23.09.2025 · IWW-Abrufnummer 250325
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 27.05.2025 – 16 B 714/24
1. Im Regelfall schließt bereits die einmalige Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes die Fahreignung aus. Dies gilt unabhängig davon, ob der Betroffene unter dem Einfluss eines solchen Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug geführt oder Ausfallerscheinungen gezeigt hat, sowie unabhängig von der Höhe einer festgestellten Wirkstoffkonzentration.
2. Die Einnahme von Kokain als solche wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die in einer Blutprobe nachgewiesene Konzentration des Kokainmetaboliten Benzoylecgonin unter dem im Rahmen von § 24a Abs. 2 StVG relevanten Grenzwert von 75 μg/l gelegen hat.
3. Eine unbewusste und ungewollte Rauschmitteleinnahme kann dem Betroffenen nur dann geglaubt werden, wenn dieser nachvollziehbar und widerspruchsfrei darlegt, wie es zu dieser Drogenaufnahme gekommen ist oder - bei Unsicherheiten über den Geschehensablauf - gekommen sein könnte.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde, über die im Einverständnis der Beteiligten die Berichterstatterin entscheidet (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses durch das Oberverwaltungsgericht führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
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Das Verwaltungsgericht hat die auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV und Anlage 4 zur FeV gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2024 bei summarischer Prüfung für rechtmäßig gehalten. Es hat ausgeführt, der Antragsteller habe sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, weil er Kokain eingenommen habe. Auf fehlende Ausfallerscheinungen komme es dafür nicht an. Der Kokainkonsum sei durch das wissenschaftliche Gutachten zur chemisch-toxikologischen Untersuchung der Uniklinik B. vom 25. März 2023 (gemeint: 25. Mai 2023) belegt. Danach sei beim Antragsteller ein Wert des Kokain-Stoffwechselproduktes Benzoylecgonin in Höhe von 5,8 μg/l nachgewiesen worden. Dass der Wert unterhalb des für § 24a StVG maßgeblichen Wertes von 75 μg/l liege, stehe der Annahme eines Kokainkonsums nicht entgegen. Das Vorbringen des Antragstellers dazu, wie sich dieser Befund anders als durch einen bewussten und gewollten Kokainkonsum erkläre, verfange nicht. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung falle auch die allgemeine Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus.
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Das dagegen gerichtete Vorbringen des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats und anderer Obergerichte schließt im Regelfall bereits die einmalige Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes ‒ zu denen nach § 1 Abs. 1 BtMG i. V. m. Anlage III zu dieser Vorschrift auch Kokain zählt ‒ die Fahreignung aus (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV). Dies gilt unabhängig davon, ob der Betroffene unter dem Einfluss eines solchen Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug geführt oder Ausfallerscheinungen gezeigt hat, sowie unabhängig von der Höhe einer festgestellten Wirkstoffkonzentration.
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Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 9. September 2024 - 16 B 311/24 - (n. v., S. 2 f. des Beschlusses), vom 20. August 2021 - 16 B 1086/21 - (n. v., S. 2 des Beschlusses) und vom 24. Oktober 2014 - 16 B 946/14 -, juris, Rn. 2 ff.; OVG M.-V., Beschluss vom 20. Juni 2024 - 1 M 166/24 OVG -, juris, Rn. 15; OVG Saarl., Beschluss vom 4. März 2024 - 1 B 3/24 -, juris, Rn. 20; Bay. VGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 - 11 CS 23.1387 -, juris, Rn. 13; OVG S.-A., Beschluss vom 26. Oktober 2022 - 3 M 88/22 -, juris, Rn. 5.
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Daher kommt es entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht darauf an, inwiefern und für welche Zeitdauer sich eine Drogeneinnahme beim Konsumenten körperlich auswirkt.
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Die Einnahme von Kokain als solche wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die in einer Blutprobe nachgewiesene Konzentration des Kokainmetaboliten Benzoylecgonin (hier: 5,8 μg/l Serum/Plasma) unter dem im Rahmen von § 24a Abs. 2 StVG relevanten Grenzwert von 75 μg/l gelegen hat.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 - 16 B 718/13 -, juris, Rn. 6.
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Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, es könne nicht sein und widerspreche den allgemeinen Grundsätzen, dass an eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 StVG, die eine konkrete Gefahr ahnde, höhere Voraussetzungen gestellt würden als an eine Fahrerlaubnisentziehung, die der abstrakten Gefahrenabwehr diene und viel weiter reichende Folgen habe.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 StVG, mit der ein subjektiv vorwerfbares und abstrakt gefährliches Verhalten repressiv geahndet wird,
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vgl. zum Charakter von § 24a Abs. 2 StVG als abstraktes Gefährdungsdelikt BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -, juris, Rn. 19, 29,
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und für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV und Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV, bei der es um die präventive Abwehr abstrakter Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und damit auch für Rechtsgüter Dritter (Leib, Leben, Eigentum) geht,
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vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 31. Mai 2017 - 16 B 533/17 - (n. v., S. 5 des Beschlusses); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22. November 2012 - 10 S 3174/11 -, juris, Rn. 37, 39; Hess. VGH, Beschluss vom 21. März 2012 - 2 B 1570/11 -, juris, Rn. 6,
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sind verschieden: § 24a Abs. 2 StVG greift ein, wenn jemand „unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt“. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn zumindest der in der Empfehlung der Grenzwertkommission angegebene Nachweisgrenzwert erreicht wird, der bei Benzoylecgonin 75 ng/ml (= 75 μg/l) beträgt.
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Vgl. zu diesem Wert z. B. OLG Celle, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 2 Ss (OWi) 338/19 -, juris, Rn. 11; König, in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 24a StVG Rn. 21a.
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Demgegenüber schließt nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV schon die bloße Einnahme eines Betäubungsmittels im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragstellers habe Kokain konsumiert, wird durch das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt. Nach dem wissenschaftlichen Gutachten zur chemisch-toxikologischen Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik B. vom 25. Mai 2023 wurde in der Blutprobe des Antragstellers mittels gaschromatographisch-massenspektrometrischer Verfahren (GC/MS-MS) der Kokainmetabolit Benzoylecgonin mit einem Wert von „ca. 5,8 μg/L Serum/Plasma“ festgestellt. Dieser Wert bedeutet nach den Erläuterungen im Gutachten (dort S. 3): „Konzentration unterhalb der Bestimmungsgrenze, sicherer Nachweis, aber keine exakte Quantifizierung“. Im Gutachten wird dazu weiter ausgeführt, die als negativ bewertete immunchemische Vorabanalyse von Kokain sei vor dem Hintergrund der niedrigen bestimmten Wirkstoffkonzentration von Benzoylecgonin als plausibel anzusehen (S. 4 des Gutachtens). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Feststellung des Benzoylecgoninwerts und die Annahme des sicheren Nachweises eines Kokainkonsums nicht hinreichend belastbar sein könnten, sind nicht dargelegt. Das Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik B. ist ausweislich seines Internetauftritts […] und der dort abrufbaren Akkreditierungsurkunden der Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS), der nationalen Akkreditierungsstelle der Bundesrepublik Deutschland, jeweils vom 7. Juni 2024 als Prüflabor u. a. für forensische Toxikologie einschließlich der Fahreignungsdiagnostik akkreditiert, was die Untersuchung von Blut auf Kokain und Kokainmetabolite durch Gaschromatographie und Massenspektroskopie einschließt. Ausgehend von dem Logo und zwei Registrierungsnummern der DAkkS auf der ersten Seite des Gutachtens vom 25. Mai 2023 geht der Senat bei summarischer Prüfung und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon aus, dass das Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik B. auch im Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens bereits von der DAkkS für die genannten Untersuchungen akkreditiert war und diese fachgerecht nach anerkannten Methoden durchgeführt wurden. Mit Blick darauf rügt der Antragsteller unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 11. September 2012 - 16 B 944/12 - ohne Erfolg, vorliegend habe man sich weder damit beschäftigt, ob die DIN 32645 betreffend die Nachweisgrenze eingehalten worden sei, noch die Messgrenzen des Labors überprüft. Für das Verwaltungsgericht bestand dazu kein Anlass. Da es im Gutachten ausdrücklich heißt, der Wert für Benzoylecgonin stelle einen sicheren Nachweis dar, zeigt auch das nicht näher ausgeführte Vorbringen des Antragstellers, die Grenzwerte für einen tatsächlichen Nachweis variierten von Labor zu Labor, keine konkreten Zweifel an der Belastbarkeit des Gutachtens auf. Dasselbe gilt für den Hinweis, der Benzoylecgoninwert sei bloß geschätzt. Denn das Gutachten geht selbst davon aus, dass dieser Wert nicht exakt quantifiziert werden könne, Benzoylecgonin aber sicher nachgewiesen sei. Die nicht näher begründete Vermutung des Antragstellers, das Gutachten könne „schlichtweg falsch“ sein, weil es sich um einen so niedrigen Benzoylecgoninwert handle, der „durch Verunreinigungen oder Fehler[n] bei der Auswertung passieren“ könne, ist ins Blaue hinein erfolgt und schon deswegen nicht geeignet, das Ergebnis des Gutachtens in Zweifel zu ziehen.
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Der vom Antragsteller geltend gemachte Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des Verwaltungsgerichts im Zusammenhang mit dem behaupteten unbewussten Kokainkonsum liegt nicht vor. Der Antragsteller lässt unberücksichtigt, dass es zunächst an ihm ist, substantiiert zu dem angeblich unbewussten Konsum vorzutragen. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine unbewusste und ungewollte Rauschmitteleinnahme trotz der Häufigkeit derartiger Beteuerungen nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Ausnahme darstellt und eine solche Behauptung dem Betroffenen nur dann geglaubt werden kann, wenn dieser nachvollziehbar und widerspruchsfrei darlegt, wie es zu dieser Drogenaufnahme gekommen ist oder ‒ bei Unsicherheiten über den Geschehensablauf ‒ gekommen sein könnte.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. September 2020 - 16 B 655/20 -, juris, Rn. 4 ff., vom 10. März 2016 - 16 B 166/16 -, juris, Rn. 11 ff., und vom 10. März 2015 - 16 B 24/15 -, juris, Rn. 4 f., jeweils m. w. N.
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Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren nur noch schlagwortartig benannte „Vielzahl von Konstellationen“ stellt die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass und warum der erstinstanzliche Vortrag des Antragstellers zu einem unbewussten Konsum diesen Anforderungen nicht genüge, nicht durchgreifend in Frage. Der Antragsteller hat auch im Beschwerdeverfahren nicht nachvollziehbar und widerspruchsfrei dargelegt, wie es zu der Drogenaufnahme gekommen ist oder gekommen sein könnte. Schon deshalb hat kein Anlass zu weiteren Ermittlungen bestanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).