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  • 24.11.2008 | Unfallschadensregulierung

    Hat der Haftpflichtversicherer
    ein Recht auf Nachbesichtigung?

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    Wie auch VA-Leser berichten, stellen Versicherer in letzter Zeit Schadensgutachten, die ihnen nach einem Haftpflichtschaden vorgelegt werden, zunehmend in Frage. Sie verlangen, den Unfallwagen zur Nachbesichtigung durch einen eigenen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen und berufen sich in diesem Zusammenhang auf ein Recht zur eigenen Schadensfeststellung. Hier ein Überblick über die – unsichere – Rechtslage und die Risiken für Anspruchsteller, wenn sie die Forderung des Sachbearbeiters ignorieren.  

     

    I. Die Ausgangslage

    1. Recht des Geschädigten auf eigenen Sachverständigen: Zu den prinzipiell unangefochtenen Rechten eines Unfallgeschädigten gehört die Befugnis, einen Sachverständigen seiner Wahl mit der Besichtigung des Unfallfahrzeugs und der Schadensschätzung zu beauftragen. Von diesem „Grundrecht“ darf er sogleich nach dem Unfallereignis Gebrauch machen, ohne zuvor den gegnerischen Versicherer zu kontaktieren. Es besteht keine Wartepflicht, um dem Versicherer Gelegenheit zu geben, einen eigenen Sachverständigen einzuschalten oder eine Lösung ohne Gutachten zu realisieren.  

     

    2. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter: Der Werkvertrag zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen ist nach h.M. ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Versicherers (vgl. Ch. Huber, DAR 02, 393).  

     

    3. Kein Weisungsrecht des KH-Versicherers: Der Versicherer des Schädigers ist weder Partner noch Helfer des Geschädigten, erst recht nicht sein Vormund. Er hat kein Recht, irgendwelche Weisungen zu erteilen. Insoweit besteht ein fundamentaler Unterschied zur Kaskoversicherung (§ 7 AKB).  

     

    4. Besichtigung und Prüfung unter Ausschluss des Schädigers/Versicherers: Der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige ist nicht verpflichtet, die Gegenseite über den Besichtigungstermin zu informieren, um ihr Gelegenheit zur Teilnahme zu geben.  

     

    5. Keine Bindung: Das vom Geschädigten eingeholte Gutachten legt weder den Schaden noch den erforderlichen Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB) verbindlich fest. Einwendungen sind dem Versicherer jederzeit, nicht erst im Prozess, möglich.  

     

    6. Mögliche Rechtsgrundlagen für ein Recht auf Nachbesichtigung: Versicherer haben in der Vergangenheit die § 3 Nr. 7 PflVG, § 158d Abs. 3 VVG a.F. ins Feld geführt, um ihrem Verlangen nach Beteiligung bei der Schadensfeststellung Nachdruck zu verleihen. Nunmehr ist § 119 Abs. 3 VVG n.F. maßgebend. Er lautet:  

     

    „Der Versicherer kann von dem Dritten Auskunft verlangen, soweit sie zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Belege kann der Versicherer insoweit verlangen, als deren Beschaffung dem Dritten billigerweise zugemutet werden kann.“  

     

    Satz 1 des § 119 Abs. 3 VVG entspricht wörtlich § 158d Abs. 3 S. 1 VVG a.F., Satz 2 nur sinngemäß der Altregelung, woraus sich für die Auslegung jedoch kein Unterschied zu früher ergibt.  

    Zwischenergebnis: Das VVG 2008 hat die Position des Geschädigten in seiner Eigenschaft als Dritter weder verbessert noch verschlechtert; in puncto Nachbesichtigung ist alles beim alten geblieben.  

     

    Auf § 242 BGB können Versicherer ein Recht zur Nachbesichtigung nicht stützen. Zwar gilt der Grundsatz von Treu und Glauben auch bei einem gesetzlichen Schuldverhältnis. Als Spezialregelung hat § 119 Abs. 3 VVG n.F. jedoch Vorrang, sofern ein Verlangen eines KH-Versicherers zur Debatte steht. Ein Anspruch auf Nachbesichtigung folgt auch nicht aus der Schutzwirkung des Sachverständigenvertrags zugunsten des Versicherers. Sie begründet nicht einmal einen Anspruch auf Nachbesserung, sondern nur auf Schadenersatz.  

     

     

    II. Die Rechtsprechung
    1. Der BGH: Ob sich aus der Auskunftsobliegenheit des Geschädigten (= Dritter i.S.d. § 119 Abs. 3 VVG n.F.) die Verpflichtung herleiten lässt, dem Versicherer das Fahrzeug zum Zwecke eigener Feststellungen zur Verfügung zu stellen, ist in der Rechtsprechung umstritten. Der BGH hat zu dieser Frage noch nicht eindeutig Stellung bezogen.

     

    Seine Grundsatzentscheidung zur Abrechnung auf Gutachtenbasis vom 20.6.89 (NJW 89, 3009) spricht eher gegen als für ein außergerichtliches Beteiligungsrecht des Schädigers/Versicherers. Wenn nicht alles täuscht, lehnt der BGH selbst eine Pflicht zur Vorlage der Werkstattrechnung ab (im Prozess ist die Position des Versicherers wegen § 142 ZPO günstiger). Auch seine Sichtweise vom Geschädigten als dem „Herrn des Restitutionsgeschehens“ (NJW 00, 800) und sein Bekenntnis zu dessen Dispositionsfreiheit lassen vermuten, dass er für eine außergerichtliche Einflussnahme des Versicherers auf die Schadensermittlung in der Regel keinen Raum sehen wird, sofern der Geschädigte sich an der Aufklärung aktiv beteiligen muss und sei es auch nur durch eine kurzfristige Überlassung seines Autos.

     

    2. Die Instanzgerichte  

     

     

    Der Fall: Auf der Basis der Kalkulation eines freien (nicht allgemein vereidigten) Sachverständigen hat der Anwalt des Geschädigten den Schaden beziffert und um Regulierung innerhalb einer Woche gebeten. Nur wenige Tage danach hat der Versicherer geantwortet. Die Haftung wurde dem Grunde nach zu 100 Prozent anerkannt, aber verbunden mit der Bitte um Nachbesichtigung zur Klärung der Schadenshöhe. Der Anwalt des Geschädigten verweigerte eine Nachbesichtigung und erhob Klage. Das Gericht holte ein Gutachten zur Schadenshöhe ein. Die Kalkulation des Privatgutachters wurde voll bestätigt. Sogleich nach Zustellung des Gerichtsgutachtens erkannte der beklagte Versicherer den Klageanspruch unter Verwahrung gegen die Kosten an.

     

    Die Entscheidung: Das AG legte dem Kläger die gesamten Kosten auf (§ 93 ZPO), weil die Beklagte keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben habe. Der Kläger habe nach § 158d Abs. 3 VVG a.F. die gewünschte Nachbesichtigung ermöglichen müssen. Dass ein von ihm eingeholtes Gutachten bereits vorgelegen habe, ändere daran nichts. Die Beklagte habe die Notwendigkeit der Nachbesichtigung schlüssig damit begründet, sie könne anhand der vorliegenden Lichtbilder die Notwendigkeit der Erneuerung eines hinteren Kotflügels nicht nachvollziehen. Zudem sei eine Nachbesichtigung nicht mit unzumutbaren Belastungen für den Kläger verbunden gewesen. Unter diesen Umständen habe Klageveranlassung nur bestanden, wenn die Beklagte nach durchgeführter Nachbesichtigung nicht in angemessener Zeit reguliert hätte.

     

    • Pro Geschädigter: LG Kleve 29.12.98, 3 0 317/98, ZfS 99, 239.

     

    Der Fall: Der Kläger ließ den Schaden an seinem Fahrzeug von einem Sachverständigen schätzen. Sodann verkaufte er den Wagen zu dem vom Gutachter ermittelten Restwert und forderte am gleichen Tag die gegnerische Versicherung zur Regulierung auf Totalschadensbasis auf. Das wurde mit der Begründung abgelehnt, das eingereichte Gutachten sei wertlos und zum Schadensnachweis ungeeignet. Die Fotos seien aus einer solch ungünstigen Perspektive gemacht, dass kein Sachverständiger in der Lage sei, die Richtigkeit des Gutachtens zu überprüfen. Der Bitte um Nachbesichtigung habe der Kläger sich durch „faule Ausreden“ widersetzt, später nicht mehr reagiert.

     

    Die Entscheidung: Das LG hat den Anspruch des Klägers auf Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands voll anerkannt. Die Einwendungen gegen das Privatgutachten seien ungerechtfertigt, wenngleich die Fotos in der Tat aus einer recht ungünstigen Perspektive aufgenommen seien. Als Schätzgrundlage sei das Gutachten jedoch nicht völlig ungeeignet. Konkrete Richtigkeitsbedenken seien nicht vorgebracht. Die Einholung eines Gerichtsgutachtens komme nicht in Betracht, zumal das unreparierte Originalfahrzeug nicht mehr zur Verfügung stehe. Unter Hinweis auf LG München ZfS 91, 123 spricht das LG sich gegen ein Recht zur Nachbesichtigung aus. Selbst wenn man mit Blick auf die schlechten Fotos einen solchen Anspruch ausnahmsweise anerkennen wolle, hätte die Beklagte sich unverzüglich melden müssen. Als der Sachbearbeiter angerufen habe, sei der Wagen schon seit mehreren Tagen weiterverkauft gewesen und habe deshalb für eine Nachbesichtigung nicht mehr zur Verfügung gestanden.

     

     

    Der Fall: Die volle Haftung der Versicherung stand von Anfang an außer Streit. Lediglich die Schadenshöhe war infolge von Zweifeln der Beklagten an der Kompatibilität der Beschädigungen bis zur Beweisaufnahme durch das Gericht strittig. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung war über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

     

    Die Entscheidung: Das AG legt die Kosten den Beklagten auf und macht in diesem Zusammenhang grundsätzliche Ausführungen zum Recht des Schädigers/Versicherers auf Nachbesichtigung eines bereits auf Veranlassung des Geschädigten – durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen – begutachteten Fahrzeugs. Zur Vorstellung des Fahrzeugs zwecks Besichtigung durch einen „Haussachverständigen“ der Beklagten sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen. Etwas anderes folge nicht aus § 158d Abs. 3 VVG. Die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus zu lasten des Geschädigten auszulegen, bestehe kein Grund. Die Überlassung eines beschädigten Gegenstands zu Prüfungszwecken sei etwas grundsätzlich anderes als die Vorlegung von Belegen i.S.d. § 158d Abs. 3 VVG.