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  • 01.07.2006 | Unfallschadensregulierung

    Der Einwand des Mitverschuldens beim Erwerbsschadenersatz

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    „Der Kläger hat nicht im einzelnen vorgetragen, welche Anstrengungen er unternommen hat, um an eine Verdienstmöglichkeit zu gelangen.“ – so oder ähnlich heißt es in Urteilen, die Unfallopfern den Anspruch auf Erwerbsschadenersatz ganz oder teilweise versagen. Wenn nicht alles täuscht, verschärfen die Gerichte derzeit die Anforderungen an die Schadenminderungspflicht. Einen Überblick über die Grundlagen der Rechtsprechung und die aktuelle Spruchpraxis geben die folgenden Checklisten.  

     

    Checkliste „Basiswissen in 10 Punkten“
    1. Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Schadenminderungspflicht in einem Erwerbsschadensfall ist § 254 Abs. 2 BGB.

     

    2. Grundsatz Nr. 1: Zur Geringhaltung des Erwerbsschadens ist der Verletzte verpflichtet, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten (st. Rspr., BGH NJW 96, 652; 97, 3381; 98, 3706).

     

    3. Grundsatz Nr. 2: Je größer die drohende Einbuße, desto größer die Anstrengungen des Verletzten, wobei er sich nicht in jedem Fall so zu verhalten hat, als hätte er den Schaden selbst zu tragen (instruktiv zum Ganzen AnwK-BGB/Ch. Huber, §§ 842, 843, Rn. 55 ff.).

     

    4. Einzelpflichten: Je nach Einzelfall kommen folgende Aktivitäten in Betracht:
    • ärztliche Behandlungen, Operationen, Kur, Reha,
    • Erhalt des bisherigen Arbeitsplatzes (innerbetriebliche Umsetzung, leidensgerechter Arbeitsplatz, Schwerbehindertenschutz nach SGB IX und SchwbG, Widerspruch gegen Kündigung, Absehen von einvernehmlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses u.a.),
    • Meldung bei Behörden und ähnlichen Stellen (Arbeitsamt, Integrationsamt, Versicherungsamt),
    • Unterrichtung des KH-Versicherers,
    • Kooperation mit der Berufsgenossenschaft,
    • Berufswechsel/Umschulung/Wohnsitzwechsel,
    • bei Selbstständigen: betriebliche Umorganisation, Einstellung einer Ersatzkraft.

     

    5. Rechtsübergang/Legalzession: Der Einwand aus § 254 Abs. 2 BGB bleibt dem Schädiger grds. erhalten (BGH NJW 79, 2142). Selbst wenn ein unfallbedingt vorzeitig pensionierter Beamter seine Ruhestandsbezüge ungeschmälert ohne Rücksicht darauf erhält, ob er seine restliche Arbeitskraft verwertet hat oder nicht, kann der auf den Dienstherrn übergegangene Anspruch wegen Mitverschuldens des Beamten zu kürzen sein (BGH VersR 63, 337; NJW 67, 2053; VersR 83, 488). Näheres bei Heß, Hdb. d. Straßenverkehrsrechts, 6 D Rn. 50 ff.

     

    6. Rechtsfolge: Was der Geschädigte in Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheit verdient hätte, ist auf seinen Schaden anzurechnen. Die erzielbaren Einkünfte können pauschaliert werden (§ 287 ZPO). Zugunsten des Verletzten sind Aufwendungen abzusetzen, die (nur) bei der pflichtwidrig unterlassenen Tätigkeit angefallen wären (BGH NJW 98, 3706 – Pkw). Zur Anrechnung aus Anlass des Unfalls übernommener Haushaltstätigkeit s. BGH NJW 79, 1403. Im Mithaftungsfall (dem Grunde nach) ist erst der Endbetrag zu quotieren. Zur Anrechnung bei Legalzession s. OLG Frankfurt NZV 93, 471 (Beamter).

     

    7. Darlegungs- und Beweislast des Schädigers: Wie auch sonst trägt grds. der Schädiger für den Einwand des Mitverschuldens die Darlegungs- und Beweislast (st. Rspr., BGH NJW 79, 2142; 98, 3706). Das schließt den Beweis dafür ein, dass der Geschädigte trotz seiner unfallbedingten Beeinträchtigung konkrete und zumutbare anderweitige Verdienstmöglichkeiten hatte und diese schuldhaft nicht genutzt hat (grdl. BGH NJW 79, 2142). Die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt steht also zur Beweislast des Schädigers (BGH NJW 97, 3381; OLG Hamm zfs 98, 499). M.a.W.: Der Geschädigte muss nicht den Negativbeweis seiner Unvermittelbarkeit führen.

     

    8. Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten:
    a) Zunächst muss er den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und Erwerbsschaden nachweisen (§ 287 ZPO). Trotz völlig wiederhergestellter Arbeitsfähigkeit kann wegen ungünstiger Arbeitsmarktlage die haftungsausfüllende Kausalität (fort)bestehen (BGH VersR 91, 703). Erst recht gilt dies bei verminderter Erwerbsfähigkeit i.V.m. schwieriger Arbeitsmarktsituation (OLG Hamm 23.11.04, 9 U 203/03, Abruf-Nr. 061653).
    b) Darüber hinaus werden dem Verletzten im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht bestimmte Vortrags- und Beweisobliegenheiten aufgebürdet. Sobald er wieder arbeitsfähig oder teilarbeitsfähig ist, hat er den Schädiger darüber zu unterrichten, welche Arbeitsmöglichkeiten ihm zumutbar und durchführbar erscheinen, und was er bereits unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten (BGH NJW 79, 2142). Mit dieser Pflicht korrespondiert prozessual eine „ primär faktische Darlegungslast“ (BGH-Richter i.R. Lepa, DRiZ 94,161). Jedenfalls bei feststehender Vermittelbarkeit ist es Sache des Geschädigten, seine Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz darzulegen und auch zu dokumentieren (OLG Düsseldorf r+s 03, 37; OLG Hamm 23.11.04, 9 U 203/03, Abruf-Nr. 061653). Für in seiner Sphäre liegende Hindernisse an der Aufnahme einer zumutbaren Arbeit hat er gleichfalls die Darlegungslast (BGH NJW 98, 3706).
    c) Hat der Schädiger eine konkret zumutbare Arbeitsmöglichkeit nachgewiesen, ist es Sache des Geschädigten, darzulegen und zu beweisen, warum er diese Möglichkeit nicht hat nutzen können (BGH NJW 79, 2142).

     

    9. Beweismaß: Die Verletzung der Obliegenheit ist nach § 286 ZPO festzustellen (BGH VersR 86, 1208). In der Kausalitätsfrage, das bedeutet bei der Ermittlung, welchen Einfluss das Unterlassungsverschulden auf den Umfang des zu ersetzenden Schadens gehabt hat, geht es um die nach § 287 ZPO zu beurteilende haftungsausfüllende Kausalität (BGH VersR 86, 1208). Dafür, dass der Verletzte einen vorhandenen und zumutbaren Arbeitsplatz erhalten hätte, reicht eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit aus (zur richterlichen Beweiswürdigung siehe BGH NJW 84, 354; VersR 88, 466).

     

    10. Feststellungsurteil/Rechtskraft: Die Rechtskraft eines Feststellungsurteils steht auch der Berücksichtigung des Einwands aus § 254 Abs. 2 BGB entgegen, wenn die dafür maßgeblichen Tatsachen schon zur Zeit der letzten Tatsachenverhandlung vorgelegen haben (BGH VersR 88, 1139; s. auch BGH NJW-RR 05, 1517). Auch gegenüber einem Feststellungsbegehren muss also der Verstoß gegen § 254 Abs. 2 BGB rechtzeitig geltend gemacht werden (nicht nur ein Höheproblem).
     

     

    Fallgruppe „ärztliche Behandlung/Operation“
    1. Grundsatz: Der Verletzte muss sich in ärztliche Behandlung begeben und alles ihm Mögliche und Zumutbare daran setzen, seine vor dem Unfall vorhandene Arbeitsfähigkeit wiederzuerlangen (BGH VersR 61, 1125; 89, 635).

     

    2. Entlastungsgründe: Das Unterlassen einer Therapie kann dem Geschädigten evtl. nicht vorgeworfen werden, wenn er wegen seiner psychischen und intellektuellen Anlage die Notwendigkeit einer Behandlung nicht erkennen konnte (OLG Hamm VersR 97, 374). Entlastend können sich auch unterschiedliche Diagnosen und Behandlungsvorschläge bei einer Mehrheit von Ärzten auswirken.

     

    3. Sonderfall Operation: Sie muss einfach und gefahrlos sein, darf keine besonderen Schmerzen bereiten und sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bieten (BGH VersR 87, 408; NJW 94, 1592 – jew. Versteifung des Fußgelenks; OLG Düsseldorf VersR 75, 1031 – Versteifung des Ellenbogengelenks). Nicht alles, was ärztlicherseits angeraten wird, braucht der Geschädigte hinzunehmen (BGH NJW 94, 1592). Die Zumutbarkeitsanforderungen für eine Operation sind hoch und vom Schädiger praktisch kaum zu beweisen (s. auch BGH VersR 89, 701 – Nachoperation; OLG Düsseldorf r+s 03, 37).