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  • 25.10.2010 | Unfallschadensregulierung

    Kann sich Radfahrer durch Smart bedroht fühlen?

    Zur Bejahung der Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG genügt in einem Fall ohne Kollision, dass eine „Bedrohungssituation“ bestanden hat, die dem anderen Verkehrsteilnehmer (hier: Radfahrerin) Veranlassung zum Ausweichen gegeben hat (OLG Schleswig 15.4.10, 7 U 17/09, Abruf-Nr. 103257).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der Weg, auf dem die Kl. mit ihrem Rad in einer Gruppe von Radfahrern fuhr, war ca. 2,50 m breit. Aus einer Kurve kam ein Pkw Smart entgegen, ohne Außenspiegel 1,50 m breit. Tempo mind. 30 km/h. Die Kl. sah sich veranlasst, nach rechts auszuweichen, wobei sie - ohne jeglichen Kontakt mit dem Pkw - auf dem Grünstreifen zu Fall kam und sich mehrere Verletzungen zuzog. Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Der Sturz der Kl. sei nicht dem Betrieb des Pkw zuzurechnen.  

     

    Das OLG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Entgegen der Ansicht des LG sei der Sturz der Kl. durchaus „dem Betrieb“ des Pkw zuzurechnen (§ 7 Abs. 1 StVG). Voraussetzung dafür sei weder ein verkehrswidriges Verhalten des Fahrzeugführers noch eine Kollision mit dem Pkw. Eine von dessen Fahrweise herbeigeführte „Bedrohungssituation“ genüge als Zurechnungsgrund, wenn sie dem anderen Verkehrsteilnehmer berechtigterweise Veranlassung gegeben habe, dem Fahrzeug auszuweichen. Ein derartiges Geschehen hat der Senat nach ergänzender Anhörung der Parteien festgestellt. Es liege auf der Hand, dass ein Radfahrer angesichts eines ihm unter den gegebenen Umständen (schmale Straße, Kurve, Tempo mind. 30 km/h) entgegenkommenden Pkw das Herankommen als gefährlich empfinde und ausweiche. Selbst 30 km/h sei für den Smart zu schnell gewesen, zudem habe die Fahrerin nicht den Mindestabstand von einem Meter eingehalten, wobei ein Ausweichen auf den Grünstreifen zumutbar gewesen sei. Ein Mitverschulden der Kl. hat das OLG nicht festgestellt, Quote deshalb 100 : 0.  

     

    Praxishinweis

    Was für einen Unfallspezialsenat wie den 7. ZS „auf der Hand“ gelegen hat, blieb der nichtspezialisierten LG-Kammer ersichtlich verschlossen. Ein ebenso typisches wie beklagenswertes Phänomen. Die Zahl erstinstanz-licher Fehlentscheidungen zu § 7 Abs. 1 StVG („beim Betrieb“) ist Legion. Deshalb ist es zu begrüßen, dass der kommende Verkehrsgerichtstag sich dieses Grundlagenthemas annehmen wird. Gerade die sog. berührungslosen Unfälle stellen nichtspezialisierte Richter immer wieder vor Probleme. VA hat die Besonderheiten dieses Unfalltyps wiederholt thematisiert, so in dem Schwerpunktbeitrag VA 05, 156. Für die Fallgruppe „Unfälle im Begegnungsverkehr“ nachzutragen ist das Urteil des OLG Düsseldorf 25.2.08, I-1 U 137/07, Abruf-Nr. 103258. Die Konstellation war ähnlich wie im vorliegenden Fall: Auf einem ca. 3 m breiten Weg kam ein 2.55 m breiter Lkw einer Gruppe von Radfahrern entgegen. Radfahrer Nr. 1 bremst, ebenso die Hintermänner. Einer davon stürzt. Haftungsquote 1/3 : 2/3 pro Kl. Das Hauptproblem für Geschädigte ist, den (mit)ursächlichen Zusammenhang zwischen ihrer Abwehr-/Ausweichhandlung und der Fahrweise des Kfz. (auch seiner Größe und Breite) nachzuweisen. Auseinandersetzen müssen sie sich mit dem Einwand der „Überreaktion“ und der Ängstlichkeit. Auch körperliche Gebrechen werden mitunter als Ursache bemüht. Damit das Gericht die Reaktion des Mandanten besser nachvollziehen und würdigen kann, sollte eine Parteianhörung angeregt werden.