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  • 13.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130851

    Oberlandesgericht Rostock: Urteil vom 13.11.2009 – 5 U 52/09

    Stoßen zwei Fahrzeuge zusammen, weil ein Verkehrsteilnehmer beim Abbiegen nach links die doppelte Rückschaupflicht verletzt und der andere Verkehrsteilnehmer einen Überholversuch bei unklarer Verkehrslage unternommen hat, kann eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile von 60% zu 40% zulasten des Linksabbiegers gerechtfertigt sein.


    OLG Rostock

    13.11.2009

    5 U 52/09

    In dem Rechtsstreit

    ... ...,

    ..., ... ....,

    - Kläger und Berufungskläger -

    Prozessbevollmächtigte:

    Rechtsanwälte ...,

    ..., ...

    g e g e n

    1. ...,

    ..., ...

    - Beklagter und Berufungsbeklagter -

    2. ...

    vertreten durch den Vorstand...,

    ...

    ..., ...

    - Beklagte und Berufungsbeklagte -

    Prozessbevollmächtigte:

    Rechtsanwälte ...

    ..., ...

    hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock durch

    den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,

    den Richter am Oberlandesgericht Dr. ... und

    die Richterin am Oberlandesgericht ...

    aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2009

    für R e c h t erkannt:
    Tenor:

    Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung im übrigen wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 20.02.2009 - Az.: 7 O 187/08- geändert:

    1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 3.266,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.05.2008 zu zahlen.

    2. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 200,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.05.2008 zu zahlen.

    3. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 282,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.08.2008 zu zahlen.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 6.524,69 € festgesetzt.
    Gründe

    I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 10.04.2008 auf dem Tilzower Weg in Bergen auf Rügen. Das Fahrzeug des Klägers wurde am Unfalltag von seinem Arbeitskollegen, dem Zeugen ..., gefahren. Dieser wollte in Höhe der Straßenmeisterei nach links fahren, der Beklagte zu 1.) leitete einen Überholvorgang ein, bei dem es zum Zusammenstoß der Fahrzeuge kam.

    Der Kläger hat behauptet, der Zeuge ... habe mit dem Fahrzeug auf das Grundstück der Straßenmeisterei auffahren wollen; er habe den linken Blinker gesetzt und das Fahrzeug mehrere Sekunden angehalten, um Gegenverkehr passieren zu lassen. Während des Abbiegevorgangs sei es zur Kollision gekommen. Der Beklagte hat behauptet, der Zeuge ...

    habe das Fahrzeug wenden wollen, was der Beklagte zu 1) nicht habe erkennen können, da ein Blinker nicht gesetzt worden sei. Als der Beklagte den Überholvorgang eingeleitet habe, sei das Fahrzeug des Klägers plötzlich nach links hinübergezogen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und der gestellten Anträge wird Bezug genommen auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers sei ausgeschlossen, weil der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den Unfall allein verursacht habe. Umstände für einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1.) habe der Kläger nicht dargelegt. Da es im Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang auf ein Grundstück zu der Kollision gekommen sei, spreche der Anscheinsbeweis für ein alleiniges Verschulden des Zeugen ...; dieser sei gemäß § 9 Abs. V StVO gehalten gewesen, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils.

    Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden ist. Er meint, das Landgericht sei unzutreffend von einem Verstoß des Fahrers .... gegen die Pflicht zur doppelten Rückschau ausgegangen. Einen solchen habe der Kläger aber nicht eingestanden, vielmehr darauf hingewiesen, dass ein solcher Verstoß allenfalls zu einer Mithaftung im Rahmen der Betriebsgefahr führe. Er habe vorgetragen, dass der Beklagte zu 1.) den Überholvorgang noch nicht eingeleitet hatte, als der Zeuge mit dem Abbiegemanöver begann (Bl. 90 d.A.), auch habe er zuvor den linken Blinker gesetzt und sein Fahrzeug für mehrere Sekunden angehalten, um Gegenverkehr passieren zu lassen (Bl. 91 d.A.). Die dem Fahrer seines Fahrzeuges konkret vorgeworfenen weiteren Verkehrsverstöße seien zudem nicht benannt worden. Vielmehr treffe den Beklagten zu 1.) ein ganz erhebliches Fehlverhalten, was zu dessen alleiniger bzw. überwiegenden Haftung führe mit der Folge, dass die Klage - die eine Haftungsquote von 75 % zulasten des Beklagten zugrundelegt - vollumfänglich Erfolg haben müsse.

    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 20.02.2009 - Az.: 7 O 187/08- aufzuheben und

    1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger 6.124,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.05.2008 zu zahlen,

    2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.05.2008 zu zahlen,

    3. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger 507,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Die Beklagten beantragen,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie rechtfertigen das landgerichtliche Urteil und wiederholen ihren Vortrag, dass der Kläger keine Umstände für einen Verkehrsverstoß des Beklagten dargelegt habe.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten, bei der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen. Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen ....

    II. Die Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im übrigen ist sie unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten zu 1) aus §§ 7 Abs. 1, 18 StVG auf Zahlung von 3.266,50 € Schadensersatz, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 200,-- € und auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten unter Zugrundelegung der berechtigten Ansprüche, gegen die Beklagte zu 2.) folgt der Anspruch aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 3 PflVersG.

    1. Der streitgegenständliche Verkehrsunfall hat sich bei dem Betrieb der Fahrzeuge des Klägers und des Beklagten zu 1.) ereignet.

    2. Der Senat hält nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen .... sowie auch unter Berücksichtigung der Parteianhörung im Termin eine Quotelung der entstandenen Schäden in einem Verhältnis von 60 % zulasten des Klägers und 40 % zulasten des Beklagten für sachgerecht. Dies erscheint bei der nach § 17 StVG anzustellenden Abwägung des jeweiligen Verursachungsbeitrages und des jeweiligen Verschuldens angenessen, wobei jeweils nur unstreitige bzw. bewiesene Tatsachen zulasten des jeweils anderen Verkehrsteilnehmers zugrundezulegen waren.

    a) Zu Lasten des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges liegt ein Verstoß gegen die Anforderungen des § 9 Abs. 5 StVO vor. Danach hat sich der Fahrzeugführer beim Abbiegen in ein Grundstück so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Damit treffen den Abbiegenden besonders hohe Sorgfaltsanforderungen; angesichts der erheblichen Gefährdung des fließenden Verkehrs ist mit äußerster Vorsicht abzubiegen, wobei sich die höchstmögliche Sorgfalt auf den Ausschluss der Gefährdung sowohl des entgegenkommenden wie auch des nachfolgenden Verkehrs bezieht (Hentschel u.a.- König, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 9 StVO Rn. 52 m.w.N.). Deshalb wird von ihm verlangt, vor dem Abbiegen erneut seiner Rückschaupflicht zu genügen und sich zu vergewissern, dass der nachfolgende Verkehr sein Richtungszeichen verstanden hat. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Fahrzeugführer ... diesen Anforderungen nicht gerecht geworden ist, weil er den nachfolgenden Verkehr nicht mit der erforderlichen Sorgfalt beobachtet hat. Insoweit ergibt sich bereits aus dem Sachvortrag des Klägers, dass der Fahrzeugführer seiner Rückschaupflicht nicht genüge getan haben kann, ansonsten hätte er zumindest vor der Einleitung des Abbiegevorganges das Fahrzeug des Beklagten zu 1.) bemerken und dessen Fahrverhalten sorgfältig beobachten müssen. Hierfür spricht auch ein Anscheinsbeweis, da bei sorgfältiger Beobachtung des Verhaltens nach aller Lebenserfahrung der Zusammenstoß hätte vermieden werden können.

    Ein zu Lasten des Klägers zu berücksichtigender Verstoß gegen sonstige Verkehrsvorschriften kann hingegen nicht angenommen werden. Durch die Beweisaufnahme konnte nicht festgestellt werden, dass der Fahrzeugführer sein Abbiegevorhaben nicht durch Lichtzeichen angezeigt habe. Nach der Überzeugung des Senats steht vielmehr fest, dass der Fahrzeugführer nach links geblinkt hat. Dies hat der Zeuge ... glaubhaft bekundet. Er konnte sich an den Unfall noch detailliert erinnern, Begünstigungstendenzen zugunsten des Klägers hat der Senat nicht feststellen können, auch andere Anhaltspunkte, die gegen die Richtigkeit seiner Aussage sprechen, waren nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte zu 1.) für die Behauptung, der Zeuge habe nicht geblinkt und sei vielmehr nach rechts gefahren, in der mündlichen Verhandlung erstmals seine Tochter als Zeugin benannt hat, war dem Beweisangebot nicht nachzugehen. Der Beweisantritt erfolgte verspätet im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO, weil die Beklagten die Zeugin in erster Instanz hätten benennen können und Tatsachen, weshalb dies ohne Nachlässigkeit nicht möglich gewesen sei, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich waren.

    Auch war nicht zugrundezulegen, dass der Zeuge das Fahrzeug erst nach rechts gelenkt habe, um dann einen Bogen nach links fahren zu können. Auch dies konnte angesichts der deutlichen Aussage des Zeugen nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden. Soweit der Beklagte zu 1.) in der mündlichen Verhandlung Lichtbilder vorgelegt hat, aus denen sich Fahrzeugspuren am rechten Fahrbahnrand befinden, vermag der Senat diese nicht zwingend dem Fahrzeug des Klägers zuzuordnen, zumal auch dieser Beweisantritt verspätet erfolgte.

    b) Zulasten des Beklagten zu 1.) ist zu berücksichtigen, dass dieser trotz einer für ihn unklaren Verkehrslage das Fahrzeug des Klägers überholt hat. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Zeuge seine Abbiegeabsicht durch Lichtzeichen nach links angekündigt hatte, das Fahrzeug sodann nahezu bis zum Stillstand abbremste, um Gegenverkehr durchzulassen, und erst dann nach links abgebogen ist. Unter diesen Umständen war der Beklagte zu 1.) gehalten, zunächst den weiteren Verlauf abzuwarten und sein Überholvorhaben zurückzustellen. Da der Zeuge erklärte, er sei unmittelbar nach dem Abwarten des Gegenverkehrs nach links abgebogen, ist davon auszugehen, dass auch der Beklagte zu 1.) den Gegenverkehr wahrgenommen hat und damit zunächst erkennen musste, dass der Zeuge mit dem Fahrzeug des Klägers auf der Fahrbahn stehen bleiben würde.

    Auch unter Zugrundelegung des Vortrages des Beklagten zu 1.), der Zeuge habe das Fahrzeug über den rechten Fahrbahnrand hinaus ohne Richtungszeichen langsam auslaufen lassen, hätte für den Beklagten zu 1.) Veranlassung bestanden, sein Verhalten auf die auch insoweit zunächst unklare Verkehrssituation einzurichten - nämlich solange, bis geklärt ist, ob das Fahrzeug dort endgültig anhält oder seine Fahrt fortsetzt - und sein Überholvorhaben zunächst zurückzustellen.

    c) Wenngleich der Verstoß des Klägers gegen § 9 Abs. 5 StVO schwerwiegend ist, so ist doch der Unfall auch zu einem nicht nur geringem Anteil dem schuldhaften Verhaltens des Beklagten zuzurechnen.

    2. Der dem Kläger entstandene Sachschaden ist unstreitig. Bei einem Gesamtschaden von 8.166,25 € ergibt sich eine Verurteilung der Beklagten in tenorierter Höhe.

    3. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Mitverursachungs- und Verschuldensbeiträge hält der Senat ein Schmerzensgeld des Klägers in Höhe von 200,-- € für angemessen, aber auch ausreichend. Der Kläger war vom 11.04.2008 bis zum 20.04.2008 dienstunfähig erkrankt. Er erlitt ein Halswirbelsäulenschleudertrauma sowie Prellungen am linken Arm und der linken Hand. Über mehrere Wochen litt er an erheblichen Schmerzen und Beeinträchtigungen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats rechtfertigt dies ein Schmerzensgeld von etwa 500,-- €, wobei das ganz erhebliche Verschulden des Zeugen, dass sich der Kläger zurechnen lassen muss, anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist .

    4. Der Kläger kann Verzinsung dieser Forderungen aus Verzug verlangen (§§ 286, 288 Abs. 1 S. 2 BGB). Der Kläger hat die Beklagten mit Schreiben vom 28.04.2008 aufgefordert. Die Beklagte zu 2.) lehnte mit Schreiben vom 29.05.2008 sämtliche Ansprüche als unbegründet ab.

    5. Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nach einem Streitwert in Höhe von 3.466,50 € aus § 249 BGB. Die Zinsforderung ergibt sich aus § 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

    III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Für den Schmerzensgeldantrag wurde bei der Streitwertbemessung ein Betrag von 400,-- € zugrundegelegt.

    Der Senat hatte keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

    RechtsgebieteStVG, StVOVorschriften§ 7 Abs. 1 StVG § Abs. 1 StVG § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO § 9 Abs. 1 S. 4 StVO § 9 Abs. 5 StVO