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  • 01.01.2007 | Einspruchsverwerfung

    Wartepflicht des AG vor Einspruchsverwerfung

    Auch wenn der Betroffene ohne ausreichende Entschuldigung nicht pünktlich zur Hauptverhandlung erscheint, muss das Gericht die Grundsätze des fairen Verfahrens und insbesondere die hieraus abzuleitende Fürsorgepflicht beachten (OLG Hamm 26.7.06, 4 Ss OWi 321/06, Abruf-Nr. 063470).

     

    Sachverhalt

    Der Betroffene hat gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Daraufhin wurde Hauptverhandlung (HV) anberaumt. Zu Beginn des Termins (10.40 Uhr) war der Betroffene nicht erschienen, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden worden war. Vom Verteidiger sogleich angerufen hat der Betroffene angekündigt, er werde unverzüglich losfahren und in 30 Minuten erscheinen. Dem Antrag des Verteidigers, solange zu warten, die HV zu vertagen oder den Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, ist das AG nicht nachgekommen. Um 11.00 Uhr hat das AG den Einspruch verworfen. Die nächste Sache war für 11.30 Uhr terminiert. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.  

     

    Entscheidungsgründe

    Das AG muss auch dann, wenn der Betroffene ohne ausreichende Entschuldigung nicht pünktlich zur HV erscheint, die Grundsätze des fairen Verfahrens und insbesondere die hieraus abzuleitende Fürsorgepflicht beachten. Aus dieser ergibt sich nicht nur die Pflicht, mit einer gewissen Verzögerung des Betroffenen zu rechnen und eine Wartezeit von 15 Minuten bis zur Verwerfungsentscheidung einzuhalten, sondern zusätzlich, wenn der Betroffene innerhalb dieser Wartezeit mitteilt, dass er sich verspäten, aber noch innerhalb angemessener Zeit erscheinen wird, einen weiteren Zeitraum zuzuwarten.  

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung entspricht der Auffassung in der OLG Rspr. (so schon KG Berlin DAR 01, 175). Nach allg. Meinung ist eine Wartezeit von mindestens etwa 10 bis 15 Minuten erforderlich (z.B. KG a.a.O.; OLG Köln JMBl. NW 72, 63; OLG Koblenz DAR 80, 280; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 329 Rn. 13 m.w.N.; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 5. Aufl., 2006, Rn. 211). Ggf. muss das AG aber auch erheblich länger warten (BerlVerfGH NJW-RR 00, 1451), und zwar z.B. dann, wenn die Verspätung angekündigt worden ist und/oder wenn Anhaltspunkte für ein alsbaldiges Erscheinen bestehen (BerlVerfGH NJW 04, 1158; OLG Frankfurt NStZ-RR 98, 211 [Ls.]; OLG Hamm NStZ-RR 97, 368; OLG Köln NZV 97, 494). Länger gewartet werden muss auch, wenn der Vorsitzende dem nicht erschienenen Betroffenen durch den Verteidiger hat ausrichten lassen, er solle auf jeden Fall noch zum Gericht kommen. Dann muss zumindest so lange gewartet werden, wie mit dem Eintreffen des Betroffenen noch gerechnet werden kann (OLG Köln StraFo 04, 143). Wird der Einspruch dennoch oder zu früh verworfen, muss in der Rechtsbeschwerde mit der Verfahrensrüge die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden. Diese unterliegt hinsichtlich der Begründung den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO.