02.10.2025 · IWW-Abrufnummer 250491
Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 07.08.2025 – 1 ORbs 150/25
1. Ein wirksamer Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will.
2. Der Betroffene ist nach § 73 Abs. 2 OWG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich im Termin nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts (beispielsweise zur Klärung der Identität) nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.08.2025, Az. 1 ORbs 150/25
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger;
Rechtsanwalt
wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften
hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 1. Senat für Bußgeldsachen - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht pp. als Einzelrichter am 7. August 2025 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 3. April 2025 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der bisherigen Rechtsbeschwerdeverfahren, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Oranienburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg hat mit Bescheid vom 23. Februar 2024 gegen den straßenverkehrsrechtlich erheblich vorbelasteten Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h (nach Toleranzabzug), was am 8. November 2023 gegen 23:26 Uhr auf der Bundesautobahn 10, bei km 153,83 in Fahrtrichtung Potsdam, mit dem Pkw amtliches Kennzeichen pp. begangen worden sein soll, ein Bußgeld in Höhe von 385,00 € festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch erhoben hat, hatte der Bußgeldrichter mit Urteil vom 26. September 2024 den Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h zu einem Bußgeld in Höhe von 640,00 € sowie zu einem ein Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hatte mit Beschluss vom 10. Februar 2025 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das vorgenannte Urteil vom 26. September 2024 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Oranienburg zurückverwiesen, da das Tatgericht auf eine mögliche Verurteilung wegen Vorsatzes nicht hingewiesen und dadurch den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs missachtet habe.
Mit Verfügung vom 7. März 2025 hat der Bußgeldrichter beim Amtsgericht Oranienburg Termin zur Hauptverhandlung auf den 3. April 2025 anberaumt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 11. März 2025 beantragte der Verteidiger des Betroffenen Akteneinsicht und erklärte: "Der Betroffene räumt die Fahrereigenschaft ein. Weitere Angaben zur Sache wird der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht machen." Zugleich beantragte der Verteidiger, „den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 3. April 2025 zu entbinden", wobei das Wort „entbinden" durch Fettdruck hervorgehoben ist. Auf dem Schriftsatz vom 11. März 2025 vermerkt der Bußgeldrichter am 17. März 2025 handschriftlich, dass dem Verteidiger Akteneinsicht für die Dauer von drei Tagen zu gewähren ist. Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 19. März 2025 beschränkte der Betroffene seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 23. Februar 2024 auf den Rechtsfolgenausspruch.
Nachdem weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin am 3_ April 2025 erschienen waren, hat das Amtsgericht Oranienburg mit Urteil vom selben Tag gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 23. Februar 2024 verworfen. In den Urteilsgründen heißt es dazu: „[...] Dem Betroffenen wurde die Ladung zum heutigen Hauptverhandlungstermin, welche eine Belehrung über die Folgen eines nicht bzw. nicht genügend entschuldigten Ausbleibens enthielt, ordnungsgemäß am 13.03.2025 zugestellt. Er ist heute ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben. Gründe für das Ausbleiben des Betroffenen sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Betroffene war von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden worden."
Das Verwerfungsurteil wurde dem Verteidiger des Betroffenen, dessen schriftliche Bevollmächtigung sich bei den Akten befindet, am 10. April 2025 zugestellt. Mit Anwaltsschriftsatz ebenfalls vom 14. April 2025 hat der Betroffene Rechtsbeschwerde erhoben und diese mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 15. Mai 2025 begründet und mit Anträgen versehen. Der Betroffen beanstandet insbesondere, dass sein Antrag, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, durch das Bußgeldgericht nicht beschieden worden sei; durch das erkannte Verwerfungsurteil sei dem Betroffenen „eine Sachverhandlung in Gänze verwehre worden.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 11, Juli 2025 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückzuverweisen.
II.
Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG statthaft und gemäß §§ 341, 344, 345 StPO iVm. § 79 Abs. 3 Satz 10WiG form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann als Prozessurteil, das naturgemäß keine Ausführungen zu Sache enthält, im Wesentlichen nur mit der Verfahrensrüge beanstandet werden.
a) Die auf die Verletzung rechtlichen Gehörs zielende Antragsbegründung enthält eine den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG entsprechende Verfahrensrüge. Denn soweit im Grundsatz bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs darzulegen ist, was der Beschwerdeführer im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, erfährt dieser Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn gerügt wird, die Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG beruhe auf einer unterbliebenen oder auf einer rechtsunwirksamen Ablehnung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht nur dann verletzt, wenn der Betroffene daran gehindert wird, zu den für die gerichtliche Entscheidung erheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, sondern auch dann, wenn das Gericht eine Stellungnahme des Betroffenen nicht zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt (vgl. dazu Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt, Art. 103, Rdnr. 94; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. September 2005, 2 Ss (OW) 148 Z/02; ständige Senatsrechtsprechung, statt vieler: Senatsbeschuss vom 1. November 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 424/22; Senatsbeschluss vom 6. April 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 141/22; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2019, (1 B) 53 Ss-Owi 261/19 (148/19); Senatsbeschluss vom 19. September 2018, ( 1 Z) 53 Ss-OWi 523/18 (280/18); Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z - 53 Ss-OWi 471/13 - 271/13; Senatsbeschluss vom 1. August 2011, 1 Z - 53 Ss-OW 239/11 - 134/11). Der Betroffene trägt in der Begründung seiner Rechtsbeschwerde vor, das Amtsgericht hätte kein Prozessurteil erlassen dürfen, sondern es hätte ihn auf seinen Antrag von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden und auf Grund der Beweisaufnahme in seiner Abwesenheit eine Entscheidung in der Sache treffen müssen. Damit führt er zugleich in ausreichender Weise aus, dass das Recht auf Gehör unter dem zweiten der beiden genannten Aspekte verletzt worden sei.
b) Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs - vorläufigen - Erfolg.
aa) Mit der Verfahrensrüge trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass der Betroffene vor der Hauptverhandlung durch seinen bevollmächtigten Verteidiger mit Schriftsatz vom 11. März 2025 die Fahrereigenschaft eingeräumt habe und darüber hinaus sich in der Hauptverhandlung nicht einlassen zu wollen. Hierauf gerichtet hat er beantragt, von der Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung entbunden zu werden.
Damit hat der Betroffene einen wirksamen Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG gestellt. Ein solcher Antrag ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will (KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 73 Rdnr. 16; Göhler/Seitz, OWiG, 18. Aufl., § 73 Rdnr. 4; OLG Bamberg, Beschluss vom 25. März 2009 - 2 Ss OWi 1326/2008; OLG Brandenburg, Beschluss vom 05. November 2008 - 2 Ss (OWi) 180 B/08, OLG Rostock, Beschluss vom 27 April 2011 -2 Ss (0W1) 50/11 163/11, zit. jew. nach juris).
Über diesen Entbindungsantrag hat das Amtsgericht Oranienburg nicht entschieden. Darin, dass das Amtsgericht den rechtzeitig angebrachten Entbindungsantrag übergangen und gleichwohl den Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör begründet (vgl. Senatsbeschuss vom 1. November 2022, 1 OLG 53 Ss-OWI 424/22; Senatsbeschluss vom 6. April 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 141/22; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2019, (1 B) 53 Ss-OWi 261/19 (148/19); Senatsbeschluss vom 19. September 2018, ( 1 Z) 53 Ss-OWI 523/18 (280/18); Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z - 53 Ss-OWI 471/13 ¬271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011, 1 Ss-OWi 83 Z/11; Senatsbeschluss vom 1. August 2011, 1 Z - 53 Ss-OWi 239/11 - 134/11; OLG Hamm NZV 2003, 588; BayObLG DAR 2000, 578), wobei allein entscheidend ist, dass es eine verfahrenserhebliche Erklärung des Betroffenen nicht zur Kenntnis genommen und nicht darüber förmlich entschieden hat.
Denn wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, nicht entschieden und ergeht ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, liegt die Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag gestützt wird (§ 73 Abs. 2 OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit einem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Erklärungen - seine Einlassung oder seine Aussageverweigerung - zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit in der Sache entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens erfüllt sind (vgl. Senatsbeschuss vom 1. November 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 424/22; Senatsbeschluss vom 6. April 2022, 1 OLG 53 Ss-OWI 141/22; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2019, (1 B) 53 Ss-Owi 261/19 (148/19); Senatsbeschluss vom 19. September 2018, ( 1 Z) 53 Ss-OWI 523/18 (280/18); Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z - 53 Ss-OWI 471113 - 271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011 -1 Ss (OW) 83 Z/11 -; Senatsbeschluss vom 1. April 2009 -1 Ss (OWI) 48/09 - ; Senatsbeschluss vom 22. November 2007 -1 Ss (OW) 251 B/07 -; Senatsbeschluss vom 25. September 2006 - 1 Ss (OW) 172 B/06 -; Senatsbeschluss vom 3. Januar 2006 - 1 Ss (OW) 270 B/05 - Senatsbeschluss vom 10. Juli 2009 - 1 Ss (0Wi) 108 Z/09; ebenso: OLG Köln ZfS 2002, 254; BayObLG ZfS 2001, 185; OLG Rostock, Beschluss vom 27. April 2011 -2 Ss (OWI) 50/11 1 63/11 zit. n. juris). Der Antrag ist auch nicht zur Unzeit bei Gericht eingegangen, sondern über zwei Wochen vor der Hauptverhandlung.
bb) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Betroffene vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden gewesen wäre. Denn nach dieser Bestimmung entbindet das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich im Termin nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts (beispielsweise zur Klärung der Identität) nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, dieses vielmehr verpflichtet ist, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. Senat aaO.; ebenso: OLG Karlsruhe ¬Beschluss vom 12. Januar 2018 - 2 Rb 8 Ss 839/17, zit. n. juris; OLG Koblenz NZV 2007, 251; KG VRS 111, 146; KG VRS 113, 63; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Bamberg VRS 113, 284; OLG Stuttgart DAR 2004, 542; OLG Dresden DAR 2005, 460).
Hat - wie hier - der Betroffene in seinem Entbindungsantrag zugestanden, zur fraglichen Zeit das Fahrzeug, mit dem eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen wurde, geführt zu haben und weiter angekündigt, er werde in der Hauptverhandlung keine weiteren sachdienlichen Angaben machen, ist es in der Regel nahe liegend, ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden. Dann ist nämlich von ihm eine weitere Aufklärung zum Schuldspruch nicht zu erwarten, zumal im vorliegenden Fall der Betroffene seinen Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Die mögliche Annahme, der Betroffene könne in einer Hauptverhandlung dazu gebracht werden, sein Prozessverhalten überdenken ist spekulativ und widerspricht dem erklärten Willen des Betroffenen und reicht nicht aus, ihm die Befreiung von der Erscheinungspflicht zu verweigern (vgl. KG VRS 111, 429, 430; KG VRS 113, 63).
cc) Zwar muss der Verstoß gegen das rechtliche Gehör erheblich sein (vgl. KK-Bohnert, OWiG, 5. Auflage, Einl. Rdnr. 130 m.w.N.), da nicht bei jeder Verletzung einer dem rechtlichen Gehör dienenden einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift rechtliches Gehörs verletzt ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 2229 ff.). Eine solche erhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs liegt jedenfalls dann vor, wenn die Rechtsanwendung offenkundig unrichtig war (vgl. BVerfG NJW 1985, 1150 f., 1151; BVerfG NJW 1987, 2733, 2734). Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn durch Prozessurteil nach § 74 Abs. 2 OWG anstatt durch Sachurteil zu entscheiden, stellt hier eine solche offenkundige Unrichtigkeit dar.
dd) Der Senat weist für das weitere Verfahren darauf hin, dass einer möglichen Schuldspruchberichtigung der Grundsatz des Verschlechterungsverbotes (reformatio in peius) gern. § 358 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 79 Abs. 3 OWiG nicht entgegen steht (vgl. BGHSt 14, 5, 7; BGHSt 21, 256, 260; BGH NStZ 1986, 20; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2012, 23; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. August 2010, 1 (8) SsRs 384/09, zit. n. juris, dort Rdnr. 4; OLG Bamberg DAR 2008, 218; OLG Celle NJW 1990, 589, OLG Düsseldorf VRS 80, 52; siehe auch Göhler/Seitz, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rdnr. 37; siehe auch Senatsbeschluss vom 7. Februar 2025, 1 ORbs 293/24; Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20); Senatsbeschluss vom 1. März 2012; (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12)).
3. Da im vorliegenden Verfahren bereits zweimal der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht beachtet worden ist, hat der Senat von der Möglichkeit nach § 79 Abs. 6 OWG Gebrauch gemacht und die Sache an eine andere Abteilung für Bußgeldsachen des Amtsgerichts Oranienburg zurückverwiesen, das auch über die Kosten der bisherigen Rechtsbeschwerdeverfahren zu entscheiden hat.
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger;
Rechtsanwalt
wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften
hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 1. Senat für Bußgeldsachen - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht pp. als Einzelrichter am 7. August 2025 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 3. April 2025 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der bisherigen Rechtsbeschwerdeverfahren, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Oranienburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg hat mit Bescheid vom 23. Februar 2024 gegen den straßenverkehrsrechtlich erheblich vorbelasteten Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h (nach Toleranzabzug), was am 8. November 2023 gegen 23:26 Uhr auf der Bundesautobahn 10, bei km 153,83 in Fahrtrichtung Potsdam, mit dem Pkw amtliches Kennzeichen pp. begangen worden sein soll, ein Bußgeld in Höhe von 385,00 € festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch erhoben hat, hatte der Bußgeldrichter mit Urteil vom 26. September 2024 den Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h zu einem Bußgeld in Höhe von 640,00 € sowie zu einem ein Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hatte mit Beschluss vom 10. Februar 2025 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das vorgenannte Urteil vom 26. September 2024 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Oranienburg zurückverwiesen, da das Tatgericht auf eine mögliche Verurteilung wegen Vorsatzes nicht hingewiesen und dadurch den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs missachtet habe.
Mit Verfügung vom 7. März 2025 hat der Bußgeldrichter beim Amtsgericht Oranienburg Termin zur Hauptverhandlung auf den 3. April 2025 anberaumt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 11. März 2025 beantragte der Verteidiger des Betroffenen Akteneinsicht und erklärte: "Der Betroffene räumt die Fahrereigenschaft ein. Weitere Angaben zur Sache wird der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht machen." Zugleich beantragte der Verteidiger, „den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 3. April 2025 zu entbinden", wobei das Wort „entbinden" durch Fettdruck hervorgehoben ist. Auf dem Schriftsatz vom 11. März 2025 vermerkt der Bußgeldrichter am 17. März 2025 handschriftlich, dass dem Verteidiger Akteneinsicht für die Dauer von drei Tagen zu gewähren ist. Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 19. März 2025 beschränkte der Betroffene seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 23. Februar 2024 auf den Rechtsfolgenausspruch.
Nachdem weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin am 3_ April 2025 erschienen waren, hat das Amtsgericht Oranienburg mit Urteil vom selben Tag gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 23. Februar 2024 verworfen. In den Urteilsgründen heißt es dazu: „[...] Dem Betroffenen wurde die Ladung zum heutigen Hauptverhandlungstermin, welche eine Belehrung über die Folgen eines nicht bzw. nicht genügend entschuldigten Ausbleibens enthielt, ordnungsgemäß am 13.03.2025 zugestellt. Er ist heute ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben. Gründe für das Ausbleiben des Betroffenen sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Betroffene war von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden worden."
Das Verwerfungsurteil wurde dem Verteidiger des Betroffenen, dessen schriftliche Bevollmächtigung sich bei den Akten befindet, am 10. April 2025 zugestellt. Mit Anwaltsschriftsatz ebenfalls vom 14. April 2025 hat der Betroffene Rechtsbeschwerde erhoben und diese mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 15. Mai 2025 begründet und mit Anträgen versehen. Der Betroffen beanstandet insbesondere, dass sein Antrag, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, durch das Bußgeldgericht nicht beschieden worden sei; durch das erkannte Verwerfungsurteil sei dem Betroffenen „eine Sachverhandlung in Gänze verwehre worden.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 11, Juli 2025 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückzuverweisen.
II.
Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG statthaft und gemäß §§ 341, 344, 345 StPO iVm. § 79 Abs. 3 Satz 10WiG form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann als Prozessurteil, das naturgemäß keine Ausführungen zu Sache enthält, im Wesentlichen nur mit der Verfahrensrüge beanstandet werden.
a) Die auf die Verletzung rechtlichen Gehörs zielende Antragsbegründung enthält eine den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG entsprechende Verfahrensrüge. Denn soweit im Grundsatz bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs darzulegen ist, was der Beschwerdeführer im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, erfährt dieser Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn gerügt wird, die Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG beruhe auf einer unterbliebenen oder auf einer rechtsunwirksamen Ablehnung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht nur dann verletzt, wenn der Betroffene daran gehindert wird, zu den für die gerichtliche Entscheidung erheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, sondern auch dann, wenn das Gericht eine Stellungnahme des Betroffenen nicht zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt (vgl. dazu Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt, Art. 103, Rdnr. 94; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. September 2005, 2 Ss (OW) 148 Z/02; ständige Senatsrechtsprechung, statt vieler: Senatsbeschuss vom 1. November 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 424/22; Senatsbeschluss vom 6. April 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 141/22; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2019, (1 B) 53 Ss-Owi 261/19 (148/19); Senatsbeschluss vom 19. September 2018, ( 1 Z) 53 Ss-OWi 523/18 (280/18); Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z - 53 Ss-OWi 471/13 - 271/13; Senatsbeschluss vom 1. August 2011, 1 Z - 53 Ss-OW 239/11 - 134/11). Der Betroffene trägt in der Begründung seiner Rechtsbeschwerde vor, das Amtsgericht hätte kein Prozessurteil erlassen dürfen, sondern es hätte ihn auf seinen Antrag von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden und auf Grund der Beweisaufnahme in seiner Abwesenheit eine Entscheidung in der Sache treffen müssen. Damit führt er zugleich in ausreichender Weise aus, dass das Recht auf Gehör unter dem zweiten der beiden genannten Aspekte verletzt worden sei.
b) Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs - vorläufigen - Erfolg.
aa) Mit der Verfahrensrüge trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass der Betroffene vor der Hauptverhandlung durch seinen bevollmächtigten Verteidiger mit Schriftsatz vom 11. März 2025 die Fahrereigenschaft eingeräumt habe und darüber hinaus sich in der Hauptverhandlung nicht einlassen zu wollen. Hierauf gerichtet hat er beantragt, von der Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung entbunden zu werden.
Damit hat der Betroffene einen wirksamen Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG gestellt. Ein solcher Antrag ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will (KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 73 Rdnr. 16; Göhler/Seitz, OWiG, 18. Aufl., § 73 Rdnr. 4; OLG Bamberg, Beschluss vom 25. März 2009 - 2 Ss OWi 1326/2008; OLG Brandenburg, Beschluss vom 05. November 2008 - 2 Ss (OWi) 180 B/08, OLG Rostock, Beschluss vom 27 April 2011 -2 Ss (0W1) 50/11 163/11, zit. jew. nach juris).
Über diesen Entbindungsantrag hat das Amtsgericht Oranienburg nicht entschieden. Darin, dass das Amtsgericht den rechtzeitig angebrachten Entbindungsantrag übergangen und gleichwohl den Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör begründet (vgl. Senatsbeschuss vom 1. November 2022, 1 OLG 53 Ss-OWI 424/22; Senatsbeschluss vom 6. April 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 141/22; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2019, (1 B) 53 Ss-OWi 261/19 (148/19); Senatsbeschluss vom 19. September 2018, ( 1 Z) 53 Ss-OWI 523/18 (280/18); Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z - 53 Ss-OWI 471/13 ¬271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011, 1 Ss-OWi 83 Z/11; Senatsbeschluss vom 1. August 2011, 1 Z - 53 Ss-OWi 239/11 - 134/11; OLG Hamm NZV 2003, 588; BayObLG DAR 2000, 578), wobei allein entscheidend ist, dass es eine verfahrenserhebliche Erklärung des Betroffenen nicht zur Kenntnis genommen und nicht darüber förmlich entschieden hat.
Denn wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, nicht entschieden und ergeht ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, liegt die Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag gestützt wird (§ 73 Abs. 2 OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit einem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Erklärungen - seine Einlassung oder seine Aussageverweigerung - zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit in der Sache entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens erfüllt sind (vgl. Senatsbeschuss vom 1. November 2022, 1 OLG 53 Ss-OWi 424/22; Senatsbeschluss vom 6. April 2022, 1 OLG 53 Ss-OWI 141/22; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2019, (1 B) 53 Ss-Owi 261/19 (148/19); Senatsbeschluss vom 19. September 2018, ( 1 Z) 53 Ss-OWI 523/18 (280/18); Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z - 53 Ss-OWI 471113 - 271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011 -1 Ss (OW) 83 Z/11 -; Senatsbeschluss vom 1. April 2009 -1 Ss (OWI) 48/09 - ; Senatsbeschluss vom 22. November 2007 -1 Ss (OW) 251 B/07 -; Senatsbeschluss vom 25. September 2006 - 1 Ss (OW) 172 B/06 -; Senatsbeschluss vom 3. Januar 2006 - 1 Ss (OW) 270 B/05 - Senatsbeschluss vom 10. Juli 2009 - 1 Ss (0Wi) 108 Z/09; ebenso: OLG Köln ZfS 2002, 254; BayObLG ZfS 2001, 185; OLG Rostock, Beschluss vom 27. April 2011 -2 Ss (OWI) 50/11 1 63/11 zit. n. juris). Der Antrag ist auch nicht zur Unzeit bei Gericht eingegangen, sondern über zwei Wochen vor der Hauptverhandlung.
bb) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Betroffene vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden gewesen wäre. Denn nach dieser Bestimmung entbindet das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich im Termin nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts (beispielsweise zur Klärung der Identität) nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, dieses vielmehr verpflichtet ist, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. Senat aaO.; ebenso: OLG Karlsruhe ¬Beschluss vom 12. Januar 2018 - 2 Rb 8 Ss 839/17, zit. n. juris; OLG Koblenz NZV 2007, 251; KG VRS 111, 146; KG VRS 113, 63; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Bamberg VRS 113, 284; OLG Stuttgart DAR 2004, 542; OLG Dresden DAR 2005, 460).
Hat - wie hier - der Betroffene in seinem Entbindungsantrag zugestanden, zur fraglichen Zeit das Fahrzeug, mit dem eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen wurde, geführt zu haben und weiter angekündigt, er werde in der Hauptverhandlung keine weiteren sachdienlichen Angaben machen, ist es in der Regel nahe liegend, ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden. Dann ist nämlich von ihm eine weitere Aufklärung zum Schuldspruch nicht zu erwarten, zumal im vorliegenden Fall der Betroffene seinen Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Die mögliche Annahme, der Betroffene könne in einer Hauptverhandlung dazu gebracht werden, sein Prozessverhalten überdenken ist spekulativ und widerspricht dem erklärten Willen des Betroffenen und reicht nicht aus, ihm die Befreiung von der Erscheinungspflicht zu verweigern (vgl. KG VRS 111, 429, 430; KG VRS 113, 63).
cc) Zwar muss der Verstoß gegen das rechtliche Gehör erheblich sein (vgl. KK-Bohnert, OWiG, 5. Auflage, Einl. Rdnr. 130 m.w.N.), da nicht bei jeder Verletzung einer dem rechtlichen Gehör dienenden einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift rechtliches Gehörs verletzt ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 2229 ff.). Eine solche erhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs liegt jedenfalls dann vor, wenn die Rechtsanwendung offenkundig unrichtig war (vgl. BVerfG NJW 1985, 1150 f., 1151; BVerfG NJW 1987, 2733, 2734). Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn durch Prozessurteil nach § 74 Abs. 2 OWG anstatt durch Sachurteil zu entscheiden, stellt hier eine solche offenkundige Unrichtigkeit dar.
dd) Der Senat weist für das weitere Verfahren darauf hin, dass einer möglichen Schuldspruchberichtigung der Grundsatz des Verschlechterungsverbotes (reformatio in peius) gern. § 358 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 79 Abs. 3 OWiG nicht entgegen steht (vgl. BGHSt 14, 5, 7; BGHSt 21, 256, 260; BGH NStZ 1986, 20; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2012, 23; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. August 2010, 1 (8) SsRs 384/09, zit. n. juris, dort Rdnr. 4; OLG Bamberg DAR 2008, 218; OLG Celle NJW 1990, 589, OLG Düsseldorf VRS 80, 52; siehe auch Göhler/Seitz, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rdnr. 37; siehe auch Senatsbeschluss vom 7. Februar 2025, 1 ORbs 293/24; Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20); Senatsbeschluss vom 1. März 2012; (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12)).
3. Da im vorliegenden Verfahren bereits zweimal der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht beachtet worden ist, hat der Senat von der Möglichkeit nach § 79 Abs. 6 OWG Gebrauch gemacht und die Sache an eine andere Abteilung für Bußgeldsachen des Amtsgerichts Oranienburg zurückverwiesen, das auch über die Kosten der bisherigen Rechtsbeschwerdeverfahren zu entscheiden hat.