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  • 24.01.2008 | Unfallschadensregulierung

    Totalschadensabrechnung neuester Stand

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Einen Haftpflichtschaden auf Totalschadensbasis zu regulieren, ist für den Versicherer meist erheblich günstiger als eine Abrechnung nach den Reparaturkosten. An welchen der zahlreichen Stellschrauben Versicherer zu drehen pflegen, was rechtlich geht und was unzulässig ist, sollen die folgenden Checklisten deutlich machen.  

     

    I. Stellschraube eins: Die Grenzwerte

    Klarer Fall Nr. 1: Reparaturkosten unter Wiederbeschaffungsaufwand  

    Wenn die Reparaturkosten inkl. Minderwert unterhalb des Wiederbeschaffungsaufwands (= Wiederbeschaffungswert minus Restwert) liegen, kann in der Regel auf Reparaturkostenbasis abgerechnet werden. Ausnahmen: 1. „Unechte“ Totalschäden, d.h. Abrechnung auf Neuwagenbasis (aktuell LG Hagen zfs 07, 386). 2. Konstellationen, in denen Begleitkosten wie etwa ein deutlich höherer Nutzungsausfall bei der Instandsetzung (z.B. Ersatzteil aus Übersee) die Gewichte in Richtung Totalschadensabrechnung verschieben. 3. Fehleinschätzungen des Sachverständigen bzw. der Werkstatt, die infolge eines Verschuldens des Geschädigten ausnahmsweise zu seinen Lasten gehen.  

     

    Klarer Fall Nr. 2: Reparaturkosten über 130 % des Wiederbeschaffungswertes ohne fachgerechte Reparatur  

    Wenn die (voraussichtlichen) Reparaturkosten inkl. Minderwert oberhalb von 130 % des ungekürzten Wiederbeschaffungswerts liegen, wird jeder Versicherer auf Totalschadensbasis abrechnen. Kann der Geschädigte keine oder nur eine provisorische Instandsetzung („Teilreparatur“) nachweisen, hat er dem nichts entgegenzusetzen. Da Versicherern in Grenzfällen daran gelegen ist, den Reparaturaufwand über die 130 %-Marge zu heben, um in die Totalschadenszone zu kommen, sind Schadensschätzungen von Versicherungs-Sachverständigen mit Misstrauen zu begegnen. Möglichkeiten, ein Auto „totzurechnen“, gibt es viele, z.B. den Ansatz von – sonst verpönten – Nebenkosten wie UPE-Aufschläge, Verbringungs- und Entsorgungskosten. Auch der merkantile Minderwert zählt zur Manövriermasse.  

     

    Ungeklärter Fall: Reparaturkosten lt. Gutachten über 130 % und fachgerechte Reparatur mit tatsächlichen Kosten unter 130 %  

    Auch in jenen Fällen, in denen Geschädigte darauf verweisen, den effektiven Reparaturaufwand unter die 130 %-Grenze gedrückt zu haben (z.B. durch Vereinbarung eines Festpreises und/oder den Einsatz von Gebrauchtteilen), wird sich der Versicherer von einer Totalschadensabrechnung nicht abbringen lassen. Der BGH hat sich in dieser Frage zwar geschädigtenfreundlich positioniert (NJW 72, 1800). Es muss indes damit gerechnet werden, dass er die darauf gestützte Rspr. mancher Instanzgerichte (Nachweise in VA 04, 117 – Pkt. 5) nicht billigen wird (offengelassen im Urteil vom 10.7.07, VA 07, 175, Abruf-Nr. 072668).  

     

    Die kritischen Fälle: Reparaturkosten zwischen WBA und 130 % des WBW  

    Da in diesem Bereich, in dem um jeden Millimeter Boden zäh gerungen wird, der Überblick verloren zu gehen droht – bei 4 Definitionen des wirtschaftlichen Totalschadens kein Wunder –, gibt VA mit der Übersicht auf der Seite 28 eine Orientierungshilfe.  

     

    II. Stellschraube zwei: Der Wiederbeschaffungswert (WBW)

    Bei dieser früher wenig konfliktträchtigen Größe hat zum einen die Neufassung des § 249 BGB mit seiner Umsatzsteuerklausel für Streitstoff gesorgt, zum anderen der Umstand, dass Ersatzbeschaffungen von älteren Pkw beim „seriösen“ Gebrauchtwagenhandel seit In-Kraft-Treten der Schuldrechtsreform weitgehend unrealistisch sind. Von jeder Reform unberührt geblieben sind die vielfältigen Detailfragen bei der Ermittlung des WBW von Sonderfahrzeugen wie z.B. Taxis. Nach welchen Richtlinien ein Sachverständiger den WBW zu ermitteln hat, sagen die Leitsätze 9.1.1 ff. des Instituts für Sachverständigenwesen (IfS). Näheres zur Wiederbeschaffungswert-Ermittlung bei Pamer, Der Fahrzeugschaden, 2007, Rn 526 ff. Hauptstreitpunkt sind Umsatzsteuerfragen.  

     

    Die Umsatzsteuerproblematik im Schnellüberblick 

    1. Im Wege fiktiver Totalschadensabrechnung (= Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten) kann der Geschädigte grds. nur die Differenz zwischen dem Netto-WBW und dem Restwert ersetzt verlangen. Ob und ggf. wie bei fiktiver Abrechnung aus einem Brutto-WBW Umsatzsteuer herauszurechnen ist, beurteilt sich nach den Grundsätzen von BGH NJW 06, 2181. Beispiel: 8 Jahre alter Audi A 4 keine USt., da Privatmarktauto (KG NZV 07, 409). Näheres bei Pamer, a.a.O.

     

    2. Schafft sich der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug an, ist die dabei anfallende Umsatzsteuer zu erstatten (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB in der Deutung von BGH NJW 04, 1943). Argument: Auch die Beschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs ist Wiederherstellung. Zur Gleichwertigkeit s. LG Bonn SP 07, 258.

     

    3. Beim Erwerb eines regelbesteuerten Neufahrzeugs an Stelle eines (billigeren) gleichwertigen Gebrauchten kann der Geschädigte nicht nach Maßgabe des Netto-WBW plus USt. aus dem Neuwagenkauf abrechnen. Seine Forderung ist auf den (Brutto-)WBW lt. Gutachten beschränkt (BGH NJW 06, 285).

     

    4. Beim Erwerb eines Ersatzfahrzeugs – egal, auf welchem Markt (also auch von Privat) – zu einem Preis, der dem (Brutto-)WBW entspricht oder diesen übersteigt, können im Wege konkreter Schadenabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung (natürlich unter Abzug des Restwertes) bis zur Höhe des (Brutto-)WBW lt. Gutachten abgerechnet werden. Ob und in welcher Höhe in dem (Brutto-)WBW USt. enthalten ist, ist unerheblich (BGH NJW 05, 2220; NJW 06, 285). Vom BGH noch nicht entschieden ist die Variante: Aufwendungen für Deckungskauf unter WBW (dazu Pamer, a.a.O., Rn 624; Heinrich NJW 05, 2749).

     

    5. Praxisrelevante „Mischfälle“
    a) Reparatur mit Umsatzsteueranfall nach wirtschaftlichem Totalschaden: Zunächst hat der BGH entschieden, dass bei einer – an sich unwirtschaftlichen – Reparatur angefallene Umsatzsteuer erstattungsfähig ist (NJW 04, 1943). Später hat er sich für ein Verbot der Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung ausgesprochen (NJW 05, 1110). Nur bei einer Ersatzbeschaffung angefallene USt. soll erstattungsfähig sein. b) Erwirbt der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug von einem gewerblichen Verkäufer ohne Umsatzsteuerausweis, d.h. differenzbesteuert, kann er nicht den Regel-USt-Betrag lt. Schadensgutachten ersetzt verlangen (BGH NJW 04, 2086).
     

     

    III. Stellschraube drei: Der Restwert

    Mit dem Restwert, nach wie vor das Reizthema in Totalschadensfällen, können die Versicherer zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen können sie den Schadensfall mit seiner Hilfe weg vom teuren Reparaturkostenersatz hin zur günstigeren Totalschadensabrechnung steuern. Wichtig ist insoweit, ob der Geschädigte sein Unfallfahrzeug veräußert und damit den Restwert realisiert oder nicht (grundlegend BGH NJW 05, 2541; Einzelheiten in der Übersicht auf S. 28).  

     

    Der Restwert kann zum anderen dazu dienen, den Umfang der Totalschadensabrechnung zugunsten des Versicherers zu beeinflussen. Wozu er in dieser Funktion taugt, ist Gegenstand einer umfangreichen BGH-Judikatur. Die wichtigsten Ergebnisse in zehn Punkten:  

     

    1. Was der Geschädigte mit dem Unfallfahrzeug macht, ist grds. allein seine Sache (BGH NJW 92, 903). Auch insoweit ist er der Herr des Restitutionsgeschehens (BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785).

     

    2. Über einen beabsichtigten Verkauf muss er den gegnerischen Versicherer grds. nicht informieren (BGH VA 05, 186, Abruf-Nr. 052785).

     

    3. Das von ihm eingeholte Gutachten (mit Restwertschätzung) muss der Geschädigte dem Versicherer nicht zur Verfügung stellen, bevor er sein Fahrzeug veräußert (BGH NJW 93, 1849). Dementsprechend trifft ihn keine Pflicht zu warten, bis der Versicherer ein etwaiges höheres Restwertangebot vorlegt; auch dann nicht, wenn der Geschädigte, noch im Besitz seines Fahrzeugs, das Gutachten zur Abrechnung übersandt hat. Achtung! Die Instanzgerichte sind hier zum Teil strenger, z.B. OLG Köln VA 05, 135, Abruf-Nr. 051973; LG Erfurt zfs 07, 84 = NZV 07, 361; LG Duisburg 28.6.07, 12 S 159/06, Abruf-Nr. 072395. Pro Geschädigten: OLG Düsseldorf VersR 06, 1657. Rat: Kooperation, nicht Konfrontation.

     

    4. Im Fall einer Veräußerung/Inzahlunggabe ist der Geschädigte grds. auf der sicheren Seite, wenn er sein beschädigtes Fahrzeug zu einem Preis veräußert, den sein Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (zuletzt BGH VA 07, 175, Abruf-Nr. 072668). Erzielt er tatsächlich weniger, ist grds. der konkrete Erlös zugrunde zu legen, selbst bei einer (fiktiven) Abrechnung nach dem WBW lt. Gutachten (BGH VA 06, 149, Abruf-Nr. 062103). Der Versicherer kann einwenden, es hätte ein höherer Erlös auf dem regionalen Markt erzielt werden können (BGH a.a.O.). Die Beweislast liegt insoweit bei ihm.

     

    5. Der Geschädigte ist grds. nicht verpflichtet, einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Er kann im allg. auch nicht auf einen höheren Restwerterlös verwiesen werden, der auf einem solchen Markt erzielt werden könnte (zuletzt BGH VA 07, 175, Abruf-Nr. 072668).

     

    6. Aus den Grundsätzen zu 4) und 5) wird gefolgert: Der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige darf – selbst in Mitverschuldensfällen (!) /s– seiner Restwertermittlung nur Angebote aus dem allgemeinen regionalen Markt zugrunde legen, d.h. höhere Angebote aus Internet-Restwertbörsen sind tabu (sie seien aber zur Plausibilitätskontrolle heranzuziehen, so IfS-Leitsätze 9.2/Erläuterungen). Zum Restwertregress aktuell OLG Celle VA 06, 150, Abruf-Nr. 062361; OLG Köln DAR 04, 703; LG München II DAR 06, 460; LG Kaiserslautern zfs 06, 150.

     

    7. Wenn ein Geschädigter sein Fahrzeug außerhalb des allgemeinen regionalen Marktes an einen spezialisierten Restwertaufkäufer veräußert, muss er sich den höheren Erlös anrechnen lassen, sofern er ihn ohne besondere Anstrengungen erzielt hat (BGH VA 05, 40, Abruf-Nr. 050148).

     

    8. Weist der Schädiger/Versicherer dem Geschädigten eine ohne weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeit nach, kann der Geschädigte im Interesse der Geringhaltung des Schadens verpflichtet sein, davon Gebrauch zu machen (BGHZ 143, 189; BGH VA 07, 75, Abruf-Nr. 071214; BGH VA 07, 175, Abruf-Nr. 072668). Eine Verweisung auf spezialisierte Restwertaufkäufer ist nicht von vornherein ausgeschlossen (BGHZ 143, 189).

     

    9. Dem Geschädigten dürfen die vom Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden (zuletzt BGH VA 07, 175, Abruf-Nr. 072668). Dies wäre jedoch der Fall, so der BGH (VA 07, 75, Abruf-Nr. 071214), müsste er sich einen Restwert anrechnen lassen, der lediglich in einem engen Zeitraum auf einem Sondermarkt zu erzielen ist. Hinweis: Mit dem Zeitaspekt kann ein Geschädigter argumentieren, dem ein Versicherer – vor der Veräußerung – ein wesentlich höheres, jedoch befristetes Angebot übermittelt hat. Pro Versicherung: OLG Düsseldorf VA 07, 209, Abruf-Nr. 073447 (car tv).

     

    10. Benutzt der Geschädigte im Fall eines wirtschaftlichen Totalschadens sein Fahrzeug nach einer (Teil)-)Reparatur – ggf. auch unrepariert – weiter, so ist bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten (Netto-WBW minus Restwert) in der Regel der im Gutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert, nicht ein höherer Betrag aus einer Internet-Restwertbörse, in Abzug zu bringen (BGH VA 07, 75, Abruf-Nr. 071214; BGH VA 07, 175, Abruf-Nr. 072668). Bei Angabe einer Spanne, z.B. 300 bis 500 EUR, zählt der höhere Wert (BGH VA 07, 75, Abruf-Nr. 071214). Offen ist, wie lange die Weiterbenutzung dauern muss (dazu Ch. Huber, NJW 07, 1625).