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  • 24.02.2011 | Haftpflichtprozess

    Aktuelle Probleme des Zeugenbeweises im Verkehrsunfallprozess

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    Das mit Abstand unzuverlässigste Beweismittel im Verkehrsunfallprozess ist, keine Frage, der Zeuge. Fakt ist aber auch, dass dieser Beweis häufig alternativlos ist. Nachdem jüngst sogar das BVerfG sich mit dem Zeugenbeweis in einer Unfallsache befasst hat (NJW 11, 49), ist es an der Zeit, den aktuellen Stand der Rechtsprechung zu praxisrelevanten Detailfragen im Zusammenhang darzustellen.  

    I. Prozesstaktische Fragen

    1. Zeugen ausschalten: Ist der Haftungsgrund im Streit, sollte auch der Fahrer verklagt werden. So kann er als Zeuge ausgeschaltet werden. Bei einem Streit nur über die Schadenshöhe genügt es i.d.R., allein den Haftpflicht-VR zu verklagen. Ausschalten kann man einen Zeugen, z.B. den Fahrer des Kl.-Fz, durch eine Widerklage.  

     

    2. Zeugen gewinnen: Um auf der Klägerseite Zeugenbeweis zu ermöglichen, kann es sinnvoll sein, einen Dritten, z.B. den Ehepartner oder ein Kind, aus abgetretenem Recht des Verletzten klagen zu lassen. Dieser kann dann als Zeuge präsentiert werden, was legitim ist (BGH NJW 07, 1753). Der Zedent ist zwar materiell die eigentliche Partei, indes nicht von vornherein unglaubwürdig (KG 30.9.08, 12 U 196/08). Gegenschlag: Der Beklagte erhebt gegen den Zedenten Drittwiderklage.  

     

    3. Waffengleichheit: Wenn die eine Partei auf Zeugen zurückgreifen kann, während der Gegenpartei - aus welchem Grund auch immer - kein Zeuge zur Verfügung steht, ist die Anhörung der zeugenlosen Partei nach § 141 ZPO, ggf. nach § 448 ZPO, ein Gebot der Waffengleichheit (BVerfG NJW 01, 2531). Das Unterbleiben stellt i.d.R. einen Verfahrensfehler i.S.d. § 538 ZPO dar (OLG München 13.2.09, 10 U 5411/08, Abruf-Nr. 110526; OLG Frankfurt NZV 10, 623; s.a. KG NZV 09, 460 Nr. 20). Auf diese Rspr. sollte der Anwalt der Partei ohne Zeugen das Gericht ausdrücklich hinweisen.  

     

    II. Beweisantrag

    1. Unfallhergang: Schon in I. Instanz ist umfassend unter Beweisantritt zum Unfallhergang vorzutragen (KG NZV 09, 596, 597; KG NZV 10, 200). Wer zum Unfallhergang vier Zeugen benennen kann, sollte von Anfang an alle vier anbieten und sicherheitshalber zumindest hilfsweise SV-Beweis beantragen (KG NZV 10, 301 Nr. 12). Eine erstinstanzliche Nichtbenennung kann bei erheblichem Nachforschungsaufwand entschuldbar sein (OLG Stuttgart 7.12.10, 10 U 140/09 - Bausache). Das Verlangen, einen Zeugen anzuhören, ist neu und damit i.d.R. verspätet, wenn die Partei im ersten Rechtszug mit einer Verwertung der schriftlichen Aussage einverstanden war (KG NZV 10, 200).  

     

    2. Umfang/Höhe des Schadens: Beim Nachweis des Fahrzeugschadens wie bei der Entkräftung des Vorschadeneinwands können sachverständige Zeugen helfen (Kfz-Mechaniker, Privatgutachter). Zum Ablehnungsgrund „ungeeignet“ unten VI 2. In HWS-Sachen wie generell beim Personenschaden kommen der erstuntersuchende Arzt und/oder der Hausarzt als sachverständige Zeugen in Betracht. Themen: Zustand nach dem Unfall (zum Beweiswert BGH NZV 08, 501, 502), beim Hausarzt auch Beschwerdefreiheit vor dem Unfall. Kein Zeugenthema: Unfallkausalität. Zum Ganzen Ernst, VA 08, 186 ff. Nicht zu vergessen sind Zeugen aus dem Umfeld des Geschädigten wie z.B. der Ehepartner. Auch mit ihrer Hilfe können der Zustand vor dem Unfall (wichtig v.a. in HWS-Sachen), aber auch Art und Umfang von unfallbedingten Schmerzen und Leiden bewiesen werden (BGH NJW 86, 1541).  

     

    3. Zeuge „NN“: Grds. unbeachtlich, aber ohne dem Beweisführer eine Frist zur Nennung des Namens gesetzt zu haben, darf das Gericht nicht in jedem Fall von der Vernehmung absehen (BGH VersR 98, 912).  

     

     

    III. Zeugenaussagen aus anderen Verfahren und sonstigen Quellen

    1. Schriftliche Aussagen von Zeugen (z.B. in der Polizeiakte) und Protokolle über Zeugenaussagen in einem anderen Verfahren können nur im Wege des Urkundenbeweises in den Prozess eingeführt werden. Sie dürfen dort jedenfalls verwertet werden, wenn dies von der beweispflichtigen Partei beantragt wird (BGH NJW 00, 1420). Eine Zustimmung des Gegners zur Führung des Urkundenbeweises ist nicht erforderlich.  

     

    2. Unzulässig ist die urkundenbeweisliche Verwertung einer Zeugenschilderung anstelle der Vernehmung des Zeugen, wenn eine Partei zum Zwecke des unmittelbaren Beweises die Vernehmung des betreffenden Zeugen beantragt hat (BGH NJW 00, 1420; NZV 92, 403). Als flankierende Maßnahme kann der Antrag auf Beiziehung der Strafakte gestellt werden, um die schriftliche Auskunft des Zeugen in den Prozess einzuführen. Wer einer schriftlichen Verwertung mit dem Argument widerspricht, die Auskunft sei falsch, stellt damit noch keinen Antrag auf persönliche Vernehmung (offengelassen BGH NJW-RR 07, 1077). Selbst wenn ein Antrag auf Zeugenvernehmung fehlt und damit der Weg für eine isolierte Verwertung der Zeugenaussage im Wege des Urkundenbeweises an sich frei ist, kann eine Beschränkung darauf im Einzelfall verfahrensfehlerhaft sein, z.B. wenn es auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen ankommt (BGH NJW 00, 1420).  

     

    IV. Zeugenvernehmung

    1. Unfallzeugen sind grds. in mündlicher Verhandlung zu vernehmen, eine schriftliche Beantwortung nach § 377 Abs. 3 ZPO verbietet sich i.d.R. von selbst (OLG München 13.2.09, 10 U 5411/08, Abruf-Nr. 110526); auch bei einem Auslandszeugen. Eine Vernehmung im Rechtshilfeweg sollte tunlichst unterbleiben (so OLG München a.a.O.). Raum für § 377 Abs. 3 ZPO ist bei der Klärung von Höhefragen. Üblicherweise werden auch Ärzte, z.B. der Hausarzt, auf diesem Weg befragt.  

     

    2. In komplizierten Fällen, z.B. Fußgängerunfall bei Dunkelheit, kann es ratsam sein, zur Zeugenvernehmung den für die Unfallanalyse vorgesehenen SV hinzuzuziehen. Wichtige Punkte können sonst im Dunkeln bleiben. Also: ggf. Anregung durch den Anwalt.  

     

    3. Das Gericht ordnet die Vernehmung an, der Zeuge kommt nicht: Die Partei, die den Zeugen benannt hat, kann auf die Vernehmung verzichten und sich mit der Verwertung seiner Aussage gegenüber der Polizei per Urkundenbeweis einverstanden erklären. Wenn die Gegenpartei dem nicht ausdrücklich oder konkludent widerspricht, ist die Verwertung der Urkunde zulässig (KG NZV 08, 252). Zur Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf Zeugen oder auf die persönliche Anhörung durch Einverständnis mit der Verwertung von Ermittlungsakten s. BGH NJW 00, 1420.  

     

    4. Keine Selbstverpflichtung des Gerichts, eine beschlossene Zeugenvernehmung auch durchzuführen oder einen nur vorsorglich geladenen Zeugen auch anzuhören (KG NZV 08, 252).