08.01.2010
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 25.11.2003 – 11 K 200/00
1. Werden im Versandverfahren befindliche Waren bei einer Person abgeladen, die nicht zugelassener Empfänger ist, liegt regelmäßig ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung vor, das zum Entstehen der Zollschuld führt.
2. Der Hauptverpflichtete hat als Inhaber des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungsstelle zu gestehen.
3. Die Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten ist aufgrund seiner besonderen Garantenstellung im Versandverfahren unabhängig von der Feststellung weiterer Zollschuldner nicht zu beanstanden. Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus der Reihenfolge der in Art. 203 Abs. 3 ZK als mögliche Zollschuldner aufgelisteten Personen, denn in Art. 96 ZK ist die Reihenfolge und Gewichtung der Verpflichteten anders geregelt.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
wegen Eingangsabgaben
hat der 11. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg in der Sitzung vom 25. November 2003 durch VorsitzendenI. Die Klage wird abgewiesen. Richter am Finanzgericht Richter am Finanzgericht Richterin am Finanzgericht Ehrenamtliche Richter
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten in einem Versandverfahren.
Auf Antrag der Klägerin, einer internationalen Speditionsgesellschaft mit beschränkter Haftung, wurden mit Versandschein T1 vom 3. November 1999 beim österreichischen Zollamt (ZA) drei Packstücke Möbel aus Kroatien zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigt. Als Empfänger war die KG in U angegeben. Zur Nämlichkeitssicherung wurden zwei österreichische Zollplomben angelegt, deren Verbleib unklar ist. Als Frist zur Wiedergestellung wurde der 10. November 1999 festgesetzt. Warenführer war nach den Eintragungen der Klägerin im Versandschein (Fahrer des Lkws).
Das Versandverfahren wurde nicht ordnungsgemäß beendet; vielmehr wurde das Versandgut versehentlich unverzollt bei der Warenempfängerin angeliefert und entladen. Dies teilte die Warenempfängerin mit Schreiben vom 27. März 2000 dem beklagten Hauptzollamt (HZA) mit, gab an, eigentlich habe die Spedition B die Verzollung vor der Auslieferung durchführen sollen, und bat um die Berechnung der Einfuhrumsatzsteuer. Dem Schreiben war das Original der Handelsrechnung und eine Kopie des CMR-Frachtbriefs – als Warenverkehrsbescheinigung bezeichnet – beigefügt. Den Versandschein legte sie nicht vor.
Daraufhin nahm das beklagte HZA die Klägerin als Hauptverpflichtete mit Steuerbescheid vom 16. Mai 2000 als Zollschuldnerin in Anspruch. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das beklagte HZA mit Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2000 als unbegründet zurück. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage.
Sie macht im Wesentlichen geltend, sie habe als Hauptverpflichtete in dem gemeinschaftlichen Versandverfahren Vorsorge getroffen, dass eine ordnungsgemäße Wiedergestellung erfolge. Sie habe den Lkw-Fahrer über die Eigenschaft als Zollgut belehrt, auf die Pflicht zur ordnungsgemäßen Gestellung hingewiesen und sich auf einer entsprechenden Verpflichtungserklärung die Kenntnisnahme durch Unterschrift bestätigen lassen. Ergänzend habe die Klägerin auf dem CMR-Frachtbrief mit dem Stempel „Achtung – Zollgut” vermerkt, dass es sich bei dieser Sendung um Zollgut handele. Der Zusatz in ihrem Stempel, „darf nur durch Vermittlung einer Zollstelle ausgeliefert werden”, könne entgegen der Behauptung des HZA nicht so ausgelegt werden, dass bereits eine Zollbehandlung erfolgt sei. Im Übrigen sei die Anbringung dieses Stempels im Zollkodex gar nicht gefordert. Falls der Zollgutstempel bei der Warenempfängerin zu Zweifeln über die Zollguteigenschaft der Ware geführt haben sollte, was bei einem Vollkaufmann zu bezweifeln sei, hätte sich diese vor Entgegennahme der Ware durch Rückfrage vergewissern müssen. Dieses Versäumnis könne nicht zu Lasten des Hauptverpflichteten gehen.
Die Empfängerin der Ware habe nach Sachlage Kenntnis von der Zollguteigenschaft der Sendung gehabt, sei als Käuferin und Besitzerin der Ware für die Nichtgestellung verantwortlich und somit zuerst als Abgabenschuldner heranzuziehen. Die Warenempfängerin, die Firma KG, U, habe das HZA gebeten, ihr die Einfuhrumsatzsteuer zu berechnen, und sei somit zahlungswillig gewesen. Sie allein sei – im Gegensatz zum Spediteur als Hauptverpflichtetem – zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Zur Bekräftigung ihrer Argumentation legt die Klägerin einen Steuerbescheid des HZA B aus dem Jahr 2000 vor, in dem der Warenempfänger zuerst zur Zahlung aufgefordert wurde und nicht der Hauptverpflichtete.
Die Klägerin beantragt,
den Steuerbescheid des HZA vom 16. Mai 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2000 aufzuheben, und das HZA zu verpflichten, einen entsprechenden Steuerbescheid gegen die KG als Warenempfängerin zu erlassen, hilfsweise diese zusammen mit der Klägerin als Gesamtschuldnerin in Anspruch zu nehmen.
Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es trägt im Wesentlichen vor, durch die Nichtgestellung des Versandgutes sei eine Zollschuld entstanden. Zollschuldner sei unter anderem die Person, welche die Pflichten zu erfüllen habe, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus der Inanspruchnahme des Versandverfahrens ergeben. Dies sei neben dem Hauptverpflichteten ein Warenführer oder Warenempfänger, der die Waren annehme und wisse, dass diese dem gemeinschaftlichen Versandverfahren unterliegen.
Im vorliegenden Fall habe die Warenempfängerin das Versandgut zwar angeliefert bekommen, jedoch unstreitig ohne den zugehörigen Versandschein. Lediglich auf dem CMR-Frachtbrief habe sich der von der Klägerin angebrachte Stempelaufdruck befunden. Aufgrund des Fehlens des Versandscheines habe die Warenempfängerin nicht erkennen und damit auch nicht wissen können, dass die angelieferte Ware sich noch im Versandverfahren befunden habe, denn die Warenempfängerin habe eine bereits verzollte Ware erwartet. Allein aus dem Vorhandensein des Stempels der Klägerin auf dem CMR-Frachtbrief, der sich im Übrigen im Wortlaut an den oder die Warenführer eines Versandverfahrens wende, könne nicht geschlossen werden, dass die Warenempfängerin wusste, dass sich die Waren noch im Versandverfahren befanden. Der Stempel diene lediglich der privatrechtlichen Absicherung des Hauptverpflichteten. Auch werde der Stempel in der täglichen Praxis selbst nach erfolgter Gestellung vom Bestimmungszollamt nicht ungültig gemacht. Die Warenempfängerin sei daher nicht Zollschuldnerin geworden.
Bei Erlass des Steuerbescheides sei dem HZA nicht bekannt gewesen, dass die Klägerin den Warenführer entsprechend in Kenntnis gesetzt und damit verpflichtet habe, die dem Hauptverpflichteten obliegenden Pflichten aus der Inanspruchnahme des Versandverfahrens zu erfüllen. Die entsprechende Verpflichtungserklärung des Warenführers sei von der Klägerin erst im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vorgelegt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Einfuhrabgabenschuld durch Entrichtung der Einfuhrabgaben bereits erloschen gewesen. Die nachträgliche Inanspruchnahme des Warenführers als Gesamtschuldner mit dem Hauptverpflichteten sei deshalb nicht mehr möglich gewesen.
Gründe
I.
Die Klage richtet sich aufgrund gesetzlichen Beklagtenwechsels nicht mehr gegen das HZA R, sondern gegen das HZA U.
Die Klage ist zulässig, sie ist indessen nicht begründet.
1. Die Zollschuld ist dadurch entstanden, dass die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen wurden (Art. 203 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – Zollkodex (ZK) –). Werden im Versandverfahren befindliche Waren bei einer Person abgeladen, die nicht zugelassener Empfänger ist, liegt regelmäßig ein Entziehen vor (BFH-Urteil vom 26. August 1997 VII R 82/96, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 1998, 234 mit weiteren Nachweisen).
Die Waren wurden unstreitig am 4. November 1999 bei der Warenempfängerin ohne die zur ordnungsgemäßen Verfahrensbeendigung erforderliche Gestellung entladen. Eine nachträgliche Gestellung des Zollguts ist nicht erfolgt. Auch in dem Schreiben der Warenempfängerin vom 27. März 2000 an das ehemalige HZA R kann keine entsprechende Mitteilung an die zuständige Zollstelle gesehen werden, da zu diesem Zeitpunkt die Bestimmungszollstelle die vollständige und unveränderte Gestellung der Waren nicht mehr überprüfen konnte. Die Waren wurden daher durch die Nichtgestellung zugleich der zollamtlichen Überwachung entzogen.
Ist eine Zollschuld durch Entziehen der Waren aus der zollamtlichen Überwachung nach Art. 203 Abs. 1 ZK entstanden, so kommt in Bezug auf dieselbe Ware eine Zollschuldentstehung durch Pflichtverletzung nach Art. 204 Abs. 1 ZK aufgrund der dort normierten Subsidiarität nicht mehr in Betracht.
2. Die Klägerin ist Zollschuldnerin der Abgaben.
a) Gemäß Art. 203 Abs. 3 ZK ist unter anderem „gegebenenfalls die Person, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich … aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, Zollschuldner” (vierter Anstrich). Inhaber des externen gemeinschaftlichen Versandverfahrens ist der Hauptverpflichtete, also die Klägerin (Art. 96 Abs. 1 Satz 1 ZK). Diese hat die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungsstelle zu gestellen (Art. 96 Abs. 1 Satz 2 a ZK).
b) Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob der Warenführer und/oder die Warenempfängerin ebenfalls Zollschuldner geworden sind, da die Inanspruchnahme der Klägerin als Hauptverpflichtete aufgrund ihrer besonderen Garantenstellung im Versandverfahren unabhängig von der Feststellung weiterer Zollschuldner nicht zu beanstanden ist. Insbesondere kann die Klägerin den Zollbehörden nicht entgegenhalten, dass diese zunächst einen möglichen anderen Zollschuldner in Anspruch zu nehmen habe.
aa) Das besondere Verhältnis zwischen dem Hauptverpflichteten und den Zollbehörden kam schon in der – nicht mehr gültigen – Verordnung (EWG) Nr. 222/77 des Rates vom 13. Dezember 1976 über das gemeinschaftliche Versandverfahren (VersandVO) zum Ausdruck.
Der Verordnungsgeber wies bereits in der Präambel der Verordnung auf das Ziel hin, durch das gemeinschaftliche Versandverfahren die Beförderung innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern und Förmlichkeiten bei der Überschreitung der Binnengrenzen zu vereinfachen. In Art. 11 der VersandVO definierte er den Hauptverpflichteten als „die Person, die selbst oder durch einen befugten Vertreter durch eine zollamtlich geprüfte Anmeldung die Abfertigung zum gemeinschaftlichen Versandverfahen beantragt und damit gegenüber den zuständigen Behörden die Haftung für die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens übernimmt”. Art. 13 VersandVO regelte schließlich die nunmehr in Art. 96 Abs. 1 ZK normierten Pflichten des Hauptverpflichteten, aus denen der BFH in ständiger Rechtsprechung dessen Garantenstellung ableitete.
Dem Hauptverpflichteten werden demnach unter zollamtlicher Überwachung stehende Waren zur Beförderung anvertraut. Im Gegenzug übernimmt der Hauptverpflichtete die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Versandverfahrens – einschließlich des damit verbundenen Risikos, als Abgabenschuldner auch für fremdes Fehlverhalten einstehen zu müssen (BFH – Urteil vom 26. August 1997, ZfZ 1998, 234, 235 mit weiteren Nachweisen).
bb) Daran hat sich durch das Inkrafttreten des Zollkodex nichts geändert. Die Garantenstellung folgt nun aus der in Art. 96 Abs. 1 Satz 2 a ZK dem Hauptverpflichteten auferlegten Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Durchführung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens. Dabei stimmt Art. 96 Abs. 1 S. 2 ZK fast wörtlich mit Art. 13 VersandVO überein (vgl. die an der Garantenstellung des Hauptverpflichteten festhaltende BFH-Rechtsprechung nach Einführung des Zollkodex, z.B. BFH-Urteil vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80).
cc) Auch aus der Reihenfolge der in Art. 203 Abs. 3 ZK aufgelisteten Personen, die als Zollschuldner in Anspruch genommen werden können, ergibt sich nichts anderes. Zwar werden in Art. 203 Abs. 3 ZK zunächst der Entzieher, der Beteiligte und der Erwerber oder Besitzer der Ware als mögliche Zollschuldner genannt und erst im 4. Anstrich auf „… gegebenenfalls die Person, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte …” verwiesen. Daraus kann indessen nicht abgeleitet werden, dass bei der Inanspruchnahme der Zollschuldner die gleiche Reihenfolge einzuhalten wäre.
Während Art. 203 ZK für sämtliche Fälle des Entziehens aus der zollamtlichen Überwachung gilt, liegt bei einem Entziehen, das in der Nichteinhaltung von in erster Linie dem Hauptverpflichteten auferlegten Verpflichtungen besteht, ein typischer, die Garantenstellung des Hauptverpflichteten betreffender Fall vor. Dementsprechend ist die Reihenfolge und Gewichtung der Verpflichteten in Art. 96 ZK anders geregelt. Hier wird zunächst die Verpflichtung des Hauptverpflichteten festgestellt und in Abs. 2 lediglich „unbeschadet der Pflichten des Hauptverpflichteten nach Abs. 1” auch der Warenführer bzw. der Warenempfänger (mit der Einschränkung, dass er die Ware annimmt und in die Pflicht genommen.
dd) Auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben lässt sich nichts anderes entnehmen. Es fehlt aufgrund der Garantenstellung des Hauptverpflichteten schon an der für die Gewährung von Vertrauensschutz sowohl nach Gemeinschaftsrecht als auch nach nationalem Recht unabdingbaren besonderen Vertrauenslage (vgl. das BFH-Urteil vom 26. August 1997, ZfZ 1998, 234).
3. Aus der Garantenstellung des Hauptverpflichteten folgt, dass ein Bescheid nicht allein deswegen rechtswidrig sein kann, weil die Zollbehörde es möglicherweise versäumt hat, die Zollschuldnerschaft weiterer Personen festzustellen. Der Senat verzichtet daher auf die Prüfung, ob der Warenführer oder die Warenempfängerin gleichfalls als Zollschuldner in Frage kommen.
Es führt auch nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides, wenn – wie hier – eine Begründung für die Ausübung des Auswahlermessens fehlt. Die Begründung für seine Inanspruchnahme erübrigt sich vielmehr aufgrund der Garantenstellung des Hauptverpflichteten (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Juni 2001,BFH/NV 2002, 80).
4. Die Zollvorschriften gelten gemäß § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß.
Aufgrund des geringen Streitwerts konnte der Senat gem. § 94 a der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 i.V.m. § 143 Abs. 1 FGO.
III.
Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorlagen.