26.06.2025 · IWW-Abrufnummer 248819
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Urteil vom 04.03.2025 – 7 U 137/22
1. Für die Anwendung des österreichischen Rechtes bedarf es keiner Beweisaufnahme. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und klaren Rechtsnormen sind die Anforderungen an die richterliche Ermittlungspflicht nicht besonders hoch.
2. Der unfallbedingte Erwerbsschaden ist auch nach österreichischem Recht zu ersetzen.
3. Auch bei materiell-rechtlicher Anwendung ausländischen Rechts richtet sich das Beweismaß (§§ 286, 287 ZPO) nach deutschem Prozessrecht.
4. Nach der AWMF-S2k-Leitlinie 051-029 ist notwendige Bedingung für die medizinische Diagnose einer PTBS (F43.1) das Vorliegen des sog. A-Kriteriums, d.h. das auslösende Trauma muss objektiv eine solche außergewöhnliche Bedrohung von katastrophalem Ausmaß darstellen, dass nahezu bei jedem Menschen eine tiefgreifende Verzweiflung ausgelöst werden würde.
5. Trotz der seit Januar 2022 in Kraft getretenen neuen Version ICD-11 steht der offizielle Einführungszeitpunkt in den klinischen Alltag in Deutschland noch nicht fest. Derzeit orientiert sich die Diagnose deshalb noch an dem ICD-10 Standard.
6. Nach § 7 EKHG i.V.m. § 1304 ABGB ist eine verhältnismäßige Kürzung des Schadensersatzes möglich, wenn der Geschädigte schuldhaft den bereits entstandenen Schaden nicht möglichst geringgehalten hat. Diese Regelung entspricht dem deutschen § 254 II BGB.
7. Für die Frage, ob und inwieweit sich das Mitverschulden bei der Ermittlung des Schadensumfangs ausgewirkt hat (Haftungsausfüllung), gilt das reduzierte Beweismaß des § 287 ZPO, d. h. es genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit
8. Nach der Schlüsselempfehlung der S3-Leitlinie "soll"bei einer unfallbedingten PTBS erstes Mittel der Wahl die zeitnahe Durchführung einer traumafokussierten Psychotherapie sein.
9. Ein Geschädigter, der unfallbedingt eine PTBS erlitten hat und die zunächst zeitnah begonnene nervenärztliche Behandlung wieder abgebrochen und sich stattdessen mehr als 3 Jahre lang mit selbst beschafften Psychopharmaka eigenmächtig behandelt hat, hat die nachfolgende Chronifizierung seiner psychischen Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst verschuldet.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 11.487,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.10.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen der Kläger 70 % und die Beklagte 30 %. Von den Kosten des Streithelfers in beiden Rechtszügen trägt der Kläger 70 %, im Übrigen trägt der Streithelfer seine Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Verdienstausfallentschädigung für den Zeitraum vom 16.08.2007 bis 31.12.2011 nach einem Verkehrsunfall, der sich am 15.8.2007 im Kosovo ereignet hat. Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in Österreich.
Der Kläger, geboren 1970 im Kosovo, ist gelernter Elektroschweißer. Nachdem er bereits im Jahr 1992 als Flüchtling in die Bundesrepublik Deutschland gekommen war, übernahm er ab November 1993 zunächst verschiedene Aushilfstätigkeiten (wird weiter ausgeführt...) und war von Juni 1998 bis Mai 2000 als Angestellter im Bau- und Industriedienstleistungsbereich tätig. In der Zeit von Juni 2000 bis Mitte Januar 2002 war er arbeitslos. Ab dem 15.1.2002 machte er sich als Bau- und Industriedienstleister selbständig (Inhaber von x-service.de). Gegenstand seines Betriebes war die Installation von Planen und Netzen an Gerüsten und Gebäuden, wobei er als Subunternehmer hauptsächlich (> 80 %) für die Fa. E. GmbH in H. tätig war. Daneben verrichtete er auch Aufgaben der Objektbetreuung (u.a. Garten- und Reinigungsarbeiten) für die Fa. G. in H.. Seit Februar 2002 beschäftigte er zunächst zwei Aushilfen, anschließend hatte er auch mehrere Festangestellte. Seit 2005 war der Kläger selbst überwiegend nur verwaltend tätig.
Laut seiner Einkommenssteuerbescheide und seiner Aufstellung vom 14.10.2010 entwickelten sich sein Unternehmen und sein Einkommen wie folgt:
Jahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu versteuerndes Einkommen zu zahlende Steuern
2002 4.022 € (2.463 abgerechnete Stunden) 818 € 0 €
2003 17.729 € (2.848 abgerechnete Stunden) 12.723 € 1.333,20 €
2004 5.849 € (1733,5 abgerechnete Stunden) 2.391 € 0 €
2005 34.467 € (8641 abgerechnete Stunden 31.044 € 3.341,18 €
davon Eigenleistung 989,50 h)
2006 24.430 € (5358 abgerechnete Stunden, davon Eigenleistung 0 h) 20.005 € 798 €
2007 (Bis zum 4.5.2007 abgerechnete Stunden: 451, davon Eigenleistung: 333 h)
Am 15.08.2007, während der Kläger Urlaub im Kosovo machte, kam es zu einem Verkehrsunfall auf einer zweispurigen Straße. Das Fahrzeug des Klägers kollidierte mit einem bei der Beklagten versicherten UNO-Fahrzeug Toyota Runner. Das klägerische Fahrzeug wurde dabei gegen ein anderes Fahrzeug geschleudert, in dem Kinder saßen.
Durch den Unfall erlitt der Kläger unstreitig eine leichte Zerrung der Halswirbelsäule, eine Prellung der rechten Schulter, eine leichte Knieprellung und eine leichte Schädelprellung. Nach der Erstversorgung im Kosovo stellte sich der Kläger eine Woche später bei seinem Hausarzt Dr. H. vor, der am 23.08.2007 Schlafstörungen und eine somatisierte Depression, am 30.08.2007 eine reaktive Depression und für den 12.09.2007 eine posttraumatische Belastungsreaktion diagnostizierte. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger insbesondere psychische (Dauer-)Schäden nach dem Unfall davongetragen hat.
Der Hausarzt Dr. H. verwies den Kläger an die Neurologin Dr. B., die unter dem 30.08.2007 einen episodischen Spannungskopfschmerz, eine posttraumatische Belastungsstörung und wegen der angegebenen Sensibilitätsstörung den Verdacht auf eine dissoziative Störung diagnostizierte und eine medikamentöse Behandlung (Amitryptylin) sowie die Wiedervorstellung nach 3 Wochen empfahl. Dieser Empfehlung kam der Kläger jedoch nicht nach, u.a. weil ihm damals das Krankheitsverständnis für die aufgetretenen psychischen Beschwerden fehlte. Stattdessen versuchte der Kläger sich selber zu therapieren, indem er sich u.a. Antidepressiva auf dem Schwarzmarkt besorgte. Im Laufe des Prozesses konnte nicht geklärt werden, um welche konkreten Medikamente es sich dabei handelte. Gegenüber dem Gerichtsgutachter Dr. K. gab er an, es habe sich wohl um zwei Präparate gehandelt, die er sich selbständig über Apotheken oder inoffiziell über den Hausarzt besorgt habe.
Wegen seiner physischen Schulterbeschwerden erhält der Kläger seit 2007 Krankengymnastik, zunächst erhielt er auch Spritzen gegen Schmerzen, später dann Schmerztabletten. Außerdem stellte er sich am 25.01.2008 und am 27.08.2008 bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. Bl. wegen Schulter- und Knieschmerzen sowie HWS- und Kopfschmerzen vor, der ein posttraumatisches Impingement-Syndrom rechts, eine posttraumatische Bicepssehnentendintis rechts, eine posttraumatisch aktivierte AC-Gelenkarthrose rechts, einen posttraumatischen Reizzustand in beiden Kniegelenken und einen Zustand nach HWS-Distorsion diagnostizierte. Zwischenzeitlich stellte sich der Kläger am 28.04.2008 wegen seiner rechten Schulter auch bei dem Orthopäden Dr. M. vor. Am 22.04.2009 operierte Dr. Bl. die rechte Schulter des Klägers. Seit der Operation sind die Schulterbeschwerden besser geworden, es verbleiben jedoch Bewegungseinschränkungen. Der Kläger kann den rechten Arm nur etwa bis Schulterhöhe heben. Am 01.02.2016 erlitt der Kläger einen Bandscheibenvorfall.
Weihnachten 2010 kam es bei dem Kläger zu einem psychischen Zusammenbruch. Seit dem 17.02.2011 befindet er sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. wegen einer Anpassungsstörung. Seither wird er ambulant mit Antidepressiva (u.a. Trazodon, Quetiapin) und Schmerzmitteln (bei Bedarf Diclofenac) behandelt. In einem weiteren Attest vom 26.09.2011 berichtet Frau Dr. T. bei dem Kläger von Schlafstörungen und "anhaltenden Symptomen des erhöhten Arousals im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung". Im nachfolgenden Attest vom 09.12.2011 gibt Frau Dr. T. an, dass der Kläger "die nervenärztliche Behandlung und das Vorhandensein von psychischen Problemen nur schwer mit seinem Selbstbild vereinbaren könne. (...) Der Kläger beginne jedoch, sich von diesem Selbstbild in der Behandlung zu lösen". Ausweislich des Berichtes vom 30.01.2020 behandelt Frau Dr. T. den Kläger unter den Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung und Persönlichkeitsakzentuierung mit starker Betonung der Autarkie und hochgradiger Abwehr von Gefühlen. Die ambulante Behandlung fand seit Februar 2011 zunächst 14-tägig, seit 2012 monatlich und seit 2013 nur noch alle 6 Wochen statt.
Seit dem Verkehrsunfall vom 15.08.2007 geht der Kläger keiner beruflichen Tätigkeit mehr nach. Ein Wiedereingliederungsversuch im Jahr 2008 scheiterte. Nach eigenen Angaben (Schreiben vom 14.10.2010) konnte der Kläger damals nur insgesamt 28 abrechenbare Arbeitsstunden in Eigenleistung für sein Unternehmen erbringen.
Im Jahr 2009 beantragte der Kläger erstmals sog. Entgeltersatzleistungen und erhielt von der KK N. für den Zeitraum 16.04.2009 bis 30.11.2009 insgesamt 5.778,-- € und für den Zeitraum vom 01.12.2009 bis zum 13.10.2010 insgesamt 8.037,84 € an Krankengeld zzgl. entsprechender Zahlungen auf die Renten-/Arbeitslosen-/Pflegeversicherung ausgezahlt. Ab Juli 2011 erhielt der Kläger 328,-- € Arbeitslosengeld pro Monat, ab Oktober 2011 489,75 € und ab Januar 2012 498,50 €. Weiter erhielt der Kläger wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls aus zwei Unfallversicherungen jeweils Einmalzahlungen in unbekannter Höhe.
In einem Parallelverfahren vor dem Bezirksgericht Wien (Az. 29 C xxx/09s) wurde die Beklagte am 28.09.2012 verurteilt, insgesamt 6.650.-- € Schmerzensgeld nach österreichischem Recht an den Kläger zu zahlen. Zudem hat die Beklagte den materiellen Unfallschaden ausgeglichen.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 14.09.2017 (OLG Schleswig 7 U 17/14) hat der Senat entschieden, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seinen bereits entstandenen und ggf. künftig noch entstehenden unfallbedingten Verdienstausfallschaden zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden. Nach § 26 S.1 KHVG bzw. Art 941 OblG 1978 (= jugoslawischen Bundesgesetz über Schuldverhältnisse von 1978) darf der Kläger seine Ansprüche auch direkt bei dem gegnerischen Haftpflichtversicherer geltend machen. Dieser Anspruch ist nicht verjährt. Denn der Lauf der Verjährung war aufgrund des im Wege einer "Günstigkeitsprüfung"anzuwendenden österreichischen Rechts nach § 27 Abs. 2 KHVG seit dem 2.01.2008 gehemmt. Das anzuwendende Recht bemisst sich nach Art. 40 EGBGB. Da sich der Unfall am 15.0.2007 ereignete, ist die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) noch nicht anzuwenden, denn diese trat erst am 11. Januar 2009 in Kraft. Im Rahmen von Art. 40 Abs. 4 EGBGB ist deshalb eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen, ob für den Geschädigten das für die unerlaubte Handlung einschlägige Recht oder das Recht des Versicherungsvertrags günstiger ist. Hier ist das Versicherungsvertragsstatut maßgeblich, denn dieses sieht für den Kläger das mit Blick auf die Verjährungsfrage günstigere österreichische Recht vor. Bei Zugrundlegung des kosovarischen Rechts wäre der Anspruch des Klägers nämlich bereits am 15.08.2012 verjährt gewesen. Bei Anknüpfung an den Versicherungsvertrag (zwischen der Beklagten und dem Halter, der "United Nations Interim Administration in Kosovo"- UNMIK) kommt österreichisches Recht zur Anwendung. Nach Art. 27 Abs. 1 a. F. EGBGB unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Dies führt hier zu einer Anwendung des österreichischen Rechts, weil die Parteien nach dem Versicherungsvertrag vom 24.02.2006 bezüglich der Haftpflichtversicherung die "Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 2005 (AKHB 2005)"zur Grundlage des Vertrags gemacht haben. Gem. Art. 23 der AKHB 2005 gilt österreichisches Recht. Selbst wenn diese Rechtswahl unwirksam wäre, gilt aufgrund der Vermutung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB österreichisches Recht (= Recht des Staates, mit dem der Vertrag die "engsten Verbindungen aufweist"). Danach ist der Anspruch des Klägers nicht verjährt. Der Direktanspruch unterliegt gemäß § 27 KHVG der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den Versicherten. Nach Art. 376 OblG 1978 beträgt die Verjährungsfrist im Grundsatz drei Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger. Der Lauf der Verjährung war gem. § 27 Abs. 2 KHVG gehemmt, weil der Kläger seine Forderungen auf Verdienstausfall schon mit Schreiben vom 02.01.2008 bei der Versicherung angemeldet hatte.
Der Kläger hat behauptet, vor dem Verkehrsunfall sei er beschwerdefrei gewesen. Wegen der körperlichen und psychischen Folgeschäden sei er seit dem Unfall vom 15.08.2007 durchgehend und dauerhaft nicht mehr arbeitsfähig und auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen. Durch den Verkehrsunfall habe er ein Impingement-Syndrom rechts, eine Bicepssehnentendintis rechts, eine posttraumatisch aktivierte AC-Gelenkarthrose in der Schulter, einen Reizzustand beider Kniegelenke, eine HWS-Distorsion, ein myofasziales Schmerz-Syndrom und einen Bandscheibenvorfall erlitten. Seit dem Unfall leide er durchgehend an wiederkehrenden starken Kopfschmerzen und erheblichen Schmerzen an der Schulter, den Knien und im HWS-Bereich.
Zudem habe er unfallbedingt eine dauerhafte chronische posttraumatische Belastungsstörung sowie eine ausgeprägte depressive Störung erlitten. Diese zeige sich durch erhebliche Schlafstörungen, Schweißausbrüche, erhöhtes Arousal, schwere Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, innere Unruhe und Affektarmut. Er leide unter drängenden und belastenden Erinnerungen, Zittern, Schwitzen, Herzrasen, Schreckhaftigkeit und Stimmungsschwankungen. Deswegen fahre er weniger Auto oder leide unter Angst, wenn er mit einem Verkehrsunfall konfrontiert werde oder Verletzte sehe.
Der Kläger hat behauptet, für den Zeitraum vom 16.08.2007 bis 31.12.2011 einem Verdienstausfallschaden in Höhe von 165.000,-- € erlitten zu haben, wobei er mit der Klage nur 120.000,-- € geltend mache. Bei der steuerlichen Gewinnermittlung seien Einsparungen für künftige Investitionen nicht berücksichtigt worden, weshalb sich steuerlicher und tatsächlicher Gewinn unterscheiden würden. Im August 2007 habe die begründete Hoffnung bestanden, dass sein Unternehmen weiter wachse und sich der Gewinn um 5 % jährlich steigern lasse. Deshalb sei von prognostizierten Gewinnen für das Jahr 2007 von 41.580,-- €, für 2008 von 43.659,-- € und für 2009 von 45.841,95 € auszugehen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120.000,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei dem 06.06.2012 zu zahlen.
Die Beklagte und der Streithelfer beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei nach maximal 8 Wochen wieder arbeitsfähig gewesen. Die Schmerzen und notwendigen Behandlungen seien im Wesentlichen auf degenerative Veränderungen zurückzuführen, die bereits vor dem Unfall bestanden hätten. Der psychische Zustand des Klägers stehe in keinem Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall. Seine Beeinträchtigungen seien jedenfalls nicht so schwerwiegend gewesen. Außerdem wären bei rechtzeitiger Teilnahme an der empfohlenen Psychotherapie und bei entsprechender ärztlichen Behandlung in einem früheren Stadium die Dauerschäden nicht entstanden. Die vom Kläger behaupteten Gewinnerwartungen seien im Baunebengewerbe nicht begründet, ab 2007 sei eher mit Einbußen zu rechnen gewesen. Auch sei fraglich, ob der Kläger nicht schon 2006 wegen psychischer Probleme die Gewinne nicht mehr aufrechterhalten konnte. Die psychischen Beschwerden seien nicht kausal auf den Unfall zurückzuführen. Der Zurechnungszusammenhang entfalle, wenn psychische Beschwerden durch eine neurotische Begehrenshaltung geprägt würden. Weiter sei von einem derart erheblichen Mitverschulden wegen der unterlassenen Behandlung auszugehen, dass kein Anspruch mehr bestehe. Der Kläger habe die ärztlich empfohlenen Hilfen ausgeschlagen. Zudem seien ersparte Aufwendungen in Höhe von mindestens 10 % anzurechnen.
Die Klage ist der Beklagten am 30.10.2012 zugestellt worden.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Facharztes für Orthopädie, Unfallchirurgie, spezielle Unfallchirurgie und Allgemeinchirurgie Dr. J. vom 15.08.2021. Insoweit wird auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens Bezug genommen. Ferner hat das Landgericht Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. Bi. (Gutachten vom 04.03.2021, Ergänzungsgutachten vom 20.09.2021 und 06.02.2022 sowie mündliche Erläuterungen im Termin vom 20.05.2022).
Mit dem angefochtenen Urteil vom 01.07.2022 hat das Landgericht der Klage in Höhe von 24.717,89 € nebst entsprechender Zinsen seit dem 31.10.2012 stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Landgerichts ist die Klage nach §§ 1,13 Nr. 2 des österreichischen EKHG (Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz) i.V.m. § 26 S. 1 Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz Österreich (KHVG) nur teilweise begründet. Der Kläger könne für den Zeitraum vom 16.08.2007 bis zum 15.02.2009 (1,5 Jahre) Ersatz seines Verdienstausfalls verlangen. Für den darüberhinausgehenden Zeitraum sei die Klage unbegründet, weil sich der Kläger nach §§ 7 EKHG i.V.m. § 1304 ABGB ein Mitverschulden anrechnen lassen müsse. Die schuldhafte Verletzung der Schadensminderungspflicht könne zu einer Kürzung der Ansprüche führen, was sich im Regelfall nicht nur in einer quotenmäßigen Schadensteilung niederschlage. Der Kläger müsse wegen der unterlassenen zeitnahen adäquaten Behandlung seiner psychiatrischen Symptomatik seinen Erwerbsausfallschaden ab dem 16.02.2009 alleine tragen. Er habe es nach dem Verkehrsunfall unstreitig dreieinhalb Jahre unterlassen, sich wegen seiner psychiatrischen Symptomatik behandeln zu lassen. Die Höhe des entstandenen Verdienstausfalls für den unfallkausalen Zeitraum 16.08.2007 bis 15.02.2009 schätzt das Landgericht auf insgesamt 24.717,89 €. Dabei geht das Landgericht von einem Durchschnittsnettoeinkommen der Vorjahre vor dem Unfall (Jahre 2004, 2005 und 2006) i.H.v. 16.433,61 € p.a. aus. Obwohl sich das Unternehmen des Klägers damals noch im Aufbau befunden habe, sei - so das Landgericht - nicht von einer behaupteten Steigerung der Gewinne um jährlich 5 % auszugehen. Dafür fehlten jegliche Anhaltspunkte. Ab dem Jahr 2008 sei es zu einem erheblichen Einbruch der Wirtschaft mit Auswirkungen auch auf die Baubranche gekommen, in der der Kläger damals tätig war. Da der Kläger erst seit April 2009 Krankengeld und seit 2011 Arbeitslosengeld (= kongruente Ersatzleistungen) bezogen habe, seien diese für den ersatzfähigen Zeitraum (16.08.2007 - 15.02.2009) hier (noch) nicht zu berücksichtigen. Nach Erlass des angefochtenen Urteils hat die Beklagte unstreitig inzwischen die ausgeurteilte Summe von 24.717,89 € nebst entsprechender Zinsen seit dem 31.10.2012 an den Kläger gezahlt.
Gegen das Urteil vom 01.07.2022 wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, wobei er seine Einwendungen zum streitgegenständlichen Verdienstausfallschaden ausdrücklich und allein auf die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts zu den psychischen Unfallfolgen beschränkt hat. Der Kläger meint, dass es nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Bi. überwiegend wahrscheinlich sei, dass er unfallbedingt dauerhaft erwerbsunfähig geworden sei. Er habe unfallbedingt eine PTBS erlitten. Das Landgericht habe ihm zu Unrecht den Strengbeweis für die Chronifizierung seiner psychischen Dauerbeschwerden auferlegt. Der Sachverständige Dr. Bi. habe zudem nicht mit der erforderlichen Gewissheit den Erfolg einer möglichen Therapie bestätigt. Die Annahme sei abwegig, dass die psychischen Unfallfolgen im Fall einer Therapie bereits nach 18 Monaten ausgeheilt wären. Das Landgericht habe die Feststellungen des Sachverständigen Dr. Bi. schlicht ins Gegenteil verdreht. Außerdem habe das Landgericht zu Unrecht eine jährliche Gewinnsteigerung von 5 % verneint. Insoweit wäre das Landgericht gehalten gewesen, ein entsprechendes Sachverständigengutachten einzuholen.
Hinsichtlich der an den Kläger zwischenzeitlich bereits am 21.12.2022 gezahlten 24.717,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.10.2012 haben die Parteien im Termin am 25.2.2025 den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120.000 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.06.2012 abzüglich bereits am 21.12.2022 gezahlter 24.717,89 € nebst Zinsen zu zahlen;
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an die erste Instanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Streithelfer hat keinen Antrag gestellt.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und tritt der Berufung entgegen. Auf die Unterscheidung zwischen § 286 und § 287 ZPO komme es nicht an, da die Verweigerung der Behandlung seitens des Klägers zum Ausschluss des Anspruchs führe.
Der Senat den Kläger im Termin am 07.11.2023 ergänzend angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines neuen psychiatrischen Gutachtens. Auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 16.08.2024 und das Ergänzungsgutachten vom 10.02.2025 sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 25.02.2025 wird Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise auch begründet.
Der Kläger kann für den Zeitraum 16.08.2007 bis 31.8.2010 Ersatz seines Verdienstausfalls verlangen. Für den darüberhinausgehenden Zeitraum ist die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat nach österreichischem Recht dem Grunde nach zu 100 % für den hier streitgegenständlichen unfallbedingten Verdienstausfallschaden einzustehen. Insoweit wird auf den Inhalt des rechtskräftigen Grundurteils des Senats vom 14.09.2017 (7 U 17/14) Bezug genommen. Nach dem Versicherungsstatut (Versicherungsvertrag zwischen der Beklagten und dem Halter, also der "United Nations Interim Administration in Kosovo"= UNMIK) kommt hier österreichisches Recht zur Anwendung. Nach Art. 27 Abs. 1 a. F. EGBGB unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Dies führt hier zu einer Anwendung des österreichischen Rechts, weil die Parteien nach dem Versicherungsvertrag vom 24. Februar 2006 bezüglich der Haftpflichtversicherung die "Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 2005 (AKHB 2005)"zur Grundlage des Vertrags gemacht haben. Gemäß Art. 23 der AKHB 2005 gilt österreichisches Recht.
Für die Anwendung des österreichischen Rechtes bedarf es hier keiner Beweisaufnahme. Eine solche wäre nur dann erforderlich, wenn das in Österreich geltende Recht dem Gericht unbekannt wäre (§ 293 S. 1 ZPO). Der Senat hat im pflichtgemäßen Ermessen alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen (insbesondere juristische Datenbanken und Kommentare) genutzt, um das hier maßgebliche Recht zu ermitteln. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und klaren Rechtsnormen sind die Anforderungen an die richterliche Ermittlungspflicht insoweit nicht besonders hoch. Die Einholung eines gesonderten Sachverständigengutachtens zum österreichischen Recht hält der Senat nicht für erforderlich.
Gemäß §§ 1, 13 Nr. 2 des österreichischen EKHG ist im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit durch einen Unfall der Vermögensnachteil zu ersetzen, den der Verletzte dadurch erleidet, dass seine Erwerbsfähigkeit zeitweise oder dauernd aufgehoben oder gemindert ist. Voraussetzung ist deshalb eine unfallkausale physische oder psychische Verletzung, die eine Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit verursacht hat. Die österreichische Gefährdungshaftung knüpft an den erlaubten Betrieb einer besonders gefährlichen Sache (hier eines Kraftfahrzeugs) an; sie setzt weder Rechtswidrigkeit noch Verschulden voraus (MüKoStVR/Neumayr, 1. Aufl. 2019, Österreich Rn. 51, beck-online). Das ABGB (österreichisches BGB) geht von einem weiten Schadensbegriff aus und definiert den Schaden als "jeden Nachteil, welcher jemanden an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist"(§ 1293 S. 1 ABGB). Sowohl beim vertraglichen als auch beim deliktischen Schadenersatz kommt der Ersatz von Nachteilen an geldwerten Gütern (Vermögensschäden) und Nichtvermögensschäden (immaterielle oder ideelle Schäden) in Betracht.
In Österreich ist das Beweisrecht - anders als im deutschen Recht - dem materiellen Recht zuzuordnen (§§ 1296-1299 ABGB). Wenn ein deutsches Gericht somit bei einem Verkehrsunfall österreichisches Recht anzuwenden hat, sind auch die österreichischen Beweisregeln und die dazu ergangene Judikatur anwenden (MüKoStVR/Wittwer, 1. Aufl. 2019, Österreich Rn. 538, beck-online). Im Bereich der Gefährdungshaftung (EKHG) hat der Geschädigte den Schaden und dessen Höhe sowie den Kausalzusammenhang zu beweisen. Den Kausalzusammenhang muss er zumindest wahrscheinlich machen (streitig ist, welcher Grad an Wahrscheinlichkeit insoweit genügt). Gelingt dem Geschädigten dies, hat der Schädiger besondere Arten der Kausalität zu beweisen, die ihn entlasten können (MüKoStVR/Wittwer, 1. Aufl. 2019, Österreich Rn. 540, beck-online). Ursächlich für ein bestimmtes Ereignis im Sinne einer "natürlichen"Kausalität ist jeder Umstand, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Geschehensablauf ein anderer gewesen wäre (OGH Österreich, Beschluss vom 24.06.2019, 2 Ob 221/18s, Ziff. 3.2. - Beck-online, Rn. 17).
Das Landgericht ist hier nicht von einem falschen Beweismaß ausgegangen, sondern hat zu Recht angenommen, dass es von den als unfallursächlich behaupteten Primärverletzungen des Klägers richterlich voll überzeugt sein muss (§ 286 ZPO). Das gesamte deutsche Prozessrecht ist auch dann anwendbar ist, wenn sich die materiell-rechtlichen Beziehungen nach ausländischem Recht (hier österreichischem Recht) richten. Denn die deutschen Gerichte wenden in den vor ihnen anhängigen Verfahren nur deutsches Verfahrensrecht an (BGH Urteil vom 27.4.1977, VIII ZR 184/75, BeckRS 1977, 31122466, beck-online). Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden. Die haftungsbegründende Kausalität betrifft den Kausalzusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung, das heißt dem ersten Verletzungserfolg (Primärverletzung). Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das die volle Überzeugung des Gerichts erfordert. Hingegen bezieht sich die haftungsausfüllende Kausalität auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und - hieraus resultierenden - weiteren Gesundheitsschäden des Verletzten (Sekundärschäden). Hierfür gilt das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, das heißt zur Überzeugungsbildung kann eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (BGH, Urteil vom 29.1.2019, VI ZR 113/17, NJW 219,2092 ff. m.w.N.).
1. Physische Unfallfolgen
Unstreitig erlitt der Kläger durch den Verkehrsunfall eine leichte Zerrung der Halswirbelsäule, eine Prellung der rechten Schulter, eine leichte Knieprellung und eine leichte Schädelprellung. Diese Beeinträchtigungen haben nach den Feststellungen des Landgerichts nur zu Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit für längstens 8 Wochen nach dem Unfall geführt. Diese Feststellungen werden mit der Berufung nicht angegriffen.
Soweit der Kläger darüberhinausgehende physische und somatische Dauerfolgen behauptet hat (posttraumatisches Impingement-Syndrom rechts, Bicepssehnentendintis rechts, posttraumatisch aktivierte AC-Gelenkarthrose in der Schulter, Reizzustand beider Kniegelenke, HWS-Distorsion, myofasciales Schmerz-Syndrom und einen Bandscheibenvorfall), ist ihm der entsprechende Nachweis zur Überzeugung des Landgerichts nicht gelungen (vgl. u.a. Gutachten des Sachverständigen Dr. J. vom 19.02.2021). Eine abweichende Würdigung ergibt sich auch nicht aus den zahlreichen, vom Kläger eingereichten ärztlichen Unterlagen (wird weiter ausgeführt...). Ausweislich des insoweit ausdrücklich nicht angefochtenen landgerichtlichen Urteils hat der Sachverständige Dr. J. in seinem Gutachten vom 19.02.2021 zusammenfassend festgestellt, dass die behaupteten subjektiven Beschwerden des Klägers in einer "deutlichen Diskrepanz zum Befund, der Behandlungsdauer und den dokumentierten Beschwerden stehen"würden. Die geklagten Schmerzen im Bereich beider Schultergelenke und im Bereich der Hüften und Knie seien - so der Sachverständige Dr. J. - weder auf der Bildgebung noch anhand des körperlichen Untersuchungsbefundes objektivierbar.
Die vorstehenden Ausführungen des Landgerichts zu den entsprechenden physischen und somatischen Unfallfolgen sind mit der Berufung ausdrücklich nicht angefochten worden.
2. Psychische Unfallfolgen
a) Primärschäden
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest (§ 286 ZPO) dass der Kläger durch den Verkehrsunfall vom 15.08.2007 primär eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erlitten hat. Zu diesem Ergebnis sind sowohl der im ersten Rechtszug tätige Sachverständige Dr. Bi. als auch der im zweiten Rechtszug tätige Sachverständige Dr. K. gelangt. Der Sachverständige Dr. K. hat in seinem Gutachten vom 16.08.2024 ausgeführt, dass durch den Unfall tatsächlich die von dem Hausarzt Dr. H. schon am 12.09.2007 diagnostizierte PTBS (ICD-10 F 43.1) ausgelöst worden ist. Nach Aktenlage und den glaubhaften Schilderungen des Klägers zeigten sich die PTBS-Kriterien (A bis E; bis auf das Kriterium D1) schon in den ersten Monaten nach dem Unfall, so dass nach ICD 10 davon auszugehen ist, dass der Kläger unfallbedingt das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelt hat. In den letzten Jahren haben lediglich das B-Kriterium (Nachhallerinnerungen, Albträume) und das C-Kriterium (Vermeidungsverhalten) abgenommen, so dass aktuell (die psychiatrische Untersuchung des Klägers fand am 18.07.2024 statt) nicht mehr alle Kriterien für die Diagnosestellung erfüllt sind.
Neben der Version ICD-10 ist im Januar 2022 zwar die neue Version ICD-11 in Kraft getreten, deren ausschließliche Verwendung von den Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erwartet wird. Der offizielle Einführungszeitpunkt der ICD-11 in den klinischen Alltag in Deutschland steht aber noch nicht fest, da die Evaluierung und Einführung noch andauert (vgl. Möhlenkamp, Anforderungen an den gutachterlichen Nachweis psychischer Schäden im Haftungsprozess am Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung VersR 2025, 1, 2).
Das Gutachten des Sachverständigen Dr. K. genügt den wissenschaftlichen Standards aus der AWMF-S2k-Leitlinie 051-029 "Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen". Der Sachverständige hat die Aktenlage sorgsam aufbereitet und eine mehrstündige Exploration des Probanden durchgeführt. Außerdem wurden testpsychologische Zusatzuntersuchungen durchgeführt. Die Entstehung einer PTBS kann nicht allein auf ein subjektiv infolge eines Ereignisses empfundenes großes Leid gestützt werden. Notwendige Bedingung im Sinne einer conditio sine qua non ist vielmehr das objektive Vorliegen des A-Kriteriums nach Diagnoseschlüssel F43.1 des ICD-10, d.h. das auslösende Trauma muss objektiv eine solche außergewöhnliche Bedrohung von katastrophalem Ausmaß darstellen, dass nahezu bei jedem Menschen eine tiefgreifende Verzweiflung ausgelöst werden würde, auch wenn das fragliche Ereignis nicht bei nahezu jedem eine PTBS nach sich ziehen muss (vgl. Möhlenkamp, VersR 2025, 1, 7). Dieses Kriterium hat der Sachverständige geprüft (S. 27 des Gutachtens) und bei dem streitgegenständlichen Unfall aus dem Jahr 2007 zweifelsfrei bejaht.
Die insoweit weitgehend übereinstimmenden Feststellungen und Bewertungen der beiden psychiatrischen Sachverständigen Dr. Bi. und Dr. K. stellen für den Senat eine nachvollziehbare Grundlage für die Entscheidung dar. Beide Sachverständige sind auf ihrem Gebiet sehr erfahren und haben ihre Aussagen erst nach jeweils ausführlicher Anamnese und Exploration des Klägers sowie Auswertung sämtlicher medizinischer Befunde getroffen. Der Sachverständige Dr. K. verfügt über eine langjährige berufliche Erfahrung als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2007 ist er als praktizierender Arzt und seit 2017 als Oberarzt am Klinikum in H. tätig. Er hat seit 2015 als Leiter den Arbeitsbereich "Fachpsychiatrische Begutachtungen - Schwerpunkt sozialmedizinische und zivilrechtliche Fragestellungen"am Klinikum aufgebaut und eine Vielzahl fachärztlicher Gutachten (ca. 300) gefertigt. Seine Ausführungen sind deshalb eine nachvollziehbare und zuverlässige Grundlage für die Überzeugungsbildung des Senats.
b) Sekundärschäden
Der Sachverständige Dr. K. kommt in seinem Gutachten vom 16.08.2024 zu dem Ergebnis, dass aktuell eine "leichte depressiven Episode bei chronifizierter Depression"(ICD-10: F 33.0) und eine Chronifizierung der primären PTBS als sekundäre Folge des erlittenen Primärtraumas vorliegt. Basierend auf der Anamnese und der Aktenlage hat der Sachverständige festgestellt, dass sich die depressive Symptomatik erstmals nach dem Unfall entwickelt habe und davon auszugehen sei, dass der Wegfall der beruflichen Tätigkeit infolge der Arbeitsunfähigkeit, bedingt durch die PTBS und die körperlichen Beeinträchtigungen, zu einem Verlust von Tagesstruktur und positiven Verstärkern geführt habe. Dies habe (nach dem Verstärker-Verlust-Model von Lewinsohn, Coyne 1986) die Entwicklung der Depression und die Chronifizierung sowohl der PTBS als auch der Depression begünstigt. Sowohl die Depression als auch die nachfolgende Chronifizierung seien als psychische Sekundärschäden zumindest mitursächlich auf den streitgegenständlichen Verkehrsunfall zurückzuführen. Für den Kausalitätsnachweis genügt nach § 287 ZPO insoweit eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit. Diese Voraussetzungen sind mit den v.g. Gutachten nachgewiesen. Schließlich hat auch der Sachverständige Dr. Bi. mit Gutachten vom 04.03.2021 und mündlich am 20.05.2022 erklärt, dass aufgrund seiner Exploration und Testung vom 18.02.2021 unfallbedingt eine Chronifizierung sowohl der PTBS als auch einer mittelgradigen Depression "zweifelsfrei feststehe".
Soweit der Sachverständige Dr. Bi. allerdings bei dem Kläger eine schon vor dem Unfall bestehende "Persönlichkeitsakzentuierung mit starker Betonung der Autarkie und hochgradiger Abwehr von Gefühlen"festgestellt (Gutachten vom 04.03.2021) und daraus eine "andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung"(ICD 10- F 62.0) abgeleitet hat, ist der Sachverständige Dr. K. dem nicht gefolgt. Gemäß ICD-Definition muss die Belastung bei der v.g. Erkrankung F 62.0 nämlich so extrem sein, dass eine mögliche Anfälligkeit der betreffenden Person als Erklärung für die tiefgreifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss. Persönlichkeitsänderungen im Anschluss an eine nur kurzzeitige Lebensbedrohung wie etwa bei einem Autounfall sind als Krankheitsanlass ausgeschlossen (vgl. Möhlenkamp, VersR 2025, 1, 10, Fn 57). In dem ICD-System nicht aufgeführte Diagnosen wie z.B. eine "posttraumatische Verbitterungsstörung"genügen als Diagnose nicht. Der Sachverständige Dr. K. hat ausgeführt, dass hier keine Anhaltspunkte für eine Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F 62.0 vorliegen. Der Kläger zeige lediglich eine Verbitterungsreaktion wegen der langen Verfahrensdauer, welche keinen Krankheitswert nach ICD-10 habe und nur das Fortbestehen der depressiven Symptomatik beeinflusse. Grund für die Verbitterung sei eine ausgeprägte Enttäuschung und Wut im Hinblick auf den Unfall und das langjährig laufende Gerichtsverfahren. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. an.
3. Unterbrechung der Kausalkette (überholende Kausalität)
In der Nichtbehandlung des Klägers trotz von ihm erkannter PTBS in der Zeit vom 20.08.2007 bis 17.02.2011 (Erstdiagnose der Neurologin Dr. B. am 30.8.2007 und Bestätigung durch den Hausarzt Dr. H. am 12.09.2007 bis zur erstmaligen ambulanten Behandlung durch die Neurologin Dr. T.) könnte eine Unterbrechung der Kausalkette liegen. Eine Zurechnung des Schadens kann entfallen, wenn die Schadensfolge auf einen selbständigen Willensentschluss des Geschädigten zurückzuführen ist, die nicht durch den haftungsbegründenden Vorgang herausgefordert wurde (vgl. MüKoStVR, Österreich Rn. 41, zitiert nach Beck-online). Ein Fall der überholenden Kausalität liegt vor, wenn die Beeinträchtigung auch ohne das schädigende Ereignis bzw. den Unfall gleichermaßen eingetreten wäre, wofür allerdings die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. OGH Österreich, Beschluss vom 24.06.2019, 2 Ob 221/18s, Ziff. 3.2. - Beck-online, Rn. 17). Diesen Beweis hat die Beklagte nicht geführt.
Unstreitig hat sich der Kläger in der Zeit 9/2007 bis 2/2011 einer Selbstmedikation unterzogen, eine psychotherapeutische Behandlung abgelehnt und die bereits bei der Neurologin Dr. B. zeitnah eingeleitete psychiatrische Behandlung im September 2007 abgebrochen. Der Sachverständige Dr. K. hat dazu in seinem Gutachten ausgeführt, dass er die Frage, ob die Selbstmedikation die nachfolgende Chronifizierung der psychischen Beeinträchtigungen verursacht oder mitverursacht hat, nicht sicher beantworten könne, weil nicht bekannt sei, welche Substanzen der Kläger tatsächlich eingenommen habe. Jede Aussage dazu sei deshalb spekulativ. Ein positiver Einfluss auf die Behandlung der sekundären Depression könne im Fall einer adäquaten und kontinuierlichen Einnahme von wirksamen Antidepressiva lediglich nicht ausgeschlossen werden.
Eine Begehrensneurose mit Anhaltspunkten für eine Aggravation oder Simulation konnten beide psychiatrischen Gerichtsgutachter bei dem Kläger nicht feststellen, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Unterbrechung des Kausalverlaufs festzustellen ist.
4. Mitverschulden (§ 1304 ABGB)
a) Nach § 7 EKHG i.V.m. § 1304 ABGB ist eine verhältnismäßige Kürzung des Schadensersatzes möglich, wenn der Geschädigte schuldhaft den bereits entstandenen Schaden nicht möglichst geringgehalten hat (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 520, Beck-online). Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist anzunehmen, wenn der Geschädigte eine zumutbare Heilbehandlung verweigert oder ärztliche Anweisungen schuldhaft nicht befolgt (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 521 m.w.N., Beck-online). Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht liegt nur dann nicht vor, wenn der Geschädigte seiner durch den Unfall und dessen Folgen ausgelösten oder begünstigten psychotischen Verhaltensweise nicht wirksam begegnen kann (OGH, Urteil v. 24.6.2019, Az.: 2Ob221/18s, bei Lexis Nexis Rn. 4.2 m.w.N.).
Das österreichische Recht entspricht damit im Wesentlichen dem deutschen Recht (vgl. § 254 Abs. 2 BGB). Zum Mitverschulden hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 21.9.2021, VI ZR 91/19, NJW 2021, 3656 ff.) ausgeführt, dass es im Fall einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung dem Verletzten obliegt, im Verhältnis zum Schädiger seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten. Dem ist die weitere Obliegenheit zur Schadensminderung vorgeschaltet, die (verbliebene) Arbeitskraft, die durch das schädigende Ereignis herabgesetzt worden ist, durch zumutbare Maßnahmen wiederherzustellen oder jedenfalls zu verbessern. Insoweit muss vom Geschädigten (Verletzten) verlangt werden, dass er, soweit er dazu imstande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet; er darf in der Regel nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde. Der Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung setzt allerdings voraus, dass dem Geschädigten die Therapie oder sonstige ärztliche Behandlung zumutbar gewesen sein muss. Um die medizinische Behandlung einer unfallbedingten psychischen Erkrankung durch eine stationäre oder medikamentöse Therapie als zumutbar erachten zu können, wird regelmäßig die sichere Aussicht einer wesentlichen Besserung zu fordern sein (BGH, Urteil vom 21.09.2021, VI ZR 91/19 Rn. 12). Zugunsten des Geschädigten geht der Senat davon aus, dass diese - eher strengen - Maßstäbe auch nach österreichischem Recht gelten bzw. die Anforderungen danach jedenfalls nicht geringer sind. Für die Frage, ob und inwieweit sich das Mitverschulden bei der Ermittlung des Schadensumfangs ausgewirkt hat (Haftungsausfüllung), gilt das reduzierte Beweismaß des § 287 ZPO, d. h. es genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2008, VI ZR 221/06, juris Rn. 9; OLG Schleswig, Urteil vom 31.01.2023, 7 U 134/16, r+s 2023, 285 ff.).
Hier hat die Beklagte einen Verstoß des Klägers gegen seine v.g. Schadensminderungsverpflichtung dargelegt und nachgewiesen. Der Kläger hat unstreitig die bereits zeitnah bei der Neurologin Dr. B. begonnene psychiatrische Behandlung im September 2007 abgebrochen. Die Diagnose "PTBS"war ihm sowohl durch die Behandlung bei seinem Hausarzt Dr. H. (vgl. Patientendokumentation v. 12.9.2007) als auch durch die Behandlung bei der Neurologin Dr. B. vom 30.8.2007 (vgl. Arztbrief vom 05.09.2007) bekannt. Da die Behandlung ihm ärztlich durch Dr. B. ausdrücklich angeraten worden war (Wiedervorstellung in 3 Wochen) hat er den Abbruch auch selbst verschuldet. Grund für die Behandlungsverzögerung war - so der Sachverständige Dr. K. - das fehlende Krankeitsverständnis des Klägers im Hinblick auf psychische Beschwerden sowie sein "Selbstbild eines starken Mannes", das möglicherweise kulturell bedingt ist. Beides sind Umstände, die zwar nachvollziehbar sind, aber das Verhalten des Klägers nicht entschuldigen können. Auch im Termin am 25.2.2025 hat der Sachverständige nochmals bestätigt, dass selbst die offene Ablehnung einer angebotenen Psychotherapie durch den PTBS-Patienten keinen Grund darstellt, die mit Schlüsselgrad A empfohlene "frühzeitige traumafokussierte Psychotherapie"hinauszuzögern oder überhaupt nicht durchzuführen. Selbst bei einer zunächst offenen Ablehnung des Therapieangebots durch den Patienten komme es auf die Kunst und das Talent der Therapeuten an, den Patienten von der Notwendigkeit einer Therapie bzw. ihrer Fortsetzung zu überzeugen. Nach einer ersten Phase des Kennenlernens sei es erfahrungsgemäß auch in solchen Fällen durchaus möglich, dass der Patient gleichwohl in der zweiten Phase über das Trauma zu sprechen beginne. Diese Aussage wird bezüglich des Klägers durch das o.g. Schreiben seiner Therapeutin Dr. T. vom 09.12.2011 eindrucksvoll bestätigt.
Der Einwand des Klägers, die damals durchgeführte Verdrängungsstrategie und Selbstmedikation seien probate Behandlungsmittel gewesen, jedenfalls läge insoweit kein Verschulden vor, ist unbegründet. Die behandelnde Fachärztin Dr. B. hat den Kläger ausdrücklich auf die Wiedervorstellung in 3 Wochen hingewiesen. Soweit der Kläger erstmals im zweiten Rechtszug behauptet, sein Hausarzt Dr. H. habe damals (2007) wegen seiner Persönlichkeitsstruktur die zeitnahe Durchführung einer ambulanten Psychotherapie zunächst nicht für erforderlich gehalten, wird dieser Vortrag gemäß §§ 729, 731 ZPO als verspätet zurückgewiesen. Die Beklagte hat diese (neue) Behauptung ausdrücklich bestritten und erklärt, dass das Gegenteil der Fall gewesen sei (...auch Dr. H. habe dem Kläger damals eine ambulante psychiatrische Behandlung empfohlen). Dafür spricht der Umstand, dass der Kläger tatsächlich schon am 30.08.2007 die psychiatrische Behandlung bei der Neurologin Dr. B. begonnen hat. Die Persönlichkeitsstruktur des Klägers (u.a. "starker Mann") wäre kein Hindernis für die Durchführung einer traumafokussierten Psychotherapie gewesen, da sie - so der Sachverständige Dr. K. in seinem Ergänzungsgutachten vom 12.2.2025 - nicht starr und unveränderbar gewesen sei. Die Therapie hätte vielmehr unterstützend gewirkt, die belastenden Erlebnisse erfolgreich zu verarbeiten und damit einer depressiven Entwicklung entgegen gewirkt.
Der Sachverständige Dr. K. hat zudem mit seinem Ergänzungsgutachten vom 10.02.2025 darauf hingewiesen, dass die sog. S3-Leitlinie der Gesellschaft für Psychotraumatologie eine klare evidenzbasierte Schlüsselempfehlung (Empfehlungsgrad A) enthält. Danach sei die traumafokussierte Psychotherapie die erste Wahl bei der Behandlung einer PTBS. Diese Therapie werde von speziell ausgebildeten Therapeuten durchgeführt. Die traumafokussierten Therapien stellen darauf ab, mittels Konfrontation mit der Erinnerung an das Trauma eine Integration des Erlebten unter geschützten therapeutischen Bedingungen zu erreichen. Zu diesen Therapien zählten z.B. die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT) oder die eye-movement desensitation and reprocessing Technik (EMDR). Über die psychotherapeutische Grundausbildung hinaus setze die Anwendung dieser traumafokussierten Therapien eine spezialisierte Zusatzausbildung voraus. Die von dem Kläger eingewandte "Vermeidungsstrategie"könne zwar kurzfristig negative Symptome/Emotionen verhindern, mittel- und langfristig führe dies aber zur Aufrechterhaltung von Vermeidungsverhalten und damit zur Entwicklung einer depressiven Symptomatik. Dies hat der Krankheitsverlauf beim Kläger eindrucksvoll bestätigt.
Soweit der Kläger sein Verhalten als adäquate und zum Selbstschutz zulässige "Vermeidungsstrategie"bezeichnet hat und dazu auf entsprechende Gutachten des Psychiaters Dr. AS vom 28.08.2022 und 29.03.2023 in dem Rechtsstreit LG M. (Az. 2 O xx/20) verweist, sind die Sachverhalte nicht vergleichbar. Zu dem Fall des LG M. trägt der Kläger selbst vor, dass sich der Geschädigte dort Hilfe in seinem Umfeld (Bekannte, Polizeiseelsorger, Pastor) gesucht habe und ihm nach dem Unfall drei seiner wichtigsten Bezugspersonen Halt gegeben hätten. Von solchen Umständen ist in der Akte des Klägers nichts zu lesen. Insofern können die durch den dortigen Sachverständigen ermittelten Therapieindikationen nicht auf diesen Fall übertragen werden. Im Übrigen widerspricht die Aussage des Psychiaters Dr. AS der eindeutigen Schlüsselempfehlung der S3-Leitlinie, dass nämlich in solchen Fällen wie hier eine traumafokussierte Psychotherapie Mittel der Wahl gewesen wäre. Der psychiatrische Sachverständige Dr. K. ist - nach Auswertung des Akteninhalts und ausführlicher Untersuchung des Klägers - zu dem gegenteiligen Ergebnis gelangt, nämlich, dass sich hier der Behandlungsabbruch und die Phase der Selbstmedikation negativ auf die Heilungsprognose ausgewirkt und die Chronifizierung der psychischen Erkrankung bei dem Kläger begünstigt haben.
b) Die Verletzung der Schadensminderungspflicht ist für die Entstehung der psychischen Sekundärschäden (Depression F 33.0 und Chronifizierung von Depression und PTBS) kausal gewesen. Hierfür genügt das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, das heißt zur Überzeugungsbildung reicht die hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit (BGH, Urteil vom 29.01.2019, VI ZR 113/17, NJW 219,2092 ff. m.w.N.).
Während der im ersten Rechtszug tätige Sachverständige Dr. Bi. dazu keine klare Aussage treffen konnte, hat der Sachverständige Dr. K. nachvollziehbar ausgeführt, dass eine rechtzeitig eingeleitete ambulante Psychotherapie bei dem Kläger "sehr wahrscheinlich"eine Heilung oder zumindest wesentliche Besserung seiner psychiatrischen Beschwerden herbeigeführt hätte. Dies hat er bei seiner ergänzenden Anhörung am 25.02.2025 auf Nachfrage des Klägervertreters nochmal ausdrücklich bestätigt und insoweit sogar von einer "sehr hohen Wahrscheinlichkeit"gesprochen. Für diese günstige Prognose sprächen viele Faktoren (Typ-1-Trauma, d.h. kurzeitiges plötzliches und einmaliges Ereignis; keine psychiatrischen Vorerkrankungen, gutes soziales Netz). Die Chronifizierung der psychischen Beeinträchtigungen sei durch die verzögerte Aufnahme einer psychiatrischen Behandlung begünstigt worden. Dieser überzeugenden medizinischen Bewertung schließt sich der Senat an.
Bei einer PTBS wird als "Behandlung erster Wahl"(AWMF S3-Leitlinie 155-001 Posttraumatische Belastungsstörung, 2019, S. 24) eine traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie empfohlen (vgl. Möhlenkamp, VersR 2025, 1, 13). Dies hat der Sachverständige Dr. K. bestätigt und ausgeführt, dass zur Behandlung der PTBS bei dem Kläger schon frühzeitig nach dem Unfall im Jahr 2007 eine traumafokussierte ambulante Psychotherapie indiziert gewesen sei. Dabei handele es sich um eine Therapieform, bei der der Schwerpunkt auf der Verarbeitung der Erinnerung an das traumatische Ereignis und seiner Bedeutung liege. Der typische zeitliche Rahmen für eine solche Behandlung umfasse 1 bis 2 Jahre. Unterstützend (adjuvant) könnten dabei auch Antidepressiva oder niederpotente Antipsychotika zur Linderung der Symptome zum Einsatz kommen. Die vorgenannte Therapie sei - so der Sachverständige Dr. K. - gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden. Zwar sei auch bei der gebotenen Behandlung eine Chronifizierung der PTBS nicht völlig ausgeschlossen, bei dem Kläger seien jedoch viele günstige Faktoren vorhanden, die die Prognose einer Heilung oder zumindest wesentlichen Besserung der Beschwerdesymptomatik sehr wahrscheinlich gemacht hätten. Das besondere Risiko einer Retraumatisierung bei Durchführung einer regelkonformen traumafokussierten Psychotherapie sieht der Sachverständige nicht, weil der Patient im Rahmen der Therapie nicht sofort mit dem Trauma konfrontiert werde, sondern diese Konfrontation in einem geschützten Rahmen geschieht und in mehreren Phasen abläuft.
Der Sachverständige Dr. K. hat in diesem Zusammenhang jedoch auch darauf hingewiesen, dass eine besondere Schwierigkeit in der begrenzten Verfügbarkeit ambulanter Therapieplätze mit ggf. langen Wartezeiten bestand. Dieser Umstand ist bei der Prognose, ab wann mit einer Besserung/Heilung der unfallbedingten psychischen Beeinträchtigungen zu rechnen gewesen wäre, mit zu berücksichtigen. Im Rahmen seiner mündlichen Ergänzungen vom 25.02.2025 hat der Sachverständige Dr. K. ausgeführt, dass bei dem Kläger ganz sicher auch eine klassische ambulante Psychotherapie ausgereicht hätte. Psychotherapeuten ohne eine entsprechende Spezialausbildung für die traumafokussierte Therapie seien nämlich ebenfalls in der Lage, entsprechende Traumata zu behandeln. Es hänge - so der Sachverständige - von mehreren Faktoren ab (u.a. Wohnort, Therapeutendichte, Motivation des Patienten), wie lange es dauern würde, bis ein Proband einen entsprechenden Psychotherapieplatz bekäme. Nach den Erfahrungen des Sachverständigen würden in H. in der Regel 4-6 Monate ausreichen, um einen Platz für eine ambulante klassische Psychotherapie zu bekommen. Auch Patienten aus Schleswig-Holstein könnten in H. einen Platz für eine ambulante psychotherapeutische Behandlung bekommen.
Da es hier auf den Zeitpunkt Herbst 2007 (ab September 2007) ankommt und nach dem Eindruck des Sachverständigen die Versorgung mit Therapieangeboten in den letzten Jahren eher besser geworden ist, geht der Senat zugunsten des Klägers davon aus, dass er spätestens 1 Jahr nach der Erstdiagnose einen entsprechenden Therapieplatz bekommen hätte. Die Erstdiagnose PTBS hat die behandelnde Neurologin Dr. B. bereits am 30.08.2007 gestellt.
Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Urteil von einer Gesamt-Therapiezeit von 1 1/2 Jahren ausgegangen ist (erstmalige Diagnose durch den Hausarzt Dr. H. am 12.09.2007 zuzüglich 1 1/2 Jahre = 15.02.2009), ist der Zeitraum, bis höchstwahrscheinlich (bei Durchführung der empfohlenen Therapie) mit einer Heilung oder wesentlichen Besserung der psychischen Beschwerden zu rechnen gewesen wäre, entsprechend zu verlängern. Während der erstinstanzlich tätige Sachverständige Dr. Bi. noch davon ausging, dass der Kläger bei entsprechender Teilnahme und Anstrengung der Psychotherapie innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monaten wieder arbeitsfähig gewesen wäre, hat der im zweiten Rechtszug tätige Sachverständige Dr. K. die Therapiezeit auf 1 bis 2 Jahre geschätzt. Hinzuzurechnen wäre die Wartezeit auf einen Therapieplatz, die der Senat auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. hier zugunsten des Klägers auf maximal 1 Jahr schätzt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre deshalb erst ab dem 01.09.2010 mit einer Heilung bzw. wesentlichen Besserung der psychischen Beschwerden zu rechnen gewesen. Nach den Feststellungen des Senats ist danach davon auszugehen, dass der Kläger bei entsprechender Durchführung einer ambulanten Psychotherapie innerhalb eines Zeitraumes von 3 Jahren nach der Erstdiagnose wieder arbeitsfähig gewesen wäre.
5. Schadenshöhe
Der Verdienstausfallschaden nach § 13 EKHG ist grundsätzlich konkret nach der Differenzmethode zu bemessen (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 366, zitiert nach Beck-online). Hierfür ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen Einkommen des Geschädigten nach der Verletzung und dem Einkommen, welches ohne die Verletzung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erzielt worden wäre, zu ermitteln, wobei die Beweislast beim Geschädigten liegt (MüKoStVR, 1. Aufl. 2019, Rn. 366, zitiert nach Beck-online, m.w.N.). Dabei kommen dem Geschädigten die Darlegungs- und Beweiserleichterungen nach § 287 ZPO zugute. Diese Erleichterungen ändern nichts daran, dass es im Rahmen der Ermittlung des Erwerbsschadens nach § 287 ZPO konkreter Anknüpfungstatsachen bedarf, die der Geschädigte darlegen und zur Überzeugung des Gerichts nachweisen muss. Dabei ist in der Regel an die Geschäftsentwicklung und die Geschäftsergebnisse in den letzten Jahren vor dem Unfall anzuknüpfen (vgl. BGH, Urteil vom 19.09.2017 - VI ZR 530/16, NJW 2018, 864, 865, m. w. N.; MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 252 Rn. 37). Das Landgericht hat das durchschnittliche Jahreseinkommen der letzten vollen drei Jahre vor dem Unfall (2004 bis 2006) - ausgehend von den eingereichten Unterlagen - auf 16.433,61 € p.a. geschätzt. Dagegen erhebt die Berufung auch keine Einwendungen.
Die vom Kläger behauptete und mit der Berufung ausdrücklich nochmals geltende gemachte Gewinnsteigerung von jährlich 5 % hat das Landgericht zu Recht abgelehnt. Eine weitere Erhöhung des Gewinns unter Hinweis auf die kontinuierliche Umsatz- und Gewinnsteigerung ab 2007 ist nicht gerechtfertigt. Zwar ist es dem Geschädigten unbenommen nachzuweisen, dass sich der entgangene Verdienst nach dem Unfall noch weiter erhöht hätte (OLG Celle, Urteil vom 18.09.2013, 14 U 167/12, Juris Rn. 125). Dafür reicht aber weder der klägerische Vortrag aus, noch ergibt sich nach der Betriebsentwicklung dafür eine tatsächliche Vermutung. Verlässliche Nachweise über die nachhaltige Gewinnsituation fehlen schon angesichts der nur kurzen Zeit der Gewerbeausübung mit durchaus schwankenden Erlösen. Das entsprechende Gewerbe (Bau- und Industriedienstleister "x-service.de") hatte der Kläger erst seit dem 15.01.2002 ausgeübt, wobei er als Subunternehmer hauptsächlich nur für zwei Firmen tätig gewesen sein will. Schon Monate vor dem Unfall war die Zahl der über die Firma abgerechneten Stunden deutlich zurückgegangen. Aus der eigenen Aufstellung des Klägers vom 14.10.2010 ergibt sich, dass seine Firma zwar im Jahr 2006 insgesamt noch 5.358 Stunden (d.h. durchschnittlich 447 h/Monat) abgerechnet hat (davon 0 Stunden als Eigenleistung), im ersten Drittel des Folgejahres 2007 (01.01. bis 04.05.2007) waren es jedoch nur noch 451 Stunden (davon 333 Stunden Eigenleistung). Daraus lässt sich schließen, dass es offenbar schon viele Monate vor dem Unfall zu einem deutlichen und unfallunabhängigen Umsatzrückgang bei dem Kläger gekommen ist. Im Übrigen hat bereits das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass auch die gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland ab 2008 nicht gerade auf eine kontinuierliche Gewinnsteigerung in der Branche des Klägers hindeutete. Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland zwischen 2007 und 2008 ging von 3 % auf 1 % zurück und fiel 2009 sogar auf -5,7 %. Für die vom Kläger offenbar "ins Blaue hinein"behauptete jährliche Umsatzsteigerung gibt es deshalb keine konkreten Anhaltspunkte. Mangels Anknüpfungstatsachen liegen damit auch die Voraussetzungen für die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens zur Frage möglicher Umsatz- und Gewinnsteigerungen nicht vor.
Die Höhe des dem Kläger zustehenden unfallbedingten Verdienstausfalls errechnet sich demnach für den Zeitraum vom 15.08.2007 (Unfallzeitpunkt) bis zum 31.8.2010 (sehr wahrscheinliche Heilung oder wesentliche Besserung) wie folgt:
16.08.2007 - 31.12.2007 (138 Tage) = 6.213,26 € (16.433,61: 365 x 138).
01.01. - 31.12.2008 (365 Tage) = 16.433,61 €
01.01. - 31.12.2009 (365 Tage) = 16.433,61 €
01.01. - 31.08.2010 (243 Tage) = 10.940,73 € (16.433,61: 365 x 243).
Gesamt: 50.021,21 €
Abzüglich bereits zuerkannter und gezahlter 24.717,89 € verbleibt ein restlicher Verdienstausfallschaden in Höhe von noch 25.303,32 €.
Hiervon abzuziehen sind die kongruenten Entgeltersatzleistungen der Sozial- und Krankenkassen in dem Zeitraum vom Unfalltag bis zum 01.09.2010. Unstreitig erhielt der Kläger anrechenbares Krankengeld von der KK N. in Höhe von insgesamt netto 13.815,84 € (bis 11/09 insgesamt 5.778,- - €; bis 13.10.2010 insgesamt 8.037,84 €). Soweit der Kläger ab Juli 2011 Arbeitslosengeld erhalten hat, ist dies für die Berechnung des Verdienstausfallschadens für den o.g. Zeitraum unerheblich.
Damit errechnet sich ein restlicher Verdienstausfallschaden in Höhe von noch 11.487,48 € (25.303,32 € ./. Krankengeld 13.815,84 €).
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Die Zinsen beruhen auf §§ 288, 291 ZPO. Ein früherer Zinsbeginn, insbesondere zum 06.06.2012, ist nicht ersichtlich. Es fehlt an einer den Verzug begründenden Zahlungsaufforderung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a, 92 Abs. 1, 101 ZPO.Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.