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  • 13.05.2014 · IWW-Abrufnummer 141367

    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Beschluss vom 02.04.2014 – 1 Ss OWi 59/14

    Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes.


    1 Ss OWi 59/14
    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
    Beschluss
    in der Bußgeldsache gegen
    wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
    -Verteidiger: Rechtsanwalt Stefan Busch, Holstenstraße 6, 23552 Lübeck-.
    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 17. Januar 2014 hat der I. Senat für Bußgeldsachen des Schleswig- Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 2. April 2014 durch den Einzelrichter beschlossen:
    Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
    Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an dieselbe (§ 79 Abs. 6 OWiG) Abteilung des Amtsgerichts Lübeck zurückverwiesen.
    Gründe:
    Das angefochtene Urteil ist aufgrund lückenhafter, die Verurteilung nicht tragender Feststellungen auf die erhobene Sachrüge hin aufzuheben. Unter Beschränkung auf die wesentlichen Punkte hat die Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig- Holsteinischen Oberlandesgericht hierzu in ihrer an den Senat gerichteten Antragsschrift u. a. ausgeführt:
    „Die Urteilsgründe erweisen sich als lückenhaft. Das angefochtene Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil es sowohl hinsichtlich der Feststellungen zur Tat als auch bezüglich der Beweiswürdigung keine hinreichende Prüfungs- bzw. Entscheidungsgrundlage enthält und deswegen den Anforderungen der §§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG nicht entspricht. Auch wenn die Anforderungen an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keinen hohen Anforderungen unterliegen, muss die Beweiswürdigung so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung ermöglicht wird. Grundlage dieser revisionsgerichtlichen Beweiswürdigung ist das schriftliche Urteil, mit dem der Tatrichter darüber Rechenschaft gibt. auf welchem Wege er von den Beweismittelergebnissen zum festgestellten Sachverhalt gelangt ist (so schon BGH, NStZ 1985, 184). Dabei muss die im Urteil mitgeteilte Beweiswürdigung in sich logisch, geschlossen, klar und insbesondere lückenfrei sein. Sie muss wenigstens die Grundzüge der Überlegungen des Tatrichters und die Möglichkeit des gefundenen Ergebnisses sowie die Vertretbarkeit des Unterlassens einer weiteren Würdigung aufzeigen. Es müssen alle aus dem Urteil ersichtlichen Tatsachen und Umstände, die Schlüsse zugunsten oder zu Ungunsten des Betroffenen zulassen, ausdrücklich erörtert werden (u.a. OLG Düsseldorf, VRR 2011, 243; Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 71, Rdn. 43 m.w.N.).
    Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene in Lübeck die Ratzeburger Allee / Wakenitzbrücke Richtung Groß Grönau und missachtete dabei das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits mindestens 1,1 Sekunden dauerte. Bereits diese Feststellung ist unzureichend und zu knapp. Aus den Feststellungen des Gerichts lässt sich bereits nicht hinreichend deutlich entnehmen, um welche Art von Wechsellichtzeichenanlage es sich gehandelt hat, was aber für die Frage, ob es sich vorliegend um einen typischen groben Verstoß gegen die Pflichten eines Fahrzeugführers handelt, weil ja der Rotlichtverstoß länger als 1 Sekunde dauerte, von Bedeutung sein kann. Denn nicht jeder Rotlichtverstoß von mehr als 1 Sekunde stellt eine typische, ein Fahrverbot indizierende Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV dar.
    Darüber hinaus lassen die Gründe außerdem hinsichtlich der Beweiswürdigung nicht erkennen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat — außer, dass er die Fahrereigenschaft eingeräumt hat, —, ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung aufgrund welcher tragenden Beweismittel für widerlegt ansieht (KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 71, Rdn. 106). Ebenso wenig werden die Angaben des Zeugen angeführt und dargelegt, warum diesen offenbar der Vorzug gegeben wird.
    Darüber hinaus erfolgte nach den Feststellungen des Amtsgerichts die Messung der Rotlichtdauer mit dem standardisierten Messverfahren Traffiphot III. Der Einsatz eines solchen Gerätes stellt zwar ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte dar (vgl. u.a. BGHSt 46, 358; OLG Hamm, NZV 2000, 426). Für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO genügt mithin, wie allgemein beim Einsatz standardisierter Messverfahren, die Angabe des konkret verwendeten Gerätetyps und des gewonnenen Messergebnisses, sowie eines etwaigen zu beachtenden Toleranzwertes (BGH a.a.O.). Der Tatrichter ist zu weiteren Darlegungen hinsichtlich des Messverfahrens und -ablaufes in den Urteilsgründen nicht verpflichtet (BayObLG NJW 2003, 1752). Allerdings bedarf es zumindest der Angabe der wesentlichen Anknüpfungstatsachen wie des Abstands zwischen Haltelinie, erster und zweiter Induktionsschleife sowie der Rotlichtzeiten bei Überfahren der ersten und zweiten Induktionsschleife. Ohne diese Darlegungen lässt sich für das Rechtsbeschwerdegericht die Berechnung der Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie nicht nachvollziehen. Etwas anderes gilt lediglich für den Fall, dass die Induktionsschleife in der Haltelinie selbst angebracht wäre. Dann wären Messzeit und der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie identisch. Aber auch in diesem Falle wäre der Tatrichter gehalten, sowohl die Messzeit als auch den Lageort der Sensorschleife im Urteil darzulegen.
    Die verwendeten Messfotos wurden im Übrigen nicht durch eine prozessökonomische ausdrückliche Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zum Urteilsbestandteil gemacht und können deshalb vom Rechtsmittelgericht nicht eingesehen werden. Darüber hinaus wurden gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen, z.B. zur Eichung des Geräts, durch unzulässige Bezugnahmen ersetzt, so dass es verfahrensrechtlich an einer Urteilsbegründung und sachlich-rechtlich an der Möglichkeit der Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (st. Rspr. vgl. BGHSt 30, 225; 33, 59; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Bezugnahme 1). Eine Verweisung oder Bezugnahme ist im Übrigen lediglich nach § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO und nur wegen "Abbildungen" möglich. Dem Rechtsbeschwerdegericht ist es allein auf Grund der unzulässigen Bezugnahmen auf die den Vorfall dokumentierenden Schriftstücke nicht möglich zu überprüfen, ob die Überzeugung des Tatrichters auf tragfähigen Erwägungen beruht, die Beweiswürdigung des Amtsrichters anerkannten rechtlichen Grundsätzen entspricht und die Überzeugung von der Ordnungsgemäßheit der Messung rechtsfehlerfrei gewonnen wurde."
    Dem tritt der Senat bei. Die erwähnten Gesichtspunkte wird das Amtsgericht bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung, bei der zugleich über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden sein wird, zu beachten haben. Aus Sicht des Senats ist darüber hinaus lediglich anzumerken, dass sich im Protokoll der Hauptverhandlung — möglicherweise aufgrund der Verwendung bestimmter Vordrucke — eine Reihe von Widersprüchen befinden, die im Zweifelsfall geeignet sein könnten, die Beweiskraft des Protokolls (§§ 71 OWiG, 274 StPO) zu gefährden und daher tunlichst vermieden werden sollten.