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  • · Fachbeitrag · § 16 OWiG

    Rechtfertigender Notstand bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung

    Auch wenn die vom Betroffenen geltend gemachten Umstände nicht ausreichen, um eine Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß § 16 OWiG zu rechtfertigen, kann ein mit einem Rettungswillen begangener Verkehrsverstoß dazu führen, dass sich nach einer Abwägung aller relevanten Umstände ergibt, dass dem Fahrzeugführer dieser Verkehrsverstoß nicht als grobe Pflichtverletzung anzulasten ist (OLG Celle, 1.10.14, 321 SsBs 60/14, Abruf-Nr. 143087).

     

    Sachverhalt

    Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Von dem verwirkten Regelfahrverbot hat es nicht abgesehen. Es hat das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands gemäß § 16 OWiG verneint, da sich der Betroffene nach seiner Einlassung zum Messzeitpunkt nur noch ca. drei Minuten Fahrtzeit vom Hof seiner Eltern entfernt befunden habe. Der Betroffene hatte gegenüber dem Anhaltebeamten angegeben, er habe es eilig gehabt, seine Mutter sei gestürzt. Sein Vater sei schon ein hundertprozentiger Pflegefall. Er, der Betroffene, habe seiner Mutter zu Hilfe eilen wollen, da keine anderweitige Hilfe zur Verfügung gestanden habe. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands gemäß § 16 OWiG lagen nicht vor. Zwar ist es grundsätzlich anerkannt, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit dem Ziel, einer fremden Person Erste Hilfe zu leisten, nach § 16 OWiG gerechtfertigt sein kann (KG VRS 53, 60; BayObLG NJW 00, 888; OLG Hamm VA 05, 88; OLG Köln DAR 05, 574). Dies hängt jedoch jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab. Es setzt jedenfalls voraus, dass die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit überhaupt ein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr war, sie also im konkreten Fall nicht nur einen geringen Zeitgewinn bewirkt (vgl. dazu u. a. OLG Hamm, a.a.O.). Zwar hat das AG hier nicht festgestellt, welche Fahrtstrecke der Betroffene insgesamt zu schnell zurückgelegt hat. Das wäre bei der Frage, ob dadurch ein erheblicher Zeitgewinn zu erzielen ist, zu berücksichtigen gewesen.

     

    Dies kann jedoch dahinstehen, da der Betroffene selbst nicht vorgetragen hat, einen anderen Ausweg aus der Notsituation gesucht zu haben. Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung nämlich anerkannt, dass die Rechtfertigung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Notstand i.S. des § 16 OWiG schon dann nicht in Betracht kommt, wenn der Betroffene zwar einen medizinischen Notfall behauptet, aber selbst nicht vorträgt, vergeblich einen anderen Ausweg aus der Notsituation, etwa die fernmündliche Benachrichtigung eines Arztes oder der Feuerwehr, gesucht zu haben (vgl. dazu KG 2.4.97 - 2 Ss 78/97; OLG Naumburg DAR 00, 131).

     

    Zum Rechtsfolgenausspruch konnte das angefochtene Urteil jedoch keinen Bestand haben. Das AG hat die Angaben des Betroffenen gegenüber dem Anhaltebeamten festgestellt. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass diese allein nicht ausreichen, um eine Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß § 16 OWiG zu rechtfertigen, ist es doch anerkannt, dass ein mit einem Rettungswillen begangener Verkehrsverstoß dazu führen kann, dass sich nach einer Abwägung aller relevanten Umstände ergibt, dass dem Fahrzeugführer dieser Verkehrsverstoß nicht als grobe Pflichtverletzung anzulasten ist (vgl. OLG Köln a.a.O.). Der vom Betroffenen für die Geschwindigkeitsüberschreitung angeführte Grund stellt, sofern er deshalb geglaubt haben sollte, zu der Geschwindigkeitsüberschreitung berechtigt gewesen zu sein, allenfalls einen vermeidbaren Verbotsirrtum dar. Dieser lässt den Schuldspruch wegen vorsätzlichen Verstoßes unberührt (vgl. dazu OLG Köln a.a.O.). Auch ein vermeidbarer Verbotsirrtum kann die Tat aber grundsätzlich in einem milderen Licht erscheinen lassen. Selbst bei irrtümlicher Annahme eines Notstands durch den Betroffenen ist durch das Gericht daher zu prüfen, ob nicht ausnahmsweise von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen werden kann.

     

    Praxishinweis

    Auch wenn die Angaben des Betroffenen zum Grund der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht ausreichen, um einen Rechtfertigungsgrund anzunehmen und ihn deshalb vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung freizusprechen, haben die Angaben ggf. zumindest auf der Rechtsfolgenseite Bedeutung. Denn die Verhängung eines Fahrverbots setzt nach § 25 Abs. 1 StVG eine objektiv und subjektiv grobe Pflichtwidrigkeit voraus. Das Verhalten des Betroffenen ist aber dann nicht subjektiv grob pflichtwidrig, wenn der Betroffene vom Vorliegen eines Rechtfertigungsgrunds ausgeht. Insoweit kommt es natürlich darauf an, ob der Betroffene aufgrund der Umstände davon ausgehen durfte. In dem Zusammenhang spielen dann die Angaben desjenigen, dem geholfen werden sollte, eine erhebliche Rolle. Dieser wird im Zweifel in der Hauptverhandlung zu vernehmen sein. Das hat das OLG hier auch angemahnt.

    Quelle: ID 43016680