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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Neues zum Nutzungsausfallschaden: Aktuelle Entwicklungen und Tendenzen

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | Während sich die Lage bei den Mietwagenkosten in der Höhefrage spürbar entspannt hat, wird beim vermeintlich kleinen, inzwischen aber großen Bruder pauschale („abstrakte“) Nutzungsausfallentschädigung unvermindert heftig gestritten. Der Beitrag zeigt die wichtigsten Problemfelder auf: |

     

    Problemkreis 1 / Keine Nutzungsausfallentschädigung bei fiktiver Abrechnung?

    Problem: Ist die Nutzungsausfallentschädigung bei der fiktiven Abrechnung des Fahrzeugschadens ausgeschlossen?

     

    In seinem Urteil vom 20.3.19, 23 O 132/17, Abruf-Nr. 209726, hat das LG Darmstadt nicht nur an seiner Ablehnung der fiktiven Abrechnung des Fahrzeugschadens festgehalten (dazu VA 18, 204 und zur OLG-Korrektur VA 19, 132), sondern zugleich entschieden: Die Grundsätze zur Ablehnung eines Fahrzeugschadenersatzes auf fiktiver Basis gelten entsprechend für den Nutzungsausfallschaden. Ein Anspruch besteht nur auf Erstattung tatsächlich angefallener Mietwagenkosten oder sonstiger tatsächlich entstandener Aufwendungen für die Dauer der tatsächlichen unfallbedingten Nutzungsentziehung. Das LG Darmstadt hat daher den Anspruch des Klägers auf Ersatz einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 2.054 EUR komplett abgewiesen. Begründung: fiktiver Schaden.

     

    Völlig zu Recht hält das OLG Düsseldorf diese Sichtweise für verfehlt (28.5.19, I-1 U 115/18, Abruf-Nr. 209782, VA 19, 131). Hiernach gilt weiterhin: Auch wer seinen Fahrzeugschaden fiktiv abrechnet, was weiterhin entgegen LG Darmstadt zulässig ist (vgl. VA 19, 132), hat Anspruch auf eine pauschale Nutzungsentschädigung (Tabellenentschädigung), wenn er die Voraussetzungen v‒ unfallbedingter Ausfall der Nutzung, fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung, Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit ‒ darlegt und notfalls beweist.

     

    Es handelt sich um eine konkrete, nicht um eine fiktive Einbuße. Nur in Bezug auf die im Gutachten geschätzte Reparatur- bzw. Wiederbeschaffungsdauer soll der Geschädigte bei fiktiver Abrechnung des Fahrzeugschadens an die gutachterlichen Zahlen gebunden sein (str.). Im Übrigen ist es ihm unbenommen, tatsächliche Vorlaufzeiten (Schadensfeststellung, Überlegungszeit) und Nachlaufzeiträume (z. B. kein Reparaturauftrag bzw. kein Ersatzkauf mangels Finanzierbarkeit, Reparaturverzögerung durch Ersatzteilproblem) im Rahmen der Tabellenentschädigung geltend zu machen (OLG Düsseldorf, a. a. O.). Unzutreffend OLG Nürnberg 22.7.19, 5 U 696/19, Abruf-Nr. 211078 („konkret eingetretene Verzögerungen bleiben außer Betracht“). Die Verzögerungen müssen freilich unfallbedingt und angemessen sein. Das ist nicht der Fall, wenn sich der Geschädigte nach dem Unfall entschlossen hat, an Stelle eines ihm zustehenden Gebrauchtwagens einen Neuwagen mit unangemessen langer Lieferzeit zu kaufen (dazu OLG Nürnberg a. a. O. mit dem hier falschen Argument des Vermischungsverbots). Was dieses leidige Thema mit Blick auf den Nutzungsausfallschaden angeht, wird auf den Praxishinweis zur Entscheidung des LG Saarbrücken VA 15, 111 verwiesen.

     

    Problemkreis 2 / Weites Verständnis des Merkmals y„gleichwertig“?

    Problem: Kann die Beschaffungsmöglichkeit bei gleichzeitiger Beschränkung der Dauer der Ersatzbeschaffung durch ein weites Verständnis des Merkmals „gleichwertig“ erweitert werden?

     

    Ein Beispiel für diese Tendenz gilt der schon erwähnte 522er Beschluss des OLG Nürnberg vom 22.7.19 (5 U 696/19, Abruf-Nr. 211078). Der Kläger hatte seinen zum Unfallzeitpunkt erst sechseinhalb Monate alten und 6.732 km gelaufenen Mercedes-Benz GLE 350d durch einen neuen Mercedes-Benz GLE 350d 4Matic ersetzt.

    Den Fahrzeugschaden hat er nicht etwa auf Neuwagenbasis abgerechnet (was auch nicht funktioniert hätte), sondern nach dem Wiederbeschaffungsaufwand lt. Gutachten. Das OLG Nürnberg geht von einer fiktiven Abrechnung aus. Das ist zweifelhaft. Angenommen wird in solchen Fällen auch eine konkrete Abrechnung der tatsächlich angefallenen Wiederbeschaffungskosten bis zur Höhe des ersatzfähigen Wiederbeschaffungsaufwands (LG Saarbrücken 23.9.16, 13 S 53/16, NJW-RR 17, 355; siehe aber LG Saarbrücken 15.5.15, 13 S 12/15, VA 15, 111 ‒ fiktive Abrechnung).

     

    Den Nutzungsausfallschaden hat der Versicherer für 21 Tage reguliert. Gegenstand der Klage ist eine Entschädigung für weitere 252 Tage, insgesamt also 273 Tage (Unfall bis Auslieferung Neuwagen). Begründung: Ein gleichwertiges Fahrzeug sei auf dem Gebrauchtwagenmarkt nicht zu finden gewesen. Dieser unter Beweis gestellten Behauptung des Klägers ist das OLG aus Rechtsgründen (Unerheblichkeit der Behauptung) nicht nachgegangen. Wie das LG Ansbach hat es dem Kläger keinen Nutzungsausfallersatz über 21 Tage hinaus zuerkannt (14 Tage Wiederbeschaffungsdauer wie Gutachten und sieben Tage Schadensfeststellung plus Überlegungszeit). Bemerkenswerterweise hat das OLG Nürnberg nicht auf die Dauer der Reparatur des reparaturwürdigen Fahrzeugs (kein wirtschaftlicher Totalschaden) abgestellt.

     

    Ausgangslage: Grundsätzlich muss der Schädiger Nutzungsersatz nur für den Zeitraum leisten, der zur Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustands erforderlich ist. Im Allgemeinen ist dies die Dauer der Reparatur bzw. bis zur Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Nicht irgendeines Ersatzfahrzeugs, sondern eines gleichartigen und gleichwertigen.

     

    Gleichartig war der neue GLE 350d. War er aber auch gleichwertig? Richtige Antwort: Nein, weil er fabrikneu war, war er höherwertig. Den Ersatzkauf muss der Schädiger nicht finanzieren. Das hat der Kläger auch gar nicht gefordert. Ist damit die längere Neuwagen-Wiederbeschaffungsdauer für den Nutzungsersatz unmaßgeblich? Das kann unter zwei Aspekten der Fall sein. Einmal deshalb, weil der Kläger seinen Fahrzeugschaden auf Gutachtenbasis (Wiederbeschaffungsaufwand) abgerechnet hat. Das könnte ihn an die Schätzung der Wiederbeschaffungsdauer durch seinen Gutachter binden. Immerhin ist dieser davon ausgegangen, dass ein „gleichwertiges“ Fahrzeug im Gebrauchtwagenhandel verfügbar ist. Zum anderen deshalb, weil zwischen dem Merkmal k„gleichwertig“ bei der Ersatzbeschaffung einerseits und beim Nutzungsersatz andererseits ein Gleichlauf bestehen könnte. M. a. W.: Was der Schädiger als Fahrzeugersatz nicht zu finanzieren braucht, geht auch beim Nutzungsersatz nicht zu seinen Lasten.

     

    Das OLG Nürnberg hält dem Kläger ein zu enges Verständnis des Kriteriums „gleichwertig“ vor. Jedenfalls bei Privatfahrzeugen, die für keine Sonderverwendungen vorgesehen seien, verbiete sich eine „kleinteilige Betrachtung“. Der Geschädigte können keine volle, nicht einmal eine nahezu volle Identität der Ausstattungsmerkmale verlangen.

    Zwingend ist die Gleichlaufthese nicht. Die Beschaffung eines Neufahrzeugs kann bei Beschädigung eines jungen Gebrauchten, für den es auf dem regionalen Markt keinen Ersatz gibt (was aufzuklären ist), ein wirtschaftlich vernünftiges Verhalten sein (so AG Haßfurt, 2.8.13, 2 C 165/13, NJW-RR 14, 466; s. auch LG Saarbrücken NJW-RR 17, 355; AG Bonn SVR 16, 389). Wichtig ist dabei auch die Dauer der tatsächlichen Beschaffung. Insoweit hat der Kläger im Nürnberger Fall eindeutig überzogen, sodass die Entscheidung jedenfalls im Ergebnis zutreffend ist.

     

    Ein ähnliches Problem stellt sich bei Beschädigung eines älteren Pkw, für den es im seriösen Gebrauchtwagenhandel keinen oder nur Ersatz in geringer Zahl gibt. Eine Ersatzbeschaffung auf dem Privatmarkt scheidet wegen Unzumutbarkeit aus (BGH NJW 82, 1864). Das haben Sachverständige oft nicht auf dem Schirm. Wenn auf dem maßgeblichen gewerblichen Markt nur höherwertige (jüngere) Fahrzeuge angeboten werden, ist eine Ersatzbeschaffung auf diesem Markt ohne Alternative. Die Dauer der Beschaffung richtet sich dann nach den Gegebenheiten auf diesem Markt. Den regionalen Markt zu verlassen, ist nicht in jedem Fall wirtschaftlich unvernünftig.