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  • 01.09.2006 | Schuldrechtsreform

    Beweislastumkehr neuester Stand

    von VRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf

    Keine andere Vorschrift des reformierten Kaufrechts macht der Praxis so große Schwierigkeiten wie § 476 BGB mit seiner Beweislastumkehr. Beispiel OLG Stuttgart: drei Senate, drei Meinungen. Vom BGH liegen inzwischen sechs Entscheidungen vor, davon vier zum Gebrauchtwagenkauf. Welche Konsequenzen sich daraus für die anwaltliche Praxis ergeben, zeigt der folgende Beitrag.  

     

    Checkliste „Basiswissen in zehn Punkten“
    1. Beweisrechtliche Normallage: Vor Übernahme des Fahrzeugs durch den Käufer hat der Verkäufer die Mangelfreiheit zu beweisen. Nach Übernahme trifft den Käufer auch nach neuem Kaufrecht die Darlegungs- und Beweislast für die einen Sachmangel begründenden Tatsachen, insbesondere auch dafür, dass der Mangel schon im Zeitpunkt des Gefahrübergangs (Übergabe) vorhanden war (BGH NJW 04, 2299).

     

    2. Neuregelung für den Verbrauchsgüterkauf: In Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 EU-Kaufrechtsrichtlinie hat der Gesetzgeber mit § 476 BGB eine Beweisvermutung mit Beweislastumkehr eingeführt.

     

    3. Anwendungsbereich: Anwendbar ist § 476 BGB nur in Fällen der Sachmängelhaftung beim Verbrauchsgüterkauf aus der Zeit ab 1.1.02. Zum Begriff „Unternehmer“ aktuell BGH NJW 06, 2250. Zum Verbraucher, der sich als Unternehmer aufspielt, siehe BGH NJW 05, 1045. Die Beweislast für die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verbrauchsgüterkaufs trägt der Käufer (allg. M.).

     

    4. Keine generelle Ausnahme für gebrauchte Sachen: Für den BGH stand von Anfang an außer Frage, dass § 476 BGB nicht auf den Verkauf neuer bzw. neuwertiger Sachen beschränkt ist. Gebrauchte Sachen sind nur für den Fall der öffentlichen Versteigerung mit persönlicher Teilnahme des Verbrauchers ausgenommen (§ 474 Abs. 1 S. 2 BGB). Es gilt die Legaldefinition des § 383 Abs. 3 S. 1 BGB (BGH NJW 06, 613).

     

    5. Normstruktur und Reichweite:§ 476 BGB enthält keine Vermutung für die Existenz eines Sachmangels. Dafür, dass ein Sachmangel überhaupt vorliegt, trägt auch ein Verbraucher die volle Darlegungs- und Beweislast („Ob-Beweis“). Das Auftreten eines Sachmangels innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 476 BGB begründet eine – lediglich in zeitlicher Hinsicht wirkende – Vermutung, dass dieser Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag („Wann-Vermutung“), so BGH NJW 04, 2299. Merke: § 476 BGB enthält keine Mangelvermutung, auch keine Ursachenvermutung, sondern nur eine Zeitpunkt-Vermutung („Rückwirkungsvermutung“).

     

    6. Die Sechsmonatsfrist: Die Beweisvermutung greift nur für einen Sachmangel ein, der sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang (Übergabe) gezeigt hat. Dass der Käufer ihn bei einer eingehenden Untersuchung schon bei Übergabe hätte entdecken können, ist unschädlich (BGH NJW 05, 3490). Das Offenbarwerden eines einzelnen Symptoms des Mangels kann genügen. Die Beweislast für ein fristgerechtes Sichzeigen hat der Verbraucher. Nach Ablauf der Frist gilt wieder die beweisrechtliche Normallage (oben Pkt. 1).

     

    7. Zwei Ausschlusstatbestände: Die Vermutung greift nicht ein, wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist (§ 476 Hs. 2 BGB). Gebrauchte Kfz, selbst ältere mit hoher Laufleistung, können mithilfe des Kriteriums „Art der Sache“ nicht generell aus § 476 BGB herausgenommen werden. Für das Verständnis des alternativen Ausschlussgrundes „Art des Mangels“ ist BGH NJW 05, 3490, grundlegend (Näheres s. Pkt. 8). Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestandes trägt der Verkäufer (h.M.).

     

    8. Ausschlusstatbestand „Art des Mangels“: Die Vermutung, dass ein Sachmangel bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat, ist nicht schon dann mit der Art des Mangels unvereinbar, wenn der Mangel typischerweise jederzeit auftreten kann und deshalb keinen hinreichend sicheren Rückschluss darauf zulässt, dass er schon bei Gefahrübergang vorhanden war (BGH NJW 05, 3490). Folglich kann die Vermutung auch für äußere Beschädigungen eingreifen wie z.B. Karosserieschäden (BGH NJW 05, 3490 – Verformungen Vorderwagen; BGH NJW 06, 1195 – Rahmenlängsträger) oder Schaden am Katalysator (BGH NJW 06, 1195). Mit der Art des Mangels unvereinbar ist die Beweisvermutung jedoch, wenn es sich um äußerliche Beschädigungen handelt, die auch dem fachlich nicht versierten Käufer bei Übernahme auffallen müssen (BGH NJW 05, 3490; NJW 06, 1195).

     

    9. Widerlegung der Beweisvermutung: Greift die Vermutung ein, obliegt dem Verkäufer der Beweis des Gegenteils (§ 292 ZPO), BGH NJW 06, 434; 06, 2250. Hierfür ist eine Erschütterung nicht ausreichend (BGH NJW 06, 2250). Erforderlich ist vielmehr der volle Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsache. M.a.W.: Der Verkäufer muss Mangelfreiheit bei Übergabe beweisen. Beweismittel beim Gebrauchtwagenkauf: Übergabeprotokoll bzw. Zustandsbericht, Zeugnis des Prüfingenieurs/Werkstattmitarbeiters, SV-Gutachten.

     

    10. Beweisvereitelung: Den Beweis des Gegenteils kann der Käufer dadurch fahrlässig vereiteln, dass er ein angeblich mangelhaftes Teil durch eine Werkstatt austauschen lässt, ohne dafür zu sorgen, dass es aufbewahrt wird (BGH NJW 06, 434 – Turbolader). Als Folge der Beweisvereitelung kommen Beweiserleichterungen in Betracht, die bis zur Umkehr der Beweislast gehen können (BGH a.a.O.). Achtung! Regressgefahr für den Anwalt des Käufers, der selbst instandsetzen lässt. Ob den Käufer im Fall der Reparatur ohne Teiletausch die Obliegenheit trifft, den Zustand vor der Instandsetzung zu dokumentieren, notfalls gar ein Beweissicherungsgutachten einzuholen, ist noch nicht entschieden, m.E. aber abzulehnen.
     

    II. Problemfall „Schadenanlage“
    1. Erscheinungsform und praktische Bedeutung: In den beweisrechtlich besonders heiklen Fällen der – häufig multifaktoriellen – Entwicklungsschäden (z.B. Motor- und Getriebeausfälle) kann dem Käufer – auch ohne Rückgriff auf § 476 BGB – der Nachweis gelingen, dass sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe bereits in einem vertragswidrigen Zustand befunden hat. Typisch für diese Fallgruppe ist die Tatsache, dass das Fahrzeug bei Übergabe funktionierte und erst einige Zeit später der Motor oder das Getriebe ausfällt. Dieser „Endschaden“ scheidet als Sachmangel von vornherein aus, weil er ja bei Übergabe noch nicht vorhanden war. Ins Visier des § 434 BGB gerät die Ursache des Endresultats. Denn in Form einer vertragswidrigen Beschaffenheit kann sie für sich genommen einen Sachmangel darstellen (BGH NJW 04, 2299; NJW 06, 2250). Gefragt werden muss aber auch, ob der „Endschaden“ bei Übergabe bereits angelegt, „im Keim“ also schon vorhanden war.

     

    2. Beispiel: K. kaufte am 6.3.03 von V. einen Opel Vectra, vier Jahre alt und 80.146 km gelaufen. Am 20.7.03 erlitt der Wagen bei ca. 88.000 km einen Kolbenfresser. Festgestellt werden konnte, dass der Motor genügend Öl und auch Kühlmittel hatte. Bedienungsfehler standen nicht ernsthaft im Raum (Fall OLG Frankfurt DAR 05, 339).

     

    Lösung: Ohne § 476 BGB auch nur zu erwähnen, hat das OLG Frankfurt einen Mangel bei Übergabe bejaht. Unter den gegebenen Umständen (moderner Mittelklassewagen, ca. 88.000 km, ausreichend Schmier- und Kühlmittel) spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Motorschaden „im technischen Zustand des Wagens selbst angelegt war“. Der exakte technische Ursachenzusammenhang interessiere nicht.

     

    3. Ergänzende Hinweise: Das Frankfurter Urteil darf nicht überbewertet werden. Denn oft ist unklar, ob vor Eintritt des „Endschadens“ Öl und Kühlmittel ausreichend vorhanden waren, der Zahnriemen ordnungsgemäß gewechselt war und fällige Wartungs- und Inspektionstermine eingehalten wurden. Richtig ist jedoch: Als Sachmangel gilt auch ein Zustand, aufgrund dessen bereits die Sicherheit oder zumindest hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Fahrzeug alsbald funktionsunfähig wird (BGH NJW 06, 2250 – Tierkauf; OLG Köln NZV 04, 45 – Reparaturfehler mit „Zeitbombeneffekt“). Bei Gebrauchtfahrzeugen ist allerdings zu beachten, dass die Schadenanfälligkeit nicht auf normalem Verschleiß beruhen darf. Siehe dazu III. Dafür, dass eine Schadenanfälligkeit Sachmangelqualität hat, gibt § 476 BGB nichts her. Der Verbraucher hat insoweit die volle Darlegungs- und Beweislast (SV-Gutachten). Ob eine Ursache des „Endschadens“ ihrerseits ein vertragswidriger Zustand und damit ein Sachmangel ist, steht gleichfalls zur vollen Beweislast auch eines Verbrauchers. Ist der „Ursachen-Mangel“ (auch „Grundmangel“ genannt) dagegen unstreitig oder bewiesen und geht es nur um das Wann (vor oder nach Übergabe), so greift § 476 BGB ein. Der Verkäufer muss Unvereinbarkeit beweisen oder den Gegenteilsbeweis führen.
     

    III. Problemfall „Verschleiß“
    1. Erscheinungsform und praktische Bedeutung: Zu den „Dauerbrennern“ des Gebrauchtwagen-Kaufrechts gehört die Abgrenzung zwischen Sachmangel und Verschleiß/Alterung. Insoweit hat sich durch die Schuldrechtsreform in der rechtlichen Bewertung prinzipiell nichts geändert. Was reformbedingt neu ist, ist die verstärkte Argumentation von Unternehmer-Verkäufern auf der „Verschleißschiene“. Neu sind auch Prüfschema und Prüfmaßstab, jetzt gem. § 434 BGB; siehe dazu OLG Düsseldorf 27.6.05, I-1 U 28/05, Abruf-Nr. 060062; 8.5.06, VA 06, 96, Abruf-Nr. 061334, und 19.6.06, I-1 U 38/06, VA 06, 148 – in diesem Heft –, Abruf-Nr. 062364.

     

    2. Beispiel: K. wurde ein Pkw verkauft, der später mit einem Motorschaden ausfiel. Strittig ist, ob normaler oder übermäßiger Verschleiß der Grund war und ob ein etwaiger übermäßiger Verschleiß bereits bei Übergabe vorhanden gewesen ist (Fall OLG Köln 1.3.06, 11 U 199/04, Abruf-Nr. 062360 = ZGS 06, 276).

     

    Lösung: Auf der Basis von zwei (!) Gerichtsgutachten hat das OLG festgestellt, dass der Motor schon im Zeitpunkt der Übergabe an übermäßigem Verschleiß litt und damit sachmangelhaft war. Ohne dass es bei diesem Beweisergebnis nötig war, geht das OLG auf § 476 BGB ein. Er hätte dem Kläger bei einem offenen Beweisergebnis nicht geholfen, meint der Senat. Auch ein Verbraucher müsse den vollen Beweis führen, dass die von ihm als Mangel geltend gemachten Erscheinungen Ausdruck übermäßigen Verschleißes sind und nicht auf sonstigen Ursachen beruhen.

     

    3. Ergänzende Hinweise: Wie jetzt auch vom BGH entschieden, ist normaler Verschleiß bei einem Gebrauchtwagen grundsätzlich kein Sachmangel (NJW 06, 434). Bei der schwierigen Abgrenzung „Sachmangel/normaler Verschleiß“ (aktuell dazu die o.a. Urteile des OLG Düsseldorf) nützt § 476 BGB dem Käufer nichts. M.a.W.: Das Auftreten eines – möglicherweise verschleißbedingten – Defekts innerhalb der Sechsmonatsfrist begründet nicht die Vermutung für das Vorhandensein eines Sachmangels im Übergabezeitpunkt.
     

    IV. Problemfall „Wartungs- und Bedienungsfehler“
    1. Erscheinungsform und praktische Bedeutung: Die reformbedingte Verschärfung der Verkäuferhaftung hat dazu geführt, dass Händler verstärkt den Einwand „Wartungs- und Bedienungsfehler“ erheben. Rückenwind haben sie durch BGH NJW 04, 2299, erhalten. Wendet der Verkäufer ein, bei Übergabe sei das Fahrzeug einwandfrei gewesen, an der jetzigen Reklamation habe der Käufer selbst Schuld (z.B. Fehler beim Schalten), so kann ein solcher Vortrag auf mindestes drei verschiedenen Stufen erheblich sein:
    • schon im Zusammenhang mit dem vom Käufer (auch als Verbraucher) zu führenden Nachweis, dass überhaupt ein Sachmangel vorliegt („Ob-Beweis“);
    • bei der Behauptung eines Ausschlusstatbestandes (oben Punkte 7 und 8);
    • bei der Widerlegung der Beweisvermutung (oben Punkt 9).

     

    2. Beispiel: K. kaufte von H. am 18.1.02 einen Opel Vectra mit 118.000 km. Bei 117.950 km hatte H. den Zahnriemen erneuert. Am 12.7.02 erlitt der Wagen nach gefahrenen 12.000 km einen Motorschaden. Die Ursache war strittig. Laut Gerichtsgutachten lag sie in einem Überspringen des zu lockeren Zahnriemens. Für die Lockerung hatte der Sachverständige drei mögliche Ursachen genannt, zwei technische und einen Schaltfehler des Käufers (Fall BGH NJW 04, 2299).

     

    Lösung: Während das OLG München dem Käufer mit der Beweislastumkehr geholfen hat, ist der BGH einen anderen – verkäuferfreundlicheren – Weg gegangen. Seiner Meinung nach muss der Käufer die Möglichkeit einer Eigenverursachung (hier: Schaltfehler) ausschließen (NJW 04, 2299). Kritik: Nicht erst die Ursache für die Lockerung des Zahnriemens, sondern der lockere Zahnriemen als solcher ist ein Sachmangel. Er hat sich binnen sechs Monaten gezeigt, so dass nach § 476 BGB Lockerung bei Übergabe zu vermuten war.

     

    3. Gegenbeispiel: Innerhalb von sechs Monaten trat ein Getriebeschaden auf. Laut Gutachter ist ein Schaltfehler der alleinige Grund; ob vor oder nach Übergabe passiert, war nicht zu klären.

     

    Lösung: Bei einer solchen Konstellation ist § 476 BGB anwendbar (s. auch BGH NJW 05, 3490 und NJW 06, 1195, jeweils feststehende Ursache). Anders als in dem BGH-Zahnriemenfall (NJW 04, 2299) besteht in dem Gegenbeispiel nur ein Zeitpunktzweifel (vor oder nach Übergabe?). Das ist zwar zugleich ein Urheberzweifel (Vorbesitzer oder Käufer?). Es gibt aber keine Ungewissheit, worauf der Getriebeschaden beruht, also keinen Ursachenzweifel.

     

    4.Ergänzende Hinweise: Nach OLG Hamm DAR 06, 390, kann sich der Einwand der Eigenverursachung schon auf der Darlegungsebene auswirken (Ausfall der Elektrik), d.h. der Käufer muss eine alleinige Fremdverursachung bereits in erster Instanz vortragen. Da der Ausschluss einer Eigenverursachung erfahrungsgemäß schwierig ist, ist eine Parteivernehmung anzuregen. Bei einem Motorschaden kann dem Käufer OLG Frankfurt DAR 05, 339 helfen.