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  • 01.08.2007 | Unfallschadensregulierung

    Abrechnung fiktiver Reparaturkosten: Stundenverrechnungssätze, UPE-Aufschläge und Verbringungskosten

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Nach einer aktuellen DEKRA-Befragung von Unfallgeschädigten (KH und Kasko!) ließen 35 % ihr Fahrzeug in einer Markenwerkstatt reparieren, 42 % in einer sonstigen Werkstatt. Ca. 20 % reparierten selbst. Mit der Mehrzahl der Autofahrer (52 %) rechneten die Versicherungen fiktiv ab. Was dabei herauskommt ist für die einen eine „rechtswidrige Kürzungswelle“ oder „militante Schadensminimierung“, für andere Schadenmanagement im Allgemeininteresse. Im Anschluss an den Beitrag in VA 1/06, S. 6 ff., werden unter Auswertung der neuesten Rechtsprechung die Argumente Pro und Contra dargestellt.  

     

    I. Die Stundenverrechnungssätze

    1. Die Ausgangslage  

    Ein Sachverständiger, der nach einem Haftpflichtschaden von einem reparaturwilligen Geschädigten beauftragt wird, kalkuliert die Reparaturkosten i.d.R. per EDV auf der Basis der Stundensätze der Werkstatt, in der repariert werden soll. Soll nicht repariert werden, „so kommen je nach rechtlicher Bewertung und konkreter Situation die Stundensätze einer Markenwerkstatt oder eines gleichwertigen Fachbetriebs zum Ansatz“ (Leitsatz 5.1.2 des Instituts für das Sachverständigenwesen (IfS). So oder so: Freie Werkstätten sind – speziell bei den Lohnkosten – signifikant billiger als markengebundene Werkstätten (Vertragshändler, Werksniederlassungen). Auf vielfältige Weise versuchen die KH-Versicherer, diesen Preisunterschied zu nutzen. Mit Hilfe elektronischer Prüfberichte (z.B. „Check-it“) und/oder mit mehr oder weniger konkreten Hinweisen auf „Billigangebote“, nicht nur, aber vor allem von freien Werkstätten, werden die Gutachtensätze gekürzt.  

     

    2. Die Rechtslage: Was ist klar, was unklar?  

    Der BGH hat am 29.4.03 (Porsche-Urteil) entschieden: Auch bei fiktiver Abrechnung dürfen die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde gelegt werden. Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region ist nicht maßgeblich (VA 03, 79, 96, Abruf-Nr. 031071 = NJW 03, 2086).  

     

    Wie sich der Geschädigte zu verhalten hat, wenn die Versicherung ihm bzw. seinem Anwalt eine angeblich günstigere Reparaturmöglichkeit aufzeigt, und welche schadensrechtlichen Konsequenzen ein Ignorieren im Fall fiktiver Abrechnung hat (bei konkreter Abrechnung gilt grds. die Rechnung), dieses Problem ist höchstrichterlich nicht geklärt. Die Instanzgerichte urteilen bekanntlich sehr uneinheitlich. Der Hauptgrund liegt in der unterschiedlichen Deutung des folgenden BGH-Satzes: „Zwar kann dem Berufungsgericht vom Ansatz her in der Auffassung beigetreten werden, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne Weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auf diese verweisen lassen muss...“  

     

    Dieser Satz – umstritten wie kein zweiter – bedeutet zunächst: Der Geschädigte muss eine Reparaturalternative tatsächlich haben, nicht nur haben können. Von sich aus muss er weder Preisangebote einholen noch anderweitig den Reparaturmarkt nach Alternativen erkunden. Grundsätzlich darf er sich auf die Kostenkalkulation des von ihm eingeschalteten Sachverständigen verlassen und sie zur Grundlage seiner Abrechnung machen. Andererseits: Der Versicherer kann den fiktiv abrechnenden Geschädigten durchaus auf eine andere Werkstatt verweisen. Hätte es im Porsche-Fall in der Region eine andere Porsche-Vertragswerkstatt mit niedrigeren Verrechnungssätzen gegeben, die der Versicherer der Klägerin aufgezeigt hätte, wäre die fiktive Abrechnung hierauf beschränkt gewesen (so der BGH-Richter Wolfgang Wellner, Homburger Tage 2003, S. 15). Das bloße Vorhandensein mehrerer markengebundener Werkstätten am Ort mit unterschiedlichen Preisen rechtfertigt es allein nicht, dem Geschädigten nur den niedrigsten oder einen mittleren Betrag zu erstatten. Er muss den günstigeren Preis auch kennen und zu ihm auf zumutbare Weise Zugang haben. Das wahre Problem ist: Kommt auch eine nicht markengebundene, freie Werkstatt als gleichwertige Alternative in Betracht? Genau das bleibt im Porsche-Urteil offen.  

     

    3. Argumentationsmöglichkeiten in der Gleichwertigkeitsfrage  

    Gleichwertigkeit setzt entgegen verbreiteter Deutung keine Markenbindung voraus (so auch indirekt Wellner a.a.O.). M.a.W.: Eine freie Werkstatt ist nicht von vornherein disqualifiziert. Einer solchen Schwarz-Weiß-Lösung vorzuziehen ist eine am Wirtschaftlichkeitsgebot und der Schadenminderungspflicht, weniger an der Dispositionsfreiheit, ausgerichtete Bewertung mit Darlegungs- und Beweislast für die Schädigerseite. Folgende Gesichtspunkte sind schadensrechtlich von Bedeutung:  

     

    a) Die Werkstatt mit den deutlich günstigeren Stundenlöhnen (nur unwesentliche Preisunterschiede sind irrelevant) muss fachlich gleichwertig sein, also Markenwerkstatt-Niveau erreichen. Messlatte ist die Kompetenz für die Unfallinstandsetzung, nicht für eine Motorreparatur. Zu unterscheiden ist zwischen reinen Blechschäden und sog. Strukturschäden (dazu Nugel, zfs 07, 248). Erster Anhalt: merkantiler Minderwert ja/nein. Angesichts des Rundum-Einsatzes von Elektronikteilen ist häufig nicht nur der Karosseriebauer/Lackierer gefragt. Art und Umfang der Beschädigungen können daher einer Verweisung auf eine markenfremde Werkstatt entgegenstehen (z.B. beim Austausch von Elektronikkomponenten oder von Sicherheitsteilen wie Airbag). Noch verfügen freie Werkstätten nicht über sämtliche Reparatur-Infos der Hersteller (anders schon heute z.B. DaimlerChrysler). Die Zeit arbeitet aber für die Freien (Euro-Fünf-VO).

     

    b) Durch die Instandsetzung in der Alternativwerkstatt dürfen Garantieansprüche des Geschädigten weder rechtlich noch beweismäßig auch nur gefährdet sein (zu diesem Gesichtspunkt BGH NJW 82, 433 – unechter TS). Dieser Aspekt spielt besonders bei jüngeren Fahrzeugen im Erstbesitz eine Rolle. Eine feste Alters- bzw. Km-Grenze lässt sich nicht ziehen; die Garantiedichte ist von Fabrikat zu Fabrikat verschieden. Gleichwertigkeit kann im Einzelfall auch mit dem Argument in Frage gestellt werden, eine Reparatur in einer freien Werkstatt begründe beim Weiterverkauf eine Offenbarungspflicht. Eng damit verbunden ist der Gesichtspunkt merkantiler Minderwert. Schließlich: Wer mit seinem Auto in einer freien Werkstatt war, kann später beim Vertragshändler Probleme in Kulanzfragen haben. All diese Argumente sind bei Pkw über 5 Jahre entweder schwach oder untauglich.

     

    c) Die Alternativwerkstatt muss nicht nur objektiv gleichwertig sein und die Instandsetzung ohne nennenswerte Nachteile für den Geschädigten bewerkstelligen können. Ein Stück weit geht es auch um „gefühlte“ Gleichwertigkeit (Stichworte: subjektbezogene Schadensbetrachtung, Zumutbarkeit). Nach heutiger Verkehrsanschauung gelten Unfallinstandsetzungen in freien Werkstätten nicht durchweg als minderwertig. In Zahlen: Für 74 % der Halter von Fahrzeugen unter 4 Jahren ist die Vertragswerkstatt die richtige Adresse, bei mind. 8 Jahre alten sind es nur noch 36 %. 54 % der wenigstens 8 Jahre alten Pkw werden nach einem Unfall in einer markenfremden Werkstatt repariert (DAT Report 2007, 39). Wie aber erfährt der Geschädigte, dass die ihm genannte Werkstatt wirklich gleichwertig ist? Bezeichnungen wie „Meisterbetrieb“ oder „Fachwerkstatt mit Garantie“ in Versicherungsschreiben sind nicht unbedingt vertrauensbildend. Eigene Nachforschungen gelten als nicht zielführend, auch als unzumutbar (LG Köln 31.5.06, 13 S 4/06, Abruf-Nr. 072177).

     

    4. Instanzgerichtliche Entscheidungen zur Gleichwertigkeit  

    Die Oberlandesgerichte melden nahezu Fehlanzeige. Entscheidungen aus der Zeit vor dem Porsche-Urteil sind überholt (insbes. OLG Hamm DAR 96, 400). Die Judikatur der Amts- und Landgerichte ist höchst uneinheitlich. Von vorrangigem Interesse sind Urteile von Berufungskammern (die mehr als 100 AG-Entscheidungen, überwiegend geschädigtenfreundlich, auch nur teilweise aufzulisten, fehlt der Platz; zahlreiche Nachweise bei Nugel, zfs 07, 248, und SCHWACKE, Schadenrecht I/2007, S. 16 ff.).  

     

    Verweisung abgelehnt (keine Gleichwertigkeit oder andere Gründe):  

    LG Bielefeld (31.8.05, 21 S 110/05, Abruf-Nr. 072175); LG Bochum (9.9.05, 5 S 79/05, VA 05, 204, Abruf-Nr. 053168; 30.9.05, 10 S 29/05); LG Essen (27.5.05, 13 S 115/05, Abruf-Nr. 072176); LG Köln (31.5.06, 13 S 4/06, Abruf-Nr. 072177); LG Mainz (14.2.07, 3 S 133/06, Abruf-Nr. 072179); LG Münster (27.7.06, 8 S 44/06, Abruf-Nr. 072180); LG Ravensburg (15.12.05, 4 S 21/05, Abruf-Nr. 072181).  

     

    Verweisung anerkannt:  

    LG Berlin (21.6.06, 58 S 75/06, VA 06, 151, Abruf-Nr. 062362). Hiernach ist auch eine freie Werkstatt, sofern ein Kfz-Meisterbetrieb, eine gleichwertige Alternative. Pro Versicherung auch LG Heidelberg SP 06, 248.  

     

    5. Die Frage der Zugänglichkeit  

    Sofern die Alternativwerkstatt nachprüfbar fachlich gleichwertig ist: Die Alternativwerkstatt muss für den Geschädigten auch „mühelos ohne weiteres zugänglich“ sein. Zu dieser facettenreichen Thematik, bekannt aus der Restwert- und Mietwagendiskussion, gibt es gleichfalls eine Vielzahl kontroverser Entscheidungen, auch zu Fällen mit Benennung billigerer Markenwerkstätten. Zunächst setzt „mühelose Zugänglichkeit“ voraus, dass dem Geschädigten ein konkretes, auch im Preis (!) verbindliches Angebot präsentiert wird. Direkt von der Werkstatt muss es nicht stammen, der Versicherer kann Bote/Vermittler sein. Ungenügend ist die Vorlage eines Prüfberichts, selbst in Verbindung mit einem Hinweis auf eine billigere Reparaturmöglichkeit, wenn die erforderliche Konkretisierung fehlt (LG Bielefeld 31.8.05, 21 S 110/05, Abruf-Nr. 072175; LG Essen 27.5.05, 13 S 115/05, Abruf-Nr. 072176; AG Pforzheim 9.2.07, 8 C 237/06, Abruf-Nr. 071675).  

     

    Mit Blick auf Raum und Zeit haben die Gerichte, kein Wunder, sehr unterschiedliche Zumutbarkeitsvorstellungen. Dem LG Berlin (SP 07, 71) sind 3 km nahe genug, um mühelose Zugänglichkeit zu bejahen. Das AG Düsseldorf (SP 07, 71) hält 25 km für zumutbar. Anders AG Pforzheim (9.2.07, 8 C 237/06, Abruf-Nr. 071675 – 16,3 km). Ein kostenloser Hol- und Bringservice kann der Versicherung helfen (AG Karlsruhe SP 07, 72).  

     

    6. Die Frage des Zeitpunkts  

    Anders als bei der Inanspruchnahme eines Mietwagens oder der Veräußerung des Unfallwracks trifft der Geschädigte in den Fällen fiktiver Abrechnung von Reparaturkosten häufig keine Disposition, die seinen Schutz in zeitlicher Hinsicht erfordert. Entweder verzichtet er völlig auf eine Instandsetzung oder er begnügt sich mit einer Eigenreparatur, ggf. mit Zukauf von Ersatzteilen, oder er lässt in einer Fremdwerkstatt „billig“ reparieren. Vor diesem Hintergrund kann er dem Versicherer kaum entgegenhalten, das Alternativangebot sei nicht rechtzeitig mitgeteilt worden. Wenn der Geschädigte, wie im Porsche-Fall, den reparaturwürdigen Wagen unrepariert veräußert, kann er zwar (in Grenzen) auf Reparaturkostenbasis fiktiv abrechnen. Die Reparaturkostenkalkulation „seines“ Gutachters ist bei Inzahlunggabe eines nicht restbewerteten Kfz auch nicht belanglos. Vertauensschutz in der Lohnkostenfrage ist indes bei einem endgültigen Reparaturverzicht nicht angebracht.  

     

    7. Darlegungs- und Beweislast  

    Grundsätzlich hat der Geschädigte darzulegen und ggf. nachzuweisen, dass die geltend gemachten Reparaturkosten den erforderlichen Reparaturaufwand ausmachen. Dazu genügt i.d.R. ein ordnungsgemäßes Gutachten eines Sachverständigen. Allein das Alter des Fahrzeugs begründet keine weitere Darlegungslast des Geschädigten (BGH VA 03, 79, 96, Abruf-Nr. 031071 = NJW 03, 2086). Er ist auch nicht verpflichtet, zum „Vorleben“ des Pkw in wartungstechnischer Hinsicht vorzutragen (BGH a.a.O.). Da etliche Gerichte das anders sehen, kann sich ergänzender Vortrag (evtl. mit Wartungsnachweisen) empfehlen. Wichtig ist: Die Tatsachen, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der gutachtenbasierten Abrechnung ergibt, hat der Schädiger darzutun und zu beweisen (BGH a.a.O.; Wellner a.a.O.). M.a.W.: Die Tatsachen, die die Gleichwertigkeit und die mühelose Zugänglichkeit begründen, fallen unter die Darlegungs- und Beweislast des Schädigers (insoweit Unterschied zu den Mietwagenkosten).  

     

     

    II. UPE-Aufschläge und Verbringungskosten

     

    Auch in diesen beiden Dauerstreitpunkten schweigt das Porsche-Urteil (VA 03, 79, 96, Abruf-Nr. 031071 = NJW 03, 2086). Auf seiner Linie liegt es jedoch, UPE-Aufschläge (Ersatzteilaufschläge) und Verbringungskosten (Transport zur Lackiererei und zurück) auch bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis grundsätzlich anzuerkennen, wenn und soweit diese Positionen im Schadensgutachten ausgewiesen sind. Gleiches gilt für Richtwinkelsatz- und Entsorgungskosten. Allerdings können die Versicherer in beeindruckend großer Zahl Urteile auflisten, die ihren Sparkurs stützen, vor allem AG-Entscheidungen.  

     

    Die ohnehin nicht sehr zahlreich vertretenen OLG-Urteile (z.B. OLG Düsseldorf NZV 02, 87) sind infolge der Porsche-Entscheidung mehr oder weniger überholt, auch wenn diese nicht punktgenau einschlägig ist. Gleichfalls ohne großen Nutzen sind sämtliche LG- und AG-Entscheidungen aus der Zeit vor 4/03. Aktuell zu den Positionen „Verbringungskosten/UPE-Aufschläge“:  

     

    Pro Geschädigte:  

    LG Aachen (7.4.05, 6 S 200/04, VA 05, 97, Abruf-Nr. 051354); LG Köln (31.5.06, 13 S 4/06, Abruf-Nr. 072177); LG Saarbrücken (25.9.03, 2 S 219/02, Abruf-Nr. 072178)  

     

    Pro Versicherung:  

    LG Bielefeld (31.8.05, 21 S 110/05, Abruf-Nr. 072175); AG Düsseldorf SP 07, 71; AG Hanau SP 07, 72; AG Mannheim zfs 07, 86  

     

    Schadensrechtlich kommt es bei fiktiver Abrechnung darauf an, ob in den markengebundenen Werkstätten der Region Verbringungskosten und UPE-Aufschläge berechnet werden. Sachverständige wissen das und können, sofern nicht schon im Gutachten geschehen, entsprechend Auskunft geben. Im Prozess sollte der Anfall bzw. Nichtanfall dieser Kosten unter Sachverständigenbeweis gestellt werden.