15.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221769
Oberlandesgericht Naumburg: Beschluss vom 18.03.2021 – 1 Ws 39/21
Zur Erforderlichkeit einer Vertretungsvollmacht für einen Fortsetzungstermin.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
BESCHLUSS
Verteidiger:
Gegen das ihm am 16. Dezember 2020 zugestellte Urteil wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, welchen der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2020 erhoben hat.
1. Dem zulässigen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war zu entsprechen, weil die angefochtene Entscheidung das rechtliche Gehör des Betroffenen in bereits entscheidungserheblicher Weise verletzt, so dass es geboten ist, das Urteil aufzuheben, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG.
Die Urteilsaufhebung und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, beruht auf § 79 Abs. 6 OWiG.
BESCHLUSS
1 Ws 39/21 OLG Naumburq
11 OWi 737 Js 200822/20 AG WeißenfelsIn der Bußgeldsache
gegenVerteidiger:
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. xxx als Einzelrichter am 18. März 2021gemäß §§ 79 Abs. 5, 80 Abs. 4 OWiGbeschlossen:
- Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Weißenfels vom 19. November 2020 wird zugelassen.
- Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorgenannte Verwerfungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten für das Rechtsmittelverfahren zu befinden hat.
Gründe:
Mit Bescheid vom 06. November 2019 wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h ein Bußgeld von 70 Euro verhängt. Gegen den ihm zugestellten Bescheid hat der Betroffene durch seinen Verteidiger Einspruch erheben lassen. Eine Vollmacht des Verteidigers befindet sich nicht in der Akte. In der Hauptverhandlung am 9. November 2020 vor dem Amtsgericht Weißenfels hat der Betroffene die Fahrereigenschaft zunächst bestritten, so dass das Gericht einen Fortsetzungstermin anberaumt und zu diesem Termin auch die von dem Verteidiger im Rahmen eines förmlichen Beweisantrags benannten Zeugen geladen hat. Mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz des Verteidigers vom 16. November 2020 wurde die Fahrereigenschaft nun jedoch „namens und in Vollmacht des Betroffenen" eingeräumt und beantragt, den Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zur für den 19. November 2020 vorgesehenen Fortsetzungsverhandlung zu entbinden. Eine förmliche Rücknahme des Beweisantrages ist unterblieben. Mit Beschluss vom 18. November 2020 hat das Gericht den Antrag des Betroffenen zur Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen zurückgewiesen. Das Gericht hat nach Feststellung, dass der Betroffene nicht zum Fortsetzungstermin erschienen war, mit Urteil vom 19. November 2020 den Einspruch des Betroffenen in Anwesenheit des erschienenen Verteidigers verworfen.
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Mit Zuschrift vom 04. März 2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Zulassungsantrag zu verwerfen. Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 11. März 2021 Stellung genommen.
Zu Unrecht hat der Tatrichter den Antrag des Verteidigers auf Entpflichtung des Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen zum Fortsetzungstermin am 19. November 2020 zurückgewiesen. Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Vor allem letzteres ist der Fall. Der Verteidiger hat die Fahrereigenschaft für den Betroffenen eingeräumt und damit eine Beweisaufnahme über die Fahrereigenschaft hinfällig gemacht. Die Vernehmung von Zeugen war entbehrlich. Weil die Fahrereigenschaft für den Betroffenen danach eingeräumt ist, bedurfte es dessen Anwesenheit nicht, so dass er zu entpflichten gewesen wäre. Zwar ist anerkannt, dass der Verteidiger für den Antrag einer — über die Verteidigungsvollmacht hinausgehenden — besonderen Vertretungsmacht bedarf (vgl. Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG 18. Aufl. 2021, § 73, Rn. 4 m.w.N.). Die schriftliche Begründung des Beschlusses vom 18. November 2020 macht jedoch deutlich, dass der Tatrichter jedoch nicht die fehlende besondere Vertretungsmacht zum Anlass genommen hatte. den Entbindungsantrag zurückzuweisen, sondern zu Unrecht davon ausgegangen war, dass es einer Beweisaufnahme über die Fahrereigenschaft durch Vernehmung von Zeugen noch bedürfe. Offensichtlich ist der Tatrichter davon ausgegangen, dass eine ausreichende Bevollmächtigung des Verteidigers vorgelegen hat, denn andernfalls hätte er den Entpflichtungsantrag — worauf der Verteidiger mit Schriftsatz vom 11. März 2021 hinweist — als von vornherein unzulässig zurückweisen können und wohl auch müssen. Stattdessen setzt sich der Zurückweisungsantrag mit der Notwendigkeit der Fahrerfeststellung auseinander, der es jedoch nicht bedarf. Förmliche Beweisanträge im Sinne von §§ 46 Abs. 1 OWiG, § 244 StPO können zurückgenommen werden, was eindeutig erklärt werden muss. Eine schlüssige Handlung kann jedoch genügen (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 244, Rn. 41 m.w.N.). Im Schriftsatz vom 18. November 2020 hat der Verteidiger neben dem bereits erwähnten Entpflichtungsantrag auch ausdrücklich angeregt, „die zur Fahrerfeststellung geladenen Zeugen abzuladen", was nach verständiger Würdigung als eindeutige Erklärung des Verteidigers zu verstehen gewesen wäre, dass der Verteidiger an dem von ihm förmlich gestellten Beweisantrag vom 09. November 2020 nicht mehr festhält und diesen deshalb zugleich zurücknimmt.
Der Senat hat Zweifel, dass die Rechtsprechung zur besonderen Vertretungsmacht des Verteidigers für Entpflichtungsanträge nach § 73 Abs. 2 OWiG in dem konkreten Fall uneingeschränkt Anwendung finden kann, wenn es — wie hier — vor dem Fortsetzungstermin einen Hauptverhandlungstermin unter zeitgleicher Anwesenheit von Betroffenem und dessen Verteidiger gegeben hatte, dem Gericht keine Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung des Verteidigers gekommen waren und das Gericht den außerhalb der Hauptverhandlung beschiedenen Antrag des Verteidigers nach § 73 Abs. 2 OWiG gar nicht auf ein Fehlen der besonderen Vertretungsmacht des Verteidigers gestützt hatte.
Wären dem Gericht Zweifel am Vorliegen der besonderen Vertretungsmacht gekommen oder hätte es eine solche für einen Antrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG oder für eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen nach § 74 Abs. 1 OWiG nicht für gegeben erachtet, hätte es sich dazu bereits in dem Beschluss vom 18. November 2020 positionieren müssen, um dem Betroffenen rechtzeitig die Gelegenheit zu geben, entweder seine — im Vertrauen auf die von seinem Verteidiger für ihn eingeräumte Fahrereigenschaft unterbliebene — Anwesenheit im Fortsetzungstermin am 19. November 2020 herzustellen oder bis zum Fortsetzungstermin die besondere Vertretungsmacht für den Verteidiger nachzuweisen. Weder aus den Beschlussgründen noch aus der richterlichen Verfügung vom 18. November 2020 (BI. 98 d.A.), aufgrund welcher eine Beschlussausfertigung dem Verteidiger per Fax übersandt worden ist, gehen derartige Hinweise hervor.
2. Die nach § 80 Abs. 3 Satz 2 OWiG vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig, § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG. Sie hat in der Sache Erfolg.
Der Senat kann nicht zweifelsfrei beurteilen, ob die Voraussetzungen für eine verfahrensabschließende Entscheidung durch Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG vorgelegen haben.
Hätte das Gericht den Betroffenen auf seine Zweifel an oder auf das Fehlen einer besonderen Vertretungsmacht des Verteidigers für eine Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen oder für einen Antrag des Verteidigers nach § 73 Abs. 2 OWiG rechtzeitig vor dem Fortsetzungstermin hingewiesen, ist nicht auszuschließen, dass der Verteidiger den Entpflichtungsantrag unter Nachweis seiner besonderen Vertretungsmacht noch einmal zulässig gestellt und deshalb das Verfahren nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG durch Verwerfungsurteil hätte beendet, sondern mit Durchführung der Beweisaufnahme in dem noch gebotenen Umfang nach § 74 Abs. 1 OWiG hätte fortgeführt werden müssen.