. Aus Sicht des Autohandels ist also ratsam, den Hersteller mit ins Boot zu holen. Immerhin stammen die Normangaben für das Fahrzeug ja aus den vom Hersteller in den Markt gebrachten Unterlagen.

    3. Eine Abweichung im Realverbrauch ist kein Sachmangel

    Die BGH-Rechtsprechung auf das BEV übertragen sagt also: Keinesfalls muss das Fahrzeug auch im Alltag den WLTP-Verbrauch aufweisen und das auch noch unabhängig von der dabei extrem relevanten Außentemperatur und der ebenso relevanten Fahrweise wie auch der Anzahl der zugeschalteten Stromverbraucher im Fahrzeug.

     

    Das genormte Prüfverfahren ist auf die Erzielung imponierender Reichweiten außerhalb des Realbetriebs abgestimmt. In ziemlich jedem Autotest seriöser Medien hat sich erwiesen, dass man von der Norm-Reichweitenangabe des Herstellers für den tatsächlichen Fahrbetrieb getrost mindestens 20 Prozent abziehen kann. Im Winter auch noch reichlich mehr.

    4. Die Parameter der Norm

    Die „Wohlfühltemperatur“ einer Antriebsbatterie für ein Elektroauto liegt bei 23 Grad Celsius. Bei niedrigeren Temperaturen nimmt die Leistungsfähigkeit der Batterie exponentiell ab. Letzteres ist physikalisch zwingend.

     

    Die Innenraumheizung eines Elektroautos wird nicht durch die (weil es die dort mangels „Verbrennung“ nicht gibt) Abwärme des Motors gespeist. Stattdessen funktioniert sie wie der gute alte Heizlüfter. Eben mit Strom. Sie kann das Auto auch vorheizen, während man, bildhaft gesprochen, noch beim Frühstück sitzt. Der für das Heizen verbrauchte Strom fehlt dann der Reichweite ebenso wie der für die Sitzheizung. Je kälter es ist, desto mehr addieren sich die reduzierte Leistung der Batterie und der Stromverbrauch durch die Komfort-Features.

     

    Daher wird die „Verbrauchsmessung“ unter Normbedingungen bei einer Labortemperatur von 23 Grad Celsius und bei abgeschalteten Stromverbrauchern aus dem Komfortbereich durchgeführt. Diese Verhältnisse werden im tatsächlichen Fahrbetrieb nicht häufig bestehen und schon gar nicht regelmäßig.

    5. Der Fahrzyklus beim Normtest

    Hinzu kommt: Beim Normtestzyklus wird ein definierter Fahrtzyklus simuliert. Kern des WLTP ist dabei der Fahrzyklus WLTC (C für Cycle), also die Geschwindigkeitskurve, die im Labor exakt nachgefahren werden muss. Der WLTC besteht aus den vier Teilzyklen Low, Medium, High und Extra High. Die Begriffe stehen für Geschwindigkeitsniveaus. So wird in Low maximal 56,5 km/h gefahren. Und auf 56 % des 3.095 Meter langen Low-Abschnitts steht das Elektroauto auf dem Prüfstand still. Hier werden eine Ampelphase oder Stop-and-go-Verkehr simuliert. Die höchste und nur für wenige Sekunden gefahrene Geschwindigkeit im Teilzyklus Extra High beträgt 131,3 km/h. Betrachtet man den kompletten Fahrzyklus WLTC, kombiniert aus den Teilzyklen Low, Medium, High und Extra High, liegt das Durchschnittstempo inklusive Haltephasen bei nur 46,5 km/h.

     

    Es gehört ‒ gemessen an der BGH-Rechtsprechung für die Verbrenner ‒ nicht zu den objektiven Anforderungen (§ 434 Abs. 3 BGB) an das Fahrzeug, dass es im Alltag unter widrigen Umständen wie niedrigen Temperaturen und höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten als im Normzyklus nicht mehr verbraucht, als der unter Normbedingungen ermittelte Normverbrauch beträgt. Und deshalb geht im Rechtsstreit kein Weg daran vorbei, dass das streitbefangene Fahrzeug auf dem Prüfstand unter Normbedingungen überprüft wird.

    6. Streitvermeidende Aufklärung und Dokumentation im Vorfeld

    Um künftige Probleme zu vermeiden, sollte der Fahrzeughandel den Kunden beim Kauf entsprechend informieren. Aus dem Blickwinkel des Juristen wäre es voraussichtlich sehr streitvermeidend, mindestens aber hochgradig risikovermindernd, wenn im Kaufvertrag und beim Verbrauchsgüterkauf zusätzlich in der vorvertraglichen Information sinngemäß notiert wäre:

     

    „Der Energieverbrauch nach der WLTP-Norm und der reale Energieverbrauch im gemischten Realbetrieb stimmen nicht überein. Die Reichweite des Fahrzeugs, die nach der WLTP-Norm ermittelt wurde, wird also im Realbetrieb nicht erreicht werden. Abweichungen von mindestens 20 % nach unten, bei kühlen und kalten Außentemperaturen und auch bei zügiger Fahrweise noch mehr, sind realistisch zu erwarten.“

     

    Wenn der Autoverkäufer diese Divergenzen im Vorfeld mit dem Kunden besprochen hat, um keine unrealistischen Erwartungen zu wecken, müsste die schriftliche Fixierung auch umsetzbar sein.

    7. Musterformulierung

    Für Anwälte auf der Verkäuferseite haben wir diese Informationen schriftsatztauglich als Textbaustein „Der Realverbrauch des Elektrofahrzeugs muss nicht dem Normverbrauch entsprechen“ zusammengefasst. Sie finden ihn unter den Downloads unter iww.de/va oder unter Abruf-Nr. 50400465.

     

    Quelle: Ausgabe 06 / 2025 | Seite 100 | ID 50400106