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  • 14.10.2014 · IWW-Abrufnummer 142871

    Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 07.08.2014 – 8 U 94/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    OLG Celle, 07.08.2014 - 8 U 94/14
    Tenor:

    Auf die Berufung des Klägers wird das am 12. März 2014 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.377,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Juni 2012 zu zahlen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 6.000,00 € festgesetzt.
    Gründe

    I.

    Der Kläger begehrt Versicherungsleistungen im Zusammenhang mit einem Fahrzeugschaden.

    Die Parteien verbindet mit Wirkung ab dem 11. Februar 2010 eine Vollkaskoversicherung mit eingeschlossener Leasing-Restwert-Versicherung (GAP-Deckung). Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) zugrunde. Hinsichtlich des Inhalts der AKB wird auf Bl. 10 - 48 d. A. Bezug genommen.

    Am 23. April 2010 wurde das versicherte Leasingfahrzeug in einen Unfall verwickelt. Die Leasinggeberin nahm auf der Basis eines Totalschadens eine Endabrechnung vor und errechnete eine Gesamtforderung gegen den Kläger in Höhe von 5.377,17 €.

    Unter anderem mit anwaltlichem Schreiben vom 20. Juni 2012 wandte sich der Kläger an die Beklagte und ersuchte diese um Erstattung des von der Leasinggeberin errechneten Betrags. Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, dass die GAP-Versicherung nur im Fall eines Totalschadens, eines Verlustes oder einer Zerstörung greife. Alle drei Varianten lägen indes nicht vor, sodass kein Versicherungsfall eingetreten sei.

    Der Kläger hat behauptet, dass am versicherten Fahrzeug durch den Unfall ein Totalschaden eingetreten sei. Das ergebe sich bereits aus der Abrechnung der Leasinggeberin. Die in den Versicherungsbedingungen erfolgte Definition des Totalschadens benachteilige den Kläger im Übrigen auch unangemessen. Dass der Kläger das Fahrzeug nicht habe reparieren lassen, spiele insoweit keine Rolle. Darüber hinaus liege auch eine Zerstörung vor.

    Der Kläger hat beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.377,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. April 2010 zu zahlen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es liege kein Totalschaden, sondern ein Reparaturschaden vor. Der Wiederbeschaffungswert belaufe sich auf brutto 78.350,00 €, während die Reparaturkosten brutto 65.115,06 € betrügen (Bl. 70 d. A.).

    Mit Urteil vom 12. März 2014 (Bl. 106 - 110 d. A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Versicherungsfall sei nicht eingetreten. Ein Totalschaden liege nicht vor, weil die Reparaturkosten nicht den Wiederbeschaffungswert überstiegen. Das Fahrzeug sei aber auch nicht zerstört worden, weil dies eine völlige Aufhebung der Gebrauchsfähigkeit voraussetze. Der Begriff der Zerstörung gehe erheblich über die Beschädigung hinaus und müsse ebenso schwerwiegend sein wie ein Totalschaden.

    Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Es liege ein Totalschaden vor. Insoweit müsse auch auf den Restwert abgestellt werden. Außerdem sei von einer Zerstörung des Fahrzeugs auszugehen. Die Beklagte habe diesen Begriff in den Versicherungsbedingungen nicht definiert, sodass die Interpretation des Landgerichts nicht nachvollziehbar sei.

    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Landgerichts Hannover vom 12. März 2014 - 6 O 80/13 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.377,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. April 2010 zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Übrigen und im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

    II.

    Die zulässige Berufung ist mit Ausnahme eines Teils der geltend gemachten Zinsen begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit Ziffer A.5.5 AKB zu.

    1. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Zwar bezieht sich der streitgegenständliche Versicherungsvertrag auf ein Leasingfahrzeug. Auch hat das zur Folge, dass dem streitgegenständlichen Rechtsverhältnis ein Vertrag für fremde Rechnung im Sinne von §§ 43 ff. VVG zugrunde liegt und der Versicherungsnehmer gemäß § 45 Abs. 2 VVG nur dann Zahlung an sich selbst verlangen kann, wenn er im Besitz des Versicherungsscheins ist. Diese Voraussetzung ist hier aber erfüllt, weil der Kläger eine Kopie des Versicherungsscheins vorgelegt hat.

    2. Der Versicherungsfall im Sinne von Ziffer A. 5.5 AKB ist eingetreten.

    a) Ein Totalschaden im Sinne der Versicherungsbedingungen liegt allerdings nicht vor. Dieser ist gemäß Ziffer A.2.6 Nr. 4 AKB gegeben, wenn die erforderlichen Kosten der Reparatur des Fahrzeugs dessen Wiederbeschaffungswert übersteigen.

    Im vorliegenden Fall ist bei der Gegenüberstellung von Wiederbeschaffungskosten und Reparaturkosten zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Kaskovertrag über ein Leasingfahrzeug regelmäßig um eine Fremdversicherung zugunsten des Leasinggebers als Eigentümer gemäß § 43 VVG handelt (vgl. Muschner in: Rüffer/Halbach/Schmikowski, VVG, 2. Aufl., § 43, Rn. 7). Lediglich mitversichert ist daneben das Interesse des Leasingnehmers, bei Verschlechterung oder Untergang der Sache dem Leasinggeber keinen Schadensersatz leisten zu müssen. Kommt es zu einer Beschädigung der versicherten Sache, ist zur Berechnung der Entschädigungszahlung dementsprechend allein auf die Verhältnisse des Leasinggebers als Eigentümer abzustellen (vgl. BGH, VersR 1993, 1223 [BGH 14.07.1993 - IV ZR 181/92]; BGH, RuS 1991, 223; BGH, VersR 1988, 949 [BGH 06.07.1988 - IVa ZR 241/87]; OLG Koblenz, VersR 2000, 449; OLG Köln, VersR 1997, 57; OLG Dresden, Schaden-Praxis 1996, 391). Das Sachersatzinteresse des Leasingnehmers ist bei der Schadensberechnung hingegen unmaßgeblich (vgl. BGH VersR 1993, 1223 [BGH 14.07.1993 - IV ZR 181/92]). Hieraus folgt, dass die Mehrwertsteuer bei der Berechnung außer Betracht bleiben muss.

    Ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Gutachtens belaufen sich die Reparaturkosten auf netto 54.718,54 €. Der Wiederbeschaffungswert beläuft sich hingegen auf netto 65.840,34 €. Dementsprechend ist das Fahrzeug eindeutig reparaturwürdig und damit kein Totalschaden eingetreten.

    Substanziierte Einwände gegen die im Gutachten ermittelten Werte hat der im Übrigen beweispflichtige Kläger nicht erhoben. Unter diesen Umständen kann die Behauptung des Klägers nicht nachvollzogen werden, ein Totalschaden im Sinne der Versicherungsbedingungen liege vor. Etwas anders folgt auch nicht aus der Abrechnung der Leasinggeberin auf Totalschadensbasis. Dabei ist bereits unklar, wie die Leasinggeberin ihrerseits den Begriff des Totalschadens interpretiert. Unabhängig hiervon hat eine den wirklichen Wertverhältnissen widersprechende Abrechnung auf Totalschadensbasis durch die Leasinggeberin aber auch keine Bindung des Versicherers zur Folge. Hiergegen sprechen bereits Sinn und Zweck des Versicherungsvertrags, wonach der Leasinggeber vor seinem tatsächlichen Schaden geschützt werden soll, nicht aber vor dem Schaden, den ein Dritter (auf welchem Wege auch immer) errechnet.

    Entgegen der Auffassung des Klägers ist bei der Frage nach einem Totalschaden auch nicht auf Ziffer A.5.5 AKB abzustellen. Der Begriff des Totalschadens ist in Ziffer A.2.6 Nr. 4 AKB ausdrücklich definiert durch die Differenz von Reparaturkosten und Wiederbeschaffungswert, nicht aber durch die Differenz von Reparaturkosten und Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert. Das folgt bereits eindeutig aus der nachfolgenden Definition des Wiederbeschaffungswertes, wonach der Restwert des Fahrzeugs keine Berücksichtigung findet (vgl. Meinecke in: Stiefel/Maier, AKB, 18. Aufl., A.2.6 AKB, Rn. 12). Die vom Kläger herangezogene Bestimmung in Ziffer A.5.5 AKB stellt hingegen keine gesonderte Definition des Totalschadensbegriffs dar. Es handelt sich vielmehr um eine zusätzliche Voraussetzung im Hinblick auf die GAP-Deckung, die in allen Haftungskonstellationen (also auch Zerstörung und Verlust) erfüllt sein muss. An der zunächst einmal erforderlichen Notwendigkeit eines Totalschadens im Sinne von Ziffer A.2.6 AKB ändert das aber nichts.

    b) Jedoch liegt ein Fall der Zerstörung im Sinne von Ziffer A.5.5. AKB vor.

    Unter einer Zerstörung wird üblicherweise ein Sonderfall der Beschädigung verstanden. Eine Zerstörung liegt grundsätzlich vor, wenn der Grad der Beschädigung eine Wiederherstellung oder Wiederbenutzung des Fahrzeugs endgültig ausschließt. Entscheidend ist dabei nicht die Unwirtschaftlichkeit der Reparatur (die vom Begriff des Totalschadens abgedeckt wird), sondern vielmehr deren Unmöglichkeit (vgl. Stadler in: Stiefel/Maier, AKB, 18. Aufl., Ziffer A.2.2., Rn. 4; Stomper in: Halm/Kreuter, Schwab, AKB, Rn. 392; OLG Karlsruhe VersR 1993, 1144). Aufgrund ständig fortschreitender Reparaturmöglichkeiten liegt eine Zerstörung praktisch nur noch bei einer vollständigen Vernichtung vor (vgl. Stadler, aaO.).

    Im vorliegenden Fall kann der Begriff der Zerstörung allerdings auch hiervon abweichend definiert werden. So heißt es bei der Bestimmung der Leistungspflichten im Rahmen der GAP-Deckung in Ziffer A.5.5 AKB:

    "Wir ersetzen im Falle des Totalschadens, der Zerstörung oder des Verlustes des Fahrzeugs ... die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem sich aus dem Leasingvertrag errechnenden Leasing-Restbetrag am Schadenstag, soweit der Leasinggeber eine entsprechende Nachforderung schriftlich geltend macht...

    Weitere Voraussetzung ist, dass die erforderlichen Reparaturkosten den um den Veräußerungswert des Fahrzeugs verminderten Wiederbeschaffungswert übersteigen und das Fahrzeug nicht repariert wird." [Anmerkung:

    Hervorhebung durch den Senat]

    Diese zusätzliche Voraussetzung ist zumindest missverständlich. Den Fall eines Totalschadens im Sinne von Ziffer A.2.6 Nr. 4 AKB kann diese Voraussetzung nicht betreffen, denn dieser liegt bereits dann vor, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Im Fall eines Totalschadens im Sinne von Ziffer A.2.6 AKB ist die vorstehend zitierte Voraussetzung dementsprechend automatisch immer gegeben, denn wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, ist das erst recht der Fall, wenn der Wiederbeschaffungswert zusätzlich um den Restwert reduziert wird.

    Den Fall des Verlustes kann diese Voraussetzung ebenfalls nicht betreffen, denn in dieser Konstellation gibt es weder Reparaturkosten, noch gibt es einen Veräußerungswert.

    Die Voraussetzung kann somit grundsätzlich nur noch in der dritten Variante und damit im Fall der Zerstörung zum Tragen kommen. Wenn das so ist, muss die Zerstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die GAP-Deckung aber einen hinter dem Totalschaden zurückbleibenden (besseren) Fahrzeugzustand beschreiben. Welcher Zustand das ist, bleibt zwar offen. Jedenfalls liegt ein Fall der Zerstörung aber vor, wenn die Reparaturkosten den um den Veräußerungswert (Restwert) reduzierten Wiederbeschaffungswert übersteigen. Hierfür spricht auch die Formulierung in Ziffer A.2.6 Nr. 1 AKB. Danach gilt Ziffer A.2.7.1 AKB, wenn der Versicherungsnehmer (oder der Versicherte) sein Fahrzeug trotz Totalschadens oder Zerstörung reparieren lässt. Weil nach herkömmlichem Verständnis unter einer Zerstörung aber die Unmöglichkeit der Reparatur verstanden wird (s. o.), geht die Beklagte offensichtlich ihrerseits von einer anderen Begriffsdefinition aus.

    Vor diesem Hintergrund greift die Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB. Danach sind Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (vgl. BGH VersR 2003, 1163 [BGH 09.07.2003 - IV ZR 74/02]; BGH, BGHZ 123, 83). Es ist nicht maßgeblich, was sich der Verwender der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorgestellt hat. Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen, die der Versicherungsnehmer typischerweise nicht kennt, hat bei der Auslegung außer Betracht zu bleiben (vgl. BGH VersR 2000, 1090 [BGH 17.05.2000 - IV ZR 113/99]).

    Für den vorliegenden Fall hat das zur Folge, dass der Begriff der Zerstörung in der GAP-Deckung einen hinter dem Totalschaden zurückbleibenden besseren Fahrzeugzustand erfasst. Eine Zerstörung liegt danach auch dann vor, wenn die Reparaturkosten den um den Restwert geminderten Wiederbeschaffungswert übersteigen. Eben das ist hier aber unstreitig der Fall. Ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Gutachtens belaufen sich die Wiederbeschaffungskosten auf 65.840,34 €. Der Restwert beläuft sich auf 20.739,50 €. Die Reparaturkosten schließlich belaufen sich auf 54.718,54 €. Damit übersteigen die Reparaturkosten den um den Restwert reduzierten Wiederbeschaffungswert, sodass jedenfalls im Fall der zugunsten des Klägers möglichen Begriffsdefinition ein Fall der Zerstörung vorliegt.

    Eine Reparatur hat der Kläger unstreitig nicht durchführen lassen (Bl. 70 d. A.).

    3. Die Höhe der Hauptforderung ist unstreitig.

    Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Beim Zinsbeginn hat der Senat allerdings Abstriche vorgenommen. Der Kläger hat bei seinem Antrag ersichtlich auf den Tag des Unfalls abgestellt und begehrt für die Zeit ab dem darauffolgenden Tag eine Verzinsung. Eine Verzinsung setzt aber grundsätzlich eine Inverzugsetzung voraus. Auf der Grundlage des vorgerichtlichen Schriftwechsels mahnte der Klägervertreter die Beklagte indes erstmals mit Schreiben vom 20. Juni 2012 unter Fristsetzung bis zum 29. Juni 2012 (Bl. 54 d. A.). Damit ist die streitgegenständliche Forderung erst ab dem 30. Juni 2012 zu verzinsen.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Von der Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO hat der Senat abgesehen. Der Rechtsstreit ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    Der Streitwert entspricht der Hauptforderung.

    RechtsgebieteVVG, AKBVorschriftenVVG § 1 S. 1; AKB Nr. A.5.5.