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  • 03.12.2014 · IWW-Abrufnummer 143356

    Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 28.01.2014 – 32 Ss 83/14

    1. Trunkenheitsfahrt mit einem Mofa als erhebliche rechtswidrige Tat im Sinne des § 64 StGB

    2. Zur Verhältnismäßigkeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten


    32 Ss 83/14

    Oberlandesgericht Celle

    Beschluss

    32 Ss 83/14
    7291 Js 92415/12 StA Hannover

    In der Strafsache
    gegen F. K.,
    geboren am xxxxxx 1961 in He. a. H.,
    wohnhaft A. d. B., A.,
    - Verteidiger: Rechtsanwalt B., H. -
    wegen Trunkenheit im Verkehr
    hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 15. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 28.01.2014 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Amtsgericht xxxxxx am 23.06.2014 einstimmig beschlossen:

    Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

    G r ü n d e :

    I.

    Das Amtsgericht Hameln hatte den Angeklagten mit Urteil vom 15.10.2013 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt, ihm eine isolierte Sperrfrist von 2 Jahren und 6 Monaten für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis auferlegt und ein Fahr-verbot von 3 Monaten verhängt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat die Kammer in dem angefochtenen Urteil das Urteil des Amtsgerichts Hameln mit der Maßgabe abgeändert, dass die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Hiergegen wendet der Angeklagte sich mit seiner Revision.

    Zur Person hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte seit mehr als 15 Jahren beim Landkreis H. P. angestellt ist und dort die Unterkunft für Obdachlose leitet. Der Angeklagte ist alkoholkrank. Im Jahr 2011 hat er sich für etwa 4 Monate im Rahmen einer Bewährungsauflage in einer stationären Alkoholentziehungstherapie befunden. Danach habe er keinen Alkohol mehr getrunken. Erst, so die Feststellungen weiter, etwa Mitte 2013 habe er erneut mit dem Konsum von Alkohol im Übermaß begonnen. Der Angeklagte gehe einmal wöchentlich zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker in H. und beabsichtige, über seinen Arzt mit einem Suchtberater in Kontakt zu treten.

    Eine stationäre Alkoholentziehungstherapie strebe er nicht an. Über die Möglichkeit einer ambulanten Therapie habe er sich noch keine Gedanken gemacht. Sich dafür nach Ha. zu begeben, halte er für umständlich und kostspielig, obwohl er den öffentlichen Personennahverkehr unentgeltlich nutzen dürfe. Das Fahrrad mit Hilfsmotor (Mofa), mit dem er sich bislang im öffentlichen Straßenverkehr fortbewegt und das er bei der ihm vorgeworfenen Tat benutzt habe, habe er veräußert.

    Nach den Feststellungen der Kammer ist der Angeklagte seit 2004 insgesamt fünf Mal wegen Verkehrsdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten, und deswegen zuletzt drei Mal jeweils zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurden:

    Am 31.01.2008 verurteilte ihn das Amtsgericht Hameln u. a. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit lief bis zum 30.01.2013.
    Am 14.10.2008 verurteilte ihn das Amtsgericht Hameln wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten, deren Vollstreckung für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde bis zum 13.10.2013 verlängert.

    Am 23.09.2010 verurteilte ihn das Amtsgericht Hameln wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, deren Vollstreckung erneut zur Bewährung ausgesetzt wurde.

    Zur Sache hat die Kammer wegen der erfolgten Rechtsmittelbeschränkung der Staatsanwaltschaft den bereits vom Amtsgericht Hameln festgestellten Sachverhalt zugrunde gelegt. Danach befuhr der Angeklagte am 26.09.2012 gegen 19:48 Uhr in H. mit seinem Fahrrad mit Hilfsmotor (Mofa) u. a. die M.straße, obwohl er infolge der Wirkung des zuvor konsumierten Alkohols bei einem Blutalkoholgehalt von 2,80 g ‰ nicht mehr in der Lage war, das Mofa sicher zu führen, und er sich zumindest bewusst fahrlässig für fahruntüchtig hielt.

    Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer den gemilderten Strafrahmen nach § 21 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt, da der Angeklagte sich an das Tatgeschehen nicht mehr zu erinnern vermocht hat und ihm der vorherige Alkoholkonsum im Übermaß nicht uneingeschränkt vorgeworfen werden konnte, weil er alkoholkrank ist.

    Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer sodann berücksichtigt, dass er sich einsichtig und reumütig gezeigt hat, sein Mofa veräußert hat, erste Schritte unternommen hat, um seiner Alkoholabhängigkeit zu begegnen, seit der Tat keine neuen Straftaten mehr begangen hat und möglicherweise der Widerruf der drei gegen ihn verhängten Bewährungsstrafen droht. Ferner hat die Kammer die Verhängung des Fahrverbotes und die isolierte Sperre sowie die Beeinträchtigung seines Steuerungsvermögens zu seinen Gunsten berücksichtigt. Zu seinen Lasten hat die Kammer die zahlreichen und einschlägigen strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten gewertet. Im Hinblick darauf hat die Kammer auch die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB für unerlässlich angesehen und das Vorliegen einer positiven Prognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB verneint, wobei sie auch berücksichtigt hat, dass der Angeklagte möglicherweise infolge der Strafvollstreckung seine Arbeitsstelle und Wohnung verlieren wird. Die Verhängung der isolierten Sperre hat die Kammer u. a. damit begründet, dass die wegen der Alkoholsucht des Angeklagten fortbestehenden charakterlichen Mängel seine fortgeltende Unzuverlässigkeit im Hinblick auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und verkehrsspezifische Gefahren für die Rechtsgüter der anderen Verkehrsteilnehmer begründen. Mit dem Fahrverbot soll dem Angeklagten das Fahren mit fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen verboten werden.

    Gegen dieses Urteil wendet der Angeklagte sich mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Zum einen rechtfertige der Umstand, dass der Angeklagte seit der Tat keine Straftaten mehr begangen habe, eine positive Prognose. Zum anderen habe er sich nunmehr in das A. Klinikum in A. begeben zur Durchführung eines qualifizierten Entzuges.

    Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision zu verwerfen. Insbesondere bei dem nun vorgetragenen Klinikaufenthalt handele es sich um urteilsfremdes Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden könne.

    II.
    Die Revision des Angeklagten hat vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
    Der Schuldspruch im Urteil des Amtsgerichts Hameln war durch die wirksame Berufungsbeschränkung der Staatsanwaltschaft in Rechtskraft erwachsen. Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs im angefochtenen Urteil wären jedoch Ausführungen zur Frage der Notwendigkeit einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB notwendig gewesen.

    Zwar beschwert die Nichtanordnung der Maßnahme nach § 64 StGB den Angeklagten grundsätzlich nicht. Das Revisionsgericht ist allerdings bei einer zulässig erhobenen Revision nicht gehindert, das angefochtene Urteil aufzuheben, wenn eine Prüfung der Maßregel unterblieben ist, obwohl die tatrichterlichen Feststellungen zu einer solchen Prüfung gedrängt hätten (BGH NStZ RR 2009, 252; Senat, Beschluss vom 20. März 2013, 32 Ss 53/13). Da der Angeklagte hier die Nichtanwendung des § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff nicht ausgenommen hat, ist sie aufgrund der allgemeinen Sachrüge vom Senat zu überprüfen.

    Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB setzt die Gefahr voraus, dass der Angeklagte infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Einigkeit besteht darüber, dass wegen des Erfordernisses der Erheblichkeit die Gefahr der Begehung reiner Bagatelltaten in der Regel nicht ausreichend ist. Als Bagatelltaten werden in diesem Zusammenhang z. B. Gewalt und drohungsfreie Beleidigungen, Hausfriedensbruch in öffentlichen Gebäuden, geringfügige Diebstähle oder der Erwerb kleiner Rauschgiftmengen zum Eigenkonsum angesehen (vgl. dazu Senat, a. a. O.; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 64 Rdnr. 16 m. w. N.).

    Bei der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten mit einem Fahrrad mit Hilfsmotor handelt es sich bereits um eine erhebliche Straftat im Sinne dieser Vorschrift. Während der Senat dazu neigt, Trunkenheitsfahrten mit einem Fahrrad wegen der damit in erster Linie verbundenen Selbstgefährdungen nicht als „erheblich“ i. S. des § 64 StGB anzusehen, ist die Erheblichkeitsschwelle bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Mofa jedenfalls im vorliegenden Fall überschritten gewesen. Der Angeklagte ist zu einem Zeitpunkt, zu dem die Straßen vorhersehbar nicht menschenleer sind, mit seinem Mofa im Innenstadtbereich H. gefahren und war dabei derart alkoholisiert, dass er sich an das Tatgeschehen im Nachhinein nicht mehr erinnern konnte. Ein solches Verhalten kann für andere Verkehrsteilnehmer mit erheblichen Gefahren verbunden sein, denn aufgrund der erheblichen Alkoholisierung war hier zu befürchten, dass der Angeklagte sein Mofa überhaupt nicht mehr unter Kontrolle hatte.

    Im Übrigen ist die Kammer selbst im Rahmen der Entscheidung zur Verhängung der isolierten Sperre davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten weitere verkehrsspezifische Gefahren für die Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer drohen. Insoweit kommt auch dem Umstand, dass der Angeklagte sein Mofa verkauft hat, kein entscheidendes Gewicht zu, da ein Verkauf einer Neuanschaffung nicht im Wege steht.

    Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist hier auch nach § 62 StGB nicht ausgeschlossen. Zwar ist gegen den Angeklagten nur eine Freiheitsstrafe von 5 Monaten verhängt worden. Bei der Abwägung, ob die Vollstreckung einer Maßregel nach § 64 StGB gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, ist aber auch zu berücksichtigen, ob neben den Vollzug der Freiheitsstrafe auch ein zu erwartender Widerruf von Bewährungsstrafen tritt (OLG Celle, NStZ RR 2012, 108; OLG Celle, Beschluss vom 20. März 2013, 32 Ss 53/13). Die erfolgreiche Absolvierung einer Maßregel kann nämlich auch bei den anstehenden Entscheidungen über einen Bewährungswiderruf von Relevanz sein. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht § 67 Abs. 4 StGB für verfassungswidrig erklärt, soweit er die Anrechnung einer im Maßregelvollzug verbrachten Zeit auf sogenannte verfahrensfremde Freiheitsstrafen auch in Härtefällen ausschließt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.03.2012, 2 BvR 2258/09).

    Auch im Übrigen, also insbesondere unter dem Gesichtspunkt der für die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB erforderlichen Erfolgsaussichten, erscheint eine solche Maßregel hier nach den übrigen Feststellungen der Kammer zu bisherigen Therapieversuchen nicht von vornherein aussichtslos.

    Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird daher in einer neuen Hauptverhandlung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) zu prüfen sein.

    Der Rechtsfolgenausspruch unterlag insgesamt der Aufhebung, da der Senat aufgrund der grundsätzlich bestehenden Wechselwirkung zwischen Strafe und Maßregel nicht aus-schließen konnte, dass die Kammer in einer erneuten Hauptverhandlung zu einer milderen Strafe kommen würde.