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  • 01.06.2005 | Unfallschadensregulierung

    Die Ansprüche von Fahrzeuginsassen bei Verkehrsunfällen

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Der Familienausflug findet ein jähes Ende an einer Leitplanke: Vaters Vectra ist demoliert, er selbst und Sohn Peter, beide nicht angeschnallt, sind schwer verletzt. Mutter am Steuer ist sich keiner Schuld bewusst. Sie verweist auf einen dunklen BMW, dessen Fahrer aber nicht ermittelt werden kann. Fälle dieser Art werfen vielfältige Probleme auf, vom Haftpflichtrecht über das Familienrecht bis hin zum Versicherungs- und Sozialrecht. Wir informieren Sie über die aktuelle Rechtslage und zeigen, worauf es ankommt.  

     

    I. Ansprüche gegen den Halter des „eigenen“ Fahrzeugs
    1. Gefährdungshaftung nach § 7 StVG: Bei Tötung oder Verletzung eines Insassen war der Halter nach dem bisherigen § 8a Abs.1 StVG nur im Fall der entgeltlichen, geschäftsmäßigen Personenbeförderung aus der Gefährdungshaftung (§ 7 StVG) ersatzpflichtig. Dieses Haftungsprivileg ist per 1.8.02 abgeschafft. Insassen sind jetzt sonstigen Geschädigten gleichgestellt.

     

    2. Ausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG: Wenn der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei dem Betrieb des Kfz oder des Anhängers tätig war, ist die Gefährdungshaftung ausgeschlossen. Dieser Ausschlussgrund gilt nicht nur für den Fahrer. In engen Grenzen kann er sich auch zu Lasten von Bei- und Mitfahrern auswirken (grundlegend BGH NJW 54, 393).

     

    3. Ausschluss der Halterhaftung nach § 7 Abs. 2 StVG: Seit dem 1.8.02 entfällt die Halterhaftung nur noch bei höherer Gewalt.

     

    4. Zurücktreten der Halterhaftung wegen Mitverschuldens des Insassen: In Ausnahmefällen kann Mitverschulden so schwer wiegen, dass die Betriebsgefahr nicht mehr ins Gewicht fällt (s. unten VI).

     

    5. Striktes Freizeichnungsverbot: Bei entgeltlicher, geschäftsmäßiger Personenbeförderung (dazu BGH NJW 81, 1842) ist es untersagt, die Halterhaftung für Personenschäden auszuschließen oder zu beschränken (§ 8a S. 1 StVG). Zur Haftung bei Bahn- und Busunfällen s. VA 03, 82 ff.

     

    6. Freizeichnungsmöglichkeiten: In allen Fällen, in denen die Personenbeförderung nicht geschäftsmäßig oder entgeltlich erfolgt, ist die Beschränkung der Gefährdungshaftung auch für Personenschäden grundsätzlich möglich. Für Sachschäden – hier ist § 8 Nr. 3 StVG zu beachten – besteht ohnehin kein zwingendes Freizeichnungsverbot. Individualvereinbarungen sind in den Grenzen des § 138 BGB zulässig, bei AGB findet eine Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB statt. In der Praxis geht es typischerweise um stillschweigende/konkludente Haftungsverzichte bei sog. Gefälligkeitsfahrten. Ob die nach altem Recht gewonnenen, stark einzelfallorientierten Auslegungsergebnisse (Übersicht bei Hirte/Heber, JuS 02, 241) für „Neufälle“ fortgelten, bleibt abzuwarten (eingehend hierzu Ch. Huber, Das neue Schadensersatzrecht, § 4 Rn. 157 ff.).

     

    7. Umfang der Haftung: Die Gefährdungshaftung nach § 7 StVG erstreckt sich in Fällen nach dem 31.7.02 auf Schmerzensgeld (§ 11 S. 2 StVG). Sie ist aber – anders als die Deliktshaftung – der Höhe nach begrenzt (§ 12 StVG mit Sonderklausel für die entgeltliche, geschäftsmäßige Beförderung).
     

     

    II. Ansprüche gegen den „eigenen“ Fahrer
    1. Fahrerhaftung nach § 18 StVG: Der Fahrer des Fahrzeugs, in dem der geschädigte Nur-Insasse mitgenommen wurde, haftet wegen vermuteten Verschuldens nach § 18 Abs. 1 StVG. Auch insoweit kommt es nicht mehr darauf an, ob die Beförderung entgeltlich und/oder geschäftsmäßig war. Zum Sonderfall des Insassen, der zugleich Halter/Eigentümer ist, s. IV,2.

     

    2. Entlastungsbeweis nach § 18 StVG: Dem Fahrer steht, wie auch sonst, der Entlastungsbeweis offen, d.h. er muss nachweisen, den Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht zu haben. Der Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses wird nicht verlangt, erst recht nicht das Vorliegen von höherer Gewalt. Auch wenn dem Fahrer hinsichtlich des Maßes an Sorgfalt eine gesetzliche Haftungserleichterung (§§ 708, 1359, 1664 BGB, § 4 LPartG) an sich zugute kommt, muss er die Vermutung einfacher Fahrlässigkeit widerlegen (vgl. Kunschert, NJW 03, 950, 951). Das gelingt nur selten.

     

    3. Parallelität zur Halterhaftung: Dadurch, dass § 18 Abs. 1 StVG auf die §§ 8bis 15 StVG verweist, stellt das Gesetz einen Gleichlauf in der Haftung her. Am wichtigsten ist die Bezugnahme auf § 11 S. 2 StVG (Schmerzensgeld).
     

     

    III. Deliktische Haftung von Halter und Fahrer

    Ein Verschulden des Fahrers, in „Altfällen“ privater Mitnahme das zentrale Thema, ist jetzt nur noch aus folgenden Gründen von Interesse:  

     

    • keine Haftungshöchstgrenze bei deliktischer Haftung,
    • grobes Verschulden kann schmerzensgelderhöhend wirken,
    • bei eigenem Mitverschulden (z.B. Verletzung der Anschnallpflicht) kann ein unfallursächliches Fahrerverschulden die Kürzung des Anspruchs (§ 254 Abs. 1 BGB) abmildern oder sogar verhindern.
     

     

    IV. Ansprüche gegen den KH-Versicherer
    1. Direktanspruch: Ebenso wie ein Außenstehender ist ein Fahrzeuginsasse Dritter i.S.d. § 3 Nr. 1 PflVG. Das heißt: Auch er kann den KH-Versicherer des Fahrzeugs, das ihn befördert hat, direkt in Anspruch nehmen. Bei Beteiligung eines anderen Kfz hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob man gegen den einen oder den anderen Schuldnerblock vorgeht. Bei schwersten Personenschäden kann sich eine zweispurige Inanspruchnahme empfehlen (Verdoppelung der Haftungshöchstgrenzen).

     

    2. Der verletzte Halter als Insasse: Wenn, wie im Eingangsfall, der Halter als Beifahrer/Mitfahrer mit seinem eigenen Auto verunglückt ist, muss differenziert werden:

     

    • Falls der Fahrer aus Delikt haftet, kann der Halter nicht nur ihn in Anspruch nehmen, sondern über § 3 Nr. 1 PflVG auch seinen eigenen KH-Versicherer, diesen allerdings nicht wegen Sach- und Vermögensschäden (§ 11 Nr. 2 AKB). Ersatz für seinen Fahrzeugschaden kann der Halter also bei einem Unfall ohne Fremdbeteiligung und ohne eigene Vollkasko nur von einem Fahrer verlangen, der erwiesenermaßen schuldhaft gehandelt hat.

     

    • Gelingt der Schuldnachweis nicht, geht der Halter leer aus. Denn die Fahrerhaftung aus § 18 StVG entfällt; damit auch die Haftung des eigenen KH-Versicherers (vgl. Lemcke, zfs 02, 318, 327). Schutz bietet eventuell eine Insassenunfallversicherung.
     

     

    V. Sonderfälle
    1. Ehegatte als Fahrer: Die Rechtslage hängt entscheidend vom Verschulden ab:

     

    • Verschuldet ein Ehegatte einen Unfall, bei dem der andere Ehegatte als Insasse verletzt oder sein Eigentum beschädigt wird, haftet er – und damit auch der KH-Versicherer – selbst bei leichter Fahrlässigkeit auf Schadensersatz ohne Rücksicht darauf, wer von den Eheleuten Halter des Fahrzeugs ist. Die Haftungsprivilegierung nach § 1359 BGB gilt nicht zugunsten des Fahrers (BGH NJW 70, 1271; 74, 2124). Zur Rechtslage nach der Reform des Schadensrechts s. Kunschert, NJW 03, 950.
    • Kann dem Ehegatten ein Fahrerverschulden nicht nachgewiesen werden, gilt Folgendes: Der geschädigte Ehepartner hat als Nur-Insasse Ersatzansprüche gegen Halter, Fahrer und Versicherer des ihn befördernden Autos. Ist er aber zugleich Fahrzeughalter, kommt ihm die StVG-Haftung nicht zugute (s. IV,2).

     

    2. Vater/Mutter als Fahrer: Das verletzte Kind muss sich ein Verschulden des Vaters bzw. der Mutter nicht zurechnen lassen. Auch die Betriebsgefahr des elterlichen Fahrzeugs rechtfertigt keine Anspruchskürzung. Ohne Eigenverschulden stehen dem Kind Ersatzansprüche gegen sämtliche Beteiligten, auch Dritte, in vollem Umfang zu. Im Fall eines elterlichen Verschuldens (Fahrfehler, unzureichende Sicherung bei Kleinkindern) besteht Regressgefahr, wobei jedoch das Angehörigenprivileg zu beachten ist (§§ 67 Abs. 2 VVG, 116 Abs. 6 SGB X).

     

    3. Fahrgemeinschaft: Zu unterscheiden sind Fahrgemeinschaften aus privatem Anlass (z.B. gemeinsame Urlaubsfahrt, dazu BGH NJW 79, 414) von solchen mit beruflichem Hintergrund (dazu BGH NJW 92, 498). Wenn z.B. zwei Arbeitskollegen auf der Fahrt zur Arbeit durch Verschulden des Fahrers verunglücken, waren sie beide gesetzlich unfallversichert (Wegeunfall). Da der Fahrer aber nicht betriebsbezogen gehandelt hat, sollen die Ansprüche des Verletzten schon nicht gesperrt sein (so Lemcke, ZAP F. 2 S. 216; s. aber auch Ch. Huber, a.a.O., § 4 Rn. 174). Bei Fahrgemeinschaften jeglicher Art stehen vertragliche (vor allem stillschweigende) Haftungsausschlüsse im Zentrum der Prüfung (auch dazu Ch. Huber, a.a.O., Rn. 157 ff.; s. auch Hirte/Heber, JuS 02, 241; Mädrich, NJW 82, 859).

     

    4. Wegeunfall/Arbeitsunfall: Wenn ein Fahrzeuginsasse auf einer Fahrt verunglückt, die im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit steht, muss sein Anwalt besonders vorsichtig sein:

     

    • Zunächst ist zu klären, in welcher Beziehung Fahrer und Beifahrer standen und welchem Zweck die Fahrt diente. In einer Vielzahl von Fällen besteht für Personenschäden sozialversicherungsrechtlicher Unfallversicherungsschutz mit der Folge, dass zivilrechtliche Ersatzansprüche gegen den Schädiger und KH-Versicherer entfallen und ersetzt werden durch Ansprüche gegen den Unfallversicherungsträger (sog. Haftungsersetzung nach §§ 104 ff. SGB VII). Konsequenz u.a.: Kein Anspruch auf Schmerzensgeld.

     

    • Weichenstellend ist die Unterscheidung zwischen einem bloßen „Wegeunfall“ und einem Unfall „auf dem Betriebsweg“. Im ersten Fall ist kein Raum für eine Haftungsprivilegierung des Schädigers, während sie im zweiten Fall besteht. Zur Abgrenzung s. BGH NJW 04, 949; weitere Hinweise bei Stöhr, VersR 04, 809, 815; s. auch Elsner, zfs 00, 475; Nehls, SVR 04, 409.

     

    • Die Privilegierung des Schädigers kann sich nach den Grundsätzen über den gestörten Gesamtschuldnerausgleich zum Nachteil des verletzten Insassen auswirken, wenn er außenstehende Unfallbeteiligte (Zweitschädiger) in Anspruch nimmt (vgl. BGH NJW 03, 2984; OLG Düsseldorf 7.3.05, I-1 U 170/04, Abruf-Nr. 051350).

     

    • Im Verhältnis Fahrer/Beifahrer scheidet ein Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 SGB VII („gemeinsame Betriebsstätte“) regelmäßig aus (OLG Stuttgart MDR 05, 336).
     

     

    VI. Typische Mithaftungsfälle
    1. Verletzung der Anschnallpflicht: Hier ist auf Folgendes zu achten:

     

    • Ein Insasse, der die Gurtanlegepflicht (§ 21a StVO) schuldhaft verletzt, muss sich i.d.R. ein Mitverschulden zurechnen lassen (§ 254 Abs.1 BGB, nicht Abs. 2). Dass der Gurt nicht oder nicht richtig angelegt war, hat der Schädiger zu beweisen. Bei bestimmten typischen Gruppen von Unfallverletzungen kann ein Anscheinsbeweis für das Nichtanschnallen bejaht werden (BGH NJW 91, 230).

     

    • Der Schädiger muss außerdem beweisen, dass bei angelegtem Gurt die Verletzungen nicht eingetreten oder doch glimpflicher ausgefallen wären. Unter bestimmten Voraussetzungen kommt ihm ein Anscheinsbeweis auch hier zugute (BGH NJW 80, 2125; LG Stuttgart NZV 04, 409).

     

    • Steht das Nichtanschnallen samt Kausalität fest, bleibt dem Geschädigten der Einwand, bei angelegtem Gurt gleich oder ähnlich schwer oder gar noch schwerer verletzt worden zu sein. Dafür trägt er die Beweislast.

     

    • Hinsichtlich der einzelnen Verletzungen, für die das Nichtanlegen des Gurtes zumindest mitursächlich ist, darf der Richter eine einheitliche Quote auswerfen (BGH NJW 80, 2125). Bei der Quotelung ist Folgendes zu beachten: Der Fahrer kann verpflichtet gewesen sein, für ein Anschnallen der Insassen zu sorgen, eine Pflicht, die jedenfalls gegenüber Kindern, älteren und hilflosen (auch betrunkenen) Mitfahrern besteht. Die Belastung nichtangeschnallter Insassen lag in Fällen vor dem 1.8.02 zumeist zwischen 20 und 50 Prozent, konnte bei schwerem Fahrerverschulden aber auch ganz entfallen (LG Stuttgart NZV 04, 409). Ob die reformbedingte Besserstellung von Insassen Einfluss auf die Quotenbildung hat, ist eine offene Frage, die noch zu klären sein wird.

     

    2. Fahrt mit einem alkoholisierten oder übermüdeten Fahrer: Auch zu dieser Fallgruppe liegt eine umfangreiche Kasuistik vor; s. den Praxishinweis in VA 05, 80, 81.

     

    3. Fahrt in einem verkehrsunsicheren Kfz: Unter dem Gesichtspunkt schuldhafter Selbstgefährdung kann auch das Mitfahren in einem erkennbar verkehrsunsicheren oder einem verkehrswidrig gesteuerten Fahrzeug eine Anspruchskürzung auslösen. Mithaftung wurde verneint: OLG Schleswig r + s 92, 160 (Überladung durch zu viele Personen); OLG Hamm NZV 00, 167 (BAB-Fahrt mit „Turbo-Gatten“); LG Stuttgart NZV 04, 409 (keine „Mäßigung“ eines innerorts rasenden Fahrers).

     

    4. Fahrt mit einem führerscheinlosen Fahrer:BGH NJW 61, 655 (Fahrer und Mitfahrer minderjährig); BGH VersR 85, 965 (Fahrer ca. 21 Jahre alt, Beifahrer ca. 16 Jahre; Fahrfehler; Mithaftung grundsätzlich unter 50 %); OLG Bamberg VersR 85, 786 (Fahrer ca. 18 Jahre alt, Beifahrer betrunken und nicht angeschnallt; Mithaftung 2/3); OLG Hamm VersR 87, 205 (1/4-Mithaftung wegen unterbliebener Vergewisserung; Fragepflicht also bejaht, was nur bei konkreten Verdachtsmomenten zutreffend ist).

     

    5. Störung des Fahrers durch Insassen: Auch bei massiver Ablenkung durch den Beifahrer trägt der Fahrer die überwiegende Verantwortung für einen darauf beruhenden Unfall (OLG Hamm NZV 95, 481; s. auch BGH NJW 74, 2124, 2126).
     

    Quelle: Ausgabe 06 / 2005 | Seite 98 | ID 90894